Eine etwas andere Schulgeschichte
Montagmorgen, erste Stunde. Die Schüler sitzen in ihren Klassenräumen, der Lehrer kommt. „Na, was habt ihr am Wochenende so gemacht?“
„Aber Herr Lehrer, wollen wir direkt mit dem Stoff anfangen? Können wir uns nicht erst ein wenig über Polynomdivison oder die Kantsche Philosophie unterhalten?“
„Pass mal auf, Fritz“ sagt Herr Blau: „Wir haben heute noch einiges zu leisten, die Zeit ist ja leider nur begrenzt. Also fang du am besten einmal an. Was passierte an deinem Wochenende und wie hast du es empfunden?“
„Nunja, am Freitagnachmittag habe ich erst einmal meine Hausaufgaben gemacht und bin durch die Supermärkte gegangen, um diverse Biersorten, Knabbereien und Grillfleisch zu besorgen. Das war gar nicht so einfach: es fiel mir schwer, mich zwischen all den verschiedenen Sorten Bier zu entscheiden, wusste nicht genau, ob ich nun Chips oder Erdnüsse holen sollte und zum Grillen standen ja auch Koteletts oder Wurst zur Auswahl…“
„Verstehe; wie bist du das Problem angegangen? Etwa beim Bier?“
„Ich habe geknobelt und mir dann zwei Flaschen vom Gewinnerbier gekauft.“
„Fällt euch anderen was zu Fritz Vorgehen auf?“, fragte der Lehrer in die Runde.
„Die Methode war nicht die beste“, sagte Florian.
„Aha“, meinte der Lehrer. „Und wie lautet die richtige Vorgehensweise?“
„Also, zuerst hole ich mir eine repräsentative Auswahl an verschiedenen Biersorten, mindestens fünf, besser 10 an der Zahl a 0,33l bis 0,5l. Sollten gekühlte Flaschen vorrätig sein, sind diese den ungekühlten vorzuziehen. Danach setze ich mich vor den Super- oder besser noch: Getränkemarkt und teste ein Bier nach dem anderen auf Geschmack, Färbung, Kohlensäuregehalt sowie Schaumbildung und lege ein Preis- Leistungsverhältnis fest. Nach Abschluss dieser empirischen Untersuchung kann ich mir ein Urteil bilden und hole mir dann vom Testsieger nicht nur zwei Flaschen, sondern einen Kasten, den ich übers Wochenende pflichtbewusst leere. Dadurch vermeide ich, nicht gut genug auf den Unterricht vorbereitet zu sein.“
„Streber!“ ruft jemand aus der hintersten Ecke.
„Nein, das war kein Streben. Das war genau der richtige Ansatz, Florian! Nachdem wir also gelernt haben, wie bei der Auswahl des richtigen Bieres vorzugehen ist, sollten wir besprechen, in welchem Umfeld die Hausaufgaben weiter ausgeführt werden sollten.“
„Können wir nicht das Volumen einer Bierflasche berechnen, um so zu beweisen, wie viel Bier wir pro Flasche wirklich trinken?“, fragte Fritz. „Das würde mich wirklich interessieren…“
„Fritz, das ist jetzt die zweite Ermahnung! Nicht nur, dass du deine Hausaufgaben nicht flüssig und methodisch gemacht hast, jetzt kommst du auch noch mit solch trivialen Problemen wie der Berechnung des Volumens einer Bierflasche an. Merkst du nicht, dass dein Verhalten den Unterricht stört? Ich empfehle dir, jetzt aufzupassen und heute Nachmittag Nachhilfe bei Freddy in der Eckkneipe zu nehmen. Ansonsten sehe ich beim Trichtertrinken bei der nächsten Klausur schwarz für dich. Und zwar kein Schwarz-Bier, versteht sich!
