Eine Legende der Magie
Dunkelheit kroch durch die Gassen der Hauptstadt und auch die an den Häusern entzündeten Fackeln schafften es nicht, diese zurückzudrängen. Sie war in einen dunklen Umhang gekleidet, der sie sowohl vor der Kälte als auch vor neugierigen Blicken schützte. Ein so schönes Mädchen muss immer aufpassen, vernahm sie die Worte ihres Vaters in ihrem Kopf. Wie oft hatte er das gesagt? Die Einsamkeit der Nacht behagte ihr ganz und gar nicht. Hätte ich mich mal besser begleiten lassen, ich alter Sturkopf. Sie beeilte sich so gut sie konnte und warf immer wieder Blicke über ihre Schulter, doch es war niemand zu sehen. Die Gasse vor ihr lag ebenfalls still und verlassen da. Was ist bloß los mit mir? Bin ich paranoid? Einige Atemzüge später begann sie plötzlich loszulaufen. Ihre Schritte hallten vom steinernen Pflaster hinauf und ihr Blut rauschte vor Anstrengung im Kopf. Ziellos rannte sie durch Straßen und Gassen, bis sie nicht mehr konnte. Sie stützte sich an einem Haus ab und versuchte zu Atem zu kommen. Anschließend versuchte sie, sich zu orientieren, doch das war nicht so leicht, denn in diesem Teil der riesigen Stadt war sie noch nie gewesen. In den Fenstern brannte nirgendwo Licht und der Wind verursachte das einzige Geräusch, ein stetiges Klappern und Heulen. Regentropfen begannen langsam vom Himmel zu fallen und innerhalb kurzer Zeit schüttete es in Strömen. Ihr Sichtfeld trübte sich immer weiter und ehe sie sich ihren nächsten Schritt überdenken konnte, regte sich etwas am Rande ihres Bewusstseins. Sie hörte leise Schritte, konnte jedoch nicht sagen woher. Sie kauerte sich schnell in einen nahegelegenen Hauseingang und hoffte, dass ihre Sinne ihr einen Streich spielten. Eine Zeit lang war es still, doch dann kamen die Schritte vorsichtig näher und näher und auf einmal sah sie vier Gestalten, die sich in der Dunkelheit fortbewegten. Kurz vor ihrem Versteck blieben sie still stehen. Geht einfach weiter. Bitte, bitte. Ihr Wunsch wurde nicht erhört. Innerhalb eines Augenblicks hatten zwei der Gestalten sie gepackt und zerrten sie mühelos hervor. Sie versuchte sich zu wehren, doch es gelang ihr nicht. Der Griff der Gestalten war hart und unnachgiebig. Es gab kein Entrinnen für sie. „Joana, mein Täubchen. Du wolltest doch nicht ohne uns gehen, oder? Wolltest du uns etwas deine nussbraunen Haare und deine laubgrünen Augen vorenthalten?“, säuselte einer, dessen Stimme sie schon einmal gehört hatte, höhnisch. Aber wo? Alle vier trugen schwarze Metallmasken, die einen stilisierten Fuchs zeigten, und das Gesicht vollständig verdeckten. Ihre schlichten und schmucklosen Lederrüstungen waren in schwarz und grau gehalten. „Woher kennt ihr meinen Namen?“, flüsterte Joana. Die Männer sahen sich an und es war wieder der, dessen Stimme sie irgendwoher kannte, der zu ihr sprach. „Meine Liebe, ein jeder kennt doch die schöne Tochter des königlichen Beraters mit dem elfenähnlichen Gesicht, den großen Augen und der zarten, schlanken Figur. Wer träumt denn nicht von ihr?“, knurrte er. „Du hast schon mehr Feinde als du dir vorstellen kannst und einen davon wirst du bald kennenlernen.“ „Bringen wir es hinter uns“, sagte der, der ihren linken Arm schmerzhaft festhielt. „Ich finde, wir könnten uns vorher noch etwas mit ihr vergnügen, oder?“, säuselte der andere, der ihren rechten Arm umfasste. „Die Kleine hätte es verdient“, sagte schließlich der, der noch nicht gesprochen hatte. „Danach können wir sie immer noch abliefern.“ „Warum eigentlich nicht?“, sagte der Anführer ungerührt und es schien als würde der Blick der Fuchsmaske sich bedrohlich in Joanas Augen bohren. „Aber es hieß, schnellstmöglich abliefern“, sagte wieder derjenige, der ihren linken Arm umfasst hielt. „Scheiß fürs Erste auf den Auftrag. Du darfst auch als erster ran“, entgegnete der Anführer und zuckte die Schultern. „Es war von abliefern die Rede und nicht, in welchen Zustand“, fügte er an und gab Joanna eine Ohrfeige. Sie schrie auf und einer ihrer Häscher legte ihr blitzschnell die Hand auf den Mund. „Ganz ruhig. Verhalt dich einfach still und dir wird nichts passieren, außer ein paar besondere Momente.“ Jetzt schien auch der einzige Zweifler besänftigt zu sein, denn auch er lachte nach diesem Kommentar mit den anderen. „Bringen wir sie mal zu einem romantischen Plätzchen, hier ist es doch ein bisschen ungemütlich, oder?“, sagte einer der Männer.
