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Eine Wolle-Story - Wer den Schaden hat...
Wolle hat sich doch letzte Woche tatsächlich ein Stück seines Backenzahns abgebrochen, als er versucht hat, mit den Zähnen eine Flasche Bier zu öffnen.
Er war schon ziemlich betrunken und hat den Kronkorken nicht aufgebissen, wie er es sonst macht, sondern er hat den Korken am Backenzahn angesetzt und mit der anderen Hand oben drauf geschlagen.
So etwa, wie es geübte Biertrinker an einer harten Kante machen.
Na ja, ihm lief dann nicht nur das Bier in den Hemdkragen, sondern auch eine Menge Blut, weil er damit natürlich auch sein Zahnfleisch aufriss und wie gesagt, ein Stück des Backenzahns abbrach.
Nun ist ja Wolle ein tapferer Mann, zumindest glaubt er das. Zunächst verhinderte wohl der Alkohol noch die ziemlich starken Schmerzen, die kamen allerdings prompt am nächsten Tag, gerade richtig, als er mich abholen wollte. Ein kleiner Frühschoppen stand auf dem Plan. Schon als ich die Tür öffnete, war mir jedoch klar, dass aus einem gemütlichen Frühschoppen wohl nichts werden würde. Wolle hatte sich gegen die Schmerzen einen Verband aus einer blau-grün-rot geblümten Küchenschürze gebastelt, etwas gelb war auch dabei, die er rund um seinen Kopf verknotet hatte. Da die Schürze etwas zu groß war, hing natürlich ein Teil davon über seiner Schulter und seinen Rücken. Wolle war unrasiert, die Haare hingen aus der Schürze heraus und er machte das typische Gesicht einer Mannes, der Zahnschmerzen hat, meinte aber, er wolle den Schmerz tapfer ertragen. Als ich ihn fragte, ob er nicht lieber doch zu einem Zahnarzt gehen wollte, meinte er:
“Wegen der Kleinigkeit? Einen richtigen Mann wirft so was doch nicht um“, und dabei verzog er sein Gesicht.
Wir wollten uns dann gemütlich auf unserem Marktplatz in einen Biergarten setzen, aber der Wirt verweigerte uns zunächst den Zutritt mit den Worten:
“Du kannst reinkommen, aber deine Türkin mit ihrem Kopftuch bleibt draußen!“
“Das is...kein...chuuhhhhhh!?!?“ Wolle verzog plötzlich schmerzverzerrt das Gesicht.
“Das ist kein Kopftuch!“, vollendete ich den Satz, den Wolle sagen wollte, während dieser wie ein Derwisch auf einem Bein herumhüpfte.
“Was hat sie denn?“, fragte der Wirt überrascht.
“If bin keine....uiiiiihhhhhhh!“ Wieder hüpfte er, diesmal auf dem anderen Bein, während er sich heulend den Backen hielt.
“Er ist keine Sie, nein, ich meine, Sie ist ein Er!“
Langsam wurde auch ich etwas verwirrt und der abwechselnd auf dem linken und rechten Bein hüpfende Wolle tat dafür ein übriges.
“Ein Er? Seit wann tragen denn Türken Kopftücher?“
“Ahhh, iff bin kein...Tüüüüüühhhhhhhhhhh!“ Wolle liefen mittlerweile die Tränen über beide Backen herunter und er deutete mit seinem Finger ständig auf seinen Backen.
“Er ist kein Türke!“, sagte ich, voller Mitleid.
“Hat er etwa Zahnschmerzen?“, fragte der Wirt erstaunt, aber das hörte Wolle schon nicht mehr, der plötzlich quer über den Marktplatz spurtete. Ich rannte ihm hinterher.
“Wo willst du denn hin?“, fragte ich ihn.
“Da ift ein Fahnarzt....uhhhhhhh, diefe Fmerzen!“
Hinterher erfuhr ich, dass Wolle früher in dem Haus in das wir gingen, seinen Hauszahnarzt hatte, bevor dieser in eine andere Stadt zog.
Die Praxis war im dritten Stock, Aufzug gab’s keinen, aber oben wurde bereits die Tür geöffnet, weil Wolle im Treppenhaus schon brüllte wie am Spieß.
