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Eine andere Welt

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17.04.2011
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Eine andere Welt

Der Friseur hat wieder einen Hocker herangeholt. So kann ich sitzen, während er meinem Bruder die Haare schneidet. Unter dem Umhang sucht Andreas Hand nach meiner und hält sie fest. Ich spüre, wie er sich entspannt. Mir fällt sein allererster Friseurbesuch wieder ein. Eigentlich war es keiner. Er hatte den Friseur nicht an sich herangelassen. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er weinend, die Knie bis ans Kinn gezogen, in einer Ecke des Salons hockte.
Andreas beobachtet mich ganz genau im Spiegel. Bei allen bisherigen Besuchen hatte er nur ins Leere geguckt. Ich verberge mein Erstaunen und lächle ihn einfach nur an.
Ich wage es. Meine Hand gleitet aus seiner. Sofort sehe ich Angst in seinen Augen. Sein Atem wird schnell. Der Friseur wechselt die Schere und schneidet weiter. Ich halte den Blickkontakt aufrecht. Noch hält Andreas still. Der Friseur ist nun auf der anderen Seite angekommen. Andreas Atem beruhigt sich. Er blinzelt nicht mal. Schlagartig wird mir klar, was gerade passiert. Ich kriege Angst, dass er auch dann die Augen nicht schließt, wenn der Friseur bei seinem Pony ankommt. Ein einziges Haar in seinen Augen würde reichen, um ihn wie wild um sich schlagen zu lassen.
Doch sein Pony ist längst geschnitten. Vorsichtig lasse ich die Luft aus meiner Lunge entweichen. Bloß nicht den Blickkontakt abbrechen.
„So, der junge Mann ist fertig“, verkündet der Friseur und entfernt den Umhang. Mein Bruder rutscht vom Stuhl herunter.
„Du hast es geschafft! Das ist toll, Andreas.“ Er greift nach meiner Hand und ich spüre, wie sehr er sich angestrengt hat.
„Ich hätte das nicht für möglich gehalten.“ Der Friseur zwirbelt wieder seinen Bart. „Dabei kenne ich ihn schon so lange.“
„Danke.“ Lächelnd lasse ich Andreas in seine Jacke schlüpfen. „Bis zum nächsten Mal.“
Ich bin stolz auf ihn.

Seit Andreas vier ist, geht meine Mutter nachmittags wieder arbeiten. Dafür übernehme ich das Aufpassen, sobald ich aus der Schule komme.
„Hier stand gestern ein roter Fiat. Kennzeichen OD-E-424. Und dort stand ein schwarzer Audi. Kennzeichen SFA-F-342.“
Auf unseren Spaziergängen zeigt er mir alles, was er sieht.
„Da oben in der Astgabel ist jetzt ein Nest.“
An guten Tagen berichtet Andreas mir mehr Veränderungen, als ich aufnehmen kann. Aber irgendwann klammert sich seine Hand wieder an meine. Dann wird er still.