Sie achtete schon gar nicht mehr darauf wer was sagte, sondern ließ den Kopf hängen. Sie fesselten Joana mit einem groben Seil die Hände hinter dem Rücken zusammen und einer der Männer hielt das Reststück wie eine Art Leine in der Hand. „Versuchst du zu fliehen, bist du dran“, drohte er ihr. Anschließend wurde sie geknebelt. Die Kolonne setzte sich in Bewegung und hier und da, sah sie jetzt auch endlich Menschen in den Straßen, die jedoch stumm gafften, während die Männer mit ihrer Gefangenen an ihnen vorbeizogen. Gerade als die Männer sie in eine finstere Sackgasse führen wollten, hörte sie eine ruhige, klare Stimme, die von irgendwo hinter ihr zu kommen schien. „Lasst sie los“ Ihre Häscher hielten an und drehten sich langsam um. Auch sie wurde, möglicherweise als Schutzschild, unsanft herumgewirbelt. Sie sah einen jungen, hochgewachsenen Mann mit strahlend blauen Augen und blonden Haaren, der im Licht der Fackeln geradezu majestätisch erschien. Er hielt einen großen dunklen Stock in seiner rechten Hand. Irgendetwas an ihm bereitete ihr Unbehagen. Sie kniff die Augen zusammen und nahm plötzlich etwas um ihn herum war. Es kam ihr vor, als würde er schwach leuchten. „Hau ab Junge, sonst wird es dir leid tun“, fauchte einer der Schergen, die sie gefangen genommen hatten. „Genau, verpiss dich einfach und zieh Leine“, brachte ein anderer hervor. „Ihr wisst nicht, was ihr da tut“, kam es von dem jungen Mann und er stieß den Stock kraftvoll auf das Pflaster. Innerhalb eines Momentes brannte die Luft und was dann passierte, war fernab allem, was sie je erblickt hatte. Der junge Mann veränderte sich, anfangs langsam, dann immer schneller. Sein Körper schien an einigen Stellen aufzuplatzen und sein Gesicht verwandelte sich in eine furchterregende Fratze mit einem bösartigen Ausdruck. Mit einem Schrei, der ihrer Meinung nach ganz Rhytar aufwecken würde, beendete er die Transformation. Aus dem hübschen Mann war ein grünliches Wesen geworden, was direkt aus einem Alptraum zu kommen schien. Die schlanken Muskeln, unter denen die gut sichtbaren Adern pulsierten, bedeckten seinen ganzen Körper und seine langen Extremitäten waren mit jeweils fünf Krallen besetzt. Das Wesen war über und über mit Narben und Malen bedeckt, die es jedoch nicht weiter zu stören schienen. An der Stirn prangten vier große Hörner, zwei auf jeder Seite. Die Augen glommen schwarz auf und der Rest des Gesichtes war von schuppiger, reptilienartiger Haut bedeckt. Es besaß weder Nase noch Ohren, an ihrer Stelle waren Kristalle in die Haut eingebrannt. Der Kiefer ragte weit nach vorne und entblößte messerscharfe Zähne. „Was bist du?“ stotterte der Anführer, der sie fest im Nacken packte und das Seil von seinem Kumpan übernahm. Seine Gefolgsleute zogen ihre Schwerter, doch wie es schien mehr aus Reflex als aus ernsthaften Absichten der Gegenwehr. Ihre Knöchel traten weiß hervor und es herrschte ein eisiges Schweigen. „Was ich bin? Das spielt keine Rolle“, sagte das Wesen mit einem fremd klingenden Akzentnach einer gefühlten Ewigkeit und lachte boshaft. „Und jetzt lasst sie los“, fügte es in seltsamer Tonlage hinzu und legte seinen Kopf schief. „Was soll das werden?“, fragte der Anführer, der sich jetzt wieder etwas im Griff zu haben schien. „Wer oder was glaubst du, bist du, den Anhängern seiner Heiligkeit, Vorschriften machen zu können?