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Eine echte Wagnerianerin

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10.11.2003
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Eine echte Wagnerianerin

Faltenlos, fast leer war ihr Gesicht, die Wangen trugen kaum Rouge, und selbst die karminroten dünnen Lippen konnten ihrer Blässe wenig entgegensetzen. Sie trug eine kleine Brille, deren Gestell aus feinem, durchsichtigem Horn mit reichlich Gold verziert war. An ihren Ohren hingen falsche Perlen in der Größe geschälter Haselnüsse, darüber wölbte sich wie ein Helm ihr beinahe schwarzes Haar, das gerade und nach hinten gekämmt war, dort nur durch einen schwarzen Bügel gehalten. Weil sie den zuletzt ein wenig nach vorne geschoben hatte, entstand direkt über der Stirn eine Art Tolle, weich und nicht sehr hoch, einer Bugwelle eines fahrenden Schiffes nicht unähnlich, es schien, sie hatte sich mit Bedacht auf diesen Abend, der erst später Nachmittag war, vorbereitet.

Ein goldener Ring mit einem großen Amethysten zierte ihren Ringfinger, ein zweiter, auf dem kleinen Finger ihrer rechten Hand getragen, war kleiner und gleichwohl noch zu groß, um beim Schreiben nicht zu stören, es war offensichtlich, sie trug ihn nur zu feierlichen Anlässen wie diesen. Auf dem linken Arm trug sie eine zwar große, jedoch sehr flache rechteckige Uhr, die golden und weiß aufblitzte, wenn sie mit dem Arm ihren Kopf stützte, mal sich nur ans Kinn fassend, mal dabei auch den Zeigefinger in die Wange bohrend, als wäre sie der Denker von Rodin, oder als ob sie der Fotogalerie eines ambitionierten Fotografen irgendwo in der Provinz entstammte, der gern die Lokalgrößen oder ebensolche Schönheiten in solch intellektuell angehauten Posen ablichtete.

Gekleidet war sie in ein grünlichbraunes Hosenkostüm, das, wäre es nicht aus feinem und ein wenig glänzendem Stoff, einer Uniform der glorreichen Roten Armee gliche. Ihre Hände hielt sie meistens wie betend auf den Knien, manchmal gefaltet und manchmal die Innenseiten aneinander geschmiegt, doch berührten sich bei ihr dann nur die Handballen und die im Takt der Musik aufeinander trommelnden Fingerspitzen. Wenn sie ihre Hände gefaltet und ruhig vor sich hielt, so waren die beiden Daumen immer in Bewegung. Sie rieben einander oder schoben abwechselnd die Nagelbetthaut des anderen zurück, ihre übergroßen Nägel, die fast die gesamte Fläche des ersten Daumgliedes ausmachten, zeugten von Gewohnheit oder vielmehr von innerer Spannung, unter der sie anscheinend oft stehen mußte.

Andererseits war das die einzige sichtbare Regung, gerade, wie gepfählt, saß sie auf ihrem Stuhl, nur ab und zu gestattete sie sich leichte Kopfbewegungen, meistens zu ihrer älteren Nachbarin zur Linken, oder, wenn sich wieder jemand zu husten erdreistete, drehte sie sich halb in dessen Richtung, ihr Gesicht eine einzige Mißbilligung. In solchen Momenten schienen die beiden nebeneinander Sitzenden eine Einheit, ihre Kopfbewegungen und die Art, wie sie die Augen verdrehten, wiesen sie als Tochter und Mutter aus, wenn nicht tatsächlich, so waren sie das sicher im Geiste, ihre Körpersprache kannte dann nur den einen Satz: Wie kann man bloß in einem Konzert husten!

Die kurzen, schütteren und wie mit Henna gefärbten Haare der Mutter fanden in der roten, mit grünen und gelben Linien karierten Jacke ihre Fortsetzung, bei ihrem Anblick hatte man sofort das Gefühl, da hatte sich ein alternder Clown in den Saal verirrt, soviel Puder und Rouge hat sie aufgetragen beim Versuch, jünger zu erscheinen. Dabei zeugten ihre mit Altersflecken übersäten Hände vom Gegenteil, doch diese Diskrepanz schien sie nicht zu stören, fest umklammerte ihre Linke ein Opernglas, das sie meistens dicht von ihren Augen hielt, nur manchmal lieh sie es ihrer Tochter, damit auch diese besser den nicht mehr jungen, doch gleichwohl feschen Mann sähe, der sich da auf dem Podium mühte, ihnen allen den Fliegenden Holländer, den man morgen im Nationaltheater geben würde, näherzubringen.

Der sprechende Pianist auf der Bühne war Stefan Mickisch. Schon vor Jahren hatte er sich zur Aufgabe gemacht, Opernfreunden Wagner zu erklären. Seine Einführungsvorträge in Bayreuth waren und sind legendär, er nennt sie Gesprächskonzerte, damit seine Virtuosität am Klavier zu Recht betonend. Er ist erfrischend selbst- und manchmal auch Wagner kritisch, doch allzuviel kann er sich nicht erlauben, höchstens in Beispielen versteckt zeigt er seinem Publikum, von wem Wagner was geklaut hat. Es macht ihm sichtlich Freude, wie er wunderbar erst Bach, Mozart oder Beethoven am Klavier zitiert, um dann, als sie alle ganz hingerissen sind ob der herrlichen Musik, abrupt Wagnerklänge ertönen läßt, hier, sagt er dann, das kann nur Wagner, diese Betonung, das Stampfende, das ist typisch für ihn, das ist deutsch, dafür lieben wir ihn.

