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Eine Kindheitserinnerung
Wer glaubt Stille sei ein Zustand ohne Geräusche, war noch nie im Haus meiner Großeltern. Erbaut noch vor dem Krieg und gewissenhaft unsarniert, hat dieses Gebäude seinen Zenit bereits vor Jahrzehnten überschritten und fiel an vielen Stellen dem Verfall anheim. Mit den Bewohnern starb auch nach und nach das Haus. „Stille“ war in ebendiesem Gebäude alles andere als still. Stille war nur das Fehlen bekannter menschlicher Laute. Wenn dies Erwachsene nervös machen konnte, so ängstigte es Kinder fast zu Tode. Mich zum Beispiel.
Ich erinnere mich nicht dunkel und nicht klar, wie durch leichten Nebel. Ich setze die Füße aus dem Bett. Der alte Teppich fühlt sich rau an. Einen Schritt nach vorne, der Boden knarrt, wie immer an dieser Stelle, ich zucke zusammen, wie immer an dieser Stelle. Das Mondlicht scheint fahl zum Fenster herein, Schatten voll monströsem Leben mit sich bringend. Schnell, wenn ich mich beeile kann mich diese unangenehme Angst nicht übermannen. Die Tür knarzt und ich blicke auf den am Tage so geliebten Flur mit der Holztreppe. Zu dieser Zeit verwandelt er sich in einen gespenstischen Schlauch voll silbernem Zwielicht. Nächste Tür.
Das behagliche Wohnzimmer mit seinem Blick zum Garten. Wind heult leise, wie ein Flüstern. Bäume, oder was sie nun sind, starren mich bewegungslos aus finsteren Augen, durch die große Fensterfront an. Eisige Schauer laufen mir über den Rücken. Die alte Uhr auf dem Schrank tickt einen monotonen Rhythmus. Ich schleiche halb geduckt am Sofa vorbei und versuche nicht nach draußen zu sehen. Die nächste Tür.
Sie quietscht wie immer, doch in dieser Szenerie erscheint es mir lauter, fordernder, wie das gequälte Jaulen einer Kreatur aus den tiefen der Unterwelt. Aus dem beklemmenden Gefühl wird langsam wirklich Angst. Vor mir ein schwarzer Schlund, hinter dem am Tage eine Treppe ist. Rechts von mir ein langer Flur, die Garderobe mit den Jacken und Mänteln. In was mögen sie sich verwandelt haben? Nicht hinsehen, nach links die zwei Stufen hinunter zur Küche, nicht umdrehen!
Die grelle Neonröhre taucht die Küche in ein unnatürliches, steriles Licht. Das Brummen des Kühlschranks, kalte Fliesen unter den nackten Füßen. Nun die letzte und schwierigste Hürde, die Tür zur alten Diele.
Eine schwarze Halle, altes Holz das arbeitet knackt aus der Finsternis. Da, ich höre schweres atmen! Mein Herz pocht immer schneller. Ist es gekommen um mich zu holen? Ich halte die Luft an, schaue... es ist nur der Hund. Da ist nichts sage ich mir. Aber ich spüre da noch etwas anderes. Da ist etwas. Hitze steigt mir in den Kopf. Stille, nur der dröhnende Herzschlag in meinen Ohren.
Um die Ecke. Durch die Waschküche. Renn! Da die Tür. Ich bin drin! Tür zu!
Endlich da, wieso muss die Toilette auch am anderen Ende des Hauses sein? Ich beruhige mich etwas. Oh Gott, den ganzen Weg wieder zurück. Ich spinne ja wirklich, das ist doch nur ein altes Haus. Wieder in die Waschküche. Was war das?! Ein knacken hinter mir! Tausend Augen starren mich bedrohlich an! Ich fühle sie in meinem Rücken! Panik! Weg hier! Den ganzen Weg zurück. Einfach Laufen, bloß nicht stürzen. Das Bett! Unter die Decke! Hier bin ich sicher vor den namenlosen Kreaturen da in der Dunkelheit. Doch ich weiß dass sie warten...