“, spuckte er verärgert aus. „Seiner Heiligkeit?“, lachte das Wesen, „soweit ist sein Wahn schon vorangeschritten?“. „Halts Maul, du Missgeburt“, knurrte einer der anderen Männer unter seinem Helm hervor. „Oh nein, ihr seid die Jenigen, die Schweigen werden. Glaubt mir.“, kicherte das Wesen. Dann explodierte die Welt um sie herum. Das letzte, was sie bemerkte war warmes Blut, dass ihr über den Körper ran. Dann fiel Joana in Ohnmacht, wo traumlose Finsternis sie erwartete und fest einhüllte.
Als sie erwachte, lag sie in einem weichen Bett, hatte ein schlichtes Schlafgewand an und ihre Füße waren nackt. Wo bin ich? Ruckartig setzte sie sich auf und rieb sich die Schläfen. Was ist passiert? Sie versuchte sich zu orientieren, irgendeinen Anhaltspunkt für ihren Aufenthaltsort zu finden. Dann erblickte sie die drei, angezündeten Kerzen, die in einem kleinen Leuchter zu ihrer linken auf einem hölzernen Nachttisch standen. Sie nahm ihn auf und ließ das Kerzenlicht mithilfe geflüsterter Worte auflodern. Im gleichen Moment erkannte sie, wo sie sich befand. Ich bin zuhause. Die Flammen verteilten sich magisch durch den Raum, erhellten ihn und ließen die Kerzen im gleichen Augenblick erlöschen. Das Gleichgewicht der Magie. Ihr Raum sah genauso aus, wie sie ihn verlassen hatte. Etwas Chaotisch und kitschig, aber gemütlich. Voller Erleichterung stellte sie den Leuchter wieder zurück auf den Tisch und ließ sich in ihr Kissen fallen, wo sie hörbar ausatmete. Wie bin ich hier hingekommen? Sie beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Als sie die Tür ihres Zimmers öffnete, kam ihr einladender, honiggelber Lichtschein entgegen. Ein holzgetäfelter Gang führte in beide Richtungen und gab den Blick auf viele verschlossene Türen frei. Obwohl sie sich in gewohnter Umgebung befand, hielt sie es erstmal für das Klügste, sich ruhig zu verhalten. Die magischen Lichter, die Globen, die in regelmäßigen Abständen angebracht waren, zeigten den prachtvollen Reichtum auf, in dem sie aufgewachsen war. An den Wänden hingen teure Bilder, die teilweise Jahrhunderte alt waren, wenn man den Auktionshäusern Glauben schenken konnte. Sie schlich den Gang, ohne ein Geräusch zu verursachen, entlang bis zur Treppe. Im Haus war alles leise, vermutlich schliefen alle schon friedlich. Der weiße Marmor der Stufen glitzerte und sie beschloss ins Obergeschoss, wo das Schlafzimmer ihres Vaters lag, zu gehen. Sie achtete auf ihren Atem und bewegte sich weiterhin geräuschlos die Treppe empor. Nach einigen Stufen verharrte sie und lauschte. „Ich sage euch, ihr müsst sie fortschaffen. Sie ist hier nicht sicher. Das kann alles kein Zufall sein.“, hörte sie eine besorgte Stimme. Vater. „Gebt sie in den Tempel, wir können sie schützen. Und das wisst ihr.“, sagte eine andere, melancholisch klingende Stimme. „Nein, im Leben nicht, eher würde ich sie den Nekromanten überlassen, als euch.“, sagte ihr Vater und lachte dabei freundlos. Woher kommt seine Abneigung gegen den Tempel? „Hütet eure Zunge, werter Vicaz.