„Möchtest du ein Eis haben?“ Die Frage nach der Sorte ist unnötig. Er mag nur Erdbeereis.
„Ja. Ein Eis.“ Andreas betrachtet einen schwarzen Mercedes am Straßenrand. Ich will mit ihm in die Eisdiele gehen, aber er rührt sich nicht.
„Es ist doch kaum jemand drin?“
Andreas schüttelt nur den Kopf.
„In Ordnung. Ich kaufe für uns Eis. Du bleibst genau hier stehen.“ Andreas Blick klebt an dem Mercedes. Die Scheiben sind getönt. „Du fasst den Mercedes nicht an, klar?“
„Ja.“
In der Eisdiele muss ich warten. Durch die große Glasscheibe kann ich ihn sehen. Er hat den Rücken zu mir gedreht und steht neben dem Mercedes. Von hier sieht er aus, wie ein ganz normaler Junge.
„Was darf es sein?“
„Oh, zweimal eine Kugel Erdbeereis, bitte.“
Der Verkäufer steckt zwei Eishörnchen in einen Ständer. Ein Schrei trifft mich bis ins Mark. Sofort drehe ich mich um. Ein Mann mit der Figur eines Bodybuilders hält Andreas am Arm fest und brüllt ihn an. Ich renne raus. „Hey, lassen sie meinen Bruder los. Aber sofort!“
Andreas schreit und schlägt um sich. Der Bodybuilder hält ihn mühelos auf Abstand.
„Der Idiot gehört zu dir?“
„Das ist mein Bruder! Was fällt Ihnen ein! Lassen Sie ihn los!“ Ich atme schnell und flach. „Sie tun ihm weh!“
„Er hat an meinen Reifen gepinkelt. Da!“ Mit der freien Hand zeigt der Bodybuilder auf eine nasse Stelle.
„Lassen Sie ihn endlich los!“ Alle Augen sind auf uns gerichtet. „Oder ich hole die Polizei!“
Der Bodybuilder ist unbeeindruckt. „Der braucht keine Polizei! Ein paar hinter die Ohren. Das braucht er!“
Ich möchte auf ihn einschlagen, aber ich weiß, dass ihn das nur provozieren wird.
Andreas wehrt sich nicht mehr. Weinend hängt er wie ein Sack am ausgestreckten Arm. Es tut so weh, ihn leiden zu sehen.
„Bitte! Mein Bruder ist anders.“ Ich spüre, wie meine Augen feucht werden. „Er erträgt es nicht, wenn man ihn anfasst. Das tut ihm weh. Bitte!“
Tatsächlich lässt der Bodybuilder los. Er wischt sich die Hand an seiner Hose ab.
„Sieh zu, dass der unter Verschluss kommt. Der ist ja gemeingefährlich.“ Er steigt in seinen Mercedes. „Es gab Zeiten, da lief so was nicht frei rum.“ Er fährt davon. Einen Moment starre ich hinterher.
Andreas kauert auf dem Bürgersteig. Ich hocke mich vor ihn und warte, strecke ihm meine Hand entgegen. Wenn er bereit ist, wird er sich festhalten. Etwas anderes kann ich jetzt nicht für ihn tun.
„Hier euer Eis.“ Der Eisverkäufer steht auf einmal neben mir. „Geht aufs Haus. Zum Trost.“
„Danke. Das ist sehr nett.“ Ich nehme die beiden Eistüten. Andreas wird heute kein Eis mehr wollen. Da bin ich sicher.
Endlich wenden sich auch die neugierigen Blicke von uns ab und wir sind unter uns. Ich hasse es, wenn ich mit ihm im Rampenlicht stehe. Mein Bruder kann nichts für seine Art. Deswegen müssen wir auch nichts rechtfertigen. Aber das lässt die fragenden Blicke nicht verschwinden.
Ich sehne mich nach meinen Kopfhörern. Ich möchte wieder auf meinem Bett liegen und Bachs Cello Suiten hören. Der warme Klang wird mich durchdringen und mich auf Wolken schweben lassen. Ich werde dann alles um mich herum vergessen. In meiner Welt aus Musik gibt es keinen Streit und kein Leid. Nur Musik.
Ich schüttele den Gedanken aus meinem Kopf. Andreas braucht mich jetzt hier. Der Gedanke an meine Welt flackert nochmal kurz auf und entlockt mir ein Seufzen.

Wir gehen auf den Abenteuerspielplatz. Ein paar Kinder spielen und ihre Mütter sitzen plaudernd auf den Bänken. Ich setze mich abseits auf einen Baumstumpf.
Andreas klettert die Leiter der kleinen Rutsche hoch und rutscht herunter. Er klettert wieder hoch und rutscht herunter. Hoch. Und runter. Immer wieder. Hoch. Und runter. Hoch. Und runter. Auf ihn hat das die gleiche beruhigende Wirkung, wie auf mich. Hoch. Und runter. Mein Blick schweift über den Spielplatz. Nachher könnten wir das verrückte Labyrinth spielen. Anders als bei Memory habe ich da wenigstens eine Chance. Allerdings nur, weil er mir immer sagt, welches Ziel er als Nächstes hat. Ich sage ihm meine Ziele auch. Fair ist fair. Sein irritierter Blick erinnert mich dann jedes Mal daran, dass er nicht erkennen kann, was andere Menschen vorhaben.
Andreas Schrei lässt mich aufspringen. Eine Mutter versucht, ihn von der Leiter der Rutsche zu trennen. Doch Andreas klammert sich fest. Daneben steht ein kleines Mädchen mit Zöpfen.
„Hey, was ist denn los?“ Sofort stehe ich neben der Mutter.
„Er rutscht schon die ganze Zeit.“ Sie stemmt einen Arm in die Hüfte. „Außerdem ist er viel zu alt dafür.“
„Na und?“
„Kleine Kinder möchten vielleicht auch mal rutschen.“ Mit der einen Hand deutet sie auf das Mädchen. Mit der anderen greift sie nach Andreas Handgelenk. Bevor ich etwas sagen kann, reißt Andreas seine Hand zurück. Voller Wucht stößt sein Ellenbogen gegen das Geländer. Das kleine Mädchen hält sich entsetzt die Ohren zu.
Alle Blicke sind auf uns gerichtet. Niemand spielt. Niemand plaudert.
Andreas sinkt zu Boden und umklammert mit der anderen Hand seinen Ellenbogen.
„Das hat er jetzt davon, wenn er so rücksichtslos ist.“ Sie schüttelt den Kopf. „Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Mit dem Mädchen an der Hand zieht sie davon. „Komm Anna. Du kannst auch später rutschen.“
Ich kann es nicht lassen, ihr eine Fratze hinterher zu schicken.
Andreas Gesicht ist schmerzverzerrt und voller Tränen. Ich setze mich neben ihn in den Sand und warte. Vögel zwitschern.
Die anderen Kinder spielen weiter, als wäre nichts gewesen.
Als seine Tränen nachlassen, strecke ich ihm wortlos meine Hand entgegen. Er klammert sich daran fest.

