Was ist neu

Eine Welt voll Geld

Mitglied
Beitritt
25.05.2017
Beiträge
1

Eine Welt voll Geld

"Gillian"
"... Jillian"
"Nein, Gillian, ganz sicher"
"Jillian. Glaub mir"
Bradley sah hinüber in ein Gesicht, welches so lächerlich ausdruckslos war, dass er ins Grübeln kam. Dem Lauf einer Pistole gleich, richteten sich die blauen Augen auf ihn, ruhig, bestimmt. Plötzlich legte sich die Stirn in Falten, die braunen, feinen Augenbrauen hoben sich, zogen den Abzug, der metaphorischen Pistole. Rasch kam die Kugel der Überzeugung auf Bradley zu, er wollte ausweichen, sich ducken, doch traf sie ihn unbarmherzig und sprengte das Glas der aufgebauten, vorgespielten Selbstsicherheit.
"Nunja... Vielleicht Jillian", Bradley senkte kurz seinen Kopf, kratzte mit dem Zeigefinger die Scheidewand seiner spitzen, kleinen Nase, bevor er seinen Blick wieder auf Bill richtete. Dieser lächelte, legte seinen langen, sonnengebräunten Arm um Bradley, strotzte scheinbar vor Arroganz, aber arbeitete nur ein Prozedere ab, welches von beiden Freunden in den letzten Jahren perfektioniert wurde.
"Absolut, Jillian ist richtig", Bill lockerte die Umarmung. Bradley spürte, wie sich die roten Baumwollfasern des auffälligen T-Shirts von seinem etwas rötlichen, leicht sonnenverbrannten Nacken lösten.
"Warum musst du immer recht haben?", Bradley lächelte, offenbarte eine Reihe gerader, leicht vergilbter Zähne, doch in seiner Frage verbarg sich ein ernsthafter Kern, der nach draußen drängte. Bill zuckte lediglich mit seinen breiten Schultern, bevor er sich wieder der Plastikschale mit dem offenbar frischen Obst widmete, die er beiläufig mit seinen drahtigen Fingern hielt.

"Hm", resignierend hob Bradley seine kleine Hand mit der Gabel und fischte in der Plastikschale seines Freundes nach einem Stück Orange. Die süße Säure breitete sich rasch auf seiner spitz zulaufenden Zunge aus, als er das Obst hinter seinen schmalen Lippen mahlte. Langsam lehnte er sich zurück, versank mit seinem dünnen Oberkörper in dem großen, grauen Sofa, das in seiner Wohnung stand. Seine braunen Augen fixierten einmal mehr die aufreizend, langweilige Werbung, die von dem teuren Smart-TV auf ihn einprasselte. Genervt wechselte er den Sender, presste die Eins auf der teils angestaubten Fernbedienung, bis sich ihm der fast täglich gezeigte Wintersport offenbarte.
Bills Augen weiteten sich für einen Moment, ehe er bemerkte, dass es sich bei der Übertragung um einen Skisprint über 50 Kilometer handelte, bei der der aufgeregte Kommentator tatsächlich schon während der Zeitmessung bei Kilometer 14,2 versuchte, Spannung zu generieren. Als Bill von der entgegenspringenden Langeweile erfasst wurde, warf auch er sich zurück in das weiche Sofa, kratze sich mit dem Ende seiner Plastikgabel an seinem stoppelig, kantigen Kinn. Es folgten einige dieser desinteressiert anerkennenden Floskeln, die den Sportlern auf dem leuchtenden Bildschirm nicht im Ansatz gerecht wurden.
"Wahnsinn, was die rennen"
"Jo", Bill versenkte seine Nasenspitze wieder in der Plastikschale, Bradley wechselte den Sender, Sportler mit langen Skiern sprangen kraftraubend eine Erhöhung hinauf.
Werbung.

Werbung.

