- Beitritt
- 10.11.2003
- Beiträge
- 2.246
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Eine echte Wagnerianerin
Faltenlos, fast leer war ihr Gesicht, die Wangen trugen kaum Rouge, und selbst die karminroten dünnen Lippen konnten ihrer Blässe wenig entgegensetzen. Sie trug eine kleine Brille, deren Gestell aus feinem, durchsichtigem Horn mit reichlich Gold verziert war. An ihren Ohren hingen falsche Perlen in der Größe geschälter Haselnüsse, darüber wölbte sich wie ein Helm ihr beinahe schwarzes Haar, das gerade und nach hinten gekämmt war, dort nur durch einen schwarzen Bügel gehalten. Weil sie den zuletzt ein wenig nach vorne geschoben hatte, entstand direkt über der Stirn eine Art Tolle, weich und nicht sehr hoch, einer Bugwelle eines fahrenden Schiffes nicht unähnlich, es schien, sie hatte sich mit Bedacht auf diesen Abend, der erst später Nachmittag war, vorbereitet.
Ein goldener Ring mit einem großen Amethysten zierte ihren Ringfinger, ein zweiter, auf dem kleinen Finger ihrer rechten Hand getragen, war kleiner und gleichwohl noch zu groß, um beim Schreiben nicht zu stören, es war offensichtlich, sie trug ihn nur zu feierlichen Anlässen wie diesen. Auf dem linken Arm trug sie eine zwar große, jedoch sehr flache rechteckige Uhr, die golden und weiß aufblitzte, wenn sie mit dem Arm ihren Kopf stützte, mal sich nur ans Kinn fassend, mal dabei auch den Zeigefinger in die Wange bohrend, als wäre sie der Denker von Rodin, oder als ob sie der Fotogalerie eines ambitionierten Fotografen irgendwo in der Provinz entstammte, der gern die Lokalgrößen oder ebensolche Schönheiten in solch intellektuell angehauten Posen ablichtete.
Gekleidet war sie in ein grünlichbraunes Hosenkostüm, das, wäre es nicht aus feinem und ein wenig glänzendem Stoff, einer Uniform der glorreichen Roten Armee gliche. Ihre Hände hielt sie meistens wie betend auf den Knien, manchmal gefaltet und manchmal die Innenseiten aneinander geschmiegt, doch berührten sich bei ihr dann nur die Handballen und die im Takt der Musik aufeinander trommelnden Fingerspitzen. Wenn sie ihre Hände gefaltet und ruhig vor sich hielt, so waren die beiden Daumen immer in Bewegung. Sie rieben einander oder schoben abwechselnd die Nagelbetthaut des anderen zurück, ihre übergroßen Nägel, die fast die gesamte Fläche des ersten Daumgliedes ausmachten, zeugten von Gewohnheit oder vielmehr von innerer Spannung, unter der sie anscheinend oft stehen mußte.
Andererseits war das die einzige sichtbare Regung, gerade, wie gepfählt, saß sie auf ihrem Stuhl, nur ab und zu gestattete sie sich leichte Kopfbewegungen, meistens zu ihrer älteren Nachbarin zur Linken, oder, wenn sich wieder jemand zu husten erdreistete, drehte sie sich halb in dessen Richtung, ihr Gesicht eine einzige Mißbilligung. In solchen Momenten schienen die beiden nebeneinander Sitzenden eine Einheit, ihre Kopfbewegungen und die Art, wie sie die Augen verdrehten, wiesen sie als Tochter und Mutter aus, wenn nicht tatsächlich, so waren sie das sicher im Geiste, ihre Körpersprache kannte dann nur den einen Satz: Wie kann man bloß in einem Konzert husten!
