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Eine Frage der Erziehung

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03.08.2003
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Eine Frage der Erziehung

Als der Mann die Gaststätte betrat, wusste ich sofort, dass es Ärger geben würde. Sein gehetzter Blick, die hochgezogenen Schultern, der kleine Junge, der hinter ihm mit herausgestreckter Brust ins Lokal marschierte – alles zusammen ließ die Alarmsirenen in meinem Kopf schrillen.
Die beiden, vermutlich Vater und Sohn, setzten sich an einen Ecktisch. Die wenigen anderen Gäste, zwei ältere Damen bei ihrem sonntäglichen Nachmittagsschwätzchen und eine Familie, die in irgendeiner fremdländischen Sprache parlierte, beachteten die Neuankömmlinge nicht. Ich war gewarnt und beobachtete.
Eine Kellnerin fragte den Mann nach seinen Wünschen. Auf die Frage, welches Eis sie hätten, musste sie zugeben, dass nur Bananensplit im Angebot sei, leider, wie sie mit einem Schulterzucken hinzufügte.
„Ich will aber Schokoladeneis!“, rief der Junge und erst nach langem Zureden ließ er sich dazu erweichen, das Bananensplit zu versuchen.
Als die Kellnerin verschwunden war, gefiel es dem Jungen, auf den Stuhl zu klettern und seine Schuhe an dem Polster zu reinigen. Ich konnte sehen, wie jetzt auch die anderen Gäste allmählich aufmerksam wurden. Die Ausländer waren verstummt und sandten irritierte Blicke in Richtung der Beiden. Die Damen schüttelten die Köpfe.
„Komm da runter“, sagte der Vater. Den Atem hätte er sich sparen können. Der Junge begann auf dem Stuhl herumzuhopsen und der Vater sah in den Raum und hob die Schultern, als wollte er sagen: Ja, so sind sie eben. Da kann man nichts machen.
Was der Vater nicht schaffte, bewirkte das Eis, das die Kellnerin nun brachte. Sohnemann kam von seinem Stuhl herunter und machte sich darüber her. Eine Weile war nur Schlürfen und Schmatzen zu hören. Ich entspannte mich etwas.
„Pappi, welches Tier ist größer, eine Giraffe oder ein Wal?“ hörte ich den Jungen mit durchdringender Stimme fragen. Ich überlegte kurz. Natürlich ein Wal.
„Ein Wal“, sagte der Vater.
„Stimmt ja gar nicht, stimmt ja gar nicht!“, trompetete der Sohn und lachte darüber, dass er seinen Vater mit dieser Fangfrage hinters Licht geführt hatte.
„Die Giraffe hat doch einen viel längeren Hals“, erklärte er.
„Da hast du auch wieder Recht“, sagte der Vater.
Hast du nicht, dachte ich rechthaberisch.
Das Söhnchen begann sich nun offensichtlich zu langweilen. Es stand auf und rannte durch die Gaststätte. Hin und zurück. Hin und wieder zurück. Mit ausgebreiteten Armen. Dazu machte es Geräusche. War er jetzt ein Flugzeug? Wenn ja, dann war der Pilot noch ein Anfänger. Eine der Tragflächen kam der Kaffeekanne auf dem Tisch der alten Damen zu nahe und streifte sie. Die Kanne geriet aus dem Gleichgewicht, überlegte eine Weile und gab dann dem Werben der Schwerkraft nach. Ein brauner See ergoss sich über das blütenweiße Tischtuch.
„Aber Denni“, flüsterte der Vater entsetzt, während sein Sohn an ihm vorbeisauste.
„Die armen Lehrer, die können einem Leid tun, bei solchen Kindern“, giftete eine der Damen, und tupfte hektisch mit einer Serviette an sich herum. Der Vater bekam einen roten Kopf. Die Kellnerin wechselte das Tischtuch, während der Junge sie umkreiste als wäre sie der Tower eines Flugplatzes.
„Das macht doch nichts“, sagte die Kellnerin, doch ihr Gesicht strafte ihre Worte Lügen. Die Mundwinkel waren verbittert nach unten gezogen und ich konnte geradezu hören, was sie dachte: Wenn ich die Mutter von diesem Bengel wäre, dem würde ich zeigen, wo der Hammer hängt. Was ist der Vater bloß für eine Pfeife?
Ich war der gleichen Meinung wie sie, um so mehr, als ich jetzt mit ansehen musste, wie das Kronsöhnchen zwar seine Flugmanöver abgebrochen und sich wieder hingesetzt hatte, jedoch entschlossen den Salzstreuer ergriff und Tisch und Umgebung großzügig würzte. Dabei beobachtete es mit schalkhaftem Augenaufschlag seinen Papi. Was würde der wohl jetzt tun? Ärgerte er sich?
„Lass das“, sagte Papi vage.
So angespornt schüttelte der Junge den Salzstreuer als wäre es eine Rassel und zappelte im Rhythmus imaginärer heißer Rhythmen dazu. Ein Strahl feiner weißer Körnchen rieselte über Tisch und Fußboden.
Das Wunder geschah. Dem Vater riss der Geduldsfaden. Er machte etwas Unerhörtes. Er packte die Hände seines Sohnes und hielt sie fest.
Das hätte er nicht tun sollen. Vor lauter Schreck über diese nie dagewesene Behandlung begann der Sohn zu plärren und seine Stimme war so kraftvoll und durchdringend, dass auch der letzte Koch in der hintersten Ecke der Küche und die taube Oma in ihrem Dachstübchen drei Etagen über der Lokalität aus ihrem Dösen aufschrecken mussten.
Augenblicklich ließ der Vater seinen Sohn los und hob beschwörend die Hände, seine Stimme zu erheben hätte vermutlich wie das Piepsen einer Maus gegenüber den Posaunen von Jericho gewirkt.
Seine Zaubergesten hatten jedoch nichts Magisches an sich. Sein Sohn plärrte weiter.
Nichts erregt mein Mitgefühl so sehr wie ein erfolgloser Zauberer. Ich ging hin und schlug den Jungen k.o.
Er hatte es verdient und der dankbare Blick des Vaters war mir Lohn genug.

