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Eine halbleere Flasche Wein

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01.12.2002
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Eine halbleere Flasche Wein

Er schreckt auf.
Seine Haare, sein ganzer Körper, sogar die Decke ist nassgeschwitzt. Mühsam stüzt er sich auf einen Ellbogen und versucht seinen heftigen Atem zu beruhigen. Schreckliche Bilder blitzen immer wieder vor seinem Auge im dunklen Zimmer auf. Er presst die Augen zusammen. Öffnet sie wieder, steht auf und schaltet das Licht an.
Die Bilder kommen nicht mehr, und er fühlt zum ersten Mal, dass er völlig verschwitzt ist. Er seufzt tief, geht aus seinem Zimmer und tastet sich durch die dunkle Wohnung in die Küche. Es riecht nach Essensresten vom Abend. Er nimmt ein schmutziges Glas und schaut sich um. Auf der Ablage steht eine halbleere Flasche Wein. Er füllt sein Glas und geht damit zurück in sein Zimmer. Die Leute kommen ihm wieder in den Sinn. Er sieht sie vor sich, wie sie diskutieren, wie sie sich Gedanken machen. Er kann riechen wie sie stinken, die Gedanken. Der Geruch macht ihm Angst. Er erinnert ihn an die Zeit, als er auch noch dachte. Schnell setzt er das Glas an, und trinkt es in einem Zug aus.
Er schüttelt sich und verzieht das Gesicht, doch er spürt bereits die warme Dumpfheit des Weins in sich. Er stellt das Glas auf den Boden und lässt sich auf sein Bett fallen. Die Lampe blendet ihn. Er dreht sich zur Seite, schliesst die Augen, und schläft wieder ein. Morgen wird er sich hoffentlich nicht mehr daran erinnern.

 

Das zentrale Motiv für die Aufgewühltheit des anonymen Helden, scheint in dem Satz

"Die Leute kommen ihm wieder in den Sinn."

widergegeben. Jede weitere Ursache bleibt unerwähnt. Ausführlich beschrieben werden lediglich die Folgen dieses vorhergehenden Ereignisses.

Die Erzählung ist unter "Philosophisches" eingeordnet. Warum?


- "...seinen heftigen Atem", besser: "...sein heftiges Atmen" (also Tätigkeit, kein Gegenstand)

- "Schreckliche Bilder..." u.ä. sind inhaltsleere Aussagen. Was genau bereitet ihm denn Schrecken?

- "Er kann riechen wie sie stinken, die Gedanken.": "die"(?) Gedanken verfügen über keinen Geruch. Das, was diese Sensation in Ihm auslösen mag, sind wohl vielmehr die Assoziationen, die dieser mit jenen Gedanken jener anderen verknüpft. Auch hier finde ich die Beschreibung unzulässig verkürzt.

- "Er erinnert ihn an die Zeit, als er auch noch dachte.": Das heißt, dass er jetzt nicht mehr "denkt"? Aber denkt er nicht doch gerade an die Zeit, so wie sie früher war?

- Der Titel der Erzählung scheint völlig inhaltsleer.


gruß
philo

 

Ich sehe was du meinst. Zuerst: Warum Philosophie? Die Geschichte soll etwas über die Verdummung der Leute sagen. Ich weiss, dieser Begriff ist etwas schwammig, aber es ist nun mal schwer zu beschreiben. Meiner Meinung nach denken die Leute viel zu wenig über ihr Handeln nach. Ihr ganzer Tagesablauf besteht aus automatisierten Vorgängen, sogar wenn sie mit Leuten sprechen oder eine an sich "denkende" Arbeit machen müssen. Tatsächlich "bewusstes denken" gibt es immer weniger, dank Medien wie dem Fernsehen usw. die einem das selbständige Denken weitgehend abnehmen, was vielen Menschen scheinbar recht gelegen kommt. Somit sieht man auch, weshalb die "denkenden Leute" so schlimm für ihn sind, denn sie zwingen ihn dazu - wie du richtig festgestellt hast - selbst wieder zu denken.
Zum Titel: 1. Mit Wein betäubt er am Ende seine Gedanken und 2. mag ich guten Wein selber sehr gerne ;-)
und dankschön für die konstruktive kritik ;-)
lieber gruss
trassamar

 

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