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Eine ungewöhnliche Nacht

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02.04.2003
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Eine ungewöhnliche Nacht

Drei Uhr morgens war es, in der dunkelsten Stunde der Nacht, als ich erwachte. Im ersten Moment wusste ich nicht, was mich geweckt haben könnte, aber dann vernahm ich das leise Fiepen des Hundes an der Tür. Er musste etwas gehört haben, und so beschloss ich, nachzusehen.
Es war totenstill im Haus. Die alten Holzdielen knackten nicht, wie ich es gewöhnt war, und im Ofen brannte kein Feuer mehr, dessen Knistern und Prasseln die Stille durchbrochen hätte.
Ungeduldig kratzte der Hund an der Tür, während ich den Riegel öffnete, um sofort durch den Spalt hinaus zu laufen.

Ich blieb stehen und sah mich aufmerksam um. Wie schon im Haus, fiel mir auch hier nichts Ungewöhnliches auf, bis mein schweifender Blick auf die Pferde in der Koppel fiel: Ganz gleich, als ob sie auf ihr morgendliches Futter warteten, standen sie am Tor, aber nicht eines blickte zu mir, ihrer aller Aufmerksamkeit richtete sich auf das Tal.
Langsam trat ich an den Zaun und sprach beruhigend auf sie ein, aber nur kurz konnte ich sie ablenken. Ganz still standen sie, trappelten nicht unruhig herum, schoben sich auch nicht gegenseitig beiseite, als ob sie etwas beobachten würden. Auch ich sah in Richtung der Talsenke, aber zunächst konnte ich nichts entdecken. Obwohl der Himmel sternenklar war, lagerte eine Nebelbank über der Flussniederung, und nur verschwommen waren die Konturen der sich auf der anderen Seite erhebenden Berge wahrzunehmen. Geistesabwesend streichelte ich den Hals eines der Pferde und versuchte erneut, etwas zu erkennen. Ein Lichtpunkt fiel mir auf, an einer Stelle, an der es keine menschliche Ansiedlung gab. Ich strengte mich an, versuchte, mehr zu erkennen: Ja, zwei Lichter waren es sogar, aber dort konnte es niemanden geben, denn in dieser Richtung lagen nur die unwirtlichen Berge, und dahinter das Meer. Wer mochte dort sein?

Bevor ich diesem Gedanken weiter folgen konnte, ließ ein Laut mich erstarren, der nicht von einem Tier verursacht worden sein konnte, denn es war eindeutig der Schrei einer Frau.
Jetzt überlegte ich nicht lange, nahm einen Strick, der am Zaunpfosten hing, wand daraus ein behelfsmäßiges Seilhalfter und holte eine der Stuten aus der Koppel. Sie war ein ruhiges, wenngleich schnelles Tier, und von mir schon oft auf diese Weise geritten worden, für sie benötigte ich auch keinen Sattel.

Sehr schnell erreichte ich den Fluss, den ich das Pferd an der gewohnten Furt durchwaten ließ, aber wieder auf trockenem Ufer ließ ich es anhalten, und horchte in die Dunkelheit. Mehrere Minuten verblieben wir so bewegungslos in den wabernden Nebelschleiern, aber dann vernahm ich den Schrei erneut. Ohne zu zögern setzte ich meinen Weg in die Richtung fort, aus der er mir gekommen zu sein schien, aber ich konnte nicht verhindern, dass ich mich einer alten Geschichte entsann, an die ich schon lange nicht mehr gedacht hatte. Es war die Sage über den König der Räuber, der in diesen Bergen mit ihren Höhlen seinen Unterschlupf gehabt haben sollte. Es hieß, er habe einmal eine junge Frau entführt, die sich jedoch in ihn verliebt habe, und seitdem hätten sie gemeinsam ihre Raubzüge ausgeführt. Niemand in weitem Umkreis wäre hier mehr sicher gewesen, und um nicht entdeckt zu werden, hätten sie ihre Opfer stets getötet. Bis zum heutigen Tage war ihr Versteck nicht gefunden worden.

