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Eine Frage der Kontrolle
Eine Frage der Kontrolle
"Kommen Sie bitte hier entlang." Der Assistent im weißen Kittel, der sie vom Tor über das Gelände geleitet hatte, zeigte auf eine grünlackierte Eisentür.
Drinnen war das Licht gedämpft und mehrere Reihen gepolsterter Stühle standen bereit. Auf einem Tisch vor der Stirnseite des Raumes reihten sich Versuchsanordnungen aneinander. Dazwischen waren ein Overheadprojektor und ein aufwendiger Computer platziert.
"Nehmen Sie bitte Platz."
Die Tür öffnete sich, und ein weiterer Mann in einem weißen Laborkittel betrat den Raum. Der Professor begrüßte die Gäste. "Haben Sie es sich bequem gemacht? Einen Moment, ich beginne sofort."
Er ging zu einem Tisch an der rechten Seite der Leinwand, ordnete umständlich einige Papiere und rückte seine Brille zurecht, während er sich zuerst an dem Assistenten und dann der Gruppe zuwandte.
"Schalten Sie bitte den Projektor ein. Vielen Dank. Hier sehen Sie eine Vergrößerung des Moduls, das ich entwickelt habe.
Im ersten Versuchsstadium wurde es weißen Mäusen implantiert. Ich bevorzuge dabei den Platz zwischen den Schulterblättern. Dieses Modul hat vielfältige Verwendungsmöglichkeiten: Das zunächst vorrangige Anwendungsgebiet war Bewegungskontrolle.
Mit Hilfe des Moduls war es uns möglich, jede noch so kleine Bewegung zu registrieren und im Computer zu speichern. Im nächsten Stadium wurden weitere Sensoren entwickelt, die uns Daten über Körpertemperatur, Blutdruck und Intensität der Hirnströme lieferten.
Der Computer ist nun in der Lage, Auskunft über den jeweiligen Gemütszustand des Kontrollobjekts zu geben.
Hier sehen Sie nun eine Graphik, die die Reaktion und die Emotionen der Kontrollobjekte bei Konfrontation mit verschiedenen Situationen darstellt. Hier sieht man zum Beispiel das Phänomen der Freude aufgrund von Erfolg.
Hier, in der zweiten Spalte, sehen Sie, wurde die Graphik zum Phänomen der Enttäuschung vereinfacht wiedergegeben. Aus einer Vielzahl derartiger Strukturen ergibt sich dann ein Gesamtbild der Reaktionen und Emotionen eines Kontrollobjekts.
Unsere Forschungen auf diesem Gebiet sind beinahe fertiggestellt. Im Augenblick führen meine Assistenten und ich noch die abschließenden Versuche durch.
Aber die Anwendung meines Moduls ist noch weit vielfältiger: Langjährige Forschungsarbeiten haben es mir ermöglicht, Reaktionen, Emotionen und Gedanken nicht nur zu registrieren, sondern sogar zu kontrollieren.
Das Modul kann durch die gezielte Abgabe von Stromstößen niedriger Spannung die Nervenbahnen im Rückenmark steuern und sogar auf Denkprozesse Einfluß nehmen, beziehungsweise sie lenken.
Ich möchte allerdings darauf verzichten, an dieser Stelle auf die Einzelheiten dieses komplexen Vorgangs einzugehen.
Wir haben unsere Studien, wie bereits erwähnt, beinahe abgeschlossen. Es folgen lediglich einige ergänzende Experimente zur Absicherung.
Mit geringem Aufwand ist es mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung möglich, die erzielten Ergebnisse auf andere Fälle und andere Kontrollobjekte zu übertragen. Die Anwendung meiner Forschung ist nahezu unbegrenzt..."
"Was bedeutet 'unbegrenzt' in diesem Zusammenhang? Würde das bedeuten, Sie könnten sich eventuell vorstellen, dieses Modul nicht nur bei Mäusen anzuwenden? ..."
Auf der Leinwand entstand in diesem Moment ein weiteres Stück der Graphik, das die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog, und so blieb die Frage unbeantwortet.
Zufrieden betrachtete der Professor den Computerausdruck, der gerade entstand.
Mit einer energischen Handbewegung riss er die Seite ab, entfernte die Lochkante und legte den Bogen zuunterst in die Mappe mit der Aufschrift "Reaktionen auf Test 21"
"Soeben hat der Computer die Auswertungen der abschließenden Tests geliefert. Ich bin mit dem Ergebnis meiner Arbeiten hoch zufrieden. Ich darf mich jetzt von Ihnen verabschieden. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn wir in Zukunft öfter zusammenarbeiten würden. Ich lasse Sie wissen, wenn ich Sie brauche. Auf Wiedersehen."
Alle verließen den Laborraum. Auf dem Tisch lag noch ein Formular für ein Versuchsprotokoll:
"Test 21: Reaktion auf die indirekte Konfrontation mit der Realität ;
voraussichtlich: Unverständnis, eventuelle Zweifel ; undefinierbare Angstgefühle ; Verstörtheit" Dahinter ein Haken, schnell hingeworfen, mit einem Kugelschreiber. Und das Datum von heute.
[ 02.06.2002, 23:06: Beitrag editiert von: arc en ciel ]