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Eine prähistorische Reise durch die Zeit
Durch die sandigen Gefilde der Zeit
Frant saß im dritten Untergeschoss der archäologischen Forschungsabteilung und versuchte die Geschehnisse zu verarbeiten.
Er saß bereits seit einer guten Stunde hier, und war in einem Gefühl von ruhigem Dasein versunken, während er die bleich- graue Oberfläche des Mondes anstarrte.
Ja, anstarrte, in Verlangen nach immerwährender Ruhe. So ruhig wie der Mond wollte er sein, so unerschütterlich wie diese feste, alte Kugel.
Aber er schaffte es nicht. Er fühlte seine Bestimmung wie sie seinen Körper durchströmte, seine Gedanken und seine gesamte Präsenz. Sein Kopf fühlte sich schwanger an, oder auch wie ein Vulkan der kurz vor einer mächtigen Eruption steht.
Er wußte, dass niemand anders als er selbst diese Eruption einleiten konnte, und er wußte, dass es bald sein mußte.
Weiter starrte er aus dem Fenster.
Der Mond war von näherem betrachtet alles andere als das schlummerhaft lächelnde Gesicht, das zu regelmäßigen Zeiten ein Loch in den Nachthimmel reißt , sondern vielmehr eine gleichgültige kalte Fratze, die sich einen Dreck um irdisch- dämmrige Gefühle schert.
Es war das starre Gesicht einer schlafenden Witwe die alles Leben um sich herum mit ewiger und schweigender Ruhe überdauerte, und bereit war noch tausend Leben zu verschlingen ohne auch nur einen einzigen ihrer in Stein gemeißelten Gesichtszüge zu verziehen.
„Was sucht ein Archäologe wie ich auf dem Mond?“ hatte er ständig gefragt, und war sich dabei wie ein Kind vorgekommen, dass von den Eltern auf einen Urlaub mitgenommen wurde, dessen Ziel es nicht kannte.
Er wurde durch die Gegend geschuppst wie eine Flipperkugel, und war die ganze Zeit über verärgert darüber, wie verschlossen und engstirnig sich alle ihm gegenüber verhielten.
Er kam sich wie ein Fremder vor, jemand der hier fehl am Platz war, und niemand ( weder die Leute vom Raumfahrtprogramm, noch seine Kollegen) machten Anstalten ihm diese Gefühle auszutreiben.
„Würden wir ihnen sagen wenn wir’s selbst wüßten“, hörte er ständig.
„Die halten alle dicht wie ‘n vakuumverschlossenenes Wohnmodul.“
Aber manchmal sind die Dinge eben zu unglaublich, so unglaublich dass die Leute nervös werden wie abergläubische alte Dorfleute, die Angst haben dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Und bei dem Grund der ihn hierher brachte mußte es sich schon um eine besonders große Angelegenheit handeln.
Das wußte Frant schon bevor er in Erfahrung bringen konnte worum es eigentlich ging-
Man fühlte es wie man die Gegenwart eines riesenhaften Wals erahnen mochte der wenige Meter unter einem durchs Wasser zog. Man konnte es nicht sehen aber es war da- ein gigantischer dunkler Schatten der knapp außerhalb der Wahrnehmungsgrenze schwebte und nach dem man dennoch nicht greifen konnte.
Es war nur eine Frage der Zeit. Ein solches Geheimnis zu wahren wäre ungefähr so unmöglich gewesen wie wenn ein Dutzend Leute versuchen würden, eine Wagenladung Sand mit bloßen Händen zu tragen.
Irgendwo gibt es immer eine undichte Stelle, irgendwie würde immer ein Sandkorn seinen Weg zwischen den Fingern finden, egal wie hartnäckig man es versuchte.
So sind die Menschen nun mal! Sie ertrugen keine Geheimnisse.
Und so erfuhr Frant schon relativ früh worum sich das ganze Affentheater drehte, ein ängstlich wirkender Junge vom Sicherheitsdienst dem eine fleischige Ader an der verschwitzten Stirn hervortrat, hatte es ihm kurz vorm Schichtenwechsel erzählt.
Er rüttelte ständig an dem Gurt, mit dem er sich seinen Karabiner umgehängt hatte und knabberte wie ein Nagetier an seiner Unterlippe während er die Geschichte zwischen seinen Lippen hervorquellen ließ.