Werbung.
"Das immer überall gleichzeitig Werbung laufen muss", Bradley hätte sich tatsächlich aufregen können, doch sprach er die Worte dermaßen beiläufig, nuschelnd und silbenschluckend aus, dass die einzige Antwort Bills ein lautes Schmatzen war, als dieser auf eine grüne Weintraube biss. Einige Tropfen Fruchtwasser spritzten zwischen den weißen Zähnen hervor auf den kleinen, rechteckigen Holztisch vor dem Sofa.
"Ernsthaft?", Bradley mühte sich nicht mal, seinen Kopf zu drehen. Bill schielte seinerseits auf den Tisch, sah im Schein der Sonne die feuchten Flecken auf der noch immer zusammengefalteten Zeitung.
"Nichts passiert", seine Plastikgabel stach in ein kleines Apfelstück.
"Hm"
Sitcom.
Bradley und Bill versanken für eine halbe Stunde in einer Serie, dessen Folge sie schon unzählige Male gesehen hatte, bis schließlich wieder die Werbung begann. Ruckartig stand Bill auf, schlenderte vorbei am beobachtenden Bradley und an dem langen Panoramafenster neben dem grauen Sofa. Bradley hörte das nur zu bekannte Geräusch des sich öffnenden Kühlschranks. Glas klirrte wiederholt aneinander, als die Tür geschlossen wurde. Zwei Schritte auf den kalten, weißen Fließen, die kleinen Plastikrollen auf den metallenen Schienen einer Schublade, bis das Besteck darin ruckartig laut zum Stehen kam. Der helle Klang der Küchenwerkzeuge, die von einer suchenden Hand zusammengeschoben wurden, drang an die Ohren Bradleys.
Dessen Augen wanderten nach rechts zur Seite, als könne er so erkennen, was hinter ihm geschah, doch verzichtete er auf die Anstrengung, seinen Kopf unnötig zu drehen. Da vernahm er auch schon das etwas lautere Klirren, als die Schublade mit dem Besteck mit Wucht wieder zugeschlagen wurde. Bradley hörte einmal mehr das leise Tapsen der wollenen, gestreiften Socken Bills, bis plötzlich etwas hölzern-Metallenes scheppernd auf dem Tisch vor ihm aufschlug.
"Bier", murmelte Bill und hielt seinem Freund von hinten die erschreckend kalte Flasche an die Wange. Überrascht zuckte Bradley zusammen und erkannte mit zusammengezogenen Augenbrauen den Flaschenöffner, den Bill zuvor auf den Tisch geworfen hatte. Blind langte er mit der rechten Hand nach dem Bier, welches lose über seiner Schulter baumelte und nur darauf wartete, geerntet zu werden. Währenddessen wanderte sein Blick auf die schwarze Uhr mit den weißen Zeigern, die zwischen zwei anderen Uhren über dem Fernseher hing. 16:02.
"Kein Bier vor Vier", Bradley atmete laut aus, was einem Lacher gleich kam, grinste.
"Wie könnte man", Bill schlurfte um den Tisch herum, las den Flaschenöffner auf und entzweite gekonnt Kronkorken und Glas, bevor er ihn weiter an Bradley reichte. Zischend folgte der dem Vorbild seines Freundes, bevor beide stumm ihre Flaschen aneinander schlugen, die Augen streng auf die Pupillen des anderen gerichtet. Beide genehmigten sich einen ersten, kühlenden Schluck.