Zu Hause öffnet uns meine Mutter die Tür. „Was hast du mit Andreas gemacht? Er ist ja fix und fertig. Und was ist mit seinem Arm?“
Während ich mir in der Küche ein Glas Saft einschenke, fasse ich den Nachmittag zusammen. Den Erfolg beim Friseur behalte ich für mich.
„Du musst besser auf ihn aufpassen.“
„Ich gucke doch schon die ganze Zeit hin.“ Gierig leere ich das Glas.
„Dann wäre das ja wohl nicht passiert, oder?“
Ich stöhne auf. „Zweimal, Mutti. Nur zweimal habe ich ihn für einen Moment nicht im Blick gehabt. Was soll ich denn noch tun?“ Ich knalle das Glas auf den Tisch. Ein mahnender Blick trifft mich.
„Du siehst, was passieren kann. Du darfst ihn nie aus den Augen lassen, wenn ihr draußen seid.“ Sie nimmt das Glas und trägt es zum Spülbecken. „Auch nicht für einen kleinen Moment.“
Ich gehe die Treppe hoch zu meinem Zimmer. „Ich werde zukünftig besser aufpassen.“
Die Kopfhörer liegen griffbereit auf meinem Bett. Ich setze sie auf und tauche ab in meine Welt aus Musik. Endlich. Das tut so gut.

Andreas steht im Pyjama in meiner Tür. In der Hand hält er sein Lieblingsbuch. Auf seinem Gesicht liegt die gleiche unausgesprochene Frage, wie jeden Abend.
Wenn er so da steht, will ich ihn in den Arm nehmen. Ihn ganz fest an mich drücken. Ihm zeigen, wie sehr ich ihn doch trotz allem liebe. Aber das wäre mehr, als er ertragen kann.

„Da vorne unter dem Baum liegen Kastanien.“
„Der Sturm heute Nacht muss sie herunter gerissen haben.“ Ich befreie eine von der stacheligen Schale und drehe sie in der Hand. „Wir können daraus Männchen basteln.“
„Ja.“ Andreas geht ein Stück weiter. „Hier liegen jetzt auch Kastanien.“
Mit zwei vollen Händen kommt er zu mir zurück und stopft sie in meine Jackentasche. Ich kenne ihn zu gut, als dass ich mich noch fragen würde, warum er nicht seine eigene Jackentasche nimmt.

Wieder zu Hause stürzt sich Andreas sofort auf sein Puzzle. Ich würde gerne mitmachen, aber er lässt mich nie. Vielleicht funktioniert seine Art zu puzzeln nur, wenn er nicht abgelenkt wird.
Andreas nimmt einfach ein Teil aus dem Karton, betrachtet das Bild und legt es exakt an die Stelle, an die es gehört. Auch wenn es keine angrenzenden Teile gibt. Nur selten legt er ein Teil wieder zurück.
Selbst heute bin ich immer noch fasziniert, wenn ich ihn dabei beobachte. In solchen Momenten würde ich mit ihm gerne tauschen.
„Kommst du bitte mal?“, ruft mein Vater aus der Küche.
„Gleich.“ Ich nehme die Kastanien mit. In der Küche haben wir Streichhölzer in der abgeschlossenen Schublade.

