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Eine kurze Geschichte vom Teufel, überraschenden Liebesmomenten und Hamstern
Heute morgen war ich es, der dem Kurier die Tür öffnete, nachdem er geklingelt hatte. Man kann das Büro nämlich nur mit einem Chip betreten, den man vor ein Lesefeld halten muss, und der Kurierdienst besitzt aus Sicherheitsgründen keinen solchen.
Jedenfalls öffnet Susi ihm normalerweise die Tür, aber die hat die ganze Woche Urlaub, weshalb ich dann gegangen bin.
Für gewöhnlich ist mein Leben eigentlich gar nicht so spannend.
Seit drei Monaten bin ich Single, und meine Mutter klopft inzwischen auch wieder an, bevor sie ins Zimmer kommt.
Ich besitze einen Goldhamster namens Marvin, löse gerne mathematische Erzählrätsel und bin am Wochenende meist mit den Jungs unterwegs. Wir gehen dann grillen, spielen Skat, oder trinken auch mal ein paar über den Durst.
Ganz normal eben, wie das bei jedem anderen Mittdreißiger auf der Welt auch so ist.
Und dann geschah der heutige Mittag.
Es war genau zwei Minuten nach zwölf, was ich daher noch so genau weiß, da ich gerade mit dem Verfassen einer E-Mail an die IT-Abteilung zugegen war, dass YouTube für die Pause noch nicht freigeschaltet sei.
In diesem Moment trat er an meinen Schreibtisch.
Perfekt sitzender Anzug, teure Uhr, die Krawatte scheinbar selbst gebunden (und das gut), dabei einen Duft verströmend, wie ich ihn von den Deos aus der Drogerie noch nicht zu riechen bekommen hatte.
Kurzum: Dieser Mann war eine in Fleisch gehauene Ikone.
"Guten Tag, ich bin Ernie", sagte er, so selbstbewusst, dass mein Zeigefinger unwillkürlich die linke Maustaste drückte. Ein Fenster schloss sich.
"Was kann ich für Sie tun, Ernie?"
"Ich habe hier eine Schadensmeldung. Ist Ihr Chef da, Herr, äh ..."
"Gerd", erwiderte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. - "Ich bin der Gerd."
Es folgte die längste Gesprächspause meines Lebens. Ich malte mir aus, dieser Mann sei der Teufel, und wolle meine Seele kaufen, damit ich spannende Abenteuer jenseits des Hades im Auftrag der Hölle erleben konnte. Dann fiel mir ein, dass der Hades unsere Stammkneipe im Ort war, und ich das so aber eigentlich gar nicht hatte denken wollen, sondern schon den richtigen Hades mit Cerberus und so meinte, und irgendwie wurde ich diese blöde Vorstellung von der Dorfkneipe aber nicht wieder los, in der ich mit den Jungs am Rundtisch saß und beim leer getrunkenen Bier mein schlechtes Blatt betrachtete. Das war sowas von ärgerlich! Dann jedoch fand ich plötzlich zurück, denn das Blatt wurde augenblicklich richtig gut, und Ernie lachte an der Stelle des Königs, und sagte dabei mit diabolisch tiefer Teufelsstimme: "Kannste ihn bitte mal kurz ranholen, Gerd?"
"Bitte?"
"Den Chef, ich muss das hier abgeben."
Ich war perplex.
"Ja klar, kann ich machen."
Alles in allem dauerte die Begegnung nicht länger als ein paar Sekunden.
Ich fuhr dann später nach Hause.