Die kurzen, schütteren und wie mit Henna gefärbten Haare der Mutter fanden in der roten, mit grünen und gelben Linien karierten Jacke ihre Fortsetzung, bei ihrem Anblick hatte man sofort das Gefühl, da hatte sich ein alternder Clown in den Saal verirrt, soviel Puder und Rouge hat sie aufgetragen beim Versuch, jünger zu erscheinen. Dabei zeugten ihre mit Altersflecken übersäten Hände vom Gegenteil, doch diese Diskrepanz schien sie nicht zu stören, fest umklammerte ihre Linke ein Opernglas, das sie meistens dicht von ihren Augen hielt, nur manchmal lieh sie es ihrer Tochter, damit auch diese besser den nicht mehr jungen, doch gleichwohl feschen Mann sähe, der sich da auf dem Podium mühte, ihnen allen den Fliegenden Holländer, den man morgen im Nationaltheater geben würde, näherzubringen.
Der sprechende Pianist auf der Bühne war Stefan Mickisch. Schon vor Jahren hatte er sich zur Aufgabe gemacht, Opernfreunden Wagner zu erklären. Seine Einführungsvorträge in Bayreuth waren und sind legendär, er nennt sie Gesprächskonzerte, damit seine Virtuosität am Klavier zu Recht betonend. Er ist erfrischend selbst- und manchmal auch Wagner kritisch, doch allzuviel kann er sich nicht erlauben, höchstens in Beispielen versteckt zeigt er seinem Publikum, von wem Wagner was geklaut hat. Es macht ihm sichtlich Freude, wie er wunderbar erst Bach, Mozart oder Beethoven am Klavier zitiert, um dann, als sie alle ganz hingerissen sind ob der herrlichen Musik, abrupt Wagnerklänge ertönen läßt, hier, sagt er dann, das kann nur Wagner, diese Betonung, das Stampfende, das ist typisch für ihn, das ist deutsch, dafür lieben wir ihn.
Obwohl er bei Erklärungen ganz weit ausholt und auch Nebensächlichkeiten zum Besten gibt, erwähnt Mickisch heute mit keinem Wort den Gönner und Förderer Meyerbeer, ohne dessen Empfehlung es weder Der fliegende Holländer auf die Bühne geschafft noch Wagner selbst zu etwas gebracht hätte. Daß Wagner sich als menschliches Schwein entpuppte, sobald er die Hilfe des Juden Meyerbeers nicht mehr bedurfte, ist zwar allgemein bekannt, aber dies vor Wagnerfans auch nur zu erwähnen, würde das Ende seiner Vorträge bedeuten, ein Arbeitsloser mehr im Land wäre die unmittelbare Folge. Niemand, und vor allem nicht dieser Verein der Opernfreunde will heute noch wissen, daß die antisemitischen Tiraden Wagners seinerzeit mit den Samen bildeten für die reichlich Früchte tragenden Pflanzen, die Hitler nur noch abernten mußte, kein Wunder, daß dieser Tyrann später in Bayreuth ein und ausging, er wußte halt, was er dem wackeren Germanen und deutschtümelnden Richard Wagner schuldig war.
Ein Experte in Sachen Wagner zu sein, aber nicht all sein Wissen offenbaren zu können, das schien nicht spurlos an dem in elegantes Grau gekleideten Mann auf der Bühne vorrübergegangen zu sein. Gewiß, er war locker und witzig, wie seine über die Klaviatur fliegenden Hände war auch sein Oberkörper in ständiger Bewegung, doch ab der Hüfte abwärts schien er wie tot. Seine Beine hielt er eng beieinander wie eine Frau, selbst wenn er sich auf dem Hocker drehte und dem Saal zuwandte, blieben die Schenkel zusammen, lediglich die zuvor die Pedale des Klaviers bedienenden Füße standen auch jetzt ein wenig auseinander. Seine Sitzstellung, die ein bißchen an die einer Dame in einem Damensattel erinnerte, war sichtlich unbequem, doch ihn schien das nicht zu kümmern, da saß offenbar ein Mann ohne Eier, und wenn er welche hatte, dann saß er auf ihnen, vielleicht war das gerade das Interessante an diesem Mann, das Opernglas des Hennakopfes fand hier seine Existenzberechtigung, die späteren Pausengespräche zeigten, daß keiner Frau die sonderbare Beinstellung entgangen war.
