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Eine Flugente will Lehrer werden
Es war einmal eine Flugente, die war fleißig und schlau, aber schüchtern. Ihr größter Wunsch war es, Flugentenlehrer zu werden. Dafür musste man die Flugentenlehrprobe bestehen, die einmal pro Jahr stattfand und an der schon viele eifrige Enten gescheitert waren. Der Flugentenlehrer sollte dabei eine Klasse junger Enten zum Fliegen animieren, mit ihnen vom Weizenfeld starten, quer über den See fliegen und auf der anderen Seite des Sees sicher im Wasser landen.
Die Flugente hatte nächtelang einstudiert, was alles getan werden musste, um Flug und Landung zu meistern: zuerst musste man den Weg genau kennen, also über Start- und Zielort, ihre Beschaffenheit und eventuelle Hindernisse Bescheid wissen. Dann musste man beim Start viel Schwung holen, um schnell an Höhe zu gewinnen und sich nicht in der hohen Uferböschung am Ende des Weizenfeldes zu verfangen. Zuletzt war es wichtig, das Gefieder vorher gründlich eingefettet zu haben, um nach der Landung im See nicht schutzlos der Kälte des Wassers ausgesetzt zu sein.
Eine ganze Woche bereitete sich die Flugente auf die Flugentenlehrprobe vor. Mit einem Federkiel, den sie aus ihrem Hinterbürzel gezogen hatte, schrieb sie jeden einzelnen Schritt auf. Doch die Ente machte sich große Sorgen, etwas Wichtiges zu vergessen und sie wollte für jeden Fall und jedes Problem gewappnet sein, das auftreten könnte. Deshalb schrieb und schrieb sie und ihr Plan für die Flugentenlehrprobe wurde lang und länger.
Dann kam der Tag der Flugentenlehrprobe. Die Ente hatte nachts vor Aufregung kaum schlafen können und erhob sich mit einer Mischung aus Müdigkeit und ängstlichem Herzklopfen aus ihrem Nest. Schnell griff sie ihren eng beschriebenen Plan und eilte zum Weizenfeld. Dort warteten bereits eine Schar junger, munterer Flugentenschüler und zwei graue Schwäne von der Flugentenschulaufsicht, die unsere Flugente streng anschauten und mit Federkielen in ihren Notizbüchern kritzelten.
Unserer Ente begannen die gelben Füße zu zittern. Immer wieder blickte sie auf ihren Plan und quakte leise Befehle an ihre Schüler, die sich fragend anschauten, denn selbst das Rauschen der Weizenären übertönte die Ansagen der Flugente. Mit hektischen Bewegungen und verzogenem Schnabel erklärte sie umständlich, was die Schüler alles zu beachten hätten und diese wiederum prompt vergaßen, als sie sahen, wie in der Ferne eine andere Flugentenschülergruppe von einem Ausflug wiederkehrte. Aufgeregt schnatterten sie untereinander und unsere Flugente hatte große Mühe, sie endlich zum Start zu bewegen.
Aber kaum waren sie abgehoben, verfingen sich die ersten Flugschüler in der Uferböschung, denn die Flugente war zu sehr mit ihrem Plan beschäftigt, den der Wind um ihren Schnabel geweht hatte. Die zwei grauen Schwäne blickten einander kurz an und kritzelten daraufhin weiter in ihre Notizbücher. In der Luft flogen die Schüler durcheinander und in verschiedene Richtungen, denn Flugbefehle unter Enten müssen kurz und laut sein, die der Flugente hingegen waren umständlich und gingen im Flugwind völlig unter. Nur wenige Flugschüler landeten am Zielort vor der anderen Uferseite und es dauerte eine ganze Weile, bis die restlichen eintrudelten.
Doch welch ein Anblick bot sich den zwei grauen Schwänen, als sie die Flugentengruppe erreichten! Die Flugschüler schlotterten am ganzen Entenleib, denn keiner von ihnen war von der Flugente darauf hingewiesen worden, sein Gefieder vor dem Abflug gut einzufetten. Die Flugente hingegen war damit beschäftigt, ihren großen Plan zusammenzufalten, der vom Wasser nass geworden war und ihr nun zwischen den Federn klebte. Einer der grauen Schwäne befahl der ganzen Entenschar, ihm zu folgen, und schwamm zügig mit ihnen ans trockene Ufer.
Dort verabschiedete unsere Ente die Schüler, die selbst ganz betroffen dreinschauten, als sie die Blicke der Schwäne und der Flugente sahen. Sie quakten brav zum Abschied, bevor sie zurück nach Hause flogen. Der Flugente befahlen die Schwäne, sich ins Gras zu setzen und zuzuhören. Die Prüfung zum Flugentenlehrer, sagte der eine Schwan und hob mahnend den Flügel, die habe die Ente nicht bestanden. Nein, meinte der andere Schwan, und man könne von Glück reden, dass kein Flugschüler zu Schaden gekommen sei! Ob sie sich noch erkälteten, das würden die nächsten Tage zeigen. Unserer Ente empfahlen sie, den Traum vom Beruf des Fluglehrers aufzugeben und stattdessen in der Kissenfabrik im Wald anzufangen. Dort gäbe es eine ordentliche Bezahlung und es koste jeden Mitarbeiter nur wenige Federn pro Woche. Die Flugente nickte, erhob sich, dankte den Schwänen leise und trottete heim.
Auf dem Weg kam die Ente an einem Bauernhof vorbei. In der Entengemeinde wussten alle, dass der Bauernhof ein Ort war, um den man einen großen Bogen machen musste! Dort gab es Menschen, die waren unheimlich, und es gab Tiere, von denen manche freundlich, aber andere auch sehr gefährlich waren. Die Ente ging langsam auf das große Tor zum Hof zu und setzte sich hin. Dann begann sie, lang und ausdauernd zu quaken. Sie reckte ihren Hals empor und quakte so eine ganze Weile, da fing ein Hund an zu bellen. Durch ein Fenster im Bauernhaus hörte man Menschen sprechen und eine Katze schlich an der Hofmauer entlang.