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Eine Entscheidung
Das Bauernhaus befand sich ein Stück abseits des Dorfes. Fritz, Karl und ich hatten es untersuchen wollen. Unsere Einheit war in einem Gebiet stationiert, an dem der Frontverlauf sich schon vorbei bewegt hatte. Es war nicht mehr mit Widerstand zu rechnen.
Es war wohl für uns Menschen übliches Verhalten, das mich in die Lage gebracht hatte, in der ich mich nun befand. Möge Gott unseren armen Seelen gnädig sein.
Der alte Mann, der uns noch großzügig seinen selbst gebrannten Wodka angeboten hatte, kniete auf dem Boden in der Ecke des Schlafzimmers, die Hände auf dem Rücken gefesselt, zur Ohnmacht verdammt, in der gefangen er mit vor Entsetzen geweiteten Augen beobachtete, wie Karl mit grausam spöttischem Grinsen seine Hose herabließ und einen Schritt auf die an das Bett gefesselte junge Frau zutrat.
„Die ist bestimmt schon ganz feucht“, meinte Fritz.
Ich war verwirrt. Das verlockende Rot unter dem Schamhaar der mit gespreizten Beinen an die Bettpfosten gefesselten Frau trieb das Blut in mein Glied, doch die Angst, die Abscheu und die Verzweiflung in ihren Augen sprachen einen anderen Teil meiner Selbst an.
Ich traf eine Entscheidung.
Karl stand nur einen halben Meter vom Bett entfernt, Fritz befand sich daneben, etwa zwei Meter auf der linken Seite, ich selbst war etwa drei Meter tiefer im Raum auf sechs beziehungsweise vier Uhr der beiden, neben dem Tisch, auf dem eine der Wodka-Flaschen stand. Ich ließ meinen K98-Karabiner am Riemen von meiner Schulter gleiten, er war noch entsichert, wir hatten Stärke demonstriert. Wir hatten unsere Helme schon im Erdgeschoss, in der Stube, abgenommen, bevor wir fünf Menschen einen allzu menschlichen Weg betraten. Ich presste den Kolben an meine Schulter und zielte auf den schwarzhaarigen Hinterkopf meines Kameraden, mit dem ich lange Seite an Seite gekämpft hatte und den ich nun nur noch durch Kimme und Korn sah, als den Feind, zu dem er geworden war. Ich betätigte den Abzugshahn. Sein Kopf explodierte in einem blutigen Rot, das meine Erektion noch verstärkte. Der Raum war voll von Geschrei, doch niemand blickte zu mir, als ich die nächste Kugel in den Lauf hebelte, mich nach links wandte und sie meinem alten Freund Fritz durch den Schädel jagte. Er fiel zu Boden, von meiner Sense geerntet, neben Karl, dessen Überreste halb gegen die Seite des Bettes gesunken waren.
Ich senkte die Waffe. Ein alter Mann und ein etwa zwanzig Jahre altes Mädchen starrten mich entsetzt an wie ein kafkaeskes moralisches Gericht.
Es war einfach ein dumpfer Drang, kein klarer Gedanke, der mich antrieb, den Hebel zu betätigen und, während ich die rechte Hand mit dem Zeigefinger am Abzug ließ, mit der Linken die Mündung des Karabiners zwischen meine Zähne zu führen.
„Stopp! Nie więcej! Mach nicht! Mach nicht!”
Es war die Stimme des alten Mannes. Obwohl ich vor weniger als einer Minute noch erwägt hatte, mich an der Vergewaltigung seiner Enkelin zu beteiligen, schien ihm mein selbst herbeigeführtes Ableben nur eine Verschärfung dieses ganzen Elends zu sein.
Ich nahm die Waffe aus meinem Mund, senkte sie, blickte erst in die Augen des Großvaters, dann in die der jungen Frau.
Ich repetierte den Hebel des Karabiners und die Patrone fiel klirrend zu Boden. Ich betätigte einen Knopf und entnahm das Magazin, dann ging ich in die Knie und legte beide Gegenstände auf den Boden. Ich zog die Pistole 08 aus dem Holster an meiner Hüfte, sie war noch gesichert, ich drückte auf den Magazinknopf und legte auch diese beiden mechanischen Stücke deutschen Handwerks neben den nun nutzlosen Karabiner, der noch vor einer halben Minute eine tödliche Funktion erfüllt hatte.
Nun war ich unbewaffnet. Ich erhob mich und ging langsam zu dem alten Mann, dessen Augen jetzt weniger Schrecken ausdrückten. Ich löste seine Fesseln und reichte ihm die Hand, die er mutig ergriff und sich aufhelfen ließ. Halb traurig, halb erleichtert klopfte er mir auf die Schulter und machte sich dann daran, seiner Enkelin erst den Knebel aus dem Mund zu nehmen und sie dann von den Stricken zu befreien, die meine Kameraden und ich in der Vorratskammer dieses Hauses gefunden hatte.
Zuletzt konnte sie endlich ihre Scham bedecken.
Da der alte Mann, dessen Name Bratomil war, wusste, was Deserteuren der deutschen Wehrmacht blühte und Beata, seine Enkelin, mir durchaus eher dankbar dafür zu sein schien, sie vor der Folter bewahrt zu haben, als einen der Täter an ihr in mir zu sehen, geschah das kleine Wunder, dass ich diesen Abend mit den beiden als Gast in ihrem Haus verbrachte, das Haus, in dem ich mit meinen Kameraden gewaltsam eingedrungen war.
Wir teilten uns Bratomils Wodka zu dritt und es lernte wohl jeder von uns ein paar neue Worte und Melodien in dieser Nacht. Nach einer Weile konnte Beata sogar wieder lächeln.
Am frühen Morgen (ich hatte tatsächlich noch ein wenig Schlaf finden können) fand ich zusammen mit dem Opa eine Lösung, um die Leichen verschwinden zu lassen, dann machte ich mich auf den Weg.
Ich wusste nicht, was aus ihnen werden würde, ob vielleicht, trotzdem wir die Nacht für uns hatten und unbehelligt blieben, nicht doch jemand aus unserer Einheit die Schüsse gehört und Verdacht geschöpft hatte; so oder so würde das unerklärliche Verschwinden zweier Soldaten Aufmerksamkeit erregen, auch wenn ihre Leichen nie gefunden werden würden.
Was mich selbst anging, nun, ich hatte eine Entscheidung getroffen. Sie mochte mich an den Galgen bringen, aber dann sollte es eben so sein.