Und jetzt höre Florian zu, der den nächsten Schritt der Hausaufgabe erklären wird.“
„Also, nachdem ein Kasten meines Lieblingsbieres Erdinger gekauft wurde, fahre ich schnell nach Hause, um das Bier im Kühlschrank kalt zu stellen. Das ist wichtig, damit das Bier bei einer optimalen Temperatur von 4-7° am Abend genossen werden kann. Außerdem sollten ja noch Knabbereien und Grillfleisch gekauft werden. Wozu? Natürlich, um eine Party übers Wochenende zu veranstalten.“
„Das wollte ich ja machen“ sagte Fritz. „Den ganzen Samstagabend lang…“
„Ja Fritz“, sagte Florian. „Wir wussten schon immer, dass du ein Minimalist bist. Natürlich wird nicht nur, aber auch Samstagabend gefeiert. Optimalerweise fängt die Party Freitagabend an und endet Sonntagnachmittag. Somit wird gesichert, dass auch wirklich alle Energie auf die Hauptaufgabe gelenkt wird, wie es sich für einen Leistungskurs gehört!“
„Absolut richtig!“ sagte der Lehrer. „Du musst einen guten Meister gehabt haben. Erzähle uns doch, wie die Party bei dir ablief. Die anderen können davon bestimmt noch was lernen.“
„Also, das Bier war bis zum Abend auf die richtige Temperatur gebracht. Zweimal musste ich meinen Bruder davon abhalten, den Kühlschrank zu plündern. Er ist für sein Alter schon recht wissbegierig. Ich füllte ihn als Strafe mit Tomatensaft ab, natürlich mit Vodka durchtränkt. Es hat gewirkt.
Jedenfalls kamen gegen 8 die ersten Gäste, 40 an der Zahl. Ausgerüstet mit einem Flachmann, war ihre Stimmung genau so angeheitert, wie es zur optimalen Erfüllung der Hausaufgabe von Nöten war. Als Stoff haben sie Sauren gewählt, etwas untertrieben meiner Ansicht nach. Doch für den Anfang ganz annehmbar. Die gut vorbereiteten unter ihnen brachten zur intensiveren Studie noch selbstgebaute Trichter mit, was den Erfolg unseres Vorhabens durchaus unterstützte. Das Grillfleisch und die Knabbereien hatten wir als eine Art Spickzettel dabei, falls uns die Hausaufgabe zu sehr zu Kopf steigen sollte. Wir haben von ihm im geringen Umfang Gebrauch gemacht, wie man auch in den flüssigen, bröckchenhaften Überresten der Facharbeit sehen konnte.
Wir begannen mit der Einleitung der Hausaufgabe. Vierzig Flaschen Bier standen vor uns, die wir erst einmal auf Ex tranken, um den gewissen Einstands- Pegel zu erreichen, da einige von uns unter der Woche ihre Pflicht vernachlässigt hatten. Der Vollständigkeit halber stießen wir danach noch mit ein paar kleinen Feiglingen an, weil uns die spezifische Wirkung von nieder- und hochprozentigen Alkoholika besonders interessierte.
Bis zum Samstagmorgen hatte jeder von uns einen halben Kasten Bier sowie umgerechnet eine Flasche Hochprozentigen fachmännisch unter die Lupe genommen. Doch wir wussten, dass dies noch nicht das Ende eines solch großen Projektes gewesen sein konnte: Noch waren wir nicht tief genug in die unendlichen Weiten des Vollrausches eingedrungen…“
„Das hört sich bis jetzt recht interessant an, Florian. Sag, was passierte weiter?“
„Am Samstagmorgen dann entschlossen wir uns, den Grill anzuschmeißen. Felix hatte eigens dafür einen selbst gebrannten Korn mitgebracht, der als Anzündhilfe fungierte. Das klappte auch gut, so dass wir alle eine halbe Stunde später etwas gegessen haben. Einige von uns haben zwischenzeitlich Fritz angerufen, der aber anscheinend wegen Nüchternheit unsere besondere Art der Artikulation nicht verstand und somit nicht zur Party gekommen ist- wir für unseren Teil haben durch diese Party unseren Wortschatz durchaus erweitern können: Keiner macht mehr den Fehler, sich deutlich statt lallend zu äußern.“
“Sehr gut.“
„Es ging nach dem Grillen mit der Aufgabe weiter, die Funktion eines Trichters zu testen. Wir haben uns zu einem Exemplar mit eineinhalb Litern Fassungsvolumen entschieden, der einen Schlauch von 1,50m hat. Das Prinzip, wie das Trichtern funktioniert, haben wir ja bereits im siebten Schuljahr in Physik durchgenommen und es in zahllosen Versuchen immer wieder praktisch bestätigt. Als spezielle Modifikation haben wir diesmal gleich drei verschiedene Biersorten pro Trichterlauf genommen, um so eine breite Palette des Wirkungsspektrums zu erreichen. Manch einer hat sogar auf das Bier verzichtet und stattdessen Wodka genommen, was ihn jedoch bald darauf Schachmatt setze. Da hat er es wohl ein wenig übertrieben.
