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- 31.07.2002
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Eine Rose
Eine Rose, blutzerlaufen, gebrochen, eingerissen.
Inmitten eines Gartens steht sie unbesonnen - und trotzdem vollkommen erblüht. Im Winde dreht sie ihren Kopf, reibt sich an Blättern und anderen Blüten des Gartens. Und so offenblütig ihr Kopf sich in den Wogen des Windes bewegt, genauso in sich gekehrt sind ihre Blätter. Genauso in sich gerollt verweisen sie auf sie selbst, sind eine Art Schutz und Abgrenzung zur Außenwelt. Nur in der Nacht entfaltet sie gänzlich ihre Fühler und beginnt die Welt zu berühren. Dabei schließt sie ihre Blüte, ihre Augen. Sie will sicher gehen, dass es wirklich ganz dunkel ist und niemand sie sehen kann. Denn in dem Moment, wenn sie fühlt, wenn sie die Oberfläche der Welt unter ihren Fingerspitzen spürt, dann wird sie melancholisch, traurig und zugleich hoffnungsvoll. Es ist ein Moment, den sie nicht mit jedem teilen kann.
Eine Rose, so unbesonnen, zerbrechlich, unumstößlich.
Niemand könnte sie je von ihrem Platz vertreiben. Dort wo sie steht, wird sie wohl immer bleiben. Doch es ist nicht die Wurzel, die sie verankert und verewigt an einem einst entstandenen Ursprung. Diese ist wie so vieles an dieser Rose nicht so geraten wie sie sein sollte. Statt sich festzukrallen am Boden, sind ihre Wurzeln mit ihr selbst verwachsen und nichts verbindet sie mit der Erde. Dennoch wird sie nicht von ihrem Platz vertrieben werden können, denn wenn es darum geht, wo sie herkommt, wo sie schon immer stand, dann wachsen ihre Dornen und vertreiben jeden klugen Ratgeber. Ihre Willenskraft ist manchmal nicht zu bändigen, doch zugleich liegt darin, in ihrer geistigen Stärke, auch ihre Jämmerlichkeit. Nie wird sie das wahre Leben kennen lernen. Gespalten durch die Überzeugung die Menschen verachten zu müssen und sich dennoch nicht aus ihrem Kreise ausschließen zu können, treibt es sie immer wieder dazu, sich selbst zu verletzen. Noch während sie ihre Fühler ausstreckt, ihre Blätter entfaltet, um nur einen winzigen Windhauch des Lebens spüren zu können, wachsen ihre Dornen, die ihren eigenen Blättern Risse zufügen.
Eine Rose, ganz wissbegierig, stolz, einsam.
So graziös und unnahbar wie sie den Garten schmückt, zieht sie viele Bewunderer auf sich. Sie spüren, dass diese Rose etwas Besonderes ist, eine einmalige Erscheinung. Trotzdem gehen sie vorüber, blicken beschämt auf den Boden, während sie den Garten verlassen. Und sie werden nicht noch einmal kommen, denn ein Blick hat genügt, um ihnen eine erschreckende Offenbarung zu machen. Es waren nicht einmal die Dornen, die sie von Bewunderern zu distanzierten Silhouetten werden ließen. Es war auch nicht die Tatsache, dass sie sich schon vom ersten Moment an abgewiesen sahen durch eine in der Kälte erfrorenen, gereichten Hand. Nein, es war viel simpler und folgenreicher. Die Blüte der Rose hatte sich geöffnet und der noch eben so faszinierte Bewunderer fiel in den Abgrund der Selbsterkenntnis, denn er sah sich selbst – sich selbst als Abbild des Bösen.
Eine Rose, transparent, rebellisch, verzweifelt.
Als ein Geist zwischen den Welten des Traumes und der Illusion, schwebt sie dahin, verweilt im Nichts. Die zwei Seelen, die ihre Brust verseuchen, sind ihre Quelle- die Quelle des Glaubens. Aus ihr schöpft sie Tag für Tag und verzapft ihr eigenes Blut. Der unumstößliche Glaube an die Nutzlosigkeit der Erklärungsnot, lassen sie verblassen. Doch daran wird sie nicht zu Grunde gehen. Es ist nur eine Verweigerung von vielen, das Leben freizulassen und macht sie nur einsamer, nichts weiter. Und was ist schon Einsamkeit?
Eine Rose, so provokant, verwegen und liebenswert…