Der obligatorische gefaltete Geldschein folgte auf den gestotterten Wortschwall, Frant bedankte sich herzlich bei dem uniformierten Informanten wobei er sich bemühte so unbeeindruckt wie möglich zu wirken, und begab sich dann auf sein Quartier, mit Beinen die sich irgendwie lose anfühlten, schlotternd.
Doch das war alles unten gewesen, auf der Erde. Dort war es nicht Wirklichkeit, hier auf dem Mond war es so real wie etwas nur sein konnte.
Der Aufenthaltsraum in dem Frant versuchte seine von der verminderten Schwerkraft verwirrten Sinnesorgane wieder zu sammeln war von oben bis unten mit purpurnen Polstern ausgelegt wie eine türkische Ottomane. Ein weicher Kern inmitten eines wissenschaftlichen Bienenstocks, der zwar linear und zweckmäßig war- aber dennoch chaotisch.
Es war ein ruhiger Platz, und hinter den luftdichten Schutzfenstern aus Lucite breitete sich die Ruhe über den kahlen Mond bis in die Unendlichkeit aus. Es war ein friedlicher, von Weichheit umschlossener Hain der Ruhe, doch selbst hier war es real.
Schwarze Actocumuluswolken die sich in den Köpfen einnisteten und einen Schatten über alles legten.
Die Knochen. Die schweren Ausgrabungsmaschinen, die speziell für den Einsatz bei niedriger Schwerkraft konstruiert waren.
Sie standen gleich neben der weitläufig ausgehobenen Grube, mit den typischen unproportional großen Rädern der Mondfahrzeuge.
Der Mond hat keine Atmosphäre, also kann man kein Geräusch hören, wenn man sich auf seiner Oberfläche befindet, es sei denn über Funk, und es wirkte etwas unheimlich diesen schweigend rollenden Kolossen mit ihren gekrümmten Baggerschaufeln, zuzusehen wie sie stillschweigend ihre Arbeit verrichteten.
Eine bleischwere Begleitmusik in pionissimo umspielte dieses Schauspiel von nüchterner Zweckmäßigkeit.
Auf dem Mond schien die erdrückende Last der Jahrmillionen die gesamte Atmosphäre zu Staub zerrieben zu haben wie ein unersättlich mahlender Malstrom der alles in sich aufnahm und sogar das Nichts zwischen den Sternen verschlang.
Man konnte das bleischwere Alter jedes einzelnen Körnchens Mondstaub fühlen- die Lebensspanne eines Gottes muß über diesen Planeten gestrichen sein, und über allem standen die Sterne und brannten ihr Licht gleichgültig wie sie es immer getan hatten in die Unendlichkeit hinaus..
Dies war kein Ort an dem Menschen- mit ihren weichen, von der Evolution geformten Gliedern und ihren schleimigen Körpersäften- wie er stehen sollten.
Es war ein Ort von Dauer, und was Bestand haben sollte und was nicht stellte sich hier erst nach den ersten paar Jahrmillionen heraus.
Man konnte fühlen dass dieser Platz nicht dazu bestimmt war, um von ihnen gesehen zu werden. Und es war kein gutes Gefühl.
Doch das war natürlich nichts im Vergleich zu den Knochen.
Wenn man mit dem pneumatischen Aufzug von der Schleuse nach unten fuhr und genau hinsah konnte man sie schon sehen, wie sie in den Himmel ragten.
Sie waren noch nicht vollkommen von dem Sand befreit der sie all die Jahrmillionen in sich getragen hatte, und zeichneten sich auch kaum gegen die silbergraue Hügellandschaft hinter ihnen ab, was es beim ersten Hinsehen schwer machte, sie überhaupt zu erkennen.
Wie verborgene Geister die aus der Dunkelheit heraus auflauerten und schweigend zusahen.
Und wie groß sie waren! Sie sahen aus als wären sie das Gerippe des Mondes selbst.
Als Frant zum ersten Mal hier war, konnte er bereits von weitem die weißen, aufgeblähten Anzüge der beiden anderen Archäologen sehen.
Frant wurde zu ihnen geführt und blickte schließlich in Gesichter, die von engen, schlitzartigen Augen und hohen Wangenknochen geprägt waren: Sie waren allesamt Asiaten und waren vor ihm angekommen, vermutlich weil die wechselhafte Entfernung zwischen Mond und Erde für sie günstiger für eine Mondreise gewesen war.
„Darf ich bekanntmachen“, hörte er eine Stimme seinen runden Helm ausfüllen. Es war die Stimme von Captain Thornless, dem Piloten der sein Spaceshuttle geflogen hatte.
