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Eine bittere Erkenntnis
Steffi´s Zwillingsschwester hieß Daniela.
Wie es damals so üblich war, wurden die beiden nicht voneinander getrennt, sondern wurden in dieselbe Grundschule eingeschult und waren sogar in derselben Klasse. Das war für Steffi aber auch kein Problem, die beiden verstanden sich gut. Außerdem kannte sie es auch nicht anders, sie verbrachte ja ihr ganzes Leben mit ihrer Schwester an der Seite. Sie waren zwar keine eineiigen Zwillinge, waren auch nicht gleich gekleidet, traten aber durchaus als Doppelpack auf. Steffi und Daniela, die Zwillinge. Die beiden Namen wurden sehr häufig in der Kombination genannt. Wie sollte es also anders sein? Klar gab es manchmal auch Streitereien, aber wo gab es die nicht?
Manchmal tat Steffi etwas genervt davon, dass ihre Schwester ständig in ihrer Nähe sein wollte. Egal in welcher Situation, ob in der Pause oder bei einem Schulausflug, Daniela wollte immer wissen wo sie gerade war. Sie rief z.B. im Schulbus ihren Namen, um zu sehen in welcher Reihe sie saß oder stellte sich in der Schlange in der Cafeteria immer direkt hinter sie. Aber wenn Steffi ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, dass sie die Situation auch mochte. Sie wusste, dass sie die Selbstbewusstere und Dominantere von beiden war und das war schließlich auch gut so. Es gefiel ihr zu bestimmen was gespielt wurde, mit wem sie sich trafen oder wer im Etagenbett oben schlafen durfte. Steffi gab den Ton an, sie war ja schließlich die sieben Minuten Ältere.
Eines Tages, an einem Sommertag in der dritten Klasse, kam ein Mitschüler vom Fußballplatz zu den Zwillingsschwestern herübergelaufen. Es war die erste große Pause an diesem Tag, die Sonne schien und der Matheunterricht war bereits geschafft. Er hob beim winkend die Hand als er auf sie zu lief und lächelte die beiden an. Als er ankam, schaute er einen Moment Richtung Boden auf seine mit Grasflecken bedeckten Schuhe. Dann holte er tief Luft. Steffi spürte regelrecht wie er sich überwinden musste. Schließlich fasste er seinen ganzen Mut und fragte, ob sie sich nicht mal nach der Schule verabreden wollten. Steffi wurde leicht nervös. Der Junge wollte sich mit ihnen verabreden. Noch nie waren sie mit einem Jungen aus der Klasse verabredet. Normalerweise fehlten ihr keine Worte, doch dieses Mal brachte sie keins heraus. Daniela sagte, dass sie es sich überlegen werde. „Ok, dann sag Bescheid“, sagte der Junge, drehte sich um und lief zurück zum Fußballplatz. In dem Moment sprachen die beiden Schwestern nicht weiter über das Thema. Sie spielten weiter auf dem Schulhof.
Später zu Hause erzählte Steffi ihrer Mutter von der Einladung. Sie wollte wissen was ihre Mutter dazu sagte und gleichzeitig entscheiden, ob sie die Einladung annehmen würden. Daniela sagte: „Ich weiß nicht ob ich dahin möchte. Wir haben noch nie zusammen gespielt und ich finde das irgendwie komisch“.
"Ach, macht das doch ruhig“, sagte ihre Mutter. „Es ist doch nett, dass er euch gefragt hat. Ich fahre euch auch dorthin. Seine Mutter hat mir auch schon mal erzählt, dass er viel von dir spricht, Daniela. Was meinst Du denn, Steffi?“.
„Ich hab schon Lust dazu“, sagte sie und ihre Mutter meinte, dass sie es sich überlegen sollten.
Am nächsten Tag ging Steffi auf den Mitschüler zu und sagte, dass sie auf jeden Fall Lust hätte zum Spielen zu ihm zu kommen. Er blicke sie erst verwundert, dann lachend an und sagte: „Dich hab ich aber nicht gemeint, ich möchte mich mit Daniela treffen“. Steffi spürte wie ihr Herz schneller schlug, sie wünschte sich umgehend im Erdboden zu versinken und konnte die Antwort erst gar nicht verstehen. Tausend Fragen gingen ihr blitzschnell durch den Kopf. Warum wollte er sich nicht mit ihr treffen? Fand er Daniela netter als sie? Warum? Sie wusste nicht, wie sie auf diese Zurückweisung reagieren sollte. Welch ein peinlicher Moment. Sie wünschte sich nur noch, dass er mit dem Lachen aufhörte. Panik machte sich bei dem Gedanken breit, was passieren würde, wenn er seinen Freunden davon erzählte. Schließlich überwand sie sich und sagte dann leise: „ach so“. Sie versuchte ihre Tränen zu unterdrücken und ging mit schnellen Schritten davon. Am liebsten hätte sie diesen Moment mit ins Grab genommen.
Leider entschied ihre Schwester sich am nächsten Tag dafür, die Verabredung anzunehmen. Ihre Mutter hatte sie auch noch dazu überredet, so ein Mist. Steffi musste also erklären, warum sie nicht mitkommen konnte, nicht mitkommen durfte. Ihre Mutter durchschaute ihren kläglichen Versuch die Enttäuschung herunterzuspielen und tröstete sie. Sie sagte, dass es für ihre Schwester gut wäre, auch mal was alleine zu machen und bat Steffi, sich für ihre Schwester zu freuen.
Als die Verabredung stattfand, musste Steffi mit dorthin fahren, da sie noch nicht alleine zu Hause bleiben konnte. Sie durfte nicht einmal alleine im Auto warten, sondern begleitete Mutter und Schwester bis zur Haustür, um dann, wie eine Außenseiterin, wieder mit ihrer Mutter nach Hause zu fahren. Noch nie fühlte sie sich so ungeliebt und gedemütigt, wie in dieser Situation. Daraus folgte die bittere Erkenntnis, dass ihre Schwester ein selbstständiger Mensch war und nicht nur ihr Anhängsel. So schwer es in dem Moment auch war den Gedanken zuzulassen, so sollte sich diese Erkenntnis in der Zukunft positiv auf ihre Beziehung auswirken.