 

Hallo Sturek,

Du hast die Szene schön beschrieben, bildhaft und für mich auch mühelos nachzuempfinden. Aber. Eine Satire ist das für mich nicht, da bringt auch Dein K.O.-Schlag keine Rettung.

Ausländer waren verstummt und sandten irritierte Blicke in Richtung der beiden.
Beiden

Papi

Dennoch gern gelesen, Schriftstehler

 

Hallo Schriftstehler und Minotaurus,

erstmal danke für eure Kritik.

@ Schriftstehler:
Ich habe versucht ein Fehlverhalten übertrieben darzustellen, nämlich die laxe Erziehung des Sprösslings. Reicht das für eine Satire nicht?

@ Minotaurus:
Geschichten über ungezogene Gören gibt es sicher zu Hauf. Auch Kolumbus war nicht der Erste. Ich hatte aber keine bestimmte Vorgängergeschichte im Sinn, als ich die Story schrieb. Es waren eigene Beobachtungen.
Das Ende ist etwas abgehackt, da gebe ich dir recht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Steigerung der Übertreibung im Mittelteil zu wünschen übrig lässt. Mal sehen, was mir da noch so einfällt.

Grüße
Sturek

 

Hi Sturek!

Ich habe versucht ein Fehlverhalten übertrieben darzustellen, nämlich die laxe Erziehung des Sprösslings. Reicht das für eine Satire nicht?

Nein. Satire beleuchtet allgemeine gesellschaftliche Probleme und negative Erscheinungen. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass Vater und Sohn stellvertretend für die Gesellschaft stehen. Deshalb wäre bestenfalls die Humorrubrik geeignet für die Geschichte. Wenn man sich die Pointe wegdenkt und einen anderen Schluss daransetzt, dann geht vielleicht noch Alltag.

Das Hauptproblem: Der Hergang ist so langweilig erzählt, dass ich den Text stellenweise nur überflogen habe. Du wirst ja sicher etwas über den Grundsatz "Show, don't tell" wissen. Wende ihn mal auf diesen Text an. Was soll da noch an Emotionen rüberkommen, wenn sich alles liest wie: "Dann passierte das und dann passierte das und dann passierte das und dann ..."?
Auch die wörtliche Rede, die das ab und zu durchbricht, tritt viel zu selten auf, um da noch etwas rauszureißen.
Deine Sätze sind so langatmig und behäbig, dass sie jede Spannung, jede Neugier auf das Folgende killen.