„Dr. Yoshamura, und Prof. Dr. Qui- beide vom paläontologischen Kongress in Pejing.“
Frant streckte seine dick verpackten Arme aus und gab beiden einen losen Händedruck, den er durch die Handschuhe kaum spürte. Er mußte dabei fast lachen- es wirkte etwas lächerlich hier mitten auf dem Mond zu stehen, zusammen mit den am höchsten entwickelten Technologien, die die Welt je gesehen hat und immer noch auf derartige Gesten angewiesen zu sein. Er hatte auch schon während seiner crashkursartigen Ausbildung als Astronaut immer wieder über die aufgeblasenen Anzüge lachen müssen- für ihn sahen sie einfach lächerlich aus.
„Ich muss ehrlich gestehen, dass ich unter diesen Bedingungen wenig sagen kann“, unterdrückte er sein Lachen mit einer Flucht nach vorn.
„Auf den ersten Blick sehen sie einfach nur groß aus. Konnten sie schon ein aussagekräftigeres Urteil fällen?“
„Ich muss sie enttäuschen. Bis jetzt konnten wir sie noch nicht näher betrachten. Aber wenn ich ehrlich sein soll so sehen sie für mich nach...Apatosaurier aus. Zumindest auf den ersten Blick.“
Frant wußte nicht einmal welcher der beiden Asiaten gerade zu ihm gesprochen hatte, da die Visiere zu stark verdunkelt waren, aber er bemerkte trotzdem welch allgemeine Beklommenheit auf diese Aussage folgte.
Ein Apatosaurier? Hier auf dem Mond? Absolut unmöglich.
Es drängte sich ihm bei dem Gedanken ein ganzes Universum aus Fragen und Widersprüchen auf, so dass es beinahe schon weh tat, weiter daran zu denken.
Den anderen schien es genauso zu ergehen.
Sie standen eine ganze Weile in ratloser Verlegenheit da, bis der Kapitän schließlich vorschlug, sich ins Labor zu begeben um erste Untersuchungen anzustellen.
Sein Tonfall war offiziell und hektisch, und man konnte hören, dass er Angst hatte. Obwohl es im Grunde keinerlei Grund dafür gab- immerhin kann von ein paar Knochen keine großartige Bedrohung ausgehen- mal ganz davon abgesehen wie groß und imposant sie neben ihnen aufragten.
Es war das Unerklärliche das allen einen Schatten über die Augen legte.
Es war das Endgültige.
Hier bewegte sich nichts mehr in dem weitläufigen Rahmen den sie sich für ihr Leben zurecht gelegt hatten. Neben all den Abermilliarden von Jahren die her nebeneinander standen und stumm der Ewigkeit trotzten, wirkten all ihre Erinnerungen, all ihre Gedanken- sogar ihr Existenz und ihr gesamtes Leben wie Momentaufnahmen.
Unwichtig. Frant konnte es nicht verdrängen. Hier oben war er nicht mehr als eine Sekunde.
„Frühes Mesozoikum, wahrscheinlich zur Zeit der Apatosaurier. Frühes Trias.“
Mit dem typischen, leicht lispelnden Akzent der Asiaten ergoss sich der Wortschwall in den sterilen Raum.
Frant stand zusammen mit den beiden anderen Paläontologen um einen kleinen Untersuchungstisch aus beschichtetem Blech, auf dem zwei klobige Gegenstände lagen- Knochen die ebenfalls draußen auf dem Mond gefunden wurden.
Sie waren zwar nicht annähernd so groß wie ihre titanenhaften Brüder, wogen aber dennoch an die zehn Kilo pro Stück.
Die Atemschutzmaske aus zerknittertem, grünem Plastik knisterte als Frant anfing zu sprechen. Es war für ihn zwar schwer vorstellbar, dass seine beiden Kollegen all die nötigen Fachausdrücke in der englischen Sprache anwenden und verstehen konnten, aber sie schienen dennoch keine Probleme damit zu haben, wie im der eine gerade eben bewiesen hatte.
Wie auch immer, Frant gab sich große Mühe nicht belehrend zu klingen.
„Ihre Diagnose deckt sich mit der Analyse auf radioaktiven Kohlenstoff, die bereits durchgeführt wurde. Würde es sich hierbei um Fundstücke von... der Erde handeln, so hätte ich wohl dieselben Vermutungen angestellt. Aber...“
Frant fing an zu stocken. Er fühlte sich alles andere als Wohl bei der Sache.