Obwohl er bei Erklärungen ganz weit ausholt und auch Nebensächlichkeiten zum Besten gibt, erwähnt Mickisch heute mit keinem Wort den Gönner und Förderer Meyerbeer, ohne dessen Empfehlung es weder Der fliegende Holländer auf die Bühne geschafft noch Wagner selbst zu etwas gebracht hätte. Daß Wagner sich als menschliches Schwein entpuppte, sobald er die Hilfe des Juden Meyerbeers nicht mehr bedurfte, ist zwar allgemein bekannt, aber dies vor Wagnerfans auch nur zu erwähnen, würde das Ende seiner Vorträge bedeuten, ein Arbeitsloser mehr im Land wäre die unmittelbare Folge. Niemand, und vor allem nicht dieser Verein der Opernfreunde will heute noch wissen, daß die antisemitischen Tiraden Wagners seinerzeit mit den Samen bildeten für die reichlich Früchte tragenden Pflanzen, die Hitler nur noch abernten mußte, kein Wunder, daß dieser Tyrann später in Bayreuth ein und ausging, er wußte halt, was er dem wackeren Germanen und deutschtümelnden Richard Wagner schuldig war.

Ein Experte in Sachen Wagner zu sein, aber nicht all sein Wissen offenbaren zu können, das schien nicht spurlos an dem in elegantes Grau gekleideten Mann auf der Bühne vorrübergegangen zu sein. Gewiß, er war locker und witzig, wie seine über die Klaviatur fliegenden Hände war auch sein Oberkörper in ständiger Bewegung, doch ab der Hüfte abwärts schien er wie tot. Seine Beine hielt er eng beieinander wie eine Frau, selbst wenn er sich auf dem Hocker drehte und dem Saal zuwandte, blieben die Schenkel zusammen, lediglich die zuvor die Pedale des Klaviers bedienenden Füße standen auch jetzt ein wenig auseinander. Seine Sitzstellung, die ein bißchen an die einer Dame in einem Damensattel erinnerte, war sichtlich unbequem, doch ihn schien das nicht zu kümmern, da saß offenbar ein Mann ohne Eier, und wenn er welche hatte, dann saß er auf ihnen, vielleicht war das gerade das Interessante an diesem Mann, das Opernglas des Hennakopfes fand hier seine Existenzberechtigung, die späteren Pausengespräche zeigten, daß keiner Frau die sonderbare Beinstellung entgangen war.

Die Tochter stand als erste auf, wohl um auch als Erste am Pausenstand ein belegtes Brötchen samt Wasser zu erstehen. Doch zuvor mußte Dringlicheres erledigt werden: Sie faßte sich an den Hintern und zupfte die unanständig in die Ritze geratene Hose wieder heraus, nur um anschließend mit beiden Händen auch vorne für Entlastung zu sorgen. Die scharf gebügelten Falten erwiesen sich als sehr hilfreich, die Spannung dort muß ungeheuer gewesen sein, nur so kann man die Ungeniertheit deuten, mit der sie das tat, mußte sie doch gesehen haben, daß das Groß der Zuschauer noch saß, während sie in ihrer Reihe wie auf dem Präsentierteller die Pirouette drehte.

Eine leichte Röte zeigte sich auf ihrem Gesicht als sie sich bückte, um ihre Louis Vuitton Tasche aufzuheben, und man wußte nicht, ob das von ihrer sie doch ereilenden Scham zeugte oder es nur ein Widerschein der roten Jacke ihrer Mutter war, als diese ihr das teuere Stück reichte. Schnell warf sie das Trageriemchen der Tasche über ihren Kopf und Schulter, und es war wohl Zufall, daß diese kleine und farblich hervorragend zu ihr passende Tasche gerade vor der Stelle ihren Platz nahm, der schon zuvor die ganze Aufmerksamkeit der natürlich ganz unbewußt Zuschauenden auf sich zog und das kurze, vorne nicht ganz schließende Kostümjäckchen leider oder zum Glück nicht bedecken konnte.

Im Foyer zeigten Mutter und Tochter wider Erwarten kein Interesse für Kulinarisches, sie strebten vielmehr den Toiletten zu, natürlich gemeinsam, denn wenn es sich irgendwo einrichten läßt, geht eine Frau nie alleine dahin, wohl eine übriggebliebene Gewohnheit aus längst vergangenen Zeiten, als es für eine Frau noch lebensgefährlich war, allein zu pissen, aus der tiefen Hocke heraus zu fliehen, wenn ein hungriger Löwe sie überraschte, schafften nicht eben viele, es überlebten und pflanzten sich fort nur die gemeinsam pinkelnden Frauen, die eine tat, was die Natur verlangte, die andere hielt Wache, dahinter irgendetwas Sexuelles zu vermuten, kann nur perversen männlichen Hirnen entstammen.

Nach der Pause gab es, als Auffrischung und damit man es nicht bis morgen wieder vergesse, auch Wissenswertes in Sachen Tonarten: Bei a-moll gibt es keine Hoffnung, bei ähnlich klingendem gis-moll dagegen schon, sagte der Meister mit zusammengekniffenen Beinen. Das gelte auch oder vor allem für Wagner, bei seinen Finalen gäbe es meistens keine Hoffnung, und egal ob bombastisch oder leise, sie seien berüchtigt für ihre Länge, aber man solle jetzt keine Angst haben, er wolle nur ein kurzes Beispiel bringen, damit das mit und ohne Hoffnung klar würde. Doch bevor er seinem Klavier einen Ton entlocken konnte, erklang wie aus der Ferne Musik. Erst leise, dann immer stärker, es klang wie Wagner, aber es war kein Wagner, es war ein Handy und es gehörte genau der Mutter an, die sich vor der Pause zusammen mit ihrer Tochter so pikiert zeigte über Hustende. Als sie endlich das Handy in der Weiten ihrer Tasche fand und abstellte, war ihr Gesicht trotz Puder rot wie ihr Kopfhaar, um von ihrer Clownjacke ganz zu schweigen. Verschämt und etwas hilflos schaute sie ihre Tochter an, doch die kannte sie nicht mehr, rückte schon beim ersten Klingeln so weit wie möglich von ihr weg, ihre aufrechte Haltung oder nur den Pfahl, auf dem sie gewöhnlich saß, vergessend. Unverhofft zeigte sie damit dem Auditorium, wie nah beieinander Treue und Verrat liegen können, wenn man es ganz genau nehmen wollte, könnte man sogar sagen, sie lebte dieses ewige große Thema Wagners vor – eine echte Wagnerianerin eben.