Als ich mich den Hügeln näherte, bemerkte ich Hufspuren, die tiefer in die verwinkelten Schluchten hineinführten, und wenige Meter später blieb der Hund zurück. Ich mochte ihn rufen und ihm befehlen, da es mir angenehmer gewesen wäre, ihn bei mir zu wissen, aber er winselte nur und weigerte sich, so dass ich ohne ihn weiterritt.
Sehr bald schon waren die Spuren für mich nicht mehr zu erkennen, da der weiche Grasboden von lockerem Geröll abgelöst wurde.
Und just, als ich beschloss, die Suche aufzugeben, hörte ich ein weiteres Mal einen Schrei. Er ging mir durch Mark und Bein, so verzweifelt und schmerzerfüllt klang er, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass sich auch meiner Stute die Haare sträubten. Aber von diesem Moment an ging sie keinen Schritt weiter, so dass ich gezwungen war, zu Fuß zu gehen.

Ich hatte gerade einen hohen Felsvorsprung umrundet, als ich auf dem Boden etwas im Mondlicht aufblitzen sah. Als ich es aufhob, erkannte ich es als eine Brosche, besetzt mit edlen Steinen. Ich steckte sie ein und ging weiter, um nur wenige Schritte später ein weiteres Schmuckstück zu finden. Noch fünf weitere Pretiosen entdeckte ich, als das Geräusch von Pferdehufen mich innehalten ließ. Ein rauer Ruf einer Männerstimme erklang, gefolgt von der hellen Antwort einer Frau; ein Lachen, und dann sich entfernende Pferde, die in hohem Tempo geritten worden sein mussten, denn ich hörte losgetretenes Gestein die Hügel herunterrollen.
Jetzt wurde es auch mir zuviel, und ich entschied, dass es besser wäre, im Tageslicht den nächtlichen Ereignissen auf den Grund zu gehen. Erleichtert konnte ich feststellen, dass die Stute auf mich gewartet hatte, auch der Hund war in sicherer Entfernung geblieben, und ich hatte es mehr als eilig, zurück zum Hof zu kommen, und dort die bleiche Nacht vor der schweren Holztür auszusperren.

Als ich jedoch im Licht der aufgehenden Sonne meine Fundstücke betrachtete, erwiesen sie sich als blankpolierte Kieselsteine.
Es war der Morgen des ersten Novembers.

In der Geschichte Islands wird über diesen Räuber berichtet, der seine Geisel zur Frau nahm.
Aber auch heute noch kann nur vermutet werden, in welchem Teil der Berge sich die Höhle befand, in der die geraubten Schätze versteckt sind. Die Höhle, in der die beiden wohnten, wurde gefunden.
Aragorn

 

Hallo Aragorn - fast namensvetter..*smile*,

deine geschichte gefällt mir sehr gut. Sie ist sanft und leise geschrieben, passt gut zu der stillen nacht, in der weder leser noch held wissen, was kommen mag.. so stelle ich mir eine geschichte unter seltsam vor.. hatte die ganze zeit das gefühl, am lagerfeuer zu sitzen und einem alten mit weißen bart zu lauschen..
:rolleyes:

in den ersten absätzen hat mich etwas gestört, dass du sehr häufig die perspektive wechselst.. dort sind sehr viele aber, jedoch, obwohl etc drin - so dass meine aufmekrsamkeit - gerade noch hier, schon wieder nach dort springen muss..

auch der schluss ist sehr schön, weil er offen lässt, was offen bleiben sollte... prima geschichte..
viele grüße, streicher

 

Hallo Streicher,

freut mich, dass es Dir gefällt!

Mit den ganzen Füllwörtern hast Du Recht, das muss ich nochmal bearbeiten.

LG
Aragorn

 

Hallo Aragorn,
auch mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen, die Füllwörter haben mich jetzt überhaupt nicht beim Lesen gestört.
Ich mag solche Geschichten, bei denen alte Sagen oder Erzählungen mit eingewoben werden sehr gerne, habe selber schon welche mit spanischen Sagen geschrieben.
Was für eine Bedeutung hat der letzte Satz?
Hat die Nacht vom 31.10 in Island auch eine besondere Bedeutung?

Auf jeden Fall hat mir Dein Schreibstil sehr gut gefallen, er lässt einen irgendwie wie verzaubert zurück.