Obwohl er hierbei genau in seinem Element war, drängte sich ihm das unangenehme Gefühl auf, vollkommen deplaziert zu sein. Im Grunde genommen sollte er sich wie ein Fisch im Wasser fühlen. Er fühlte sich jedoch wie ein Hai im Süßwasser.
Nur seine Augen spiegelten seine Verwirrung und bedrückende Angst wieder, während er seine Kollegen anstarrte. Plötzlich schlug ein Gefühl von schrecklicher Beklommenheit wie ein Meteor auf ihn ein.
Wie zuvor auch auf der Mondoberfläche, so beschlich ihn auch jetzt abermals die Furcht vor seiner eigenen Sterblichkeit und Unwichtigkeit.
Er erinnerte sich an ein Kinderbuch über Dinosaurier das er während seiner frühen Zeit als glühender Dinosaurierverehrer gelesen hatte. Bis jetzt waren alle Erinnerungen daran, zusammen mit den meisten aus seiner Kindheit in einem trüben Meer aus verschwommenen Empfindungen und Bildern versunken gewesen.
Aber die Ereignisse der letzten paar Stunden hatten einiges davon wieder aufgewühlt, wie klobige Dinosaurierfüße die durch öligen Urschlamm wateten.
Er erinnerte sich:
In dem Buch war die gesamte Geschichte des irdischen Lebens auf ein Jahr zusammengefaßt, um die Entwicklung der Erdenbewohner anschaulicher darzustellen.
Ein Tag entspricht so 10 Millionen Jahren. Ein Monat umfaßt ganze 310 Millionen Jahre.
Bis August wimmelt es auf dem gesamten Erdenrund nur von Mikroorganismen.
Im September: die ersten Einzeller.
Ab dem 10 Dezember beginnt die Herrschaft der Dinosaurier über den gesamten Planeten, während die Überreste von Pangäa über wütende Ozeane treiben, die nur so schäumen vor geschuppten Seeungeheuern.
Die erdrückende Last von Zeit und Evolution liegt über allem und steckt in allem, während die Glieder wachsen, schrumpfen und sich an ein Leben an Land anpassen.
Das Ereignis, dass die Menschen von den Echsen trennt tritt am 25 Dezember ein. In den letzten sechs Tagen unseres Jahres breiten sich die Säugetiere und die Vögel aus, bis dann schließlich...
Eine Stunde vor Mitternacht... um 11.45 taucht der Mensch auf, am 31 Dezember des Jahres.
Die letzte Stunde hat schon längst geschlagen, die Erdgeschichte bahnt sich ihren Weg ins Unvermeidliche und frißt sich mit unstillbarem Hungern immer tiefer hinein in die Zeit.
Frant konnte es spüren. Konnte die Nichtigkeit seines Lebens spüren.
Sein Leben das, klein wie eine Stechmücke, niedergewalzt wurde von der unfassbaren Wucht eines Güterzuges- ein Güterzug der 3 Milliarden Jahre umfaßt, die Länge von zehn Millionen langen Menschenleben.
Frant ging zu Boden. Erbrochenes füllte seinen Hals mit scharfer Magensäure. Er hörte den Akzent eines der Asiaten, der so hektisch sprach, dass man kein Wort mehr verstehen konnte.
Als er schließlich aufwachte, war er aufgebahrt in einem weißen Raum, der voll war mit den runden Konturen bettlegriger Weichheit.
Während er auf der Krankenstation lag, hörte er zum ersten Mal die Stimmen, wie sie in seinem Verstand widerhallten.
Frant wußte: Sie hatten einen weiten Weg hinter sich gebracht, um seine Ohren zu erreichen.
Und nun saß er hier, und lauschte den Stimmen.
Ihrem rauhen Bariton, ihrem sandigen Timbre und ihrem tönenden Vibrato.
Die Ottomane selbst war ruhig und schläfrig- doch sein Kopf drohte zu bersten vor lauter Lärm.
Es war Zeit zu gehen.
Die gelinde Schwerkraft des Mondes machte es ihm leicht, seinen gequälten Körper aufzurichten und den gepolsterten Raum zu verlassen.
Fast schwebte er schon durch die leeren Gänge des Forschungskomplexes, fegte wie ein sachter Wind an all den Gerätschaften und Computern vorbei, die nun - nutzlos wie sie geworden sind- stumm herumlagen, und auf die Ewigkeit warteten.
Vielleicht würden tatsächlich bis in alle Ewigkeit hier liegen, dachte Frant.