Währenddessen prangten auf dem riesigen Smart-TV vor ihnen in grell roter Schrift auf schwarzem Grund die Worte "See the NOrmal" auf, wobei das 'NO' in türkisem Blau nochmals hervorgehoben wurde. Gefolgt wurde dieser Aufhänger von amerikanischen Straßeninterviews, bei dem junge Frauen irgendwelche Menschen fragten, ob sie "es" sähen.
Die Frage richtete sich an die immer gleiche Art von Kleidungsstil. Sie trugen die klassische, blaue Jeans, schwarze, weiße, graue Shirts und darüber eine braune oder schwarze Jacke. Wenn die verdutzten Menschen ein irritiertes "No" hinauswürgten, lachten die Frauen, griffen nach den Jackenkragen oder Ärmeln und riefen "See the 'No' in Normal", bevor sie aufgeregt weiter die Straße entlangsprangen.
"Ist das eigentlich schon Mobbing?", hallte eine Frage durch den spärlich möblierten Raum.
"Wieso?", hauchte Bill abwesend in seine Flasche.
"Naja", Bradley räusperte sich, richtete sich etwas auf, "Denen wird doch quasi gesagt, dass sie langweilig sind."
"Ihnen wird nur gesagt, dass sie normal sind."
"Aber mit negativer Konnotation, weil man ja der Werbung nach das 'No' darin sehen müsste.
"Aber nur, weil niemand normal sein will heutzutage. Individualismus, das ist der Shit", Bill begleitete den letzten Satz mit einer übertriebenen, aufgelegt jugendlichen Geste.
"Aber dann ist 'normal' ja schlecht."
"... Ach, keine Ahnung. Jedenfalls klingt es langweilig. Und die Typen da...", er deutete auf das große, silbern geränderte Smart-TV, "... sehen doch wirklich langweilig aus."
"Normal halt", schmunzelte Bradley.
"Nein, einfach langweilig."
"Manchmal muss man eben gewöhnlich sein, es kann nicht alles spektakulär sein."
"Aber es wird nun mal vorgelebt. Wenn alle von der Brücke springen, musst du der Dude sein, der nicht springt. Kennst das ja." Bradley kannte das nicht, aber Bill hatte sich schon länger angewöhnt, den kurzen Satz anzufügen, wenn er ein Beispiel für etwas nannte, sei es noch so fiktional.
"Muss ich nicht", Bradley nahm einen großen Schluck aus der Glasflasche.
"Wieso das denn nicht?", Bill lachte verwirrt auf, "Das fragt man doch nur so: Wenn deine Freunde von der Brücke springen, springst du dann auch?"
"Ja klar, ist das die Frage, aber ist doch bescheuert, das einfach zu verneinen", ein halb offenes, erstarrtes Lächeln und ein verwirrt interessierter Blick trafen Bradley, bevor er weiter ausführte: "Wenn alle meine Freunde von der Brücke springen, macht es ja vielleicht Sinn hinterher zu springen. Anscheinend lohnt es sich ja für sie und wenn doch nicht, nun, dann springe ich eben nicht. Das ist doch der Witz daran. Mit dem Spruch wird nicht das eigene Denken angetrieben, sondern nur der Gedanke, nicht das zu tun, was auf den ersten Blick falsch ist."
Bill schüttelte seinen Kopf, um der Starre seiner Mimik zu entfliehen: "Das du dir über sowas Gedanken machst", er lächelte erneut, genehmigte sich dann ebenfalls einen großen Schluck aus seiner Flasche und stellte sie auf den massiven Akazien-Tisch.

