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Eine letzte Chance

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02.05.2002
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Eine letzte Chance

Für einen guten Freund und seine Liebe!
Möget Ihr die Kraft haben die Euch früher gefehlt hat!

„Brauchst Du noch was?“ „Nein, einen Pulli vielleicht.“ sie zögert. „Du hast nicht zufällig frische Unterwäsche da?“
Ich sehe sie an. Hübsch, ja das war sie echt. Heute sieht man zuviele Spuren. Aber das ist ihre Sache. „Ob Du es glaubst oder nicht, im Keller müsste ich noch Sachen von Dir haben. Lass Dir schon mal ein Bad ein, ja?“ Sie nickt, streift sich das Top vom Körper und wirft einen arg verdreckten Slip von sich. Ich habe ihre Augen ganz anders in Erinnerung. Nicht weniger schön sind sie, sie haben ihren Glanz verloren. Und das Gesicht ist auch etwas eingefallen und die Haare... nein, das muss an meiner ungünstigen Beleuchtung liegen.

Auf dem Weg in den Keller höre ich wie sie zu summen beginnt. Ein altes Lied. Unser Lied... war es einmal. (...you're a piece of glass, left there on the beach, you're an accident, waitin' to happen...)
Ihre Sachen habe ich schnell gefunden. Sauber eingeschweisst liegen sie in einer Kiste die ich ihr eigentlich zum 20. schenken wollte, um der alten Zeiten willen. Auf den Weg zurück nach ober fällt mein Blick auf einen alten Rucksack. Den hat sie mir einmal geschenkt, ich nehme ihn mit.
Sie sitzt in der Badewanne und lacht wie ein kleines Mädchen. „Schön hast Du es hier! Wie lange wohnst Du schon hier?“ „Danke, ähhmm lass mich überlegen. Vier Jahre?“ ich giesse ihr ein Glas Orangensaft ein. Sie schaut in das Glas und nippt vorsichtig dann trinkt sie begierig. Eine Zahnbürste werde ich noch holen. Und Wundcreme, brauche ich noch was?
„Bade erstmal in Ruhe. Ich leg Dir mal ein paar Sachen raus, und die hier“ ,ich zeige auf die Fetzen die sie trug als ich sie heute morgen traf, „die werfen wir weg, ja?“ Sie springt auf: „Nein! Um himmels Willen, die brauche ich noch!“ „Dann lass mich sie wenigstens waschen, ok?“ „Du kannst sie nachher mitnehmen...“ unsicher blickt sie mich an. Ich weiss es, sie weiss es. Und doch traut sie sich nicht in meiner Anwesenheit ihre Sucht einzugestehen.
Ich gehe in die Küche und stöbere in meinen Vorräten. Ein paar Müsliriegel und zwei Flaschen Saft packe ich in den Rucksack, meinen Pullover kann sie sicherlich auch gebrauchen.
Sie bleibt nicht, das weiss ich. Sie kann nicht bleiben, dass weiss sie. Und ich habe gekocht - eigentlich seltsam, früher hat sie sich immer so angestellt mit dem essen. Aber sie sitzt mir gegenüber ,in einem viel zu grossen Pullover aus meiner Joggingkiste, und es schmeckt ihr. Nach dem Essen setzen wir uns aufs Sofa. Sie zündet sich eine Zigarette an. „Du auch?“ will sie wissen und hält mir die Packung hin. „Nein danke! Ich habe vor zwei Jahren damit aufgehört.“ Sie stutzt, legt die Packung dann auf den Tisch.

Tief atme ich den Rauch ein, nehme noch einen genüsslichen Zug. Sie liegt mit dem Kopf auf meinem Schoss und atmet wieder ganz ruhig.
Angefleht ist das falsche Wort. Sie hatte mich beschworen dass sie etwas brauchte. Das es so weit kommen würde war mir klar gewesen. Hatte sie doch schon beim Essen unruhig gewirkt. Als sie dann ins Badezimmer ging konnte ich nicht anders, ich ging ihr nach und ich habe gesehen wie sie sich das Zeug in die Venen geschossen hat. Ich habe sie dann aufgehoben und auf das Sofa gelegt.
Nun sitze ich hier, rauche eine Zigarette und habe mich ertappt wie ich die Ampulle Narcanti zurechtlegte. Ihre Sachen habe ich gepackt. Der Rucksack ist gross genug. Essen und warme Sachen eingepackt – eine Packung Kondome fiel mir auch in die Hände.

