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Eine Mahlzeit
Die Sonne!
Der Wind fährt leise durch die Äste der Linden und die Strahlen des Feuerballs erwärmen das Gras.
Lächeln!
Das faltige Gesicht voller verwitterter Zügen verklärt sich zu einem Lächeln, das in sich gekehrt und abgewandt ist. Keine Sorgen hier unten, keine Probleme. Er lässt sich fallen und schlägt nicht auf.
Die Haare sind ausgebreitet auf der Wiese. Niemals hat er Acht gegeben auf seine Frisur. Er hat es nicht nötig, er ist nicht angewiesen auf anerkennende Blicke und zustimmendes Lächeln. Er ist ein Tramp, ein Stadtstreicher, ein Outlaw.
Er schließt die Augen, um die Passanten nicht zu sehen, die ihn kopfschüttelnd anstarren. Ihm ist nach Schlafen, Träumen. Also legt er sich auf eine Wiese und träumt. All die, die an ihm vorüberhetzen, können das nicht tun. Sie verspüren den Wunsch, aber haben ihre Pflicht!
Er hat keine Pflichten, außer dann und wann etwas zu essen zu suchen.
Acht Beine arbeiten sich ungesehen durch die Landschaft der Gräser. Acht fleischige, behaarte Beine, die in einen fetten, zweigeteilten Körper münden, wuseln in einem fort über den Boden. Zwei links, zwei rechts, abwechselnd im Diagonalrhythmus. Unbeirrt weicht das handballengroße Tier Hindernissen aus, verliert dabei aber nicht einen Augenblick ihr Ziel aus den überdimensionalen Facettenaugen.
Etwa einen Meter vor den ausgebreiteten Haaren verlangsamt die Spinne ihre Bewegungen und wirkt so bedächtig und lauernd.
Sind Arachniden in der Lage planvoll und zielstrebig vorzugehen? Ist ihnen eine gewisse Logik zuzusprechen?
Das Opfer liegt im Gras und hält die Augen arglos geschlossen. Die Passanten werfen ihm zwar verständnislose Blicke zu, bemerken das Spinnentier, das für diese Gegend recht groß ist, nicht.
Das Tier arbeitet sich vor, es scheint die natürlichen Gegebenheiten als Deckung zu nutzen. Es duckt sich hier und schleicht kurz danach weiter. Es ist kaum zu bemerken.
Der Mann öffnet die Augen. Er scheint etwas zu ahnen von dem Unheil, das sich so heimtückisch nähert, doch nein, sein Blick ist arglos und er blinzelt ins Licht. Dieser Mann hat keine Sorgen, er streckt sich, jetzt verschränkt er die Arme hinter seinem Kopf und kommt der Spinne damit bedrohlich nahe. Sie zuckt zurück, doch sie spürt, dass sie nicht bemerkt wurde. Die Entfernung zum bloßen Unterarm des Mannes beträgt vielleicht die Länge eines Stiftes.
Der Mann dreht den Kopf leicht in die Richtung, hat er das Gifttier endlich bemerkt? Weiß er nicht in welcher Gefahr er schwebt, der Ahnungslose?
Es gibt im Amazonasgebiet Spinnenarten, die Eier in ein bedauerliches Opfertier legen, das dann von innen her von der Brut gefressen wird.
Was hat dieses Tier vor?
Jetzt hat es die Haut des Mannes erreicht, die beiden Taster am Kopf, die den Anschein haben, als wären sie Kauwerkzeuge, vibrieren. Eine Ader im Fleisch des Opfers pulsiert, man sieht, wie das Blut durch sie hindurchgepumpt wird.
Blitzschnell greift die Hand des Mannes zu, er setzt sich auf und greift die Spinne. Er steckt sie in seinen Mund und ganz kurz - für einen winzigen Moment - erkennt man, wie die Beine des Arachnoiden wild rudern und verzweifelt nach Halt suchen. Dann ist sie verschwunden. Es gibt ein kurzes knackendes Geräusch, der Mann schluckt und wischt sich zufrieden übers Gesicht.
Er legt sich wieder zurück und denkt bei sich: Keine Sorgen, nur dann und wann etwas zu essen finden!
ENDE