Kurze Zeit später leuchte der Display von Bradleys Smartphone auf, zog dessen Aufmerksamkeit auf sich. Linsend entzifferte er die Buchstaben auf dem kleinen Bildschirm, der zu seiner Rechten auf der Couchlehne lag. Es war keine Furcht vor den Strahlen, die von dem unscheinbaren Gerät ausgingen, die ihn sein Smartphone stets aus der Hosentasche ziehen ließ. Vielmehr dachte er sich, dass der Aufwand zu gering sei, als das er ein unnötiges Risiko eingehen müsse. So saß sein Handy immer einige Zentimeter weit von ihm entfernt, auf Lehnen, Tischen, Plätzen, damit er seine Hoden nicht belastete.
Mit einem Wisch des Zeigefingers löste der grüne Messenger den Startbildschirm ab. Flink raste der Daumen über das Glas, aktivierte die Buchstaben und versendete die Nachricht. Als der Messenger nicht sofort reagierte, tippte der Daumen erneut drauf los, doch verschwand just in jenem Moment die Aufschrift 'Senden' und wurde durch das höhnische Mikrofon-Symbol ersetzt.
"Nein, nein, nein", raunte Bradley, bevor er den hellen Klang der aufnehmenden Sprachnachricht vernahm. Bill drehte kurz seinen Kopf, grinste, doch wurde keine Nachricht aufgenommen. Zu kurz lag der Daumen auf.
"Wem schreibst du?"
Bradley atmete erleichtert aus, bevor er zur Antwort ausholte: "Dämliche Lags. Da komm ich ständig auf Aufnahme, wenn ich was versenden will."
"Das war nicht die Frage", Bill lächelte noch immer.
"Ach, das, das, das ist... ach nichts", unentwegt überlegte Bradley, wie er das Gespräch vermeiden konnte. Er wusste, wie es verlaufen würde. Zuerst würde er den Gesprächspartner nennen, den Bill nicht kannte, dann würde er ihm erklären, wer das sei und schließlich, worüber sie tatsächlich sprachen. Und sogar danach noch, würden sie darüber reden, warum sie über das sprachen, worüber sie sprachen. Plötzlich bemerkte Bradley den Blick, mit dem Bill ihn bedachte. Diese Ausdruckslosigkeit.
"Und was ist nichts?"
"Ach, das ist Thea, die kennst du nicht. Habe ich letztens besoffen kennengelernt. Bei der habe ich mich über mein Leben ausgeheult", Zeige- und Ringfinger an beiden Händen bildeten Anführungszeichen um das letzte Wort. "Jedenfalls meinte sie eine Art Depression in mir zu erkennen und hat mir empfohlen zum Psychiater zu gehen"
"Sie hat dir besoffen einen Psychiater empfohlen?"
"Nee, ich war besoffen, nicht sie. Und außerdem war das am Morgen danach.", auf Bradleys Antlitz blitzte ein ertapptes Lächeln auf, das er hinter der Bierflasche verbarg.
"So, so", gedanklich schuf Bill sofort die Brücke zwischen dem Ufer des Betrunkenseins und dem gegenüberliegenden Ufer des morgendlichen Gesprächs und beschloss, das darunterliegende Tal mit einem Fluss stark strömenden Sarkasmus zu bewässern. "Dann habt ihr euch wohl zum Frühstücken getroffen."
"Ach, sei still", lachte Bradley kurz auf, "Jedenfalls schreibt sie mir jetzt den ganzen Tag, weil ich nachher einen Termin habe."
"Du hast nachher einen Termin?", die Augen Bills weiteten sich, teils überrascht, teils vorwurfsvoll, "Dann wirfst du mich 'raus?"
"Also, ich habe noch überlegt, ob ich überhaupt hingehe. Aber wenn du das schon so ansprichst...", Bradley schielte auf die mittlere Uhr über dem Smart-TV, die mit 'Home' überschrieben wurde, "dann könntest du jetzt gehen", ein breites Grinsen untermalte die Aufforderung an seinen Freund, das Haus zu verlassen.
"Junge, sag' doch was", Bill schaute ebenfalls auf die Uhr. 16:35. Rasch leerte er sein Bier in einem Zug, bevor er laut ausatmete, begleitet von einem erfrischtem "Aaaaah".
"Chill' doch, ich muss halt um 17:30 da sein."
"Und vorher trinkst du noch Bier, die Analyse will ich hören." Beide lachten auf, während Bill bereits aufstand und sich nach seiner Jacke umsah. Ein Blick aus dem langen Panoramafenster hinaus auf den großzügigen Balkon, der prallen Sonne dahinter, verriet, wie unnötig die Jacke an jenem Tag war. Dennoch bückte sich Bill in jenem Moment hinunter, um das Oberteil hinter der Couch von dem Holzboden aufzulesen. Trotz des sauberen Untergrunds klopfte der Mann das Leder ab, nur um sicherzugehen. Danach strich er sich über alle wichtigen Taschen seiner Hose, fühlte nach dem Smartphone, Schlüssel und Portemonnaie. Er hob seinen Blick.
"Also ich bin fertig."
"Schuhe?"
"Jaa, Mensch, ich bin HIER fertig", blaffte er, trottete mit seinen dicken Wollsocken hinüber in den Flur und stopfte seine Füße in die leichten Flip-Flops, während er mit einer Hand bereits die Haustür öffnete. Freundlich verabschiedeten sich beide Freunde voneinander, bevor Bradley zurückschlenderte und sich noch für einen Moment zurück auf die fast u-förmige Couch warf.