„Das könnt ihr nicht machen!“ Tränen schießen mir in die Augen. Ich sinke auf den Stuhl neben mir. Vor mir liegen die Kastanien auf dem Tisch. „Warum? Passe ich denn nicht gut genug auf ihn auf?“
„Wir haben das durchgerechnet.“ Mein Vater zeigt mir ein Blatt Papier und schiebt dabei die Kastanien zur Seite. „Wir können uns gerade eben einen Heimplatz leisten.“ Zwei Kastanien rollen vom Tisch.
„Es geht euch nur ums Geld?“ Meine Worte ertrinken fast in Tränen. „Was ist mit ihm? Wollt ihr ihm alles wegnehmen, was ihm vertraut ist?“ Ich muss schlucken. „Die werden ihn mit Psycho-Tabletten abfüllen. Er wird nur noch vor sich hindämmern.“
„Ich weiß, wie viel Andreas dir bedeutet. Aber du hast dir ein eigenes Leben verdient.“ Meine Mutter legt eine Hand auf meinen Arm. „Wir alle haben ein eigenes Leben verdient.“
„Fass mich nicht an!“ Ich ziehe den Arm so ruckartig zurück, dass ich fast mit dem Stuhl nach hinten kippe. Die restlichen Kastanien fallen herunter und kullern durch die Küche. Meine Mutter verbirgt ihr Gesicht in den Händen. Sie murmelt etwas. Ich will es gar nicht verstehen.
„Sei nicht undankbar! Deine Mutter und ich arbeiten viel, um das hier möglich zu machen.“ Mein Vater wirft einen Prospekt zu mir rüber.
Ich schnappe nach Luft. „Undankbar?“ Ich stehe auf. Ich will nicht mit ihnen an einem Tisch sitzen. Meine Knie sind weich. Ich muss mich an der Stuhllehne festhalten. „Und was ist mit mir? Jeden Tag nach der Schule passe ich auf ihn auf. Ich gehe mit ihm raus. Ich höre zu, was er erzählt. Ich spiele mit ihm. Ich rette ihn, wenn er sich in Schwierigkeiten gebracht hat. Ich tröste ihn. Jeden Abend lese ich ihm vor.“
Ich stoße mich von der Lehne ab. „Seit ich auf ihn aufpassen kann, mache ich das auch. Deswegen habe ich kaum Freunde. Das mache ich alles für ihn. Er hat sonst niemanden!“
Wackelig gehe ich aus der Küche. Kastanien zerbrechen knirschend unter meinen Schuhen. In der Tür drehe ich mich um. Erst jetzt fällt mir auf, dass meine Mutter schluchzt. Nur mein Vater starrt mich fassungslos an.
Ich will gegen den Türrahmen schlagen. Aber meine Faust stupst nur dagegen. „Nein, ich habe kein eigenes Leben! Ich will auch keines! Wenn ihr ihn wegsperrt, müsst ihr mich mitschicken!“
Mein Vater setzt an, etwas zu erwidern. Er stoppt und schüttelt nur den Kopf.
Als Kind bin ich die Treppe zu meinem Zimmer hoch gerannt, wenn ich wütend war. Das möchte ich jetzt auch. Aber es geht nicht. Ich muss aufpassen, dass ich nicht stolpere.

Ich hocke immer noch auf dem Boden vor meinem Bett. Die Knie habe ich bis ans Kinn gezogen. Mein Gesicht ist nass. Alles fühlt sich taub an.
Andreas steckt schon im Pyjama. Mit seinem Buch in der Hand steht er in meiner Tür.
Ich strecke meine Hand zu ihm aus. Sie zittert ein wenig. Ich warte. Er ergreift sie nicht. Enttäuscht lasse ich sie zu Boden fallen.
Er guckt mich unverändert fragend an.
„Heute Abend kann ich nicht vorlesen“, möchte ich ihm antworten. Doch ich bringe kein Wort heraus.
Ich angele die Kopfhörer von meinem Bett. Ich möchte sie aufsetzen und wieder abtauchen. Ich möchte alles ausblenden, auf Wolken schweben. Die Kopfhörer hänge ich mir um den Hals. Ich möchte Andreas mitnehmen. Dorthin, wo er keine Angst haben muss; wo alles in Ordnung ist; wo er einfach anders sein kann.
Ich atme tief durch. Einmal. Zweimal. Irgendetwas lässt mich Husten.
Ich wechsle in den Schneidersitz. Mit der flachen Hand klopfe auf den Teppich. Wie jeden Abend.
Andreas setzt sich neben mich und gibt mir sein Buch.
Ich wische mir die Tränen aus den Augen. „Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern.“ Meine Stimme schwankt etwas.
Andreas schließt die Augen und atmet tief und langsam.

 

Hallo Peter,

der Bruder ist ein Autist, denke ich und deshalb finde ich den letzten Satz schwierig.

Manchmal frage ich mich, ob er in seiner Welt glücklich ist. Ich werde es wohl nie herausfinden. Ich kann in eine andere Welt flüchten.
Er ist gefangen.
Autisten leben ja noch viel mehr in eigenen Welten als andere. Deshalb finde ich das unpassend. Das dick markierte sollte deshalb besser raus, das wirkt als ob du damit die Geschichte rund machen willst.
Insgesamt löst das bei mir nicht viel aus. Du zeigst einige Merkmale von den Besonderheiten, die den Bruder des Prot auszeichnen, aber warum der Prot manchmal nicht mehr kann, zeigst du nicht nachvollziehbar genug für mich. Man stößt ja nicht gleich an seine Grenzen, weil der Bruder sagt, dass man nach Rauch riecht. Also, das kann schon schlimm sein, aber es ist nicht genug ausgeführt....

