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Eine Gelegenheit und keine Margeriten
Lächelnd reichte Karl den Topf mit Bohnenzöglingen über die Theke und sortierte das Geld in die Kasse. Sein Lächeln verschwand in dem Augenblick, als der Kunde vom Stand zurücktrat. Stattdessen erschien eine Furche zwischen seinen zusammengekniffenen Augenbrauen. Heute war es endlich soweit. Endlich konnte er beweisen, dass er Mike das Wasser reichen konnte und mindestens genauso gut dazu in der Lage war, Verantwortung zu übernehmen. Dann würde sein Onkel vielleicht endlich einsehen, dass er mehr kann, als Hecken beschneiden oder Unkraut jäten.
Sein Blick wanderte immer wieder zur Bank ein paar Meter die Straße runter. Die Bank stand genau vor einem großen alten Nussbaum und noch immer saß der Typ mit seinem Hund dort im Schatten. Abwesend ließ Karl die Gartenschere auf- und zuklappen. Da! Der Typ stand endlich auf und zog seinen Hund hinter sich her. Karl griff schon nach dem „Bin gleich wieder da“- Schild, als er sah, wie es sich ein Pärchen auf der Bank bequem machte. Mit einem entnervten Stöhnen schmiss er die Gartenschere vor sich auf den Tisch.
Was ist, wenn er das Paket nicht loswird? Oder was, wenn er die geheime Öffnung nicht findet? Wer zum Teufel platziert einen geheimen Briefkasten in der Mitte eines Marktes?
Sein Knie wippte, ohne dass er es merkte. Auf das Pärchen auf der Bank fixiert, bemerkte Karl gar nicht den potentiellen Kunden, der das Angebot aus verschiedenen Topfpflanzen, Setzlingen und Gartengeräten betrachtete.
Als das Pärchen Anstalten machte zu gehen, sprang Karl auf. Der potentielle Kunde schmiss erschrocken ein paar leere Blumentöpfe um, woraufhin Karl ihm einen finsteren Blick zuwarf. Die Person beschloss doch nichts zu kaufen.
Karl warf das „Bin gleich wieder da“ - Schild zwischen die Kräuter-Töpfe und machte sich auf den Weg zu dieser Bank. Er setzte sich und atmete flach. Sein Blick glitt über die Stände und Marktbesucher, die die Straße entlang gingen. Er bemühte sich, möglichst finster auszusehen, sodass niemand auf die Idee kam, ihm vielleicht Gesellschaft zu leisten.
Er rutschte an das rechte Ende der Bank und befummelte die Verkleidung, um den versteckten Schalter zu finden. Nichts passierte. Falsche Seite? Falsche Bank? Karl beäugte die Umgebung und rutschte dann auf die linke Seite der Bank. Eine buschige Heckenkirsche versperrte ihm jetzt die direkte Sicht auf den Markt. Es machte Sinn, dass das Geheimfach auf dieser Seite der Bank war, denn auch er konnte jetzt von der Straße aus nicht mehr genau gesehen werden. Fahrig fuhr Karl über die Verkleidung an der Außenseite der Bank. Wieder nichts. Innen vielleicht? Karl beugte sich vor, um mit seiner Hand noch weiter unter die Bank zu kommen. Da war es. Irgendetwas gab unter seinen Fingern nach.
„Keine Bewegung!“
Das erste, was Karl sah, waren schwarze, dreckige Schuhe und der Saum eines dunklen Mantels. Erschrocken richtete Karl sich auf. Wenige Meter von ihm entfernt hatte ein Mann seine Hände in den Manteltaschen und richtete von dort aus etwas Spitzes auf ihn. Karl bekam große Augen und starte den Fremden ungläubig an. Eine Waffe? In einer Manteltasche? Ernsthaft? Der Mann tat entschlossen einen Schritt und Karl war mit einem Satz auf den Beinen und hinter der Bank.
„Keine Bewegung, hab ich gesagt!“
Karl sah sich hektisch um - eine weitere Personen auf der Straße blickte ihn an und kam auf ihn zu. Wohin? Nach oben! Als der Mann noch damit beschäftigt war, die Bank zu umrunden, war Karl schon den halben Stamm hochgeklettert. Mit geübten Fingern fand er die richtigen Furchen in der Rinde und wenige Sekunden später zog er sich auf den ersten Ast drei bis vier Meter über dem Boden. Er griff direkt den nächsten und nächsten, bis er vor lauter Blattwerk den Polizisten unter sich nicht mehr sehen konnte. Oh Gott, was würde Mike sagen? Und erst sein Onkel? Er hat das Paket noch nicht abgeliefert. Die Polizei wusste, wie er aussah. Waren das überhaupt Polizisten? Unter sich hörte er aufgeregte Stimmen. Verzweifelt kletterte er immer höher, doch das Gefühl von Freiheit, das er sonst beim Klettern spürte, wollte sich nicht einstellen. Ganz und gar nicht.