Ihren Schöpfern hatten sie somit einiges vorraus.
Er schwamm weiter durch die Luft. Der Boden und die Gänge schienen sich um ihn herum zu bewegen und zu verschieben, ohne dass er etwas dazu tun mußte, und brachten ihn dorthin wo er sein wollte.
So sah er schon bald die Tür der Astronautengalerie auf sich zukommen.
Als sie nah genug bei ihm war, ließ er seine Hand hochkommen und berührte den Knopf.
Die Tür glitt auf und er schwebte hindurch.
In dem Raum hingen dutzende Raumanzüge schlaff an den Wänden und starrten ihn mit ihren schwarzen Visieren an. Ihre dicken Falten wirkten wie die Haut von alten, fetten Elephanten.
Ehe er sich versah, verdunkelte sich der Raum, und er bemerkte, dass er in einem der Anzüge steckte.
Fast hätte er wieder über das dickhäutige Aussehen seiner Gliedmaßen gelacht, oder zumindest geschmunzelt, aber eine Art tiefsitzende Ernsthaftigkeit hielt ihn davon zurück.
Wieder glitt die Türe an ihm vorbei, und er sah die breite Glaswand auf ihn zukommen.
Dahinter konnte man den Schleusentrakt sehen, der mit seinen mechanischen Lippen das Vakuum des Mondes aussperrte.
Ein Anblick, der Stolz in einem hervorrufen konnte. Über welche Macht verfügte die Menschheit, dass sie sogar imstande war das Nichts zurückzuhalten?
Frant wußte die Antwort: über gar keine.
Wie, um diesen Gedanken zu bestätigen, hörte er plötzlich ein schwaches Tropfen, wie von Honig, der auf Marmor tropft.
Frant dreht sich um und erkannte Thornless den Kapitän.
Er lag in der unmißverständlichen Haltung des Todes auf dem weißen Boden und bestarrte sein Schicksal mit kalten, leeren Augen.
Frant erkannte den Kugelschreiber, der aus seiner Kehle ragte, und den der Kapitän selbst im Tod noch fest umklammerte.
Es war seiner. Er hatte ihn von der internationalen Raumfahrtbehörde geschenkt bekommen, kurz vor dem Abflug zum Mond.
Damals war noch alles in Ordnung gewesen, dachte er. Damals wäre er nie und nimmer imstande gewesen einen Menschen zu töten.
Doch kaum hallte der Gedanke in seinem kranken Kopf wider, schon wurde er von den anderen Stimmen hinweg gefegt wie eine Daune in einem Orkan.
Der Strom von Befehlen der seinen Geist wie ein reißender Fluss erfaßte trieb ihn vorwärts, seinem Ziel entgegen, und ließ keine Gefühle zu.
Frant schluckte sein schlechtes Gewissen und war dankbar dafür, nicht an das Schicksal der restlichen Crew zu denken zu müssen.
Das Blut des Kapitäns hörte plötzlich auf zu tropfen.
Für ein paar Sekunden verweilte er noch in dem menschenleeren Raum, und atmete die Stille die in durchdrang, spürte die Leere die sich durch die verlassenen Gänge wand.
Dann gab er seinen Zulassungscode für die innere Schleuse ein und betrat den Schleusentrakt.
Ein paar Knöpfe mehr und die mechanischen Lippen öffneten sich lautlos, um ihm die kahle Oberfläche des Mondes in seiner ganzen Weitläufigkeit preiszugeben.
Mit schwerfälligen Schritten trat er aus der Sicherheit der Station hinaus und trottete durch den Sand auf sein Ziel zu.
Man konnte sie von hier aus schon sehen. Wie das Gerippe des Mondes, wie eine Brücke von hier bis in die Unendlichkeit der Zeit: Die Dinosaurierknochen.
„Hier bin ich! Ich bin euch gefolgt. Wie weit kann ich euch noch folgen?“
Keuchend von der Anstrengung des Marsches wartete er auf eine Antwort. Vor ihm stachen die Knochen in den Nachthimmel hinein, und überragten alles.
Frant fühlte sich wie eine weggeworfene Marionette. Er hatte den Stimmen gehorcht, und hatte all ihre Befehle ausgeführt, bis zu diesem Ort. Nun waren sie verstummt und in seinem Kopf war wieder Platz geworden für eigenständige Gedanken und Gefühle, und mit einem Mal wurde ihm die ganze Tragweite der Situation bewußt, in die er sich selbst gebracht hatte.