 
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Hi Dion,

mal vorneweg: eine Menge Licht & Schatten verstecken sich in dieser Geschichte.

Das Licht liegt in den Beschreibungen, die Art wie Du beschreiben kannst ist teilweise sogar sehr gut.
Der Schatten liegt darin, dass Dich an diesem Abend, den Du beschreibst, scheinbar einiges angepisst hat, was Du nun gleichmaessig ueber alle Akteure verteilst. Die Geschichte hat keine Handlung, dafuer aber nur den Zweck Dampf abzulassen. Ich bin mir nicht sicher, ob man so gute Geschichten schreibt ...

So, nun ein paar Details mehr.
So treffend Deine Beobachtungen auch teilweise sein moegen, es dauert bis zum 6-ten Absatz, bis man glaubt, dass allmaehlich etwas passiert. Wenn ich nicht die dumme Angewohnheit haette, zu Ende zu lesen, waere ich vermutlich nur bis Absatz 3 gekommen, danach hab' ich schon mal kurz zu scrollen angefangen, um herauszukriegen, was Du eigentlich beschreiben willst.

Letzteres ist leider schnell gesagt: Du greifst Dir ein herausgeputztes "wagnersches" Paerchen (Mutter & Tochter) heraus und verwendest einige alltaegliche Szenen, die jedermann passieren koennen, um dieses Paerchen zu diffamieren. Gleichzeitig aergerst Du Dich wirklich ueber den Pianisten, der das macht, was er soll: in die Musik Wagners einzufuehren. Weil er aber nicht ueber Wagner's Rolle im Antisemitismus spricht hat er fuer Dich keine Eier, ist er vom Guertel abwaerts tot waehrend er spielt (ein Pianist kann nun mal nicht herumtrampeln, wenn er die Pedale bedient, zudem kann man dabei kaum laessig die Beine graetschen ... ).

Mit der Art wie Du diese Geschichte erzaehlst und wie Du Deine Beobachtungsgabe einsetzt, verwendest leider identische Mechanismen zum "blosstellen" von Wagnerianern wie es beispielsweise Antisemiten mit "Juden" tun: Man greift sich uebertriebene Aeusserlichkeiten heraus, die nichts mit den Personen zu tun haben, die lediglich ein klischeehaftes Bild dieser Pappfiguren erzeugen sollen. Die Personen selbst kommen nicht zu Wort haben keine Chance. Dinge, die eine negative Aussage haben, aber alltaeglich (Pianist mit geschlossenen Beinen) und normal (Eine Haltung wie: Mensch Mama, mach doch Dein Handy aus) sind, werden nur dazu verwendet, diese Personen ohne weiteres Hinterfragen laecherlich (hat keine Eier ... typische Wagnerianerin) zu machen.

So hat diese Geschichte leider auf mich gewirkt.
Ich glaube nicht dass Du das wolltest.

viele Gruesse,

sarpenta

P.S: irgendwo bin ich noch ueber ein: 'Opernfreuden' oder 'Karolinien' gestolpert. Ersteres sind 'Opernfreunden' und letzteres klingt eigenartig, mit Bindestrich waere es sicher besser zu verstehen, wenn's schon sein muss.

P.S.2: Wagner war selbst ein inkonsequenter Antisemit, je nach persoenlicher, politischer oder gesellschaftlicher Lage (er war auch mal mehr sozialistisch, mehr national, mehr ...). Seine letzte Oper hat er beispielsweise einem juedischen Dirigenten anvertraut, einige wichtige langjaehrige Mitarbeiter von ihm waren Juden (vor allem gegen Ende seiner Laufbahn). Meyerbeer war 1850 bereits mehr Konkurrent denn Protege fuer ihn und die Schrift gegen Meyerberg ist in Zuerich entstanden, als er gerade frisch aus Dresden geflohen war, seine Frau Depressionen hatte, und er gegen jeden gepisst hat, der nicht bei drei auf den Bauemen war. ... nur mal so nebenbei.
Fakt ist auch, dass Wagner wesentlich zur Verbreitung antisemitischen und nationalistischen Gedankengutes beigetragen hat, dass er aber selbst kein Nationalsozialist war, dafuer ist er vermutlich nur 40 Jahre zu frueh gestorben ...

P.S.3: Ich bin kein Freund von Wagner, meinetwegen koennen die in Bayreuth machen, wa sie wollen. Nur Ungerechtigkeit kann ich nicht leiden ... sorry.

 

Hallo Dion,

deine Beschreibung ist spöttisch, die Details gut beobachtet, aber irgendwie lässt mich dein Text leider ratlos zurück. Gut formuliert geilt er sich sozusagen an sich selber auf, lässt kein gutes Haar an den Protagonisten, aber irgendwie verpufft er auch.
Zum einen, weil das klingelnde Handy mittlerweile wirklich gewöhnlich ist, zum anderen, weil er sich, wenn auch auf hohem Niveau, eben nur auskotzt.
Natürlich gehört die Rolle für den Nationalsozialismus bei dir in so einen Text und hier wären vielleicht die nachfolgenden Verwandten noch mehr ins Kreuzfeuer zu nehmen als der Meister selbst, gab es doch oft gemütliche Plauderstunden beim Tee zwischen den Wagners und Hitler.
Aber genau daran krankte der Text für mich leider, dass ich mich immer fragte, was möchtest du mir eigentlich erzählen?

Lieben Gruß, sim

 

In Vielem, sarpenta, hast du Recht, insofern konnte ich offensichtlich Einiges von dem, was ich an dem Abend erlebte, in die Geschichte transportieren, natürlich subjektiv gefärbt und mit Allgemeinwissen angereichert. Es ist zumindest dir klar geworden, daß Wagner nicht gerade mein Lieblingskomponist ist, und weil mir deswegen Leute, die ihn mögen, suspekt sind, sind auch sie nicht gut weggekommen. Das war also gewollt, obwohl ich mich bemüht hatte, nicht allzu schwarzweiß zu malen, das heißt alle Personen nur als Menschen mit kleinen Schwächen darzustellen, aber anscheinend war das nicht überzeugend genug, sondern eher langweilig, im besten Fall poetisch.