Lollek

 

Moin Lollek,

ich habe das fett gedruckte entfernt.

Man stößt ja nicht gleich an seine Grenzen, weil der Bruder sagt, dass man nach Rauch riecht.
Ich bin überhaupt nicht drauf gekommen, dass man das so lesen könnte. Für mich ist das nur ein Beispiel dafür gewesen, dass der Bruder durch seine Art regelmäßig Situationen erzeugt, die schwer zu ertragen sind. Aber wenn ich so drüber nachdenke, steht das da tatsächlich nicht. Da muss ich mir noch was überlegen.

Danke für Deine Kritik,
Peter

 
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Hey Peter,

Für mich ist das nur ein Beispiel dafür gewesen, dass der Bruder durch seine Art regelmäßig Situationen erzeugt, die schwer zu ertragen sind.
Das war mir schon klar, aber du solltest doch mehr daraus machen. Du hast immer wieder gute Ideen, die deinen Geschichten zu Grunde liegen. Diese Stärke solltest du einfach besser ausnutzen. Ich glaube du hast echt Spaß am Schreiben und du solltest dir vielleicht etwas mehr Zeit lassen, um die Geschichten in deinem Kopf wachsen zu lassen. So verschleuderst du tolle Ideen, die nicht jeder hat ...

Lollek

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Peter!

Schöne Idee und interessantes Thema!
Der Bruder hat seine eigene Welt, und dein Protagonist versucht sich durch Musik in eine eigene zu bringen, um dort Kraft zu schöpfen.

Was ich an deinem Text vom sprachlichen her problematisch finde, ist, dass du den Höhepunkt in der Vergangenheit erzählst. Du beschreibst erst alles in Präsens. Mir ist klar, dass das bei der jetzigen Struktur notwendig ist, weil du ja aus dem Moment, in dem schon alles passiert ist heraus beschreibst. Aber ich denke, dass mehr aktives, präsentes Handeln der Sache besser bekäme. Warum fängst du nicht beim Friseurbesuch an, gehst nach Hause, wo die Mutter fragt, ob alles gut gegangen ist, dann beschreibst du, wie Andreas zu seinem Puzzle hastet. Am Abend geht dein Prot. noch weg, und vielleicht dürfen wir dabei sein, wie er einen Moment bereits mit der Freundin abschaltet, eine raucht, etwas sagt wie: "Wenn mein Bruder seine Welt hat, darf ich mal eine rauchen." Vielleicht auch hier schon aus Trotz, weil dem Weggehen voran ging, dass du Mutter bitttet, zur Schlafenszeit des Bruders wieder zu Hause zu sein? Und dann kommt es zur Eskalation, bei der ich live dabei sein will!
Ich will nicht deine ganze Geschichte umschreiben, aber es lässt sich viel draus machen, und ich schließe mich ganz Herrlolek an:

Ich glaube du hast echt Spaß am Schreiben und du solltest dir vielleicht etwas mehr Zeit lassen, um die Geschichten in deinem Kopf wachsen zu lassen.

So viel von mir, gern gelesen! Bin gespannt, was du draus machst.
Schönen Sonntag:Timo

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Peter Franke,

ein interessantes Thema. Und auch die Art und Weise, wie Du Dich ihm näherst, wie Du es anpackst, gefällt mir. Aber mal ganz ehrlich - mich kribbelt es in den Fingern, die Geschichte ins Präsens zu holen und linear zu erzählen. Den Anfang kursiv, etwas gekürzt und dann den Tag erzählen, show und nicht tell. Ich glaube fest daran, das der Text dadurch sehr gewinnen könnte. Diese rückblickende und erzählende Struktur legt sich ein bisschen wie Staub darauf.

Manchmal kann ich einfach nicht mehr. Dann setze ich meine Kopfhörer auf und betrete eine andere Welt. Gerade höre ich Bachs Cello Suiten. Nur noch die Musik ist wichtig. Sonst nichts. Nicht mal mein kleiner Bruder. Ich bin stolz auf ihn. Aber manchmal muss es eben Bach sein.

Oder so :)

Inzwischen muss ich nicht mehr beim Friseur seine Hand halten. Aber er muss mich im Spiegel sehen können. Ohne mich lässt Andreas sich nicht von Fremden berühren, völlig egal wann und wo. Erst weicht er aus. Versucht man es weiter, schlägt er um sich, bis er merkt, dass jeder Treffer eine Berührung ist. Er fängt an zu weinen und am Ende hockt er zusammen gekauert auf dem Fußboden. Es tut mir weh, wenn ich ihn so leiden sehe. Berührungen von Fremden erträgt Andreas nur, wenn er meine Hand festhalten kann. An seinem Händedruck merke ich, wie sehr er sich dann anstrengt.