“, brachte der andere hervor und jetzt endlich erkannte sie die Stimme. Zhark, der Priester. Vater’s Jugendfreund. Früher hatten ihre Familien oft gemeinsame Ausflüge unternommen. Zharks Frau hatte leckeren Himbeerkuchen gebacken und Joana hatte mit den Kindern, einem Sohn und einer Tochter, gespielt. Joana duckte sich als sie die oberste Stufe erklommen hatte. Von ihrer Position aus, sah sie die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters am Ende des Ganges offenstehen. Etwas in ihr schien sich vor dem Weg dorthin zu fürchten, doch sie überwand ihre Zweifel und begann langsam auf das Zimmer zuzugehen. Durch den Türspalt konnte sie einen Teil des Raumes sehen, welcher ihr vertraut war. In der linken, hinteren Ecke, stand ein großer hölzerner Schreibtisch, auf dem sich Akten und Unterlagen stapelten. Sie öffnete leise die Türe und betrat vorsichtig das Arbeitszimmer. Regale, die über und über mit Dokumenten, Büchern, Gesetzesentwürfen und sonstigem Gekritzel gefüllt waren, nahmen fast den ganzen übrigen Raum ein. Hölzerne Truhen, die Andenken von Reisen enthielten, standen in den nächstgelegenen Ecken zur Tür. Mitten im Raum befand sich ein großes Sofa, dessen Rückenlehne zum Eingang ausgerichtet war, sodass man direkt in den, mit grauem Stein ausgekleideten Kamin hineingucken konnte. Auf dem Kaminsims wechselten sich goldene und silberne Pokale ab. Überall auf dem Boden lagen Teppiche und Felle verteilt und vor dem Kamin standen sich zwei Männer gegenüber.
Ihr Vater stand zur linken, ein schmächtiger Mann, mit einem eingefallenen Gesicht, dessen Haare schon lange ergraut waren. Er war in ein blaues Wams mit dem eingestickten Wappen der Händlergilde gekleidet. Zur rechten stand Zhark, ein großer und muskulöser Mann, der eher einen Soldaten als einen Priester abgab. Er hatte pechschwarze Haare und ein abweisendes und strenges Gesicht. „Vater“, flüsterte Joana zaghaft und beide Männer drehten ihren Kopf im gleichen Moment und starrten sie an. „Joana, du bist wach.“, sagte ihr Vater in einem sorgenvollen Tonfall. Seine Augen waren trübe, doch in ihnen stand die Freude. In den Augen des Priesters zeigte sich dagegen blanke Missgunst und er musterte sie von oben bis unten und sah dann wieder ihren Vater an. „Was macht eure Tochter hier? Ich dachte wir wären ungestört“, giftete Zhark ihn an. „Das ist euer Problem, dass ihr das dachtet. In eurem Tempel könnt ihr verfügen wie ihr wollt, in meinem Haus stehen die Türen offen. Und besonders meiner Tochter. Der einzige, der mir Befehle erteilt ist der König. Wir leben nicht mehr in der Vergangenheit“, herrschte ihr Vater den Priester an. „Schon bald wird mich das Königreich nur noch als Eure Heiligkeit kennen und dann wird auch der König meinem Ratschlag folgen. Und dann werdet auch ihr tun, was ich euch auftrage. Ihr werdet schon sehen“, knurrte Zhark, der einst ein enger Freund ihres Vaters gewesen war. „Eure Heiligkeit?“, platzte es aus Joana heraus. Sie zeigte mit dem Finger auf den Mann und zitterte. „Ihr wart es also, das ist euer Werk“, schrie sie ihn an. „Was zum Henker meinst du damit, Joana?“, sagte ihr Vater irritiert und guckte erst sie und dann den Priester verständnislos an. Ein Dolch blitzte auf und Zhark sprang mit einem kurzen Satz zu ihrem Vater und stach ihm in die Kehle. Das Blut spritzte fontänenartig aus seinem Hals und obwohl er versuchte, es aufzuhalten, gelang es ihm nicht. Sein Todeskampf war kurz und grausam, doch dann lag er still. Joana schrie auf und rannte panisch los. Zhark grinste sie dämonisch an und bevor sie weiter als zwei Schritte gelaufen war, hatte er sie durch eine beiläufige Geste mit dunkler Magie zu Boden gedrückt. „Ihr habt meinen Vater umgebracht. Ihr wart doch Freunde. Warum?