Liebe Grüsse
Blanca

 

Hi Blanca,

vielen Dank für Dein Lob!

Da Allerheiligen ein ursprünglich keltisches Fest war, das von der katholischen Kirche übernommen wurde, hat Halloween (der Vorabend der toten Heiligen) natürlich auch in Island seine Bedeutung, da es von den Wikingern besiedelt wurde, die zu den Kelten gehörten.

Schön, dass Dir mein Schreibstil gefällt!

LG
Aragorn

 

Hallo Aragorn,

vorweg gesagt, hätte ich diese Geschichte auch unter Seltsam gepostet.

Mir hat deine Geschichte gefallen, besonders die Täuschung mit den Kieselsteinen.:D

Island als Schauplatz von Mythen und Sagen, ist sowieso mein Ding *SMILE*, denn nichts ist schöner, als den unheimlichen Erzälungen zu lauschen, die in der Nacht noch lebendiger werden.

Denn es kann nur Zauberei sein, mit der Gesetzlose in der unwirtlichen Steinwüste überleben können, oder nicht?:)

Goldene Dame

Ps Ich bin mal einem Troll begegnet:D

 

Hallo Goldene Dame,

freut mich sehr, dass Dir diese Geschichte und der dazugehörige Themenkreis gefällt!

Mich faszinieren diese alten Geschichten ebenfalls, und manchmal fällt mir dazu etwas ein, was ich dann aufschreibe - wie auch hier geschehen.

Aber diese Gestzlosen überlebten damals wirklich - trotz der äußerst lebensfeindlichen Umgebung.

LG
Aragorn

 

Hallo Aragorn!
Ich finde, dir ist eine wunderschöne, leise Geschichte gelungen.
Du lässt eine ruhige, etwas seltsame und sogar ein wenig unheimliche Stimmung entstehen. Die passt sehr gut zu dem frühen, nebligen Morgen in deiner Geschichte.

Mir ist eine Stelle promt ins Auge gesprungen:

Obwohl der Himmel sternenklar war, lagerte eine Nebelbank über der Flussniederung, und nur verschwommen waren die Konturen der sich auf der anderen Seite erhebenden Berge zu erkennen. Geistesabwesend streichelte ich den Hals eines der Pferde und versuchte erneut, etwas zu erkennen.
In beiden Sätzen hast du jeweils einmal das Wort 'erkennen'. Im Text stehen die beiden Wörter sogar untereinander :D, was dann natürlich sehr schnell auffällt.
Das erste 'erkennen' könntest du vielleicht durch 'erblicken' oder 'wahrnehmen' ersetzen.

Jetzt überlegte ich nicht lange, nahm einen Strick, der am Zaunpfosten hing, wand daraus ein behelfsmäßiges Seilhalfter und holte eine der Stuten aus der Koppel.
Sagt man bei euch "aus der Koppel"? Bei uns sagt man "von der Koppel". Daher las sich für mich das "aus der Koppel" etwas seltsam. ;)
Aber wenn man das bei euch so sagt, ist es ja auch völlig in Ordnung. :)

Das wars aber auch schon. :)

bye und tschö

 

Hi moonshadow,

danke für Deine Anmerkungen!

Das doppelte "erkennen" werde ich sofort ändern.

"von der Koppel" sagen wir, wenn man zur Koppel erst hinlaufen muss, "aus der Koppel", wenn man am Zaun, bzw. Tor steht - damit ist dann die Umzäunung an sich gemeint.

Aragorn

 

Uih, da macht ihr noch einen Unterschied? Ist irgendwie interessant :D
Aber wenn das so ist, solls mich nicht weiter stören. :)

 

Hi Bo!

Freut mich, dass die Geschichte diese Wirkung auf Dich hatte!

LG
Julia

 

Hallo Aragorn,

wunderschön geschrieben, konnte direkt die Unruhe spüren. Die blankpolierten Kieselsteine sind ein perfekter Abschluß.

Gruß Christine

 

Hallo Shimba!

Danke, dass Du diese Geschichte von mir wieder ausgegraben hast, und danke für Dein Lob! Höre ich natürlich immer wieder gern!

LG
Julia

 

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