Immer wieder nippte er an dem inzwischen lauwarmen Bier, bis es gegen 17 Uhr leer war. Mit Schwung raffte sich Bill auf, presste den Daumen auf den roten Knopf in der oberen linken Ecke der Fernbedienung, sodass das falsche Gelächter einer Sitcom schlagartig verhallte und ließ das Plastik auf die Couch fallen. Im Stillen streifte er im weiträumigen Schlafzimmer seine kurze Jogginghose von den blassen Beinen und schlüpfte in eine normal geschnittene, hellblaue Jeans. Wenige Sekunden später stülpte er mit Hilfe seiner Finger die breiten Füße in die Sneaker eines bekannten Sportartikelherstellers. Von der Oberfläche des kleinen Schuhregals neben der Haustür las er sein ledriges Portemonnaie und seinen Schlüsselbund auf. Dann verließ er die Wohnung.
Laut hallten seine Schritte durch das Treppenhaus, fünf Etagen hinunter, bis er schließlich die schwere Haustür im Erdgeschoss sah. Mit einer Hand in der Tasche nach dem Schlüsselbund greifend, drehte er sich allerdings von dem beglasten Ausgang weg und lief stattdessen an dem Geländer vorbei hinaus zu einer weiteren Tür. Dahinter hatte sich eine asphaltierte Garage ausgebreitet, auf dem einige teure und mittelteure Wagen standen. Als er die Klinke noch in der rechten Hand hielt, drückte der Daumen der linken Hand bereits auf den Wagenöffner. Einige Schritte entfernt leuchteten mehrmals die orangen Blinker auf, begleitet von dem mechanischem Geräusch aufklappender Seitenspiegel. Geistesabwesend vergrub Bradley den Schlüsselbund wieder in der Hosentasche, bevor er ihn im Auto sitzend, seufzend wieder hervorholte.
Nachdem die metallene Spitze klackend in den Anlasser geglitten wurde, griff er über seine linke Schulter nach dem schützenden Gurt, der sich ohne Umschweife um seine weiche, aber dünne Brust legte. Rasch sprang der moderne Wagen an, etwas zu lang lag Bradleys Fuß auf der Kupplung, sodass der Motor beim gemächlichen Anfahren kurz aufheulte. Mit einem Knopfdruck öffnete sich das breite Tor in der sonst steinernen Wand, zog sich hoch an der Decke, wo eine Kamera beobachtete, wie der schwarz lackierte Sportwagen hinaus auf die hellen Straße fuhr.
Der Kopf drehte sich mehrmals aufmerksam von links nach rechts, bevor das tiefliegende Auto über den roten Bürgersteig auf die Straße rollte. Während sich das Lenkrad selbstständig, doch von der linken Hand kontrolliert, wieder in die Gerade rückte, tasteten die Finger der anderen Hand auf dem Beifahrersitz über den weichen Stoff nach einer Sonnenbrille. Als sie das bronzene Gestell erreichten, legten sie die schattierten Gläser flink auf das knubbelige Nasenbein. Der langsam untergehenden Sonne entgegen fuhr Bradley durch die Ausläufer des Feierabendverkehrs, seinem Ziel stetig näherkommend.
Die letzten Strahlen der Sonne reflektierend blitzte ein weißes Schild an der Fassade eines unscheinbaren, mehrstöckigen Gebäudes auf. In schwarzen Lettern stand darauf:


Dipl.-Psych. Prof. Dr. Dr.
Sevinjah Abdoul

Praxis der Psychotherapie


Beruhigt nahm Bradley die Worte zur Kenntnis, war er sich trotz der groß anhängenden Hausnummer nicht sicher gewesen, ob er am richtigen Ort war. Eines der ganz normalen Reihenhäuser war es, das er zuvor schon öfter passiert hatte, ohne den zusammengelegten Steinen größere Beachtung geschenkt zu haben. Etwas aufgeregt zog er nun an der einfachen Eingangstür, die sich nach kurzem Widerstand leicht öffnen ließ.
Trotz der Beleuchtung brauchten seine Augen einige Sekunden, um sich von Helligkeit der untergehenden Sonne an das fade Licht eines Treppenhauses zu gewöhnen. Er dachte an die Pilotenbrille, die wieder auf dem Beifahrersitz lag, während seine Augen ein Schild registrierten, das ihm den Weg wies.
3. Stock.
Kurz zuckte sein Oberkörper in Richtung der Stufen der Treppe, die von billigem Stuckmarmor überzogen wurden, aber von den Putzkräften penibel sauber gehalten wurden. Doch als Bradley seinen rechten Fuß nach vorne setzte, schnellte sein Finger zur Seite und verlangte mittels eines großen Knopfes den Fahrstuhl. Rasch folgte dieser seinem Ruf, öffnete seine Tore, offenbarte einen verspiegelten Innenraum. Ohne weiteres Hinsehen presste Bradley auf die große Drei, die von Fingerabdrücken übersät war. Während sich die Tür schloss und sich der dürre Arm senkte, sah er sein eigenes Spiegelbild vor sich. Mit routinierten Bewegungen legte er sich seine braunen Haare zurecht, die so langsam wieder einer intensiveren Pflege bedurften, nachdem er sie vor wenigen Wochen erst getrimmt hatte.
Der Fahrstuhl öffnete sich. Bradley schritt hinaus in einen Flur, der nun gar nichts mehr von dem kahlen Marmorersatz preisgab, stattdessen mit einem braun-grauen Teppich bedeckt war und zwei Bilder an der Wand trug. Eine Windmühle inmitten eines grellgelben Sonnenblumenfeldes auf der einen Seite. Eine große, grüne Flasche neben einem rotweingefüllten Glas auf der Anderen. Plötzlich öffnete sich die hölzerne Tür zwischen den beiden Gemälden, eine Frau trat hinaus auf den Flur und sah, wie sich Bradley noch immer den Zeichnungen widmete.
"Das Leben und das Überleben, nenn' ich das immer", sprach sie, räusperte sich sogleich, weil sie merkte, dass ihre Stimme fast versagt hätte. Bradley musterte nun sie, bevor er ihre Worte deutete, nochmals die Bilder besah.
"In der Mühle lebt man, mit dem Wein..."
"Ich weiß, ich weiß", unterbrach er die junge, blonde Frau, die ihren Worten mit einem rotlackierten Fingernagel noch mehr Sinn verleihen wollte, indem sie auf die Bilder zeigte. Höflich lächelte Bradley, doch war letzten Endes nicht besonders angetan von dem Scherz. "Danke", murmelte er, als er an ihr vorbei lief, während sie mit einer Hand die Tür aufgehalten hatte. Sie nickte etwas peinlich berührt, betrat ihrerseits den Fahrstuhl.

