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Ein Wundervolles Fest

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04.09.2008
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Ein Wundervolles Fest

Ach, Weihnachten. Ein Fest wie kein anderes. Für mich, der ich ein ziemlicher Optimist bin, das Paradies auf Erden. Doch ich denke, dass es schade ist, dass dieses Paradies nur 24 Tage existiert.
Aber gerade weil seine Existenz so begrenzt ist, sollte man es vielleicht sogar noch schöner machen.
Wie wäre es zum Beispiel, wenn man den Obdachlosen in der Stadt lustige rote Mützen aufsetzte, um das allgemeine Panorama noch hübscher zu gestalten? Und unter all den Menschen vor dem Arbeitsamt, die, mangels Frau und/oder Familie, die sich bereits vor Monaten mit dem Gärtner/ Klempner/ Heizungsinstallateur/ Friseur/ Bruder/ Vater/ Schwester aufgrund finanzieller Unpässlichkeiten aus dem Staub gemacht hat/ haben, während der Weihnachtszeit hergekommen sind um alte Bekannte zu treffen, neue Freunde zu finden, oder der guten alten Zeit zu gedenken, die sie wegen 1-Euro-Jobs nicht mehr genießen können, sollte man Schokoladenplätzchen verteilen. Mich haben Schokoladenplätzchen immer aufgemuntert.
Während besserer Zeiten habe ich mal einen dem entsprechenden Versuch unternommen, mit der Folge, dass ich in einem Wörterbuch nachschlagen musste, um ein paar Bedeutungen zu entschlüsseln.
Naja, manchen kann man halt nicht helfen

