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Eine schwierige Freundschaft
Eine schwierige Freundschaft
Ich bewegte mich mit langsamen Schritten zu unserer Wohnung auf der ersten Etage hinauf. Die Tür war angelehnt, meine Mutter nicht zu sehen und der Flur noch immer hell. Als ich den Türgriff in die Hand nahm erhielt ich einen leichten Stromstoß. Zusammen mit diesem Stromstoß dachte ich an den fremden Jungen, der vor einer Woche mit seinen Eltern zwei Häuser weiter eingezogen war. Er war dunkelhäutig und immer wenn er lächelte, strahlten seine Zähne, als wäre es Elfenbein. Anfangs hatte er viel gelächelt, hatte immer wieder anderen Kindern hinterher gesehen und stand doch alleine in der Gegend herum. Er sprach kein Deutsch, das hatte ich mittlerweile mitbekommen. Trotzdem hatte ich von Anfang an gespürt, dass mit diesem Jungen etwas nicht stimmte, aber ich wusste nicht, was es war.
Während ich darüber nachdachte, fiel hinter mir die Wohnungstür ins Schloss. Ich ging in mein Zimmer. Als ich mich dem Fenster näherte, blieb ich auf halber Strecke stehen. Ich dachte an den Jungen und musste wissen, was er gerade machte. Langsam schob ich die Gardine ein wenig zur Seite und schaute nach unten. Der Junge hatte sich einen Ast vom Baum abgebrochen und fuhr nun die einzelnen Steinplatten entlang. Ab und zu hob er den Kopf, sah andere Kinder an machte dann mit seiner Arbeit weiter.
Es dauerte nicht lange, bis mein bester Freund Jonas aus unserem Haus kam und ihn anschaute. Seine Mutter drückte ihn vorwärts und ließ nicht zu, dass er zu dem Jungen gehen konnte. Als Jonas und seine Mutter dann ins Auto gestiegen und abgefahren waren, schlug der dunkelhäutige Junge mit der Faust auf den Boden. Ich schüttelte den Kopf, als ich sah, wie er seine Hand rieb und das Gesicht verzog. Ohne es wirklich zu wollen, beobachtete ich ihn noch eine Weile.
„Was ist los?“, fragte mich meine Mutter plötzlich und holte mich aus meine Beobachtung heraus. Als ich mich zu ihr herum gedreht hatte, stand sie an der Tür und beobachtete mich: „Ich wollte dir eigentlich sagen, dass du essen kommen sollst.“
Ich bewegte mich kaum, senkte nur leichte den Kopf und drehte mich ein letztes Mal zum Fenster. Noch war der Junge nicht gegangen.
„Hast du ein Gespenst gesehen?“, fragte sie und lachte.
„Ich beobachte den Jungen vor unserem Haus“, sagte ich.
„Stimmt mit ihm etwas nicht?“, fragte sie mich: „Hat er dich geschlagen?“
„Er hat mich verfolgt“, erklärte ich ihr und erzählte weiter: „Erst als ich zum Training gegangen bin und dann auch auf dem Heimweg. Nun sitzt er auf der anderen Straßenseite und beobachtet die anderen Kinder.“
„Wie alt ist dieser Junge denn?“, fragte meine Mutter und trat neben mich ans Fenster.
„Der da“, fragte sie, obwohl nur ein Kind vom Fenster aus zu sehen war.
„Ja“, bestätigte ich: „Der hat mich verfolgt.“
„Das ist doch der Neue, der vor kurzem mit seinen Eltern zwei Häuser weiter eingezogen ist, oder?“
„Ja“, bestätigte ich erneut: „Die größeren Kinder meinen, dass er ein böser Junge ist, weil er so eine dunkle Hautfarbe hat. Sie sagen uns immer, dass wir uns vor ihm in Acht nehmen sollen.“
„Das ist doch Unsinn“, erklärte meine Mutter: „Es ist die erste dunkelhäutige Familie, die in unsere Gegend gezogen ist. Aber deswegen ist man noch lange nicht schlechter als andere Menschen. Ich würde eher sagen, dass er traurig aussieht, vielleicht alleine.“
„Alleine?“, hakte ich nach und konnte nichts dafür, dass ich so schnell gefragt hatte.
„Du hast doch gesagt, dass die größeren Kinder erzählen, dass man sich vor ihm in Acht nehmen soll“, erklärte meine Mutter.
„Wir versuchen doch schon, ihm aus dem Weg zu gehen“, sagte ich.
„Also ist er alleine. Vielleicht sollte jemand den ersten Schritt machen. Vielleicht solltest du dich mit ihm unterhalten“, kommentierte meine Mutter.
Ich sah ihr ins Gesicht, als hätte sie etwas völlig unmögliches verlangt. Niemals konnte ich mich ihm nähern und mich mit ihm unterhalten. Ich überlegte mir, wie ich meiner Mutter das erklären konnte. Im Moment traute ich mich jedenfalls nicht, sie zu fragen, ob sie sich sicher war.