Hinter Bradley fiel die Tür ins Schloss. Er fand sich in einem Wartezimmer wieder, das offensichtlich keiner Mitarbeiter bedurfte. Durch viele kleinere Fenster auf der rechten Seite drang der Tag von außen hinein, aber aufgrund der bereits untergegangenen Sonne, leistete zusätzlich eine Stehlampe in der linken Ecke gegenüber der Fenster ein wenig Hilfe. Den Boden schmückte ein schlichter, schwarzer Teppich, der dem Schuhwerk der Patienten einen kleinen Vertrauensvorschuss entgegenbrachte. Darunter war ein heller Laminatboden ausgelegt worden, der sich einem Kontraststreit mit dem Teppich hingab. Bradley atmete laut aus, bevor er sich auf die vordere Kante eines von drei Ledersesseln setzte, der sich direkt neben der langen Stehlampe befand.
Bereits eine knappe Minute später senkte sich abrupt die goldfarbene Klinge, klackend öffnete sich die andere, weiße Holztür. Heraus kam ein Mann mit offensichtlichem Migrationshintergrund, Nahost, Nordafrika, überraschend jung, Anfang vierzig, mit wenigen weißen Härchen auf dem Haupt. Er trug einen dunkelblauen Pullover mit fein eingearbeitetem Muster, sowie eine beige, unauffällige Stoffhose, braune, teuer aussehende Schuhe an den Füßen. Der doch recht große Kontrast zwischen Oberkörper und Beinen erinnerte Bradley an den Boden des Wartezimmers.
Überaus freundlich lächelnd reichte ihm der Mann seine Hand, offenbarte einen haarigen Handrücken und stellte sich als der Psychiater Sevinjah Abdoul vor, allerdings verschwieg er seine Titel.
"Bradley Johnston, sehr erfreut. Ich sollte Sie trotzdem mit Professor oder Doktor ansprechen, nehme ich an?"
"Ganz wie es Ihnen beliebt, Mister Johnson. Allerdings betone ich gerne, dass ich diese Titel nicht der Titel selbst wegen erworben habe. Viel mehr stand die fachliche Weiterbildung im Vordergrund", sein breites, sehr weißes Lächeln, zierte durchgängig das kantige Antlitz.
"Nun, wenn es Ihnen nichts ausmacht, verzichte ich dann lieber von vornherein auf diese Formalitäten, um spätere Fehler zu vermeiden. Trotzdem muss ich sie leider darauf hinweisen, dass ich Johnston heiße, mit einem t", es war ihm fast peinlich den gelehrten Psychiater Abdoul auf dessen flüchtigen Lapsus hinzuweisen, doch erschien es ihm notwendig, um daraus keine dauerhafte Situation entstehen zu lassen. Dessen warmes Lächeln, die freundlichen Augen erstarrten für das Hundertstel einer Sekunde, bevor sie wieder zu alter Form fanden.
"Ach, herrje, verzeihen sie vielmals, Mister Johnston. Vielleicht sollten sie mich von nun an einfach Aboul oder Abdou nennen."
Die lockere Reaktion entlockte Bradley seinerseits ein Lächeln, beziehungsweise weitete er seine ohnehin geweiteten, eigenen Mundwinkel um einige Millimeter.
"Das wäre mir aber schon unangenehm, Mister Abdoul", betonte Bradley jeden einzelnen Konsonanten des ausländischen Namens. Auflachend wies ihm der Psychiater endlich den Weg durch die Tür in das Behandlungszimmer. Eine Hand auf die Schulter legend sprach er die Worte:
"Seien Sie sich sicher, dass von nun an jedes Wort vertraulich behandelt wird. Niemand wird ohne Ihre Zustimmung den Inhalt unserer Unterhaltungen und Diskussionen erfahren."

