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Einblick in ihr Leben
Sie ging nach Hause. Ob sie dort erwartet wurde, wusste sie nicht. Eigentlich hatte sie
Hunger, doch es war schon so spät, dass sie sich kaum noch etwas zu Essen machen konnte. Der
Krach würde die anderen wecken. Es gab allerdings auch keine Bar, kein Fast-Food Restaurant, nichts, was noch offen hatte. Die Stadt war zu klein, es würde sich nicht lohnen. Sie freute sich auf den Sommer. Die Nächte waren kürzer.
Mittlerweile fror sie sehr. Sie bereute, dass sie nicht die dicke Winterjacke angezogen hatte.
Sie hatte nur so schnell wie möglich aus diesem Haus gewollt. Hinaus in die Kälte.
Kurz darauf stand sie vor ihrer Haustür. Einerseits wollte sie hinein, in ihr Zimmer, sich
hinlegen und schlafen. Andererseits wollte sie nicht das sehen, was sie noch erwartete. Ja,
sie hatte Angst. Große Angst.
Leise öffnete sie die Tür. Vielleicht würden sie wirklich schon schlafen. So würde sie die
beiden erst morgen wiedersehen. Wie schön das wäre.
Doch sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, hörte sie ihn. Er schrie, dass sie
sofort herkommen sollte.
Als sie bei ihm war, sah sie, dass er getrunken hatte. Viel zu viel. Ihre Mutter saß in ihrem
Sessel. Sie würde nichts tun, wie immer. Auch wenn sie einen starken Charakter hatte, gegen
ihren Mann wollte sie nichts tun. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht ihre Mutter war.
Ihre wirkliche Mutter war von ihrem Vater getötet worden. Die Leiche hatte er im Garten
begraben, wie einen Hund. Das waren auch seine Worte gewesen: Wie ein Hund.
Er lief auf sie zu und schlug sie, mehrmals. Sie wusste, es machte ihm Spaß. Vor kurzem hatte
er sich noch eine schwere Eisenkette gekauft, die er um seine Hand trug.
Die Kette hinterließ eine blutende Wunde auf ihrer Wange. Es war nicht die erste. Egal.
Er ging zu ihrer jetzigen Mutter und küsste sie. Dann blickte er seine Tochter an und zeigte
ihr mit einer Handbewegung, dass sie gehen sollte.
In ihrem Zimmer setzte sie sich auf ihr Bett. Sie schloss die Augen und hörte das
Gestöhne ihrer Eltern, die es im Wohnzimmer trieben. Vielleicht vor dem Fernseher, während ihr
Vater seine Videos laufen ließ. Vergewaltigungen, wie immer.
Sie holte den kleinen Korb hervor, der neben ihrem Bett lag. Hier war ihr größter Schatz
verborgen. Sie musste ihn verstecken, damit ihr Vater ihn nicht fand.
In dem Korb lag ein Kind, vor kurzem gestorben. Es war ihr Kind.
Von unten hörte sie die Schreie ihrer Stiefmutter. Vergewaltigung.
Ihr Vater hatte ihr Kind auf den Kompost gebracht, tot. Sie hatte es sich zurückgeholt. Es war ihr Kind, sie würde ihm beim Wachsen zusehen.
Denkt an eure Kinder. Sie leben.