Auch ist mir offensichtlich nicht gelungen, zu vermitteln, was ein Gesprächskonzert ist oder sein soll. In diesem Fall war es so, daß der Pianist stehend ein paar einführende Worte sprach, sich dann ans Klavier setzte, etwas vorspielte, sich sitzend an das Publikum wandte (genauer: die Hände von der Tastatur nahm, sich auf dem Hocker zum Publikum drehte, mit dem Oberkörper um fast volle 90 Grad, mit den Beinen um vielleicht 60), zu ihm sprach, dann sich wieder dem Klavier zuwandte und spielte, ab und zu auch während des Spielens was sagte, wobei er nur den Kopf zum Publikum wandte, doch meistens wechselten sich nur die beiden Grundstellungen ab.

Nun ist es so, daß ich außer Biolek bisher nie einen Mann so sitzen sah wie Mickisch es an dem Abend tat, wenn er sitzend zum Publikum gewandt sprach. Dies ist nicht nur mir aufgefallen, sondern auch 3 von 4 Frauen in der Gruppe, mit der ich dort war (die eine sprach es in der Pause an, die anderen bestätigten die Beobachtung, ich schwieg vornehm dazu :D ). Gleichwohl: Ich werde diese Stelle verbessern, erstens, weil dieser Sachverhalt jedem Leser klar werden sollte, und zweitens, weil diese Konstellation wichtig für die Geschichte ist, denn so kann ich die Zwickmühle des Pianisten im übertragenen Sinne veranschaulichen - ich sehe jedenfalls nicht, daß Mickisch dadurch ungerecht behandelt wird.

Ganz im Gegenteil, ich ergreife für ihn Partei, deute ich doch an, wie schwer es sein kann, einen schwierigen Menschen gerecht darzustellen vor einem Publikum, das das Negative nicht sehen, sondern nur den Star weiter verherrlichen will. Übrigens: Es ist beileibe nicht so, daß Wagner, wie du schreibst, nur einmal ausrastete, er lebte lange genug, um die Hand, die ihn Jahre nährte und in die er trotzdem biß, wieder symbolisch zu heilen – er hat das nicht getan, auch privat nicht, seine Frau hat das in ihren Tagebüchern dokumentiert, er ging später sogar so weit, jeglichen Einfluß Meyerbeers auf seine Werke zu leugnen, obwohl der ihm anfangs als Vorbild diente.

Das war Verrat an seinem Ziehvater, und im gewissen Sinne hat auch die Tochter in meiner Geschichte Verrat an ihrer Mutter geübt, als sie diese aus nichtigem Anlaß verleugnete – sie erwies sich damit im Kleinen als Wagner würdig.

So war das gemeint, es tut mir leid, daß ich dich - und auch sim – mit diesem Text nicht erreicht habe.

Danke euch fürs Lesen und Kommentieren

Dion

 

Gestern, sim, habe ich dein Posting schon überflogen, aber erst heute habe ich die Zeit und Muse, ihn zu würdigen. Das meiste, was dich interessieren dürfte, habe ich wahrscheinlich schon in meiner letzten Antwort gesagt (wenn nicht, dann lasse es mich bitte wissen), doch es bleibt noch ein Vorschlag oder eine Frage von dir zu beantworten: Ob auch Nachkommen Wagners in den Text gehörten?

Ich habe mich diese Frage schon gestellt, aber letztlich dagegen entschieden, aus einem einfachen Grund: Was kann Wagners Nachkommenschaft dafür, daß sie die eines Antisemiten ist? Sollten gerade sie ihren Ahnherren kritisch gegenüberstehen, wo doch ganz Deutschland im Wagnertaumel war und teilweise immer noch ist? Wenn dir jemand sagt, wie großartig dein Vater oder Großvater war, kannst du doch nicht aufstehen und sagen, ja, alles schön und gut, aber er war auch ein Böser, war schließlich Vorbereiter des Holocaust?

Nein, die Verwandtschaft Wagners hat so gut wie keine Wahl (gehabt), ganz anders als Leute, die freiwillig auf Einspruch verzichteten und immer noch verzichten. Es ist leicht im Nachhinein zu sagen, das und jenes war falsch, aber hätte ich selbst anders gehandelt, wenn ich damals gelebt? Wahrscheinlich nicht, ich bin kein Held, lasse mich auch gern für etwas begeistern, und wenn ich dann aus der zeitlichen Distanz mich und mein Handeln betrachte, dann muß ich manchmal auch lachen, aber damals war das voller Ernst, zu verstehen nur aus der Zeit heraus.

Deswegen gehe ich nur auf die Heutigen los, wenn ich meine, daß da was falsch läuft, auch auf die Gefahr hin, daß ich in einigen Jahren selber darüber lachen muß. Aber ich lebe hier und heute, wenn ich immer daran dächte, ob das, was ich tue, Bestand haben würde, wäre ich zur Unbeweglichkeit verdammt.

Lieber Aktion mit der Möglichkeit des Scheiterns als Nichtstun.

In diesem Sinne

Dion

 

Hi Dion

Wieder eine dieser Geschichten, die zu wenig anklang erhalten.
Da sie gut ist. Ich hatte ja mal gesagt, dass ich bei deinen Geschichten immer einschlafen muss. Das hier ist auch so eine. Wurde ja im tread hier schon mal gesagt. Es ist wie im echten Theater, Oper Aufführung oder was auch immer: Erst ist man gespannt, verfolgt alles aufgeregt, dann ist man enttäuscht, gelangweilt und würde am liebsten gehen. dann, wenn man alles etwas auf sich einrieseln lassen hatt, findet man es gut und schwingt mit.

damit ich hier nicht einschlief, waren 10 Kaffee und drei nasen koks nach 4 Absätzen von Nöten.

