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Eine ungeheuerliche Geschichte
Es geschah vor genau einem Jahr, als mir diese Geschichte passierte. Es war ein regnerischer Freitag im November, und ich war gerade am Hauptbahnhof angekommen. Dort wollte ich meine Freundin, die mit dem Zug aus München kam, abholen.
Da ich sehr zeitig ankam, beschloss ich, noch einen Kaffee zu trinken. Ich suchte mir ein kleines Bistro in der Nähe des Bahnsteiges. Von dort hatte ich einen guten Blick zum Gleis.
Nachdem ich mich an einen der Tische gesetzt hatte, bestellte ich einen Kaffee. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass ich noch über eine halbe Stunde Zeit hatte. Also holte ich meine Zeitung aus der Tasche und begann zu lesen.
Es waren die üblichen Schlagzeilen. Benzin wird teurer! Unfall mit Fahrerflucht und so weiter. Plötzlich erregte ein kleiner Artikel meine Aufmerksamkeit: Polizei bittet um Mithilfe. Gerade als ich anfangen wollte zu lesen,brachte die Kellnerin meinen Kaffee. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Artikel in der Zeitung und las:
Da es seit dem Wochenende kein Lebenszeichen von dem Rentner-Ehepaar Sch., in der Donaustr., in Berlin Neukölln gab, hatten besorgte Nachbarn am Mittwochmorgen die Polizei gerufen. Als die Polizei die Wohnung öffnete, fanden Sie die Leiche des
73jährigen Ehemannes. Von seiner 68jährigen Ehefrau fehlte bisher jede Spur. Doch aufgrund des vielen Blutes, das in der Wohnung gefunden wurde, geht die Polizei, davon aus, dass das Ehepaar gemeinsam einem grausamen Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Nachbarn sahen das Ehepaar zuletzt am Samstag gegen 13:00 Uhr, in Begleitung einer ca. 1,70m großen, 30 jährigen Person. Die Person hatte lange blonde Haare und trug Jeans, Turnschuhe und ein blaues Kapuzenshirt. Die Polizei bittet um Mithilfe zur Aufklärung des Falles. Sachdienliche Hinweise können an jede Polizeidienststelle gemeldet werden.
Nun, dachte ich, die Beschreibung dieser Person, traf wohl auf jeden Zweiten
in der Stadt zu. Es war nicht einmal klar, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Selbst ich, ein 31 jähriger, blonder junger Mann, hätte bei dieser Beschreibung infrage kommen können.
„Entschuldigung“, wurde ich plötzlich angesprochen.
Ich blickte hoch, und sah in das Gesicht einer jungen Frau mit langen blonden Haaren. Die Frau hatte einen riesigen schwarzen Koffer dabei.
„Ja?“, fragte ich.
„Hätten Sie einen Augenblick Zeit?“
Ich sah auf meine Uhr und antwortete: „Ein paar Minuten schon. Aber dann muss ich zum Bahnsteig dort drüben, jemanden abholen.“
„Oh das würde mir schon reichen. Ich wollte Sie nur fragen, ob sie einen kleinen Moment auf meinen Koffer aufpassen könnten. Ich will nur schnell eine Fahrkarte dort drüben kaufen, und dann bin ich ganz schnell wieder zurück. Aber der Koffer ist so schwer und unhandlich. Bitte, bitte! Ich beeile mich wirklich.“
Sie schaute mich erwartungsvoll aus ihren blauen Augen an.
Natürlich konnte ich diesen Blick nicht widerstehen und willigte ein.
„Gut, aber bitte beeilen Sie sich. Ich muss wirklich gleich los.“
„Ja, danke, danke,“ und schon war sie verschwunden.
Nun saß ich also mit meinem Cappuccino und einem riesigen Koffer da und wartete auf die junge Frau. Die Zeit verstrich, doch ich konnte sie nirgends sehen. Langsam wurde ich nervös. Es vergingen weitere Minuten und ich schaute mich um, ob ich nicht doch etwas von der Frau entdecken konnte. Doch es war weit und breit nichts von ihr zu sehen.
Stattdessen sah ich zwei Polizisten, die mit einem Schäferhund in meine Richtung kamen. Ich achtete nicht weiter auf Sie, sondern suchte weiter mit den Augen den Bahnhof ab. Als die Polizisten nur noch drei Meter von mir entfernt waren, gebärdete sich der Schäferhund wie wild. Laut bellend lenkte er die Aufmerksamkeit der Polizisten auf den Koffer neben mir. Dann rannte er schnüffelnd und bellend um ihn herum und begann daran zu kratzen. Das zog die Aufmerksamkeit der Leute um mich herum an. Sie
schauten neugierig zu mir herüber, während sich die beiden Polizisten vor mir
aufbauten.
„Guten Tag, Bahnhofspolizei! Wir würden gerne einen Blick in ihren Koffer werfen. Hätten Sie etwas dagegen, uns zur Wache zu begleiten?
„Ähm ja, weil das nicht mein Koffer ist. Ich passe nur darauf auf. Er gehört einer jungen Frau. Ich sollte nur einen Moment darauf aufpassen, bis Sie
sich eine Fahrkarte besorgt hat,“ brachte ich aufgeregt hervor.
„Das können sie uns auch auf der Wache erzählen. Ich muss Sie wirklich
bitten uns freiwillig zu begleiten, sonst muss ich Sie leider verhaften,“ sagte der etwas größere der beiden Polizisten.
Unter diesen Umständen blieb mir keine andere Wahl. Ich musste den beiden
Folgen, ob ich wollte oder nicht. Der kleinere packte mich am Arm und der andere den Koffer. Alles gefolgt von dem misstrauischen Blick des Schäferhundes, der zwischen uns lief. Während wir auf dem Weg zur Wache waren, drängten sich mir die unterschiedlichsten Gedanken auf.
Wo und wer war nur diese junge Frau? Was war in dem Koffer, das der Hund so verrückt gespielt hatte? Würde ich meine Freundin noch rechtzeitig abholen können?
Auf der Wache angekommen, wurde ich sofort in den Verhörraum verbracht. Das Mobiliar in dem Raum bestand aus einem Tisch und zwei Stühlen. Ich musste mich auf einen der Stühle setzen, und der kleinere der beiden Polizisten nahm mir gegenüber Platz. Während der Große den Koffer auf den Tisch wuchtete, und sich daran zu schaffen machte. Es dauerte einen kurzen Augenblick, dann hörte ich das Schnappen des Verschlusses. Der Polizist riss den Kofferdeckel auf, und ich traute meinen eigenen Augen nicht.
In dem Koffer lagen Unmengen von blutigem Fleisch und Knochen.
Und wissen Sie, verehrter Leser, von wem diese blutige Fleisch und
Knochenmasse stammt?
Nun: Von den Bären, den ich Ihnen gerade aufgebunden habe.
©Martina Köhler, 2011