Sie regt sich, legt meinen Arm um sich wie eine Decke. Ich wünsche sie würde bleiben. Würde rauskommen aus all dem Elend, clean sein, ein ordentliches Leben beginnen.
Sie fühlt sich gut an, ich berühre ihre warmen Brüste und ihr Atem kitzelt mich etwas. Früher lagen wir immer genauso da. Wenn der Fernseher lief, wenn wir uns spät noch Geschichten erzählten und etwas gekuschelt haben.
„Was ist?“ ich habe nicht bemerkt dass sie mich ansieht.
„Nichts, ich denke nach.“
„Worüber?“
„Früher und heute, über Dich. Vielleicht über mich.“
„Mach Dir keine Vorwürfe. Ich bin es doch selbst schuld.“ dabei umarmt sie mich und drückt sich an mich.
„Ich habe Dir helfen wollen. Dir niemals etwas tun wollen. Und doch bist Du gegangen.“
„Ich weiss. Ich wusste es nicht besser. Alles kam mir so künstlich und gezwungen vor. Ich war jung...“ - wieder schaut sie zu mir herauf.
„Ich wünschte ich könnte die Zeit zurück drehen!“ sage ich.
„Und was würdest Du anders machen? Du kannst es nicht ändern. Ich kann damit Leben.“ - besser muss...
„Ich würde dich niemals mehr mit zu diesen Leuten nehmen.“ sage ich und hebe sie von meinem Schoß. Ich zünde zwei Zigaretten an, reiche ihr eine.
„Möchtest Du mal einen Check bei einem Arzt machen?“ frage ich das Thema wechselnd. „Bist du verrückt? Ich kann doch zu keinem Arzt gehen. Die lochen mich doch sofort ein.“ „Bestimmt nicht. Ich kenne jemanden, der ist mir was schuldig. Der könnte alles machen. Hepatitis, HIV...“ „Nein! Ich gehe zu keinem Arzt.“ Ok, ich lasse das Thema fallen und schaue auf die Uhr. 22:30h, morgen habe ich eigentlich ein Meeting um 9:00h. Egal...

Ich blinzele vorsichtig, versuche dem Licht zu entkommen. Aber da ist noch nicht viel Licht. Ein Blick auf den Wecker sagt alles, 5:00h. Ich sehe einen Schatten zur Tür tapsen. Sie bewegt sich immer noch wie früher. Und es hat gut getan ihren warmen Körper zu spüren ihren Atem. Schnell stehe ich auf und fange sie im Flur ab. „Hey Kleines, wohin?“ „Ich muss los!“ ich kann ihr Gesicht nicht richtig erkennen, und Licht will ich auch keines machen. Dann liefe sie bestimmt weg. „Warum? Doch nicht um diese Zeit.“ „Ich muss los!“ Sie will an mir vorbei doch ich stelle mich in den Weg. „Ich muss los, ich brauche was. Ich hab doch kein Geld!“ Ich gebe ihr den Rucksack.
„Danke!“ ihre Stimme zittert nun leicht. „Danke mir nicht. Geh jetzt!“
Sie umarmt mich. „Ich danke Dir trotzdem!“ flüstert sie mir ins Ohr, „Du hast keine Fragen gestellt. Ich werde dich vermissen!“ „Du hast mir die letzten fünf Jahre gefehlt.“ sage ich. Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange. Ich merke dass ihre Wangen feucht sind und glaube kurz ein Glitzern aus ihrem Augenwinkel zu sehen. „Geh nun!“ sage ich. „Du kannst nicht bleiben. Dass wissen wir beide.“ Sie schluchzt leise. Irgendwie ist mir auch zum heulen zu mute. Ich weiss aber dass es keinen Sinn hat. Eigentlich, warum fühle ich mich dann jetzt so beschissen? Sie hatte doch ihre Chancen, oder?
„Sag mir! Habe ich noch eine Chance, eine letzte? Kann nicht alles wieder gut werden?“ schluchzt sie nun. „Ich glaube die hattest Du.“ sage ich leise. „Du hättest nur weiterschlafen müssen.“ „Werden wir uns wieder sehen?“
Ich zögere einen Moment: „Ich glaube nicht. Ich weiss nicht ob ich es mir wünsche oder genau das Gegenteil will.“
„Verstehe, habe ich Dir erzählt dass ich einen Entzug machen will?“
„Nein, aber wenn du das machen solltest dann melde dich, ok?“
Ich öffne die Tür. Sie tritt nach draussen, dreht sich um und sieht mich an.
„Geh jetzt!“ sage ich. Gleichzeitig nehme ich sie in den Arm und gebe ihr einen Kuss. „Ich will ehrlich einen Entzug machen, aber jetzt kann ich noch nicht.“ „Ich weiss“, sage ich obwohl ich überhaupt nichts mehr weiss. Ich habe dieses Mädchen einmal geliebt. Fühle mich jetzt zu ihr hingezogen und wollte sie eigentlich schon gestern Abend wieder verabschieden (so hatte ich mir das gedacht als ich sie zu mir einlud).
So bleiben wir eine ganze Weile stehen. Es beginnt zu schneien.
Sie wird gehen, dass weiss ich.
Das hat sie schon einmal getan.
Und sie hatte ihre Chance. Aber nicht jetzt. Nicht gleich...
Später hoffe ich... hofft sie... solange sie es noch aushält...

 

Hallo Core!

Eine nette und ziemlich melancholische Geschichte, die etwas traurig stimmt. Inhaltlich nicht schlecht und der Dialog kommt gut rüber.
Hätte gerne gewusst, wie's weiter geht, aber das Ende passt schon. So kann sich der Leser selbst noch ein paar Gedanken über den weiteren Verlauf machen.

Viele Grüße,
Michael :)

 
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Hallo Michael!
Danke für die Blumen! Ich habe lange überlegt wie und ob ich diese Geschichte schreiben soll. Ich habe bewusst darauf verzichtet der Geschichte ein Ende zu geben. Ich habe auch auf Details der Vergangenheit verzichtet. Der Protagonist der Geschichte weiss auch nicht wirklich was "Ihr" in der langen Zeit passiert ist. Und aufgrund dessen fände ich es ziemlich unehrlich einen Schluss zu schreiben den noch niemand kennt.

Bis Denn...

Martin

 

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