Trotzdem gefällt es mir, denn es ist real. ich denke ja auch mal, dass du wirklich da warst. zu wagner sachen renn ich schon lange nicht mehr hin.
aber man ließt deine Stimmungen heraus.
etwas bissiger und fieser, und es wäre eine super Satire geworden, oder kann es ja auch noch werden. DAnn würde die KG hier vielleicht auch nicht so herumdümpeln. so ist es tralala gewäsch.
aber ich hab es gerne gelesen. zwar 2 mal abgebrochen, aber gerne gelesen. komisch oder. aber wie gesagt: zu diesen Konzerten quält man sich ja gelegentlich auch mehr oder weniger.

gruß

 

Aris Rosentrehter schrieb:
Ich hatte ja mal gesagt, dass ich bei deinen Geschichten immer einschlafen muss.
Immer? Echt? Dann kannst du unmöglich alle meine Geschichten kennen - bei meinen ersten wurde mir Spannung bescheinigt. Ehrlich. :D

Aris Rosentrehter schrieb:
aber wie gesagt: zu diesen Konzerten quält man sich ja gelegentlich auch mehr oder weniger.
Ja, unbedingt. Nachdem ich vor ungefähr 10 Jahren zum letzten Mal eine Wagneroper gesehen hatte – übrigens zu horrendem Preis in immer ausverkauften Nationaltheater in München (über 2000 Plätze) -, habe ich erstmal genug von seiner Musik und vor allem von seinem affektierten Publikum gehabt, mir geschworen, nie wieder. Aber dann habe ich mich neulich doch wieder überreden und zu diesem Gesprächskonzert mitschleppen lassen, und es war wieder wie immer: Dieses spezielles Wagnerpublikum, herausgeputzt, hochnäsig und vom Meister nur ehrfurchtsvoll redend. Wann immer ich etwas Kritisches anbringen wollte, kamen sofort Einwände wie: Ja, aber diese Mystik! Seine Musik ist doch majestätisch groß! Ein großer Deutscher! Der Größte! Verdi, die italienische Oper insgesamt (sie sagten: Die welsche! Oper), alles schön und gut, auch Mozart, einer der Besten, aber erst Wagner hat uns allen gezeigt, was in diesem Genre möglich ist! Wer hat schon 3 Opern komponiert, die alle im gleichen Zusammenhang stehen?! Sehen Sie!

Da bist du sprachlos, denn da geht es nicht um Musik, da geht es um Gesinnung.

Danke für lesen und kommentieren.

Dion

 

Hallo Dion,

Deine Geschichte finde ich entfernt kafkaesk, aber im Großen und Ganzen langweilig einseitig, dennoch ganz gut geschrieben. Erst habe ich wie meine Vorredner auf ein bisschen Handlung gewartet, aber dann ging es ja gerade so. Die langen Sätze verteidigst du wohl, dein Stil und blah, aber sei's dir unbenommen.

Ein paar Detailanmerkungen:
(Wahrscheinlich denkst du bei manchem, es sei Krümelkackerei. Aber ist völlig deine Sache, ob und wie du folgende Punkte umsetzt. Bin halt grad in der Laune, konstruktiv einen Text zu zerpflücken.)

es schien, sie hatte sich mit Bedacht auf diesen Abend, der später Nachmittag war, vorbereitet.
  • Abend != später Nachmittag - entweder/oder

ein zweiter, auf dem kleinen Finger ihrer rechten Hand getragen, war kleiner und gleichwohl noch zu groß, um beim schreiben nicht zu stören,
  • sie schreibt doch gerade nichts, außerdem >> beim Schreiben

manchmal die Innenseiten aneinander geschmiegt, doch berührten sich bei ihr nicht die Handflächen, sondern nur die Spitzen der Finger,
  • Das ist ein Widerspruch, die Handinnenseiten schließen doch auch die Handflächen ein, oder?

da hatte sich ein alterndes Clown ins Saal verirrt
  • zweimal falsches Genus

daß die antisemitischen Tiraden Wagners seinerzeit mit den Samen bildeten für die reichlich Früchte tragenden Pflanzen,
  • "mit den Samen" ... hier musste ich stutzen, ich habe hier erst mit + Dativ gelesen und nicht mit [etw. anderem zusammen] + Akkusativ. Vielleicht umformulieren?

Ein Experte in Sachen Wagner zu sein, aber nicht all sein Wissen offenbaren zu können, das schien nicht spurlos an dem in elegantes Grau gekleideten Mann auf der Bühne vorrübergegangen zu sein.
  • Bezugszeitfehler: Nur Vergangenes kann nicht-spurlos an einem vorbei gegangen sein - hier aber ist der Mann immer noch, d.h. während er auf der Bühne im eleganten Grau gekleidet steht, Experte in Sachen Wagner und kann nicht all sein Wissen offenbaren.

lediglich die zuvor Pedale des Klaviers bedienenden Füße
  • Wort fehlt >> die zuvor die Pedale bedienenden Füße

allein zu pissen,
  • dies, finde ich, ist ein Stilbruch, wie wäre es mit >> urinieren?

erklang wie aus der ferne Musik.
  • Großschreibung >> Ferne

So, voilà, mir geht es gleich viel besser. :D

 

Man, FLoH, du bist aber genau! Ich dagegen weniger. Leider. Wobei ich sagen muß, daß dieses Weniger nur die Rechtsschreibung betrifft, bei der Logik zum Beispiel schaue ich schon genau hin. Keine Frage, ich werde alle Fehler beseitigen, nur bei den Sätzen „mit den Samen“ und „Ein Experte“, da weiß ich nicht, wie ich es besser machen soll.

Mit dem Wort pissen habe auch ich ein Problem, allerdings finde ich dein urinieren auch nicht gerade passend, schließlich wird an der Stelle von der Steinzeit gesprochen, da gab es noch keine Damen, die vornehm urinierten. :D Ein etwas besseres Wort pinkeln kann ich auch nicht verwenden, weil es dann später zu Wortwiederholung käme – das bleibt also vorerst, das Zusammenzucken der feinen Gemüter muß ich in kauf nehmen, wenigstens ein gewisser wachrüttelnde Effekt ergibt sich daraus, was bei einer langweiligen Geschichte wie dieser eh zu begrüßen ist, oder?