“, schluchzte sie und ihre grünen Augen füllten sich mit Tränen der Trauer und Wut. „Warum?“, fragte der Mann spöttisch. „Weil er euch geschützt hätte und verhindert, dass der Tempel dich bekommt. Das ich dich bekomme. Denn schon bald wird die Kirche die Macht über dieses Land übernehmen und ihr seid der Schlüssel dazu, meine Liebe. Ihr werdet schon sehen, wie ich das meine.” Sie versuchte gegen die Magie anzukämpfen, doch es gelang ihr nicht. „Ich hasse dich, Zhark, du falsche Schlange. Mein Vater dachte immer, er könnte sich auf dich verlassen.“, brüllte sie voller Wut und funkelte ihn hasserfüllt an. Er kam näher und verpasste ihr einen Tritt in die Rippen. Danach beugte er sich zu ihr hinunter und schob ihr Kinn hoch, sodass sich ihre Blicke trafen. In seinen Augen sehe ich nur Bösartigkeit. „Woher wusstet ihr von dem Namen? Und was ist aus meinen Männern, aus meinem Sohn, geworden?“, fragte er sie, während er ihren Kopf mit der rechten Hand hin und her drehte. Richtig! Die Stimme unter der Maske war sein Sohn. „Die Männer mit den Fuchsmasken haben ihn erwähnt. Sie und damit auch dein Sohn sind tot. Von einem Dämon erlegt.“ „Dämon?“ Zharks Stimme klang belustigt. „Wie sah er denn aus? Hatte er acht Köpfe?“ „Nein, er war ein junger Mann, der sich dann in ein Wesen mit grünem Körper und einem reptilienartigen Kopf verwandelt hat.“, antwortete Joana mit gepresster Stimme. Der überhebliche Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht und für einen kurzen Moment wirkte er verunsichert. „Das ist nicht möglich, es ist eine Legende und mehr auch nicht. Ich lasse mich doch nicht von einem kleinen Mädchen für dumm verkaufen und mir Angst einjagen.“ „Scheinbar doch keine Legende.“, spottete sie. „Findest du das lustig, meine Kleine? Der einzige, der bald lachen wird, bin ich. Wart nur ab.“, zischte Zhark und seine Adern traten sichtbar hervor. „Ihr irrt euch Priester, oder sollte ich besser sagen eure Hochheiligkeit?“, kam es aus dem Gang und für einen Moment war ein alter Mann mit einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze zu sehen. „Was zum…?“, brachte der Priester hervor, um dann mit voller Wucht, sich um die eigene Achse drehend, gegen den Kamin zu prallen. Der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen und er kam, im Gesicht voller Blut, wieder auf die Beine. Im selben Moment erlosch die Bindung, die Joanna auf den Boden drückte und sie eilte geistesgegenwärtig zu einer Truhe in der Ecke des Raumes und nutze sie als Deckung. Doch der Priester beachtete sie nicht. Mit hasserfülltem Gesicht murmelte er einige Silben und ein dunkler Ball aus gierig um sich greifender Energie entstand in seinen Händen. Er zischte ein einzelnes Wort und schleuderte ihn dem alten Mann entgegen. Dieser wischte das magische Geschoss mit einer einzigen Handbewegung zur Seite und ging zum Gegenangriff über. Lanzen aus silberfarbener Magie zuckten durch den Raum und bohrten sich in Zharks Körper. Kein Schrei kam ihm über die Lippen, als er in sich zusammensank und aufhörte zu atmen.