Nach einer Weile sagte meine Mutter: „Das Essen wird kalt. Denk nicht länger darüber nach.“
Meine Mutter strich mir zur Bestätigung über meine kurzen braunen Haare und fasste mich an der Hand. Bevor ich etwas sagen konnte, zog sie mich hinter sich her und brachte mich in unsere Essecke.
Während des Essens dachte ich immer nur an den Jungen und die Worte meiner Mutter wollten mir auch nicht mehr aus dem Kopf gehen. Nach dem Essen ging ich wieder zum Fenster. Der Junge saß noch am Wegrand und fuhr mit dem Stock die Steine entlang. Irgendwie tat er mir in diesem Moment Leid. Ich beschloss meine Schuhe anzuziehen und auf die Straße zu gehen.
„Wo möchtest du denn noch hin“, fragte meine Mutter, als ich mich der Wohnungstür näherte und sie öffnen wollte.
„Ich gehe kurz zu dem Jungen“, erklärte ich.
Sie lächelte mich an. Vielleicht um mir Mut zu machen, vielleicht aus einem anderen Grund. Ich wusste es nicht.
Ich warf einen letzten Blick auf meine Zimmertür und mit gesenktem Kopf verließ ich ängstlich die Wohnung.
„Ich werde am Fenster aufpassen, damit er dir nichts tun kann“, rief mir meine Mutter hinterher.
Diese Worte hatten bewirkt, dass zumindest meine Angst ein wenig gemindert wurde. Ich bewegte mich von der ersten Etage zum Erdgeschoss hinunter und öffnete die Haustür.
Der Junge sah mich, stand auf und verließ langsam den Straßenrand. Er kam aber nicht auf mich zu, sondern drehte sich weg und ging in die Richtung, in der er wohnte. Zuerst sah ich ihm nur hinterher, aber dann rief ich: „Bleib doch bitte einmal stehen.“
Der Junge blieb wirklich stehen. Er traute sich nicht, sich herum zu drehen und mir ins Gesicht zu blicken. Vorsichtig machte ich einige Schritte auf ihn zu und blieb stehen, als es in meinem Magen zu drücken anfing. Ich spürte, wie mein Herz schlug und atmete tief durch.
Langsam setzte ich mich in Bewegung und versuchte an die Worte meiner Mutter zu denken. Ich hoffte, dass sie Recht behielt.
Als ich den Straßenrand erreicht hatte, schaute ich in unsere Wohnung hoch und sah meine Mutter am Fenster stehen. Sie würde mich nicht aus den Augen lassen und wenn es sein musste, dann wäre sie in wenigen Sekunden bei mir. Zur Not musste ich mich nur so lange zu wehren wissen.
„Du hast mich verfolgt“, begann ich mit der Unterhaltung, als ich den ersten Schritt auf die Straße machte.
Der Junge drehte sich herum und sah mich an. Trotz seiner dunklen Hautfarbe sah ich, dass er rot geworden war. Er kam sich vor wie ein Ladendieb, den man auf frischer Tat erwischt hatte. Zumindest suchten seine Augen die Gegend ab.
„Warum hast du mich verfolgt? Was möchtest du von mir?“, fragte ich ihn.
Mit seinen braunen Augen starrte er mich an. Ich merkte, dass er etwas sagen wollte, aber keine Worte fand, die ich verstand.
Ich warf einen erneuten Blick auf meine Mutter. Mit ihren Händen trieb sie mich voran. Sie machte den Mund auf und zu und deutete an, dass ich mich mit ihm unterhalten sollte, aber sie sagte nicht, wie ich das machen sollte.
„Warum hast du mich verfolgt?“, fragte ich ihn noch einmal.
„Pablo“, sagte er und versuchte zu lächeln.
„Pablo?“, fragte ich erstaunt.
Er deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf sich und sagte erneut: „Ich heißen Pablo.“
„Du heißt Pablo?“, sagte ich und sah, wie sein Lächeln etwas glücklicher wurde.
„Si“, sagte er dann: „Pablo.“
Ich machte es ihm gleich und sagte: „Ich heiße Fabian.“
Während ich mich vorstellte, achtete ich darauf, dass ich langsam sprach. Vielleicht brauchte er nur einen Freund. Vielleicht brauchte er nur jemanden, der ihm die deutsche Sprache beibrachte.
Pablo sah mich mit seinen strahlend weißen Zähnen an und nickte.
„Iiich h-e-i-ß-e Pablo“, erwiderte er dann und fügte hinzu: „Pablo … Fabian“ Er sprach nicht weiter, sondern streckte seine Hand aus und wartete darauf, dass ich sie annahm.
„Freunde?“, fragte ich und wusste nicht, ob ich sein Freund werden konnte.
„Si. Pablo und Fabian seien Freunde“, sagte er dann und ich sah ihm an, wie glücklich es ihn machte. Anfangs wusste ich nicht, was ich antworten sollte.
Er sprach kaum deutsch. Aber war das ein Grund, nicht sein Freund zu sein?
Noch während ich mir meine Antwort überlegte, antwortete ich: „Ja“, lächelte ihn an und sagte zur Bestätigung: „Ja, ich glaube schon. Lass uns Freunde sein.“