Als wir oben ankamen, Wolle immer noch mit der Küchenschürze auf dem Kopf, mittlerweile wieder aus dem Mund blutend und laut um zahnärztliche Hilfe nuschelnd, flüchteten einige Patienten doch leicht verstört aus der Praxis.
Wolle flippte dann vollständig aus, als die Sprechstundenhilfe ihn ernsthaft fragte:
“Haben Sie Zahnschmerzen?“ Nur mit Gewalt ließ er sich ins Behandlungszimmer führen.
“Du kommfft mit!“, rief er und klammerte sich an meinen Arm.
Mir war das Ganze etwas peinlich, ein erwachsener Mann, der seinen Freund dabei haben wollte, während er sich einer Zahnbehandlung unterzog? Aber was sollte ich denn tun, schließlich wollte ich ja irgendwann noch zu meinem Frühschoppen kommen!
Die Sprechstundenhilfe führte Wolle zum Stuhl, nahm ihm vorsichtig die bunte Schürze ab und füllte frisches Wasser in einen Becher.
“Die Frau Doktor kommt gleich“, sagte sie ganz beiläufig.
“Frau Doktor, wiefo denn Frau Doktor???“, entsetzte sich Wolle. “If will einen Mann“, brabbelte er und sah mich, um Hilfe flehend an.
“Wolle, wir haben keine Zeit mehr, nach einem männlichen Zahnarzt zu suchen! Du wirst von der Frau Doktor genauso gut behandelt wie von einem Mann“, erklärte ich.
“Warten sie bitte draußen?“, hörte ich auch schon eine sehr melodische Stimme hinter mir.
Als ich mich umdrehte, sah ich die wohl hübscheste Zahnärztin, die ich jemals gesehen hatte.
Langes, lockiges, blondes Haar, das in weichen Wellen auf ihre Schulter floss, eine Brille, die sie unglaublich sexy machte und eine Figur sag ich euch....! Zeitweilig vergaß ich sogar Wolle und den Frühschoppen.
“Kann er nift dableiben?“, nuschelte Wolle leise, der, hätte er es gekonnt, wohl anerkennend durch die Zähne gepfiffen hätte.
“Nein, so was machen wir nur bei Kindern. Und sie sind doch kein kleines Kind mehr, oder? Sie sind doch schon ein ganz großer Junge, nicht wahr?“
Wolle nickte nur noch ergeben und ich verließ nach einem letzten Blick auf die schöne Blondine das Behandlungszimmer.
Die folgende Prozedur dauerte weit über eine Stunde.
Wolle hat sich unglaublich gefreut mich zu sehen, als er aus dem Behandlungszimmer kam. Er konnte das nicht so richtig ausdrücken, aber er schrieb auf einen Zettel:
“Schön, dass du hier auf mich gewartet hast! Du bist halt ein wahrer Freund.“ Ich hab ihm natürlich nicht erzählt, dass ich die ganze Zeit gegenüber im Biergarten sass.
Er muss das auch nicht wissen, finde ich, ich kann nämlich Zahnarztpraxen auf den Tod nicht ausstehen.
Ich hab jedoch, wie übrigens alle Gäste im Biergarten, lautstark mitbekommen, wie sie versuchte, ihm den kaputten, vereiterten Zahn zu ziehen.
Wir haben auch alle gehört, wie sie ihm den Nerv abtöten wollte, der sich jedoch vehement dagegen wehrte.
Beim dritten Bier hörte ich dann, wie sie den Zahn aufmeißelte und ihm das Zahnfleisch aufschnitt.
Und nachdem ich beim Wirt bezahlte, weil es plötzlich ziemlich ruhig wurde, kam ich gerade noch rechtzeitig in die Praxis zurück, als Wolle von zwei Helferinnen und der Zahnärztin praktisch aus dem Behandlungszimmer herausgetragen wurde.
Als er wieder stehen konnte, nahm er einen leeren Zettel von der Anmeldung und schrieb darauf mit krakeligen Buchstaben:
“Gehen wir jetzt was trinken?“