Ja, an dieser Langweile kann leider nun kein Zweifel mehr bestehen. Ich werde diese Geschichte jedoch nicht mehr verbessern – sie ist ohnehin in diesem Punkt nicht zu retten -, aber ich werde nie mehr eine Geschichte veröffentlichen, die nicht fesselt! :D

Danke fürs lesen und kommentieren.

Dion

 

Hallo Dion,

ich sah den Titel und konnte nicht anders. Wenn du in meine vorletzte Geschichte siehst, weisst du warum. Also ich gebe zu, ich bin vorgepolt bezüglich Wagner, das nur zur Warnung.

Vieles Richtige betreffend dein Werk wurde ja schon in den Vorkritiken erwähnt, und ich will hier besser mit dir nicht über Wagner, seinen (latenten?) Antisemitismus etc. diskutieren.

Was auffällig ist, dass du die sprachliche Schönheit der ersten Absätze nicht durchhältst. An der Inhaltsarmut und dass die Geschichte nur aus Bildern besteht zu Anfang, störe ich mich nicht, bin ich doch selber Fan eines solchen Vorgehens.

Mehr als 4 Absätze ist das allerdings nicht durchzuhalten, du schaltest also um auf eine Beschreibung des Stefan Mickisch und beginnst zu urteilen. Deine eigene Person und Wertung kommt zum Vorschein und vor allem dein Urteil. Damit entwertest du die ersten Absätze, welche aus neutraler Distanz ein Bild gezeichnet hatten, welches auch anders hätte fortgeführt werden können.

In die gleiche Stoßrichtung geht die Szene mit dem pinkeln, pissen wie auch immer und den philosophischen Ausführungen über das weibliche Geschlecht und seine Eigenheiten.
Auch hier machst du mehr kapput, als du zu dem Gesamtbild beitragen würdest.

Dann bleibt eigentlich nur noch der Schluss nach dem bewährten Strickmuster: Mit einem Knaller von der Bühne abgehen.

Dass die Tochter sich von ihrer Mutter distanziert und sich wie die typischen Wagner-Charektere verhält ist wunderbar, aber leider der einzige inhaltliche Edelstein dieser Beschreibung.

Dennoch liebe Grüße,


N

Textkram:

Die kurzen, schütteren und Henna gefärbten Haare der Mutter f

mit Henna ?


doch allzuviel kann er sich nicht erlauben, höchstens in Beispielen versteckt zeigt er seinem Publikum, von wem Wagner was geklaut hat.

zu sehr UGS. Besser von wem Wagner kopiert hatte

deutschtummelnden Richard Wagner schuldig w

deutschtümelnd ??? Tummeln ist etwas anderes ...

 

Also, Nicole, ich habe deine vorletzte Geschichte gelesen, doch da stand nichts von Wagner, aber ich glaube dir trotzdem, daß du Wagner magst, den Deutschtümelnden, wie du das richtig vermutet hast. :D Das ist nichts Anrüchiges, nicht in Deutschland jedenfalls, der Saal, in dem diese Geschichte spielt, und die ich in Echt erlebt habe, war voll von seinen Fans - wie eine geschlossene Gesellschaft wirkten sie auf mich.

Um so mehr freue ich mich, daß deine Kritik im Rahmen bleibt, will sagen, sie erscheint mir gerechtfertigt, wenn auch sie, wie jede Kritik, subjektiv ist, d.h. mit persönlichen Vorlieben und Abneigungen gepaart, umsomehr überrascht es mich, daß du mir genau das ankreidest, sagst, ich werte persönlich und entwerte damit in der Geschichte das Vorhergehende, Poetische.

Dazu kann ich nur sagen: Ein Autor, der eine Gesellschaftskritik wie diese verfaßt und nicht die Position bezieht, d.h. nicht subjektiv wird, der kann einpacken und dorthin gehen, wo Wischiwashiaussagen von einerseits und andererseits willkommen sind.

Gewiß, ich hätte auch subtiler vorgehen und auf die Urteilskraft der Leser, sich selbst ein Urteil zu bilden, vertrauen können. Aber ich habe den anderen Weg gewählt, den Direkteren, wenn du so willst, und es kann natürlich sein – und es ist sicher auch so -, daß nun Einige verstört zurückzucken und sagen, dies und jenes wäre besser ungesagt geblieben, frei nach dem Motto: Wenn interessiert schon, daß Wagner ein Antisemit war, oder warum Frauen meistens zusammen auf die Toilette gehen.

Okay, über das Letztgenannte läßt sich reden, weil es meinerseits nur als Auflockerung bzw. als Doku für das Zusammenhalt der beiden Frauen gedacht war, die sich dann als keine erweist. Aber wie hätte ich die Kritik an Mickisch und sein Publikum anders anbringen sollen, wenn nicht durch Hinweise auf das, was er nicht sagt bzw. nicht zu sagen wagt, will er nicht sein Publikum, von dem er lebt, vertreiben?

Wagnerfans sind auch nur Fans, und die wollen immer nur Gutes von und über ihrem Idol hören, sind einer Kritik nicht zugänglich, tun sie in der Regel als Geschmacksfrage ab, sagen, okay, du magst Wagner nicht, das erklärt deine Abneigung, aber damit bist du nicht neutral, von dir lasse ich mir nichts sagen. Im besten Fall, also wenn die Beweise zu erdrückend sind, sagt man: Du mußt verstehen, der Wagner war ein Kind seiner Zeit, da war Antisemitismus populär, wenn überhaupt, dann war er nur latent antisemitisch, wenn er wirklich so schlimm gewesen wäre, dann hätte er nicht den erklärten Judenfreund König Ludwig II. zum Freund gehabt, oder?

Ich sehe, es hat mich wieder Eifer gepackt und bin in meiner Erwiderung ein wenig über das Ziel hinausgeschossen, vergessend, daß du nicht über Wagner mit mir diskutieren wolltest. Eigentlich ist Wagner auch nicht mein Thema, sondern seine heutigen AnhängerInnen, die …

Ich danke dir fürs Lesen und Kommentieren.

