- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Eine Frage des Charakters
Ich stand vor der Tür des Personalbüros und vergewisserte mich ein letztesmal meiner tadellosen Erscheinung. Nachdem ich keinen Makel an mir bemerkte, klopfte ich an, wartete einen Augenblick und trat ein.
Nichts wollte ich dem Zufall überlassen. Gewissenhaft hatte ich mich auf Fragen bezüglich meiner Person, meiner fachlichen Kompetenz und meiner beruflichen Qualifikation vorbereitet.
Eine hagere Gestalt, weiche Gesichtszüge, warf mir freundliche Blicke zu und forderte mich auf Platz zu nehmen.
„Guten Morgen“ sagte ich freundlich und erwähnte meinen Namen.
„Guten Morgen, mein Name ist Maibaum, mir ist es überlassen worden, Mitarbeiter für die Firma einzustellen."
Sein herzhaftes freundliches Lächeln gefiel mir und ich glaube, daß ich schon in diesem Augenblick wusste, daß ich sein Wohlwollen hatte.
„Ich werde Ihnen sagen, worauf es in unserer Firma bei“ Ihren Mitarbeitern ankommt, welche Personen wir für uns in Betracht ziehen.
Maibaum fingerte einen Putzlappen aus einer seiner Schubladen und warf ihn mir zu.
„Währenddessen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie schon einmal Ihren Fleiß unter Beweis stellen und ein wenig meine Fensterscheiben
reinigen würden“
Ich war ein etwas verdutzt, wollte aber diesen Arbeitsplatz um nichts auf der Welt gefährden.
Ich sprang auf und machte mich an die Arbeit.
„Selbstbehauptung und Souveränität sind
Eigenschaften, die jeder Arbeitnehmer, sozusagen als Grundausstattung mitbringen sollte. Duckmäuser brauchen wir nicht!“
Eifrig befreite ich seine vom Schmutz und Nikotin verunreinigten Scheiben.
„Selbstwertgefühl und Selbstachtung sollten Teil Ihrer Persönlichkeit sein!“
Ich nickte und entfernte die Schlieren.
„Hier zu arbeiten, ist eine Frage des Charakters, verstehen Sie?
Maibaum deutete mit einer Handbewegung auf den halbvollen Aschenbecher und forderte mich auf ihn zu leeren.
Ein wenig verwundert war ich schon darüber, aber ich spürte, wie ich den Personalchef auf meiner Seite hatte, stellte keine Fragen und erledigte die Sache.
„Wie steht es mir Ihrer Menschenkenntnis?“ wollte er wissen.
„Bestens, Herr Maibaum, bestens!“
Ich fühlte mich sicher und ging in die Offensive.
„Ich weiß, was sie meinen Herr Maibaum, sie wollen einen Menschen, der sich nicht unter Wert verkauft, nicht klein beigibt und jemanden, der in der entscheidenden Situation, das richtige tut?“
Er nickte und gab mir zu verstehen, daß das Gespräch beendet sei und ich bald von ihm hören werde.
Ich war froh.
Daß es so hervorragend läuft, hätte ich nicht erwartet. Erleichtert atmete ich auf und verließ das Gebäude.
Wie Maibaum schon sagte: „Alles eine Frage des Charakters".