Der Großteil jedoch schloss die Trichterprüfung mit Auszeichnung ab und konnte in den verdienten Genuss der spezifischen Wirkung kommen.“
„Wie ging es weiter?“
„Leider gab es auch ein Makel bei der ganzen Aktion. Trotz besseren Wissens hatten einige Teilnehmer vergessen, eine Blasenerweiterung vorzunehmen mit dem Ergebnis, dass einige mit ihrer Sextanerblase ins Trichtern eingestiegen sind. Die Folge war, dass sie bereits zum vierten Mal seit Beginn der Party sich entleeren mussten.“
“Das ist durchaus viel!“
“Das meine ich auch. Positiv zu bemerken ist allerdings, dass sie ihr Geschäft nicht auf der Toilette, sondern in Nachbars Garten verrichteten, was zeigt, dass sie durchaus noch imstande waren, ihr Geschäft stehend in freier Wildbahn auszuführen. Übrigens machte keiner über das Wochenende hinweg von der Praktik „Sitzen statt spritzen“ Gebrauch, sondern lediglich zwei verrichteten ihr Bedürfnis liegend und schlafend. Doch das soll nur am Rande bemerkt werden.
Am Samstagnachmittag entschlossen wir uns, eine Bowle zu mixen. Mehrere Flaschen Wein, Sekt und Wodka fanden sich in einer Schüssel zusammen und gingen eine homogene Verbindung ein.“
„Ah, ihr habt gut aufgepasst in Chemie. Das Ergebnis war also ein…“
„…Gemisch. Und das hatte es in sich. Nachdem jeder von uns ein großes Glas davon getrunken hatte, fingen auch langsam andere Gesetze der Natur an zu wirken. Henning beispielsweise testete das Gesetz von der Trägheit der Masse und überzeugte sich mit einem Sturz in die Hecke, dass die Schwerkraft sich gerade unter Einfluss von Alkohol immens verstärkt.
Eine durchaus subjektiv empfundene Wirkung berichteten diejenigen, welche seit Beginn vollen Einsatz gezeigt hatten. Es wurde von ihnen berichtet, dass sie sich wie in einem Karussell fühlten: alles drehe sich um sie herum. Wir müssen diese Beobachtung jedoch unter „subjektiv empfunden“ laufen lassen, da seit Galilei bewiesen ist, dass in Wirklichkeit sie sich um alles herum drehen.
Nunja, des weiteren setzten wir unser Mammutprojekt fort. Da die Bierreserven sich wegen besonderer Leistungen langsam den Ende näherten, besorgten einige noch ein paar zusätzliche Kästen im Supermarkt, der ja samstags nun bis 20 Uhr geöffnet hat.
Was daraufhin folgte, war nur mit der Sintflut zu vergleichen. Unmengen von Bieren erströmten durch die Körper, bahnten sich durch die Speiseröhren und den Magen ihren Weg durch Aterien und Venen, rauschten durch jede einzelne Synapse des Gehirns und bei manchen auch im hohen Bogen wieder durch die Speiseröhre sowie Mund und Nase hinaus!
Eine Augenweide wäre diese Lerndisziplin für sie gewesen, Herr Blau!“
„Ich kann mir euer Lernen bildhaft vorstellen“, sagte Herr Blau mit einem Schmunzeln auf den Lippen. „Das gibt für jeden von euch- außer für einen- eine eins!“
„Vielen Dank, Herr Blau!“
“Gut, in der nächsten Stunde werde ich euch von meinen Taxifahrergeschichten erzählen, bevor wir diskutieren, warum jedes Klassenzimmer an eine Bierpipeline angeschlossen werden sollte. Bis dann…“