All die schrecklichen Morde die er begangen hatte, all die Leben die er ausgelöscht hatte, und wofür?
„Wofür?“ brüllte er die Knochen an, und hoffte auf eine Antwort.
„Was zur Hölle versprecht ihr euch davon?“ Frant war überrascht von seiner eigenen Wut, die ihn plötzlich überkam. Diese Knochen hatten ihn irgendwie ausgenutzt, hatten irgendwie Zugang zu seinem Bewußtsein erlangt, und das nur um ihn zum Mörder zu machen.
Tränen aus Wut und Verzweiflung brannten in seinen Augen, und rannen seine Wangen hinunter.
Es war aus. Es gab keine Rettungsmöglichkeit, keinen Fluchtweg von diesem kahlen Felsen.
Er konnte weder ein Spaceshuttle betanken, noch konnte er eines fliegen. Außerdem hatte er keine Ahnung wie man ein interstellares Funkgerät bedient, um Hilfe zu rufen.
Er war verloren! Ein Archäologe auf dem Mond! Alleine!
Er hatte genug. Die brennenden Gefühle brachen wie aus einem Vulkan aus ihm hervor und gipfelten in einem brutalen Schrei.
„Du hast mich hier zurückgelassen!“ brüllte er trat mit seinen verpackten Beinen auf die Knochen ein.
„Wieso nur?“
Frant wollte gerade mit der geballten Faust auf den Knochen losgehen, als er plötzlich wieder die Gegenwart eines zweiten Bewußtseins in seinem Kopf spürte.
Diesmal waren die Stimmen stärker denn je. Der Befehl den sie alle zugleich aussprachen bündelte sich wie ein Laserstrahl und ließ keine Widerrede zu.
Frant sah, wie seine Arme hochkamen und die Verschlüsse für den Helm öffneten.
„Nein!“ schrie er.
„Bitte nicht!“
Aber sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Er war vom Steuermann zu einem blinden Passagier geworden, der sein Boot nicht lenken konnte.
Voll panischer Angst wartete er darauf, von der Kälte einer unendlichen Nacht erdrückt zu werden. Seine Finger fummelten weiter an den Sicherungen herum, drei waren noch übrig dann könnte man den Helm einfach so abnehmen, und seine Lungen würden sich eiskaltem Nichts füllen, sein Blut würde kochen und schließlich vielleicht sogar zerplatzen.
Ein Verschluss war noch übrig. Seine Finger fühlten sich merkwürdig an, wie sie so ganz ohne sein Zutun an seinem Helm herumwerkten.
Schließlich schnappte auch der letzte Verschluss auf, und Frant machte sich bereit dem Tod ins Auge zu sehen.
Diese trostlose Gegend würde sein Grab werde, diese gigantischen Knochen würden das letzte sein was er zu sehen bekam.
Doch nichts passierte. Verdutzt begann Frant zu blinzeln. Er war zweifellos noch am Leben.
Seine Hände schmiegten sich um den runden Astronautenhelm und nahmen ihn sachte ab.
War das möglich? Frant versuchte zu atmen. War es Luft die da seine Lungen füllte?
Obwohl die Schwärze noch ungetrübt am Himmel stand, und auch sonst alles so zu sein schien wie vorher, so schien doch plötzlich eine Atmosphäre wie auf der Erde zu herschen.
Plötzlich spürte er wieder eine der Stimmen in seinem Kopf. Sie wühlte sich geradezu in sein Bewußtsein. Frant folgte dem wortlosen Befehl, und ging auf den Hügel zu, der hinter den Knochen aufragte.
Die sanfte Schwerkraft des Mondes machte es ihm leicht den steilen Abhang zu erklimmen.
Mit einem mal war auch sein Glauben an die Stimmen wieder da, und er wußte, dass alles gut war, so wie es geschehen war.
Er fühlte sich nicht mehr als ein kleiner Diener für eine ungerechte Sache die er nicht verstand, sondern wie ein Teil eines gewaltigen ganzen, dass das ganze Universum ausfüllte.
Und dieses Gefühl wurde bestätigt, als er den Hügelkamm erklommen hatte.
Der Ausblick riss geradezu vor seinen Augen auf, wie eine klaffende, dampfende Wunde.
Frant explodierte geradezu in euphorischer Begeisterung, und dieses Gefühl überstrahlte mit seinem einmaligen Glanz alles was er jemals an Erfahrungen gemacht hatte- schön oder schrecklich.
Die Götter selbst mußten über seinen Köpfen tanzen.
