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Eine Begegnung
Es war, glaube ich, an einem Montag, aber mit Sicherheit war es an dem Welt-Aids-Tag letzten Jahres, als Jörg und ich in unsere Stammkneipe gingen, um nach einem erfolgreichen Einkaufsbummel ein schnelles Kölsch im Stehen zu trinken.
Während ich an einem der kleinen Stehtische stand und auf Jörg wartete, der die Getränke organisieren wollte, betrat eine kleine Gruppe junger Leute – vier Männer und eine junge Frau– die Kneipe.
Bekanntermaßen besitzt eine Frau im Gegensatz zu einem Mann die Fähigkeit, Figur, Aussehen und Wirkung
Gleichgeschlechtlicher ohne Probleme einschätzen zu können und Kund zu tun. Die junge Frau, die mir gegenüber saß, war einfach nur bildschön und es fiel mir schwer, den Blick von ihr zu wenden. Ihre hüftlangen blonden Haare fielen seidig ihren schlanken Rücken hinab und umrahmten ein perfekt geschnittenes Gesicht. Der absolute Hammer aber waren ihre grünen Augen. Noch nie zuvor hatte ich eine so intensive Augenfarbe gesehen.
Missmutig dachte ich an mein, im besten Falle als Bernstein zu betitelndes, Augenfarbgemisch, als Jörg mir mit einem „Prost“ mein Bier in die Hand drückte.
„Meine Güte, Alex, jetzt guck doch nicht so auffällig zu der Frau“, zischte er zu mir rüber.
„Hast Du deren Augenfarbe gesehen“, zischte ich zurück, „die trägt hundert Prozent gefärbte Kontaktlinsen, da bin ich mir ganz sicher.“ Mein Neid kannte keine Grenzen.
Von Jörg, meinem schwulen Freund, Zickenviper Nummer eins, versprach ich mir eine gewisse Bereitschaft zur Lästerei, doch leider wurde ich bitterlich enttäuscht.
„Schlimm genug, dass sie im Rollstuhl sitzt in den jungen Jahren“, flüsterte Jörg weiter. „Sie tut mir irgendwie Leid.“
Ich blickte ihn erstaunt an. „Warum tut sie Dir denn Leid, sie scheint sich doch bestens zu amüsieren.“
Wir blickten beide wieder zu der jungen Frau, als sie uns plötzlich ihr Gesicht zuwendete und mir einen weiteren Blick aus ihren magischen Augen schenkte.
„Ist irgend was?“
Jörg schüttelte seinen Kopf, dass seine blonden Schillerlöckchen nur so um seine Nase tanzten.
„Ihr habt doch gerade über mich geredet, oder?“
„Ja, das haben wir. Du hast sehr schöne Augen“, bemerkte ich immer noch neidvoll.
Sie zog ihre perfekt gezupfte Augenbraue mit einem missbilligenden Ausdruck in die Höhe und blickte zu Jörg.
„Und Du hast eine sehr schöne rote Schleife auf Deinem Hemd.“
Jörg strich liebevoll über sein Aidsschleifchen und schaute mich triumphierend an: „Siehst Du, es ist überhaupt nicht lächerlich, so etwas zu tragen.“
„Ist es wohl“, muffelte ich ihn an.
„Nein, ist es nicht“, widersprach die blonde Schönheit energisch und drehte sich nun mit ihrer vollen Aufmerksamkeit uns zu.
Ich hatte gerade eine Stunde lang mit Jörg über dieses Schleifchen diskutiert und eigentlich keine Lust diese Unterhaltung fortzusetzen, aber ihre Katzenaugen schauten mich herausfordernd an.
„Mit dieser Schleife solidarisiert man sich mit den HIV-Erkrankten. Was soll denn daran lächerlich sein“, sprach sie weiter.
Also gut, beschloss ich. Auf in den Kampf. „Es ist Blödsinn, weil ich mich nicht mit jedem HIV-Erkrankten solidarisieren will“, erklärte ich ihr. „Wenn jemand verantwortungslos mit seiner Krankheit umgeht oder mir ein Junkie mit seiner Spritze droht, habe ich sehr wohl was gegen diesen Menschen.“ Ich bemerkte, wie sie tief Luft holte, um mir ihre Antwort entgegenzuschmettern und fuhr schnell fort. „Es ist für mich selbstverständlich, keine Vorurteile gegen Menschen zu haben, nur weil sie erkrankt sind.“ Und zu Jörg gewandt fügte ich hinzu: „Außerdem habe ich eben auch einen Zehner in die Sammeldose gesteckt. Ich weigere mich nur, dieses rote Schleifchen auf meiner Brust zu tragen. Entweder trägt man so ein Ding um sein Herz oder gar nicht. Und da braucht es auch niemand zu sehen“, fügte ich mit leicht lehrmeisterhaftem Unterton noch hinzu.“
„Das hast Du jetzt aber schön gesagt“, entgegnete Jörg lächelnd.
„Das ist der größte Schwachsinn, den ich jemals gehört habe“, erwiderte die junge Frau, deren Namen ich immer noch nicht kannte, bei der ich mir jedoch mittlerweile ziemlich sicher war, sie nicht leiden zu können.