Mach ne Szene draus. Im Hier und Jetzt. Lass mich dabei sein, wenn der Bruder nach der Hand sucht und sich entspannt, wenn er sie findet. Und wie der große Bruder sie wieder loslässt und sich die Augen treffen im Spiegel und der Kleine nicht brüllt. Lass es mich als Leser ebenfalls spüren, was für ein großer Schritt es ist.
Und dann eben, wie sie nach Hause gehen und Andreas das mit den Nummernschildern bringt, wie er das Puzzle zusammensetzt, wie der große Bruder weggeht und wiederkommt, nach Rauch riecht und die Szene mit der Mutter und wie er dann doch das Buch vorliest.

Ist sicher eine Sauarbeit, ich weiß, aber mich würde wirklich interessieren, wie der Text sich dadurch verändern würde, was seine Intensität betrifft. Kannst es ja mal gedanklich durchspielen ;).

Also, hat mir schon gefallen, aber dieses Kribbeln :)

Beste Grüße Fliege

edit: Sehe gerade das ich Timokatze wiederhole. Wenn man vorher nicht die Kommentare liest ...

 

Moin Fliege,

Also, hat mir schon gefallen, aber dieses Kribbeln
Ich kenne dieses Kribbeln -- des wegen ist die überarbeitete Version auch so gut wie fertig. Allerdings musst Du noch ein paar Tage aushalten, denn ich lasse mir diesmal etwas mehr Zeit.

wenn der Bruder nach der Hand sucht und sich entspannt, wenn er sie findet. Und wie der große Bruder sie wieder loslässt und sich die Augen treffen im Spiegel und der Kleine nicht brüllt.
Das hast Du schön skizziert. Ich glaube, das baue ich noch ein. Die Szene beim Friseur (die Du noch nicht kennen kannst) kann noch etwas mehr Atmosphäre vertragen.

aber mich würde wirklich interessieren, wie der Text sich dadurch verändern würde, was seine Intensität betrifft.
Soviel kann ich Dir schon verraten: Der Text wird um einiges intensiver.
Wow.

Gruß,
Peter

 

Moin,
oben findet ihr die überarbeitete Geschichte. Jemanden im autistischen Spektrum zu beschreiben, braucht einfach Zeit. Die Verhaltensweise lässt sich zwar schnell berichten, aber es ist gar nicht so einfach, das erlebbar zu machen. Jedesmal, wenn ich einen Tag später meine Geschichte gelesen habe, sind mir doch noch Aspekte aufgefallen, die noch nicht stimmig waren.

Ich bin gespannt auf Eure Kommentare.

Gruß,
Peter

 

Hallo Peter!

Ich muss sagen, dass du echt was aus der Geschichte gemacht hast!
Der Plot ist ausgereifter, und die beziehst viel mehr Aspekte ein. Vor allem der Gesellschaftliche Aspekt, und die Konfliktsituation in der Familie machen die Geschichte reicher und differenzierter.

Ein paar Kleinigkeiten:

Sein Atem wird schnell. Der Friseur zwirbelt seinen Bart und schneidet weiter
Weil sich "sein Atem" vorher auf Andreas bezog, klingt das "seinen Bart" als würde der Friseur Andreas Bart zwirbeln. Klar, man verstehts, aber es kommt eine unfreiwillige Komik auf, die da nichts zu suchen hat.

„Das ist mein Bruder! Was fällt ihnen ein! Lassen sie ihn los!“ Mein Atem ist schnell und flach
Das ihnen und sie groß geschrieben, statt Atem ist flach, schriebe ich "Atem geht flach"

Alle Augen waren auf uns gerichtet
Zeitsprung: Alle Augen sind auf uns gerichtet.

Ich hocke mich vor ihn und warte. Ich strecke meine Hand aus.
Zwei mal hintereinander "ich", in einen Satz ziehen: Ich hocke mich vor ihn und warte, strecke ihm meine Hand entgegen.

Des wegen
Hast du zwei mal drin, wird zusammengeschrieben: ...deswegen...

wir auch nichts rechtfertigen. Aber das lässt die fordernden Blicke nicht verschwinden
Ja, Blicke, fordernd nach Rechtfertigung, aber ich fände "lässt die fragenden Blicke nicht verschwinden"
Fordernder Blick ist für mich irgendwie erotisch aufgeladen.
Der warme Klang wird mich durchdringen und mich wie auf einer Wolke schweben lassen
Ich würde das "wie" einfach weglassen. Klingt dann irgendwie glatter. Vielleicht noch Plural: und mich auf Wolken schweben lassen.