Helfen können hier mehr direkte Rede und kürzere Sätze. Ich bevorzuge bei humororientierten Geschichten nicht umsonst die Dialogform, durchsetzt mit Stakkatosätzen.

Was den Inhalt angeht: Den fände ich auch für eine Humorgeschichte ein wenig lahm, die Pointe am Ende ist nun wirklich kein Knalleffekt. Aber das fällt dann in den Bereich, den man gemeinhin als "Geschmackssache" bezeichnet. ;)

Lass den Text erst mal nach "Humor" verschieben. Dort wird man dir eher weiterhelfen können, weil er dann eben als einfache Humorgeschichte gelesen wird und nicht als Satire. Hier wird man dir nur vorhalten, du hättest die Kriterien verfehlt.

Ciao, Megabjörnie

 

Hallo Megabjörnie,

vielen Dank auch für deine ehrliche Kritik.

Ich muss ich dir leider recht geben. Die Geschichte plätschert über weite Teile so vor sich hin. Der Ich-Erzähler ist bis auf den Schluss reiner Beobachter. Mal sehen, wie ich da noch etwas Pepp und Dialoge reinbringe. Da muss ich wohl die Geschichte komplett überarbeiten, und das kann dauern.
Eine Satire ist sie meiner Meinung nach aber trotzdem, wenn auch sicher eine schlechte.
Ist es zum Beispiel gesellschaftlich relevant, wenn Kishon mit seiner Frau im Kaufrausch durch den Supermarkt jagt? Das sind doch allgemeine menschliche Schwächen, die oft in Satiren aufs Korn genommen werden.

Gewisse Auswüchse moderner antiautoritärer Erziehung sind auch bestimmt kein Einzelfall.

In Wikipedia heißt es denn auch über Satiren:
„... ist eine Spottdichtung, die mangelhafte Tugend oder gesellschaftliche Missstände anklagt.
...Es ist daher unmöglich, sie scharf von der Komik, der Parodie und der Polemik zu trennen.“

Grüße
Sturek

 

"Simmt ja gar nicht
Stimmt
"Da hast du auch wieder recht", sagte der Vater.
Recht groß
Hi Sturek,
wo genau ist hier die Satire bitte?
Gut, dieser Satz:
Ich ging hin und schlug den Jungen k.o.
ist ziemlich witzig, weil er relativ unerwartet kommt, aber sonst?
Außerdem hast du das Ende vermurkst. Sorry.
:heilig: Bruder Tserk

 

Hallo Tserk,

da hast du tatsächlich noch einige Fehler entdeckt. Danke dafür und für die Kritik.
Die Satire besteht für mich darin, dass hier in übertriebener Form dargestellt wird, wie sich manche Leute von ihren Kindern auf der Nase rumtrampeln lassen und ihnen alles erlauben.
Wieso habe ich das Ende vermurkst? Den K.O. Schlag fandest du doch sogar witzig.

Grüße
Sturek

 

Wieso habe ich das Ende vermurkst? Den K.O. Schlag fandest du doch sogar witzig.
Na ja, der wahr relativ witzig, aber als Schluss sitzt er nicht. Oder vllt doch, dann aber den letzten Satz weg. Oder ... ach, dir wird schon was einfallen :)
:heilig: Bruder Tserk

 

Hallo Sturek,

die Diskussion, ob deine Geschichte " keine Satire" oder eine "schlechte Satire" (O-Ton deiner Einschätzung) ist, halte ich noch nicht für beendet.

Sicherlich hast du schon in der Zwischenzeit einen Blick in die Hinweise "Was gehört in dieses Forum" getan, aber mir scheint, noch nicht gedanklich bis zum Ende umgesetzt.

Satire ist fast immer Zeit- oder Gesellschaftskritik – allerdings mit einem speziellen „Twist“. Der Satiriker will durch Verfremdung verschiedenster Art bestimmte Mißstände aufzeigen und anprangern.

Dies ist nur ein kleines Zitat, um daran anknüpfen zu können. Anhand eines ebenfalls dort dargestellten Textbeispieles erhellt es sich vielleicht sogar noch mehr für dich.