„Es besteht ein Riesenaufklärungsbedarf zu diesem Thema. Die Menschen verurteilen, ohne auch nur im Geringsten informiert zu sein, und haben aufgrund fehlender oder falscher Auskünfte immer noch Angst vor dem Miteinander und dem täglichen Umgang mit Erkrankten. Dadurch werden HIV-Infizierte weiter in ein Randgruppendasein gedrängt, ohne die Chance auf ein halbwegs normales Leben zu haben.“
„Das ist doch genau das, was ich meine“, ereiferte ich mich. „Wenn sie als ganz normale Menschen behandelt werden wollen, muss ich auch das Recht haben, jemanden nicht leiden zu können, obwohl er erkrankt ist. Genau, wie ich nicht mit jedem Schwarzen einer Meinung bin, nur weil wir über Rassenkonflikte diskutieren.“
„Das wird ja immer schöner“, die blonde junge Frau ereiferte sich weit mehr, als ich zuvor. „Was ist das denn für ein Ausdruck „Schwarzer“, der strotzt ja gerade nur so vor Diskriminierung.“
„Immer diese Befindlichkeiten“, motzte ich weiter. „Ich habe mich auch noch nie darüber beschwert, dass man mich als „Weiße“ betitelt hat.“
„Sie sind aber nicht „nur“ schwarz. Du redest hier schließlich von einem Menschen und nicht nur von einer Farbe.“
„Farbig sind sie aber auch nicht, oder?“
Jörg ging hinter seinem schmalen Kölschglas in Deckung, beobachtete aber weiter interessiert, ähnlich einem Tennismatchzuschauer, unseren Schlagabtausch.
„Um die richtige Bezeichnung für jemanden mit einer dunklen Hautfarbe zu wählen, kannst Du von einem Menschen mit negroider Abstammung sprechen.
„Das ist doch lächerlich“, lachte ich. „Es hört sich doch absolut borniert an, jedes Mal von einem Menschen negroider Abstammung zu sprechen, wenn ich seine Hautfarbe bezeichnen möchte und überhaupt….“
„Wieso reduzierst Du einen Menschen überhaupt auf seine Hautfarbe. Nenn ihn doch einfach bei seinem Namen“, unterbrach sie mich.
„Ich reduziere ihn doch gar nicht nur auf seine Hautfarbe. Du drehst mir das Wort im Mund herum…“
„Will vielleicht noch jemand ein Kölsch?“, warf Jörg in die Runde, ohne seine sichere Deckung aufzugeben.
„Ein Schuss“, antworteten wir beide wie aus einem Munde und zum Erstaunen von Jörg lächelten wir uns kurz an.
Als er mit drei Gläsern wiederkam, stießen wir an.
„Ich heiße übrigens Alex“, sagte ich mit einem kurzen Nicken. „Wenn wir uns schon streiten, sollten wir wenigstens unsere Namen kennen.“
„Ich heiße Patricia“, erwiderte sie. „Ihr könnt mich Patzi nennen.“
„Nomen es Omen“, sagte ich leise und nahm einen tiefen Schluck.
„Das habe ich gehört“, erwiderte sie in ungebrochener Kampfstimmung.
„Ich finde unser Gespräch wirklich anstrengend,“ stöhnte ich.
„Das finde ich auch, aber es ist wohl an der Zeit, dass Dir jemand mal gewisse Zusammenhänge erklärt“, sagte sie von oben herab.
Die nächsten drei Stunden unterhielten wir uns angeregt weiter, jedoch ohne, dass wir es auch nur ansatzweise schafften, die gleiche Meinung zu vertreten. Jörg hatte sich irgendwann verabschiedet und Patzis Freunde waren mittlerweile auch schon gegangen.
„Wie kommst Du eigentlich nach Hause?“, fragte ich sie.
„Zu Fuß“, kam es wie aus der Pistole geschossen.
„Du wohnst auch in der Nähe vom Eigelstein, nicht wahr?“ Sie nickte. „Dann gehen wir doch einfach zusammen.“
Während wir nebeneinander die dunkle Straße entlang spazierten, diskutierten wir ohne Unterlass und fielen uns permanent ins Wort.
An der Kreuzung, an der sich unsere Wege trennten, blickte sie mich noch einmal an.
„Ich glaube, ich kann Dich nicht leiden“, stellte sie mit einem Schulterzucken fest.
„Ich glaube, ich Dich auch nicht“, erwiderte ich. „Sehen wir uns wieder?“
„Klar“, sie lächelte, wobei eine strahlend weiße Zahnreihe zum Vorschein kam. „Ich gebe, Dir meine Telefonnummer.“
„Gute Idee“, ich nahm den angebotenen Zettel. „Was ich Dich die ganze Zeit schon fragen wollte…“
Patzi blickte mich mit ihren smaragdgrünen Augen an und das erste Mal flackerte so etwas wie Unsicherheit in ihrem Blick auf.
„Was denn?“, fragte sie fast unfreundlich.
„Diese Augenfarbe – die ist doch nicht echt, oder? Gib zu, Du trägst gefärbte Kontaktlinsen. Ich habe noch nie so ein intensives Grün gesehen.“
Augenblicklich erschien wieder ihr selbstsicheres Lächeln und während sie sich umdrehte, warf sie mir noch einen männermordenden Blick über die Schulter zu. „Das geht Dich nichts an“, erwiderte sie kurz und hob ihre Hand. „Wir sehen uns.“
Ich schloss meinen dünnen Mantel enger um mich und machte mich auch auf den Heimweg.
Mit Sicherheit sehen wir uns wieder, dachte ich lächelnd. Selten hatte ich mich so gut gestritten wie heute.