Der alte Mann deutete ihr mit einer beruhigenden Geste, sich nicht fürchten zu müssen und ging langsamen Schrittes auf die beiden Leichname zu. Er umrundete das prächtige Sofa, beugte sich neben ihrem Vater auf den Boden und schloss ihm die Augen „Danke für alles, alter Freund. Das werde ich dir nie vergessen“. Joana durchfuhr bei diesen Worten ein heftiger Schmerz und sie begann zu weinen. „Weint nicht, mein Kind. Was geschehen ist, ist geschehen. Vicaz wusste, dass er sich in Gefahr begab. Denn wir hatten Zhark schon lange im Verdacht.“ Bei diesen Worten schwoll der Zorn in Joana an und ihre Tränen vernebelten ihre Sicht. „Er war mein Vater, verdammt. Mein Vater! Er wurde ermordet und ihr steht da herum und redet. Wer seid ihr überhaupt?“, schrie sie ihn an. „Euer Vater?“ Der Mann klang erstaunt. „Das also war seine Tarnung“, fügte er in anerkennendem Tonfall an. Sie verstand nichts von dem was er sagte und bevor sie das Wort ergreifen konnte, sprach er weiter. „Bevor ich ein Wort über mich verliere, darf ich euch zuerst meinen Sohn vorstellen?“, sagte der Mann mit der Kapuze und zeigte auf einen jungen Mann, der gerade in den Raum trat. „Ihr?“ Joana wurde mulmig, als sie ihn erblickte. Der junge Mann schmunzelte. „Freut mich euch wiederzusehen, Joana. Mein Name ist Dorlan. Ihr braucht keine Angst zu haben.“ Er verbeugte sich und verzog dann das Gesicht zu einem traurigen Lächeln. „Dorlan Rhytax“. Als sie seinen Namen vernahm, erkannte sie ihn. Die Statuen und das Reiterstandbild. „Ihr seid der Prinz des Reiches“, kreischte sie und sprang hinter der Truhe hervor, um auf die Knie zu gehen. „Verzeiht mir werter Herr Prinz, ich…“, begann sie, als er auf sie zukam und ihr die Hand reichte. Seine Hand wies Narben und Risse auf, doch sie ergriff sie und wurde mit einem kräftigen Ruck auf die Beine gezogen. „Ihr müsst nicht knien, dafür gibt es keinen Grund.“, sagte er freundlich und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie nickte und betrachtete dann den Mann mit der Kapuze, dessen Blick sich in den züngelnden Flammen des Kamins verlor. Die Erkenntnis durchzuckte sie wie ein Blitzschlag. „Wenn das euer Sohn ist, dann müsst ihr ja...“, sagte sie ehrfürchtig und wollte sich erneut hinknien, doch der Prinz hinderte sie daran, „der König sein“, ergänzte der Mann am Feuer müde. Als er die Kapuze zurückzog und sich umdrehte, zitterten ihr die Knie. Er ist es tatsächlich. Jeder im Reich kannte das Gesicht des Königs, war es doch auf allen Münzen aufgeprägt. Doch niemand hatte ihr je gesagt, dass er nur von einer Seite so aussah, wie ihnen weisgemacht wurde. Die andere Seite schien direkt aus der Hölle zu stammen. Klaffende Wunden und verbrannte Haut verunstalten seine komplette rechte Gesichtshälfte. „Was hat das hier alles zu bedeuten?“, stammelte sie. Der König nickte seinem Sohn zu und kam dann langsam näher. „Ihr seid mehr als ihr auf den ersten Blick zu sein scheint, junge Dame.“ „Wie meint ihr das?“, fragte sie irritiert. „Er meint, dass ihr etwas in eurem Blut habt, was euch außergewöhnlich macht.“, antwortete der Prinz verlegen. „Dieser Mann war nicht euer Vater. Er war ein treuer Diener unseres Hauses und hat euch fernab des Palastes aufgezogen. Dafür gab es einige Gründe.“, sprach der König weiter und hielt ihren Blick gefangen. „Was?“, entfuhr es Joana und in ihrem Kopf machte sich Panik breit. „Ihr seid eine Rhytax, wie wir. Ihr seid die Tochter meines Bruders.“, sagte der König. „Und was ihr bei mir gesehen habt, tragt auch ihr in euch, nur bedeutend stärker. Magie, die uns vor den kommenden Gefahren schützen wird.“, beendete Dorlan den Satz seines Vaters. „Ich, eine Rhytax? Das ist unmöglich“, hauchte sie ungläubig, während sich die Welt um sie herum rasend schnell zu drehen begann. Es war der Beginn einer Legende.