Dion

PS: Da ich nun eine Geschichte von dir schon gelesen habe, will ich sie demnächst auch kommentieren. Aber keine Angst, es wird nicht schlimm werden. Oder doch? :D

 

Erstmals danke ich dir, Blackwood, für die ausgiebige Beschäftigung mit dieser Geschichte, ein paar von deinen Vorschlägen habe ich sofort übernommen – ich dachte nicht im Traum daran, daß man da nach so langer Zeit noch grammatikalische Fehler finden könnte. :Pfeif:

Die Opernsaison fängt bald wieder an – bzw. der Opernsommer ist gerade zu Ende gegangen :D -, da ist doch verständlich, wenn, wie du sagst, es Operngeschichten hagelt, andererseits ist manchmal das Leben selbst eine Oper, oder warum glaubst du, gehen die Leute dahin? Doch nicht nur, um ein bißchen Elite zu spielen? Sicher ist das auch ein Grund – wo kann man schon die Frau samt hoher Mode ausführen, wenn nicht im Opernhaus? -, doch sich 5 Stunden Wagner anzutun, da muß man schon Durchstehvermögen haben – oder eine Pille einschmeißen :D -, oder ein Fan von Wagnermusik sein, daran ist nichts zu rütteln.

Ebenso nicht zu rütteln ist an der Tatsache, daß kein anderer Komponist die Menschen so polarisiert wie Wagner, in meinen früheren Antworten hier habe ich bereits angedeutet: Es gibt fast nur Befürworter oder Gegner. Obwohl dies auch anhand seiner Musik ausgetragen wird, ist sie nicht der wahre Grund für dieses Gegeneinander – es ist vor allem das politische und menschliche Wirken Wagners, das auch nach mehr als einem Jahrhundert nicht vergessen ist.

Er war ein Revolutionär - er mußte deswegen zeitweise ins Exil gehen -, auch in der Musik hat er neue Wege beschritten, doch menschlich war er ein Schwein, hinterging er bekanntlich von Bülow, in dem er ihm seine Frau abspenstig machte und selbst heiratete, und schwärzte Meyerbeer wo er nur konnte an, obwohl er bei beiden ein und ausging und wie ein enger Freund behandelt wurde, und Meyerbeer ihn Anfangs, als er ein Niemand ihm Musikgeschäft und arm wie eine Kirchenmaus war, über allen Maßen förderte, ich sagte es schon: Es ist Meyerbeers Einfluß zu verdanken gewesen, daß der Fliegender Holländer aufgeführt wurde.

Dies in seinem Vortrag über den Fliegenden Holländer nicht einmal erwähnt zu haben, kreide ich Mickisch an – er hatte alle Zeit der Welt, erzählte Anekdote um Anekdote rund um diese Oper, aber daß „vergaß“ er! Da macht man sich schon seine Gedanken, und ich, der gewiß Einiges darüber gelesen und gehört habe, vermutete eben das, was ich die Geschichte einfließen ließ, und es ist eben dieser Teil, der auch hier polarisiert, du weißt, du bist nicht der Erste, der das kritisiert.

Aber ich versichere dir, in dieser Veranstaltung waren fast nur Gleichgesinnte, Mickisch bekam immer dann Applaus, wenn er Wagner lobte, und manchmal auch, wenn er ihn insgeheim kritisierte – so bei der Szene, als er sagte, das ist typisch deutsch, dafür lieben wir ihn, obwohl er eigentlich vorführte, woher der eigentliche Motiv stammte (Bach). Da Bach auch ein Deutscher war, ist dieser Applaus nicht so ohne weiters verständlich, nur wenn man bedenkt, was Wagner für diese Gemeinde sonst noch bedeutet, wird einem klar, warum er deutscher als deutsch wahrgenommen wird.

Hätte ich dieses nicht gebracht, wäre diese Geschichte nur eine, wie auch sim schon meinte, über das sprichwörtliches Handyklingeln in Konzerten. Gewiß, da gibt es noch ein nettes Zusammenspiel mit dem Verhalten meiner Protagonistin mit den Wagnerfiguren, aber das wäre schon ein bißchen dünn, findest du nicht?

Da dies fast der einzige Kritikpunkt in deinen Ausführungen ist, betrachte ich sie als insgesamt lobend. Darüber freu ich mich, denn das passiert mir nicht oft, und schon gar nicht nach einem halben Jahr, als ich schon dachte, die Geschichte liegt für ewig begraben in den Tiefen der kg.de – es ist immer das Neue, das uns lockt, nur bei Wagner scheint das anders zu sein. :sealed:

Dion

 

Hallo Dion,

du kannst ja wunderbar beobachten und das dann sprachlich stimmig wiedergeben. Hier hast du eine gedrückte, gedämpfte Atmosphäre geschaffen, so dass ich mich beim Lesen kaum zu husten traute. ;)

Was mir noch besser gefallen hätte: ein paar Dialoge. Ich konnte die beschriebenen Personen zwar sehr gut vor mir sehen, aber ich hätte sie auch gern gehört, und das hätte den Text etwas aufgelockert unddamit lesefreundlicher gemacht.

wenn es sich irgendwo einrichten läßt, geht eine Frau nie alleine dahin, wohl eine übriggebliebene Gewohnheit aus längst vergangenen Zeiten, als es für eine Frau noch lebensgefährlich war, allein zu pissen,
Ein echter Dion! *g* Übrigens, Frauen pinkeln beide, wenn sie zusammen zur Toilette gehen.

Verschämt und etwas hilflos schaute sie ihre Tochter an, doch die kannte sie nicht mehr, rückte schon beim ersten Klingeln so weit wie möglich von ihr weg,
Das ist sooo eine tolle Stelle, ich bin begeistert!

Gute Geschichte, gern gelesen!