***
Sie liebte Margeriten. Mit Margeriten konnte er sie immer besänftigen. Doch dieser verdammte Blumenladen hatte keine. Überhaupt gab es hier wenig Blumen. Vic hatte eine halbe Stunde nach einem Blumenladen gesucht, bevor er den Marktplatz fand und erfreut diesen Stand mit Pflanzen erblickte. Hier gab es Sträucher in Kübeln, Kräuter in kleinen Töpfen und Gemüsepflanzen, die man zu Hause in einen Garten pflanzen musste, und alles mögliche an Gartengeräten. Vic hatte gar keinen Garten.
Missmutig studierte er die Auslage - vielleicht gab es ja doch irgendwo einen Topf mit einer blühenden Pflanze oder etwas, das bald blühen würde? Er konnte auf keinen Fall mit leeren Händen nach Hause kommen. Nicht, wenn sie heute wieder einen miesen Tag auf Arbeit hatte. Er griff nach einem Pflänzchen mit hübschen, hellgrünen, gezackten Blättern. Vic setzte an, den Verkäufer zu fragen, um was für eine Pflanze es sich handelt, als dieser hochfuhr und so aussah, als würde er direkt über die Theke springen. Vor Schreck ließ Vic das Töpfchen fallen, was einen Dominoeffekt unter den aufgereihten leeren Blumentöpfen auslöste. Oh Gott. Die junge Mann sah wirklich wütend aus. Das gibt Ärger. Vic hob entschuldigend beide Hände, trat einen Schritt zurück. Der junge Mann sagte kein Wort, sondern platzierte ein Schild mit der Aufschrift „Bin gleich wieder da“ direkt vor ihm.
Vic blickte das Schild verdattert an. Offensichtlich hatte er nun auch diesen Ladenverkäufer verärgert. Das war heute irgendwie nicht sein Tag. Da tauchte der Mann neben ihm zwischen den Ständen auf und Vic bereitete sich schon auf eine Auseinandersetzung vor. Doch der junge Mann würdigte ihn keines Blickes und ging einfach die Straße hinunter. Glück gehabt. Na gut, wenn es hier keine Margeriten gab, musste er einen anderen Laden finden. Das kann ja nicht der einzige Blumenstand auf diesem Markt sein.
Er setzte sich in Bewegung und sein Fuß kickte einen der leeren Blumentöpfe über das Pflaster. Mit rotem Kopf hob er diesen Blumentopf sowie zwei weitere vom Boden auf. Er schämte sich etwas, nicht gleich daran gedacht zu haben, und beschloss, alle umgefallenen Blumentöpfe wieder aufzustapeln. Das gehörte sich einfach so.
Er sortierte gerade den letzten Blumentopf in den Stapel, als die hintere Ladentür wieder geöffnet wurde. Zwei Männer betraten den Laden. Einer begann Schränke zu öffnen und Dinge daraus auf den Boden zu werfen. Der andere verrückte Blumentöpfe, um dahinter zu sehen, und achtete nicht auf die, die er dabei umwarf.
„Hey, was machen Sie denn da?“
Einer der Männer zeigt Vic wortlos seine Dienstmarke, währende der andere gerade den gesamten Inhalt einer Schublade auskippte. Wo waren ihre Uniformen? Vic blickte missbilligend von einem Man zum nächsten und dann die Straße hinunter. Er setzte sich in Bewegung. Selbst, wenn sie nur ihren Job machten, könnten sie das doch tun ohne den Laden oder die Waren darin zu beschädigen, oder? Vic entdeckte den jungen Gärtner. Er stand hinter einer Bank nicht weit weg und Vic beschloss, ihn zu warnen. Zumindest könne er damit sein Ungeschicklichkeit wieder gut machen. Da sprang der junge Mann plötzlich an den Stamm des Baumes und kletterte ihn mit unglaublicher Geschwindigkeit empor.
Vic stockte in seinem Schritt. So etwas hatte er noch nie gesehen. Der junge Gärtner war verschwunden, nur die Krone des Baumes wackelte hier und da und zeigte an, wie weit nach oben der Kletterer schon gekommen war.