Vor ihm erstreckte sich ein gewaltiges Tal aus Mondstaub.
Und das Tal war erfüllt vom stampfenden Klang der Donnererchsen.
Apatosaurier so weit das Auge reichte, reckten ihre langen Hälse wie ein ganzer Wald in die Luft- man konnte sie noch am Horizont stehen sehen.
Eine Herde von Millionen von Exemplaren streifte in anmutiger Eleganz durch das Tal.
Über diesem Schauspiel von prähistorischer Gewaltigkeit, strahlten die Sterne wie eine Million geschliffener Diamanten und vertrieben alle Finsternis aus seinem Herzen.
Frant war in seinen Grundfesten erschüttert von der unheimlichen, überirdischen Macht die von diesem Szenario ausging.
Der Anblick ging über bloße Schönheit hinaus. Er schürte in Frant ein schier unstillbares Verlnagen danach. Es reichte ihm nicht, all das mit visueller Wahrnehmung aufzusaugen, er wollte es schmecken, anfassen, essen, in sich aufnehmen.
Er konnte unmöglich stillstehen und so weitergaffen.
Dann erkannte er eine Unregelmäßigkeit in dem Weiterziehen den Echsen.
Einer der Hälse schien plötzlich auszuscheren und auf ihn zuzuwanken.
Frant konnte sehen wie der Mondstaub unter seinen baumstammartigen Pfoten aufstaubte, wie in einem Traum aus Schnee und Zucker, als dieses gewaltige Wesen das die Größe eines kleinen Berges hatte quer durch das Tal stapfte.
Als der Apatosaurier schon fast bei ihm war, spürte er das sachte Vibrieren unter seinen Füßen.
Das Donnern der Donnerechsen.
Wieder machte sich die Stimme in seinem Kopf breit, diesmal jedoch fast menschlich, mit angenehm- großväterlichem Ton und nicht mehr so herrisch und kompromißlos wie zuvor.
„Wir grüßen dich“, sagte die Stimme sanft, aber mächtig brummend.
„Wer,...wer seit ihr?“ stammelte Frant.
„Ich weiß dass du uns kennst, wahrscheinlich sogar besser als wir dich kennen. Auch wenn dein Wissen über uns nur auf Vermutungen und Rückschlüsse aufgebaut ist, so ist es dennoch ziemlich detailliert und zutreffend“
Frant Schädel schien bei der Tiefe der Stimme zu vibrieren. Das Wesen das zu ihm sprach, stand nun bereits an die zehn Meter vor ihm, und hatte seinen Kopf leicht nach unten geneigt. Sein Gesicht hatte genau das Aussehen, das man aus unzähligen Sachbüchern und Hollywood- Streifen kannte. Oben am Kopf befand sich ein kleiner Kamm mit einem kleinen Atemloch darin.
„Ich weiß, dass das Gesicht in eurer Kultur die unmittelbarste Identifikation darstellt.
Also sieh es dir nur gut an.“
Frant lächelte. Ein schüchternes Schuljungen- Lächeln. Sein Mund versuchte Worte zu formen, Fragen die sich ihm aufdrängten, und davon nicht zu knapp. Er brauchte ein paar Sekunden bis er endlich sprechen konnte:
„Wie...wie kann das alles sein? Meines Wissens nach, müßtet ihr schon seit Millionen von Jahren ausgestorben sein. Und das auf der Erde.“
„Ausgestorben...Hm...“
Die Stimme brummte tief wie eine Schneelawine.
„Von eurem Standpunkt aus, scheint das sogar plausibel, wenn auch nur annähernd. Wir haben uns entschlossen die Erde zu verlassen um der nächsten großen Rasse Platz zu machen. Euch Menschen. Das scheint dich zu verwundern, und ich will es dir erklären.
Aus deinen Forschungen und aus den Forschungen derer, die bereits vor dir unsere Rasse untersuchten ging hervor, dass wir wohl dumme Herdentiere sein mußten.“
Ein Lachen wie ein kleines Erdbeben dröhnte in seinem Kopf.
„Doch wie sollt ihr es auch besser wissen. Wir beziehen unser Wissen aus der Gemeinschaft, aus der Gemeinschaft der Seelen. Wir sind ein einziges Band, das unsere Geister verbindet und festhält. Dieses Band hatte einst den ganzen Planeten Erde umschlossen, und unsere Intelligenz wuchs mit unserer Anzahl. Auch wenn wir mit dieser Intelligenz alleine waren.