Gruß, Elisha

 

So viel Lob auf einmal, Elisha, das bin ich von dir gar nicht gewöhnt. Gott sei dank hast du auch eine echte Schwachstelle entdeckt – das mit fehlenden Dialogen -, sonst würden die Leute vielleicht denken, ich hätte dich bestochen. :D


Elisha schrieb:
du kannst ja wunderbar beobachten und das dann sprachlich stimmig wiedergeben. Hier hast du eine gedrückte, gedämpfte Atmosphäre geschaffen, so dass ich mich beim Lesen kaum zu husten traute. ;)
Danke. Ja, ich habe mich auch einmal austoben wollen – und mir prompt vom sim den Vorwurf eingehandelt, der Text geile sich an sich selber auf.
Womit wieder einmal bestätigt ist, daß man es nicht allen recht machen kann, selbst wenn man es wollte. Und was das betrifft: Ich will nicht gefallen, ich schreibe nur Geschichten, die ich selbst gerne lesen würde – das war meine einzige Motivation, als ich mit dem Schreiben anfing.


Elisha schrieb:
Ein echter Dion! *g*
Das hast du jetzt schon öfter gesagt. :D Durch solche Kommentare würde ich mich noch selbst finden, aber zum Glück habe ich diese Erfahrung schon gemacht, will sagen, die Bemerkung ist treffend, was wieder kein Wunder ist, hast du doch Psychologie studiert, oder?


Elisha schrieb:
Übrigens, Frauen pinkeln beide, wenn sie zusammen zur Toilette gehen.
Wäre ja noch schöner, wenn dem nicht so wäre! Übrigens warte ich immer noch auf eine Widerlegung meiner hier nicht zum ersten Mal offenbarte Theorie, vielleicht könntest du hier was unternehmen, ich meine, es wäre doch beschämend, wenn ich als Mann euch Frauen aufklären müßte, oder?


Elisha schrieb:
Das ist sooo eine tolle Stelle, ich bin begeistert!
Danke. Ja, dieses Verhalten ist oft zu beobachten. Aber wem sage ich das! Ich meine, du als Psychologin weißt über diese Vorgänge sicher mehr als ich – ich kann nur beobachten und schreiben und manchmal meinen Senf dazu geben.

Ich danke dir fürs Lesen und das freundliche Kommentieren.

Dion

 

wie er wunderbar erst Bach, Mozart oder Beethoven am Klavier zitiert, um dann, als sie alle ganz hingerissen sind ob der herrlichen Musik, abrupt Wagnerklänge ertönen läßt, hier, sagt er dann, das kann nur Wagner, diese Betonung, das Stampfende, das ist typisch für ihn, das ist deutsch, dafür lieben wir ihn.
die anderen sind äh ... ebenso deutsch?? (nebenebei hat Beethoven von Mozart geklaut, das wollt ich doch noch mal gesagt haben ... argh, Beethoven ...) Oder Betonung, wg seiner DEUTSCHEN Einstellung?

Hi Dion,

Wagner ist im Moment ja ein rotes Tuch für mich, trotzdem konnte ich deine Geschichte genießen.

Eine Frage:

da saß offenbar ein Mann ohne Eier
Ist das hier (auch) metaphorisch gemeint? Zumindest im Jargon meiner Altersgruppe bedeutet das nämlich, Angst vor etwas zu haben (weiß aber nicht, ob dieser Ausdruck so weit verbreitet ist). Und es wird ja gesagt, dass er 'pikante' Details verschweigt, um seinen Job nicht zu verlieren.

Tserk!
Gefundene Fehler:

An ihren Ohren hingen falsche Perlen in der Größe geschälter Hasselnüsse
Haselnüsse
Gekleidet war sie in grünlichbraunes Hosenkostüm
in ein
die fast die gesamte Fläche des ersten Daumgliedes ausmachten, zeugten von Gewohnheit oder vielmehr von inneren Spannung
inneren
Andererseits war das die einzige sichtbare Regung, gerade, wie gepfählt saß sie auf ihrem Stuhl
gepgähltKOMMA
meistens zu ihrer älteren Nachbarin zur linken, oder, wenn sich wieder jemand zu husten erdreistete
Linken
Obwohl er bei Erklärungen ganz weit ausholt und auch Nebensächlichkeiten zum besten gibt
Besten
ohne dessen Empfehlung es weder Der fliegende Holländer auf die Bühne geschafft, noch Wagner selbst zu etwas gebracht hätte.
Komma weg
Daß Wagner sich als menschliches Schwein entpuppte, sobald er die Hilfe des Juden Meyerbeers nicht mehr bedürfte
bedurfte
dahinter irgend etwas Sexuelles zu vermuten, kann nur perversen männlichen Hirnen entstammen.
irgendetwas

 

Tserk schrieb:
die anderen sind äh ... ebenso deutsch?? (nebenebei hat Beethoven von Mozart geklaut, das wollt ich doch noch mal gesagt haben ... argh, Beethoven ...) Oder Betonung, wg seiner DEUTSCHEN Einstellung?
Ja, die anderen waren auch Deutsche, zumindest im weitesten Sinn, denn dieser Begriff war damals nicht so zu verstehen wie heute – es gab ja noch kein Deutschland -, meistens sagte man damals, jemand ist oder jemand ist nicht deutscher Zunge.


Tserk schrieb:
Wagner ist im Moment ja ein rotes Tuch für mich, trotzdem konnte ich deine Geschichte genießen.
Freut mich, wenn auch ich dein trotzdem nicht verstehe.


Tserk schrieb:
Ist das hier (auch) metaphorisch gemeint? Zumindest im Jargon meiner Altersgruppe bedeutet das nämlich, Angst vor etwas zu haben (weiß aber nicht, ob dieser Ausdruck so weit verbreitet ist). Und es wird ja gesagt, dass er 'pikante' Details verschweigt, um seinen Job nicht zu verlieren.
Ja, das war metaphorisch und faktisch – er saß, wie das aus anatomischen Gründen nur Frauen können :D , und er sprach bestimmte Dinge nicht an, vielleicht weil er fürchtete, seine und Wagners Fans würden ihm davon laufen, dieses ist allerdings nur eine Vermutung von mir.

Ich danke dir, Tserk, für das Lesen und Kommentieren – und wie immer, habe ich von deinen Verbesserungsvorschlägen fast alle übernommen.

Dion

 

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