Die Tochter stand als erste auf, wohl um auch als Erste am Pausenstand ein belegtes Brötchen samt Wasser zu erstehen. Doch zuvor mußte Dringlicheres erledigt werden: Sie faßte sich an den Hintern und zupfte die unanständig in die Ritze geratene Hose wieder heraus, nur um anschließend mit beiden Händen auch vorne für Entlastung zu sorgen. Die scharf gebügelten Falten erwiesen sich als sehr hilfreich, die Spannung dort muß ungeheuer gewesen sein, nur so kann man die Ungeniertheit deuten, mit der sie das tat, mußte sie doch gesehen haben, daß das Groß der Zuschauer noch saß, während sie in ihrer Reihe wie auf dem Präsentierteller die Pirouette drehte.
Eine leichte Röte zeigte sich auf ihrem Gesicht als sie sich bückte, um ihre Louis Vuitton Tasche aufzuheben, und man wußte nicht, ob das von ihrer sie doch ereilenden Scham zeugte oder es nur ein Widerschein der roten Jacke ihrer Mutter war, als diese ihr das teuere Stück reichte. Schnell warf sie das Trageriemchen der Tasche über ihren Kopf und Schulter, und es war wohl Zufall, daß diese kleine und farblich hervorragend zu ihr passende Tasche gerade vor der Stelle ihren Platz nahm, der schon zuvor die ganze Aufmerksamkeit der natürlich ganz unbewußt Zuschauenden auf sich zog und das kurze, vorne nicht ganz schließende Kostümjäckchen leider oder zum Glück nicht bedecken konnte.
Im Foyer zeigten Mutter und Tochter wider Erwarten kein Interesse für Kulinarisches, sie strebten vielmehr den Toiletten zu, natürlich gemeinsam, denn wenn es sich irgendwo einrichten läßt, geht eine Frau nie alleine dahin, wohl eine übriggebliebene Gewohnheit aus längst vergangenen Zeiten, als es für eine Frau noch lebensgefährlich war, allein zu pissen, aus der tiefen Hocke heraus zu fliehen, wenn ein hungriger Löwe sie überraschte, schafften nicht eben viele, es überlebten und pflanzten sich fort nur die gemeinsam pinkelnden Frauen, die eine tat, was die Natur verlangte, die andere hielt Wache, dahinter irgendetwas Sexuelles zu vermuten, kann nur perversen männlichen Hirnen entstammen.
Nach der Pause gab es, als Auffrischung und damit man es nicht bis morgen wieder vergesse, auch Wissenswertes in Sachen Tonarten: Bei a-moll gibt es keine Hoffnung, bei ähnlich klingendem gis-moll dagegen schon, sagte der Meister mit zusammengekniffenen Beinen. Das gelte auch oder vor allem für Wagner, bei seinen Finalen gäbe es meistens keine Hoffnung, und egal ob bombastisch oder leise, sie seien berüchtigt für ihre Länge, aber man solle jetzt keine Angst haben, er wolle nur ein kurzes Beispiel bringen, damit das mit und ohne Hoffnung klar würde. Doch bevor er seinem Klavier einen Ton entlocken konnte, erklang wie aus der Ferne Musik. Erst leise, dann immer stärker, es klang wie Wagner, aber es war kein Wagner, es war ein Handy und es gehörte genau der Mutter an, die sich vor der Pause zusammen mit ihrer Tochter so pikiert zeigte über Hustende. Als sie endlich das Handy in der Weiten ihrer Tasche fand und abstellte, war ihr Gesicht trotz Puder rot wie ihr Kopfhaar, um von ihrer Clownjacke ganz zu schweigen. Verschämt und etwas hilflos schaute sie ihre Tochter an, doch die kannte sie nicht mehr, rückte schon beim ersten Klingeln so weit wie möglich von ihr weg, ihre aufrechte Haltung oder nur den Pfahl, auf dem sie gewöhnlich saß, vergessend. Unverhofft zeigte sie damit dem Auditorium, wie nah beieinander Treue und Verrat liegen können, wenn man es ganz genau nehmen wollte, könnte man sogar sagen, sie lebte dieses ewige große Thema Wagners vor – eine echte Wagnerianerin eben.