Deine Geschichte zeigt m.E. nur auf, was in der Realität schon mal jeder von uns erlebt und ertragen hat. Der von dir geschilderte Sachverhalt ist aus meiner Sicht weder überzogen noch zugespitzt worden, sondern könnte genauso passiert sein.
Du schilderst somit nur eine Begebenheit aus dem alltäglichen Leben und das allein reicht für eine Satire nicht aus.
Diese lebt von der Verzerrung, der Verfremdung. Genau das fehlt aber in deiner Geschichte.
Sie wäre z.B. verzerrt oder verfremdet, wenn das Kind am Ende, weil es der Vater an jeglichen erzieherischen Maßnahmen scheitern lässt und auch sonst keiner sich traut, dier Herrschaft über das Lokal übernimmt. Das Mobilar zerlegt ist, die Gäste nur durch Zahlung von Lösegeld sich aus dem Lokal entfernen dürfen und das Kind verlangt, dass das Personal ihm huldigt. Das wäre eine Form der Übertreibung, die in der Satire möglich wäre und auch zur Anwendung gelangt.

Ich habe schon desöfteren versucht, das Merkmal einer Satire wie folgt so zu beschreiben: eigentlich besteht die Satire aus zwei Geschichten. Einer, die man vordergründig liest. Also in meinem Beispiel, das Kind, dass alles tyrannisiert, terrorisiert und in seinen Bann schlägt. Also eher eine Art Fiction, denn so ein Kleinkind kann im realen Leben das ja noch nicht. Das wäre die eine Geschichte. Dahinter stünde dann die wahre Bedeutung dessen, was der Autor aufs Korn nehmen will, also die andere Geschichte. Er will kritisieren, dass manchen Eltern der Bezug zur Erziehung ihres Kindes entgleitet oder gänzlich fehlt.
Im Grunde erzählt der Autor somit zwei Geschichten, eine, die man buchstabengetreu lesen kann und eine, die sich dahinter sinngemäß verbirgt.

Dadurch entsteht eine Satire.
Deine Geschichte hat schlicht nur die Bedeutung, die man auch lesen kann, ohne, dass sich noch etwas im Hintergrund Stehendes aufdrängt, weil schon alles an Aussage in der Geschichte selbst unter gebracht ist.

Aus genau diesem Grunde werte ich deine Geschichte nicht als Satire.
Ich würde deinen Text hier stehen lassen, als Beispiel dafür, was keine Satire ist, weil ich glaube, dass es gar nicht so einfach ist, zu definieren und abzugrenzen. Ich bin aber ebenso gerne bereit, deine Geschichte in ein anderes Forum zu verschieben, wenn du es möchtest.


Noch eine Kleinigkeit Textkritik: der Anfang ist etwas spröde aus meiner Sicht. Ich habe zweimal drüber gelesen und mir gedacht: "Kann man als Zuschauer wirklich gleich am Anfang, beim Anblick von Vater und Sohn sowas wie die Alarmglocken schrillen hören? Es ist doch noch gar nichts passiert."
Ich hätte es besser gefunden, wenn du mehr beschrieben hättest, weshalb der Erzähler hier ein mulmiges Gefühl auf der Stelle empfindet und Ärger wittert. Ich glaube nämlich, dass man in der Realität nicht so schnell so heftig reagiert.
Ansonsten fand ich den Rest der Szene selbst recht gut nachvollziehbar geschildert.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Lakita,

erst mal vielen Dank, dass du dich so ausführlich mit der Geschichte auseinandergesetzt hast. Es scheint wirklich recht schwierig zu sein, das Gebiet der Satire gegen Anderes abzugrenzen.
Wenn du also meine Story als Negativbeispiel hier stehen lassen möchtest, habe ich nichts dagegen (obwohl das nun wirklich nicht meine erzählerische Absicht war :D )
Auf alle Fälle werde ich noch an der Story arbeiten, wenn es auch wegen Zeitmangel etwas dauern wird.
Zur Satire fehlen also noch die Übertreibungen. Ich hatte zwar zum Schluss einige absurde Dinge eingebaut, die gehen aber wohl in die falsche Richtung und über weite Strecken könnte es wirklich so gewesen sein wie geschildert, da stimme ich dir zu.
Den Anfang hatte ich ursprünglich ausführlicher geschrieben. Mal sehen, was ich da noch machen kann.

Puh, Satire ist gar nicht so einfach! :hmm:

Grüße
Sturek

 

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