Ich war vielleicht fünf. Oder eher sieben? Ich weiß es nicht mehr so genau.
Natürlich war Heiligabend. Bei solchen Geschichten ist es immer Heiligabend.
Zuvor hatte es einen monatelangen Nachbarschaftskrieg gegeben, der offenbar damit begonnen hatte, dass meine Cousine zweiten Grades den Hund der Schwester der Frau des Schwagers der Frau unseres Nachbarn „Köter“ genannt hat. Am Anfang war man freundlich gewesen, hatte gescherzt und gelacht.
Dann war mit Hilfe des Hundes, der zur Pflege bei unseren Nachbarn war, ans Licht gekommen, dass mein Bruder ein leidenschaftliches Verhältnis mit der Tochter unseres Nachbarn hatte.
Eines Abends sahen wir ihn nackt über die Straße rennen, verfolgt von unserem Nachbarn, der ihm zuvor eigenmündich den rechten Mittelfinger abgebissen hatte. Unser Nachbar und mein Vater, beides sehr impulsive Männer, hatten beschlossen, die Sache privat zu klären. Nach einigen witzigen Zwischenfällen, angefangen mit gestohlener Zeitung, über faule Eier und tote Katzen, bis hin zu mit Stacheln ausgestatteten Fallgruben, hatte dies zur Folge, dass unser Haus am Ende von einem zwei Meter hohem Elektrozaun, ausgestattet mit Stacheldraht und mehreren Überwachungskameras, umgeben war. Ich hatte damals oft die Aufgabe, am Morgen die toten und noch qualmenden Vögel und Fledermäuse vom Zaun zu kratzen. Da unser Geld nach der kriegerisches Aufwertung unseres Hauses knapp bemessen war, kamen diese nicht selten mittags auf den Tisch.
Die Stimmung war an jenem Abend recht angespannt, wozu vor allem mein Großvater und sein permanent quietschender Rollstuhl beigetragen hatten. Eigentlich war er ein lieber alter Mann. Irgendwo in seinem Innern.
Nun, er neigte dazu, auf alles zu spucken, was sich unterhalb seines Knies befand und nicht schnell genug fliehen konnte, sich über alles existierende und nicht existierende zu beschweren und seine einzigen Beiträge zur allgemeinen Konversation lauteten „Was´n?“, „Verdammtermist!“ und „Ihr wollt doch eh nur, dass ich abkratz, aber das habt ihr euch so gedacht! Ha!“, aber ich bin mir ganz sicher, dass er uns irgendwie dann doch alle gern gehabt hat.
Er saß an jenem Abend an einem Ende des Esstisches und grummelte vor sich hin. Hin und wieder schwebten Fetzen seines Selbstgesprächs, düsteren Wolken gleich, über den Tisch in die Ohren der Anwesenden, zu denen auch meine Tante Imchen gehörte, von der ich offenbar meinen Optimismus habe.
Aber ich hatte immer das Gefühl, dass es ein sehr gezwungener Optimismus war.
Das Essen war festlich. Gleich zwei dicke Tauben waren uns ins Netz, oder eher in den Zaun, gegangen.
Mein Vater warf immer wieder nervöse Blicke zum Fenster, aber das tat er damals fast immer. Tante Imchens Katze war dabei, auch den letzten Schmuck von unserem Baum herunter zu holen. Nun, zugegeben, es war nur ein Ast. Außerdem war es der Ast einer Eiche, aber er war ein Symbol für etwas und allein das zählte.
Im Radio lief ein Weihnachtslied. Ich weiß nicht mehr genau welches, aber ich finde sie sowieso alle wundervoll, deshalb spielt es keine Rolle.
Nachdem die Tauben verspeist waren, schlug meine Tante vor, etwas zu singen oder ein Spiel zu spielen, wurde von meinem Vater aber schnell zum schweigen gebracht. Sein Misstrauen sollte sich im Nachhinein als richtig erweisen, auch wenn es mich damals etwas deprimiert hatte. Denn etwa um diese Zeit hatte unser Nachbar vor, uns die Stromversorgung zu kappen, wie er nachher unter hysterischem Gekicher der Polizei gestand.
Und so tat er es auch, allerdings kappte er nicht nur uns, sondern der gesamten Straße den Strom.
Ich war damals erstaunt von der Reaktionsgeschwindigkeit meines Vaters. Kaum war das Licht ausgegangen, hatte er meine Mutter am Arm gepackt und mich unter seinen Arm geklemmt. Tante Imchen, Opa und mein Bruder waren am Tisch zurück geblieben.
Noch bevor die Dunkelheit alle Räume des Hauses gefüllt hatte, hatte mein Vater sich selbst, meine Mutter und mich im Sicherheitsraum untergebracht. Die Glühbirnen im Haus waren kaum abgekühlt, als der Notstromgenerator anfing heiß zu laufen. Allerdings versorgte er lediglich den Sicherheitsraum und die Überwachungskameras, von denen es reichlich gab.
Mein Vater hatte sie und die Inneneinrichtung des Raums von einer sehr seriösen Firma gekauft, deren Angestellte offenbar nur mit schwarzen Anzügen, Sonnenbrillen und Aktentaschen ausgestattet ihren Dienst antraten.
Dann fielen vor allen Fenstern die Eisernen Rollläden herunter. Nur die im Arbeitszimmer meines Vaters klemmten, was ich aber erst später erfahren sollte.
Für eine Weile blieb es ruhig, mal abgesehen vom gelegentlichem Poltern, das wahrscheinlich von Tante Imchen stammte die über irgendetwas in der Wohnung gestolpert war. Vermutlich über ihre Katze. Nach zwanzig Minuten Stille und Dunkelheit im übrigem Haus entschied sich ein Einbrecher, der zuvor die Drähte unseres jetzt stromlosen Zauns durchgeschnitten hatte und zudem noch betrunken war, sein Glück in den Schubladen unseres Hauses zu suchen.
Obwohl er in seinem Privatleben wahrscheinlich ein fürsorglicher Vater und liebevoller Ehemann war.