Er klettert wieder hoch und rutscht herunter. Hoch. Und runter. Immer wieder. Hoch. Und runter. Hoch. Und runter. Auf ihn hat das die gleiche beruhigende Wirkung, wie auf mich. Hoch. Und runter
So eine Stelle, wo du wieder einen Rythmus reinbringst, wie schon in deiner andren Geschichte mit Sohn und Vater im Urlaub. Ganz toll!

Sein irritierter Blick erinnert mich dann jedes Mal, dass er nicht erkennen kann, was andere Menschen vorhaben.
Da fehlt das "daran" ...erinnert mich dann jedes Mal daran, dass er nicht...

„Hey, was ist den los?“ Sofort stehe ich neben der Mutter.
Hey, was ist denn los?

Bevor ich etwas sagen kann, reißt Andreas seine Hand zurück. Mit dem ganzen Schwung stößt sein Ellenbogen gegen das Geländer
Fettmarkiertes kliest sich irgendwie... weniger schwungvoll. Schreib vielleicht: Voller Wucht, mit ganzer Kraft o.ä.

Aber das wäre mehr Berührung, als er ertragen kann
Ich würde "Berührung" rausnehmen, sodass weniger spezifisch ist, was er nicht ertragen kann. Es ist Zuneigung, Nähe usw... Fände den Satz genereller aussagekräftiger.

Mit zwei Handvoll kommt er zu mir zurück und stopft sie in meine Jackentasche
Mit zwei vollen Händen... der, die, das Handvoll gibt es nicht.

In solchen Momenten würde ich mit ihm gerne tauschen.
Schön! Da kommt für mich gut raus, dass sich dein Prot auch seine eigene Welt wünscht, und dass er seinen Bruder tatsächlich nicht bemitleidenswert findet. Echte Liebe in diesem Satz. Toll.

Ich ziehe den Arm so ruckartig zurück
Die Knie habe ich bis ans Kinn gezogen
Hier zeichnest du toll Parallelen zum Bruder ein. Man denkt sofort wieder an die Sache auf dem Spielplatz und den Friseur. So zeichnet man Verbindungen!

Mein Vater wedelt mit einem Prospekt und wirft ihn zu mir rüber.
Wedeln klingt schlecht. Ganz mies. Irgendwie kindisch, und so, als sage er dazu: Wischi Waschi...
Ne, würde das anders beschreiben, als mit "wedeln"

Alles fühlt sich so taub an
"so" kann man rausnehmen. Ein Satz erlahmt durch solche Füllwörter. Alles fühlt sich taub an.

möchte alles ausblenden; wie auf einer Wolke schweben
Warum Semikolon? Das wie zur Wolke kann, wie schon einmal erwähnt, auch raus. ...möchte alles ausblenden, auf einer Wolke schweben.

Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern
Das ist ja mal ein brutaler Schluss! Die Eltern jetzt mit denen Hänsel und Gretels zu vergleichen, die ihr Kind einfach aussetzen! Echt stark und krass.

Weiter so!

Grüße: Timo

 

Hey Peter!

Da hast du ja wirklich Gas gegeben. Ich bin erstaunt, was du aus der Geschichte gemacht hast. was vorher eine Skizze war, hast du jetzt richtig gut auserzählt, mit vielen Situationen zum miterleben. Gefällt mir wirklich gut, schön, dass du nochmal viel investiert hast. Zeit, Gefühle etc. es hat sich sehr gelohnt und die Geschichte hat sich um drei Klassen verbessert

liebe Grüße

Lollek

 

Hallo Peter!

Eine interessante Geschichte, gefällt mir sehr. Sie wird in einer gut ausbalancierten Mischung aus unaufgeregter und emotionaler Erzählweise präsentiert.

Den Titel: „Eine andere Welt“ bringe ich mit dem Ich-Erzähler in Verbindung. Der lebt wahrlich in einer anderen Welt als die meisten Gleichaltrigen. Er führt ein Leben ohne Fußballnachmittage, Diskonächte und Alcopops.

Über Andreas Welt erfahre ich nichts. Womit ich deine Leistung nicht schmälern will, ich habe nur einen Anlass zu einer noch größeren Herausforderung an dich gesucht; schreibe doch mal eine Geschichte aus Sicht eines Autisten! :D

Obwohl der Prot. sich hin und wieder nach etwas Freiraum und Erholung sehnt, habe ich nie das Gefühl, sein autistischer Bruder sei eine Art Joch für ihn, er ist vielmehr seine Mission.
Das kommt besonders deutlich hervor, als er seinen Eltern das Erfolgserlebnis beim Friseur verschweigt. Andreas ist seine Angelegenheit.