Brutale Bestien und stumpfsinnige, kleinere Echsen wucherten nur so während unserer Zeit.
Aber wir die...Apatosaurier wie du uns nennst, wußten um das erhabene Schicksal bescheit, dass uns bestimmt war. Schließlich waren wir stark genug, um unsere lineare, straff im Raum fixierte Existenz abzustreifen. Wir brachten es zustande in ein größeres Reich umzuziehen- in das unendliche Reich von Raum und Zeit. Seitdem schwimmen wir durch die Zeit, wie ein Schwarm Fische der seine Stärke aus der Masse an Angehörigen bezieht.“
Frant fiel es nicht mehr schwer all das zu glauben. Er glaubte mittlerweile alles.
Die Geschichte des Dinosauriers erfüllte ihn mit Ehrfurcht, und er erinnerte sich an all die Jahre in denen er stets das Bild der dummen, schwerfälligen Langhälse vor sich gehabt hatte. Damit war er völlig danebengelegen. Diese Tiere hatten den Menschen mehr voraus, als der Mensch einer gewöhnlichen Stubenfliege voraus hatte: Sie waren Herdentiere, in der Tat, und ihre Weiden waren die unendlichen Wiesen der Zeit durch die sie streiften.
Frant wollte etwas sagen, spürte jedoch kurz bevor er seine Lippen bewegte, wie ihm die Frage entrissen wurde- dies war ein Gedankenaustausch und zwar im wortwörtlichsten Sinn.
„Wenn wir unsere Kraft bündeln, so können wir auch den Raum kontrollieren. Die Luft die du atmest haben wir nur für dich bereitgestellt. Wir steuerten deinen Körper, als du selbst nicht besser wußtest, wo der richtige Weg lag. Ich sehe du spürst Mitleid mit den Menschen die du getötet hast, doch glaube mir, ihre Opfer waren die Stützpfeiler eines gewaltigen Palastes von kosmischer Wichtigkeit. Du mußt wissen- du hast Fähigkeiten, von denen du nie gewagt hättest zu träumen. Du mußt wissen, dass du auserwählt bist. Sieh nur hinter dich.“
Frant drehte sich um, und sein Blick fiel auf die vertrauten Knochen, die neben dem Hügel aufragten, auf dem er stand.
Kleiner als zuvor wirkten sie. Frant hatte begonnen in anderen Maßstäben zu denken.
Und plötzlich verstand er.
„Er ist schon vor langer Zeit gestorben, und die Lücke die er in unserer Herde hinterlassen hat, schmerzt mit jedem Tag mehr.“
Frant wandte seinen Kopf und betrachtete seinen prähistorischen Gesprächspartner.
„Ihr wollt, dass ich mit euch komme“, sagte er und seine Stimme fühlte sich piepsend und klein an.
Doch er wußte die Antwort. Mit schicksalsschwanger Erwartung starrte er in das Tal, wo die Herde über den Mond zog. Sie schienen auf ihn zu warten.
Er wußte die Antwort.
Das Tal füllte sich mit gleißendem Licht aus grellem Weiß und metallischem Blau.
Die Herdentiere hatten sich bereits in ihr Reich zurückgezogen um ihn mit seiner Entscheidung alleine zu lassen.
Eine Weile stand Frant einfach nur da und war erfüllt von Ehrfurcht und spannender Erwartung.
Er betrachtete die Knochen die hinter ihm, am Fuß des Hügels aus der Erde ragten, und fragte sich wie er wohl gewesen war, der Dinosaurier der diese Knochen einst in sich getragen hatte.
Er fragte sich, ob er ihn, menschlich wie er doch war, ersetzen konnte, und ob die Dinosaurier die richtige Wahl getroffen hatten.
Er fragte sich ob er tatsächlich den Anforderungen gewachsen sein würde.
Und er fragte sich wie es sein mußte durch Raum und Zeit zu schwimmen, als Herdetier durch all die Jahrmillionen zu streifen, und alles zu sehen, was das Universum zu bieten hatte.
Er wandte den Blick von den Knochen ab und starrte wieder in das Licht, das aus dem Tal erstrahlte.
Es würde kein Abschied sein. Er konnte immer wieder zurückkehren.
Er atmete ein letztes Mal tief ein, dann tat er den Sprung.
Ein müheloser, meterweiter Sprung- ein Mondsprung.
Das gleißende Licht umarmte ihn.
Dann verschlang ihn die Zeit, und nahm ihn bis in alle Ewigkeit in sich auf.