Mein Vater bemerkte ihn auf dem Bildschirm der südlichen Überwachungskamera und stieß ein triumphierendes „Aha!“ aus. Als er jedoch sah, wie der Mann durch das Fenster des Arbeitszimmers in unser Haus eindrang, wandte er sich sofort seinem leider illegalen Waffenarsenal zu und wählte eine, wie mein Bruder gesagt hätte, „dicke Wumme“ aus. Meine Mutter, die bis dahin nur wütend gemurmelt hatte, schnappte nun nach Luft, sagte aber nichts. Mein Vater öffnete die zahlreichen Schlösser der dreißig Zentimeter dicken Stahltür und verschwand die Treppe hinunter. Ich folgte ihm, während meine Mutter immer noch sprachlos im Sicherheitsraum blieb.
Unten im Flur stand mein Vater flach an die Wand gedrückt, die Waffe mit beiden Händen auf Höhe des Gesichts haltend. Er hatte viel geübt und stundenlang US-Krimis geguckt, um alles richtig zu machen. Plötzlich ertönte Geschrei.
Die folgenden Geschehnisse erfolgten in verblüffend kurzer Zeit und ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber ich versuche mein bestes.
Mein Vater stürmte brüllend in sein Arbeitszimmer, obwohl das Geschrei aus Richtung der Küche gekommen war, wodurch er Tante Imchens Katze aufscheuchte, die bis dahin auf dem Bücherregal gelegen hatte. Das arme Tier sprang ihm ins Gesicht und begann, das selbige zu zerkratzen. Beide taumelten durch den Flur in die Küche wo mein Vater verzweifelt um sich schoss. Eine Kugel prallte von einer Pfanne ab und traf den Einbrecher, der gerade die Tür geöffnet hatte, die vom Wohnzimmer zur Küche führte. Als der Mann zusammen sackte, kam hinter ihm Tante Imchen zum vorschein, die mit unserem Weihnachtsbaum auf ihn einprügelte. Offenbar hatte der Einbrecher so geschrien. Mein Bruder und mein Großvater waren verschwunden. Mein Vater war unterdessen auf einer Pfütze Eierlikör ausgerutscht, deren Flasche von einer seiner Kugeln getroffen worden war. Eine andere Kugel hatte die Gasleitung im Herd durchschlagen, wie ich später erfuhr.
Mein Vater rappelte sich wieder auf, während meine Tante immer noch damit beschäftigt war, der Gerechtigkeit genüge zu tun. Als er in den Flur wollte, schlug meine Mutter, die neben der Tür gewartet hatte, ihm mit einem Gewehr gegen den Kopf. Sie erkannte meinen Vater, zögerte kurz und schlug den nun am Boden liegenden Mann noch einmal mit dem Gewehr, diesmal aber heftiger.
Dann grummelte sie etwas unverständliches. Ich meinte aber, „...Hund...“ verstanden zu haben.
Als mein Bruder, der gerade aus dem Keller gekommen war, sie an der Schulter berührte, kreischte sie, wirbelte herum und schlug auch ihn mit dem Gewehr nieder.
Ich möchte darauf hinweisen, dass ich und mein Bruder sonst nie von unseren Eltern geschlagen worden waren.
Als sie ihn am Boden sah, ging sie neben ihm in die Knie und tadelte ihn, dass er so leichtsinnig gewesen war. In diesem Moment flog eine Tür im Flur auf und mein Opa raste mit Höchstgeschwindigkeit aus seinem Zimmer. Er trug seine alte Soldatenuniform, hielt eine Handgranate in der Hand und schrie:
„FÜR DAS VATERLAachrglachrgrklk...“
Während seines Hustenanfalls warf er die Handgranate, traf meinen Vater, der sich gerade aufgesetzt hatte, am Kopf und schickte ihn damit wieder ins Reich der Träume.
Sie prallte von meinem Vater ab und landete im Ofen.
Tante Imchen hatte das wohl bemerkt, denn sie offenbarte eine Kraft, die man einer Frau ihrer Statur nicht zugetraut hätte, als sie mich unter ihren Arm klemmte und nach draußen rannte. Sie rief noch, dass meine Familie ihr folgen solle, aber meine Mutter war viel zu sehr damit beschäftigt, meinen bewusstlosen Bruder zu tadeln, mein Opa gab gurgelnde Geräusche von sich, und mein Vater bemerkte sowieso nichts mehr.
Draußen ließ Tante Imchen mich auf die Straße sinken und wir drehten uns zum Haus um.
Für einen Moment blieb alles ruhig.
Auch für einen zweiten Moment blieb alles ruhig.
Erst im dritten Moment verwandelte sich unser Haus in einen gewaltigen Feuerball, der alles um uns herum in einen weihnachtlichen Glanz hüllte.
Tante Imchen wurde leider von einem Stück Zaun tödlich getroffen.
Ihre Katze überlebte. Man fand sie einen guten Kilometer entfernt, leicht angesengt und in einem Baum festgekrallt.
Manchmal, wenn ich die Gräber meiner Familie besuche, denke ich über diesen merkwürdigen Abend nach und muss dann zugeben, dass dieses eine Weihnachten vielleicht nicht ganz so schön gewesen ist.
Dann zucke ich mit den Schultern, begebe mich zu meinem Arbeitsplatz, bringe meinen Becher in Position und glaube fest daran, dass mir gleich jemand ein paar Euro hinein wirft.
Bis jetzt ist niemand gekommen, um mir eine rote Mütze aufzusetzen.

 

Hallo,

Hast du recherchiert, ob Obdachlose in der Zeit vom 01.12. bis 24.12. Mehreinahmen haben, die paradisisch sind? Dann jedenfalls werde ich meine Kinder in Lumpen hüllen, ihnen eine Mütze aufsetzen und vor Karstadt aussetzen. Konkorrenz belebt das Geschäft, wie es heißt ;)

 

Nun, man muss Weihnachten nicht unbedingt des Geldes wegen paradisisch finden. Die Atmosphäre kann auch sehr angenehm sein

 

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