Das Finale finde ich sehr gelungen.
Der Prot gerät in eine ähnliche Situation, in der sich Andreas ständig befindet, er versteht seine Mitmenschen (Eltern) nicht. So fällt auch seine Reaktion ähnlich aus, er hockt sich in eine Ecke und weint.

Ganz stark dann noch diese Szene: „Ich strecke meine Hand zu ihm aus. Sie zittert ein wenig. Ich warte. Er ergreift sie nicht.“ Da wird das wohl schmerzhafteste Dilemma im Umgang mit Autisten gezeigt.

Gern gelesen.

Lieben Gruß

Asterix

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin TimoKatze,

vielen Dank für das Durchforsten. Wie Du siehst habe die Korrekturen alle übernommen. Einiges hätte Duden Korrektor ja auch finden können, statt sich auf das bisschen Umgangssprache zu konzentrieren. Na ja.

Schreib vielleicht: Voller Wucht, mit ganzer Kraft o.ä
Ja, genau. "Voller Wucht" ist der Ausdruck, den ich gesucht habe. Danke.

@TimoKatze, Lollek und Asterix:
Es freut mich riesig, dass Euch die überarbeitete Fassung so gut gefällt.

schreibe doch mal eine Geschichte aus Sicht eines Autisten!
Als ich noch ein bisschen recherchiert habe, ist mir die Idee auch in den Kopf gekommen. Das ist natürlich richtig knifflig. Aber mal sehen.

Gruß,
Peter

 

Hey Peter,

sehr viel intensiver! Sehr viel mehr schön. Ich sag mal, Respekt vor dem Mut, eine Geschichte in diesem Maß zu verändern und auch dem Fleiß und das in doch recht überschaubarer Zeit.

Das Heimding ist neu und ich weiß nicht, ob ich es mag. Es hat so was von - die ganz große Dramatik! Und dadurch eröffnest Du einen zweiten Konflikt und machst den eigentlichen der Geschichte dadurch zur Nebensache. Das finde ich schade. Es kommt auch so aus heiterem Himmel. Das muss doch vorher schon mal in Überlegungen erwähnt worden sein. Vielleicht ist es ja so ein ständiger Begleiter und die Angst davor, die Eltern könnten es irgendwann umsetzen, spornt ihn eben an, da so für seinen Bruder da zu sein. Aber man müsste natürlich umschiffen, die Eltern als Rabeneltern darzustellen. Was Du ja eigentlich schon gut hinbekommen hast.
Und dann liegt am Abend eben so ein Prospekt auf dem Tisch (der Erste - jetzt scheint es Ernst zu werden, worüber vorher nur ab und an mal geredet wurde) und es eskaliert eben. Das fände ich irgendwie realistischer und hat eine weitaus tiefere Dramatik, als das ganz große Kino. So, denke ich jedenfalls.

Aber trotzdem, sehr schön was Du da rausgeholt hast. Echt!

Äh - Du - wird in der wörtlichen Rede klein geschrieben, weiß jetzt nicht mehr, wo es war, aber das findest du sicher ;)

Beste Grüße Fliege

 

Moin Fliege,

Äh - Du - wird in der wörtlichen Rede klein geschrieben, weiß jetzt nicht mehr, wo es war, aber das findest du sicher
Schon korrigiert.

Das Heimding ist neu und ich weiß nicht, ob ich es mag.
In einer früheren Version hatte ich noch Ansätze drin, an denen man erkennen konnte, dass die Eltern irgendwas planen. Aber ich habe keine sinnvolle Verbindung mit dem Erzählfluß gefunden. Die Absätze haben da wie Steine drin gelegen. Stattdessen habe ich meinen Prot. noch ein Stück mehr in Richtung seines Bruders geschoben und die Distanz zu den Eltern vergrößert. Bis auf den Vorwurf "Du musst mehr aufpassen" reden sie vor der Eskalation nicht miteinander. Der Prot. kriegt gar nicht mit, was dort passiert. Es interessiert ihn auch nicht wirklich. Entsprechend wird ihm der Teppich unter den Füßen weggezogen. Das lässt die Frage offen, ob er nicht auch irgendwo ganz am Rande des autistischen Spektrums steht.
Trotzdem Danke für den Hinweis. So hatte ich das noch gar nicht betrachtet. Ich nehme das als Anregung für zukünftige Geschichten mit.

Aber trotzdem, sehr schön was Du da rausgeholt hast. Echt!
Das tut gut.

Gruß,
Peter

 

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