 

Hallo Szacka,

ich steige ganz direkt ein: du bombardierst mich mit derart vielen Adjektiven, dass ich schon nach extrem kurzer Zeit lesemüde werde. Du haust zu jedem Substantiv zwei oder sogar drei raus. Es bauen sich keine Bilder auf, ich bin nur noch damit beschäftigt all diese Bausteine irgendwie zusammenzubasteln und sie türmen sich immer höher vor mir auf. Immer unübersichtlicher.
Vielleicht würde es mich sogar interessieren, dass Bradleys Füße breit und sein Schuhregal klein sind, aber hier fühlt sich schon lange vorher jedes Adjektiv überflüssig an, ich ärgere mich darüber. Mir geht es damit wohl so, wie deinen beiden Freunden mit der Werbung. Ich kann nicht ausweichen, muss mich dem aussetzen, wenn ich deinen Text lesen will, aber es ist zu viel, zu aufdringlich. Vor allem zu aufdringlich, ich fühle mich mindestens bedrängt.
Sicherlich kann das auch Teil eines Stils sein, du ziehst das ja recht konsequent durch, aber mir gibt das überhaupt nichts und ich weiß auch nicht, welche Art von Text es bräuchte, damit das für mich funktionieren kann.
Mein Rat wäre, dass du die Adjektive im Text um mindestens (!) die Hälfte reduzierst. Noch besser wäre es, wenn du versuchst, den Text noch einmal zu schreiben und dabei ganz ohne Adjektive auszukommen. Nicht, um das dann auch so stehen zu lassen, aber um herauszufinden, wie du dem Leser deine Bilder begreiflich machen kannst, ohne den bequemen Weg zu gehen, der beim Schreiben selten der Beste ist.

Insgesamt fand ich den Teil, der zuhause spielt, sehr langatmig, auch gewöhnungsbedürftig geschrieben. Dröge. Bis mir auffiel, dass das wahrscheinlich Absicht ist und dass du auf diese Weise den sinnbefreiten Alltag deiner beiden Freunde zeigst. Finde ich grundsätzlich gut, aber das kriegst du sicher noch besser hin, wenn du den Text ordentlich straffst. Ich möchte mich beim Lesen nämlich nicht zu lange genauso fühlen wie die beiden.

An der Stelle, wo später "eine Frau" aus der Tür tritt, hätte ich klatschen wollen, weil du sie kein bisschen beschreibst. Du überlässt es mir, mir selbst ein Bild von ihr zu machen und ich hatte sofort eines von ihr im Kopf, wegen dem, was sie wahrnimmt, was sie tut und was sie sagt.
Ein paar Sätze später erfahre ich, dass sie jung und blond ist und rotlackierte Fingernägel hat.
Warum erzählst du mir das? Muss ich das wissen? Das trägt nicht das Geringste zum Text bei. An der Stelle finde ich es verzeihlich, weil du sie schon plastisch gemacht hast. Im restlichen Text tust du das leider kaum.

Insgesamt hast du auch ein paar merkwürdige Beschreibungen drin (der Teppich gibt dem Schuhwerk einen Vertrauensvorschuss? Was zum Teufel bedeutet das?), aber um sowas kann man sich noch kümmern, wenn der ganze Text nochmal gründlich bearbeitet wurde.


Tja und am Ende ... hört der Text auf. Einfach so. Mittendrin, nehme ich an?
Ich bleibe ein wenig ratlos zurück.

Grüße
Gefrierpunkt.

 

Hey Szacka,
ich kann mich der Meinung von Gefrierpunkt nur anschließen. Alles zieht sich in die Länge. Bei den meisten Adjektiven klingt es noch dazu viel zu künstlich, so als hättest du dich hingesetzt und dir stundenlang den Kopf zerbrochen über noch ein passandes und noch eins und noch eins.
Das Ende finde ich aber noch viel enttäuschender. Zuerst labern die zwei Typen in der Wohnung gefühlt stundenlang nonsens und das eigentlich Interessante, nämlich das Gespräch mit dem Psychologen lässt du einfach unter den Tisch fallen? Warum??? Soll man sich den Rest zusammenreimen? Das ist ja nichtmal nen Cliffhanger, sondern einfach nur verschwendetes Potential...

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom