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Ein Winternachtstraum

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30.08.2003
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Ein Winternachtstraum

An einem Abend, an dem zuviel getrunken und nochmehr versprochen wurde, lernte Sofia Rainer kennen. Sein markantes Aussehen gefiel ihr und da sie gerade von ihrem Ex vor die Tür gesetzt worden war, glaubte sie sich unsterblich verliebt in ihn.
Noch in der gleichen Nacht nahm er sie, roh und brutal, aber Sofia weigerte sich, irgendetwas Schlechtes über Rainer zu denken. Einige Tage später fand sie lediglich eine kurze Nachricht auf dem Anrufbeantworter, dass er “auf und davon mit einer heißen Braut” sei; Sofia trank ein bisschen, ein bisschen viel vielleicht, und nach einem Tag mit ihren Freundinnen war die Sache für sie abgehakt.

Dann aber merkte sie, dass sie schwanger war. In der Zwischenzeit hatte sie einen neuen Mann kennengelernt, mit dem sie nun schon einige Wochen zusammen war und bei dem sie sich nun aber wirklich sicher war, ihre große Liebe gefunden zu haben. Als sie Markus von dem Kind erzählte, schaute er sie einen Moment lang starr an und schlug sie dann mitten ins Gesicht. Er wolle kein Kind von einem Fremden.
Sofia wehrte sich jedoch vehement gegen eine Abtreibung, Markus schien schließlich einzusehen und bedeckte sie mit Küssen.

Das Mädchen kam zur Welt und erhielt den Namen Monika.
Sofia liebte ihre Tochter über alles, und nicht selten kam es vor, dass sie sich abends mit ihr im Kinderzimmer einschloss und ihr Schlaflieder vorsang, während Markus in seinem Suff im Haus randalierte und herumbrüllte, sodass die Nachbarn am nächsten Tag wieder klingelten und sich erkundigten, ob denn alles in Ordnung sei.
Ja, erwiderte Sofia dann nur, denn tagsüber war Markus wirklich ein anderer Mensch, immer beteuerte er seine Liebe zu ihr und machte ihr viele Geschenke. Außerdem konnte sie sich einfach nicht in ihm getäuscht haben.
Monika wurde älter, ein scheues Kind, das ungern draußen spielte oder in den Kindergarten ging und stattdessen stundenlang in ihrem Zimmer auf dem Boden hockte und mit ihren Buntstiften malte. Unzählige Blätter bedeckte sie mit Krakeleien. Einmal betrat Sofia leise, von ihrer Tochter unbemerkt, den Raum und sah sie mit einem gehetzten Ausdruck in den Augen beinahe panisch zeichnen, dabei ständig gepresst vor sich hinredend. Als Sofia sie dann in den Arm nahm, schien sie sich zu entspannen, wirkte so fröhlich, wie es eine Vierjährige sein sollte.
Allmählich bekam Monika Übung, und immer deutlicher wurde erkennbar, dass sie immer das gleiche Motiv malte: ein Einhorn. Aus der Küchenschublade verschwand der Tesafilm, und fortan bedeckten Einhörner alle Wände des Kinderzimmers. Auch auf der Jacke des Mädchens fand Sofia ein mit Wachsstiften hingekrizteltes Einhorn, aber sie machte sich keine Gedanken darüber, sicherlich hatte Monika irgendeinen Fernsehcomic mit Einhörnern gesehen und war nun ganz begeistert davon.

Doch Monika sah kein Fernsehen. Sie hatte Angst davor, Angst vor den Milliarden von Bildern, die dort auf sie einströmten, vor den lauten Gestalten, die sie aus dem Bildschirm heraus anstarrten und, wenn sie nicht immer ganz schnell ausgeschaltet hätte, sicher herausgekommen wären, um sie zu holen.
Kaum war der Monitor erloschen, da malte sie mit den Fingern die Konturen eines Einhorns in den weichen Teppich und verließ schnell den Raum.

Die Einhörner beschützten sie. Sie waren ihre Freunde. Den ganzen Tag über hielt sie mit ihnen Zwiesprache; in den Kindergarten begleiteten sie sie ebenso wie zu Hause, solange sie nur immer einige von ihnen bei sich hatte. In alle Taschen hatte Monika kleine Zettel mit ihren Einhörnern darauf gelegt und ihre größte Befürchtung war es, irgendwann einmal alleine dazustehen, kein Einhorn in der Nähe zu haben, wenn es am dringendsten nötig sein würde.

Wenn ihr Vater abends einmal wieder getrunken hatte, ihre Mutter anschrie und schließlich zu ihr ins Zimmer kam, lag sie mit angehaltenem Atem unter der Bettdecke und flehte die Einhörner an, ihn sie doch wenigstens dieses eine Mal nicht sehen zu lassen... doch unerbittlich schlug er zu. Trotz allem verlor Monika ihren Glauben an die Einhörner nicht, denn auch in jenen Momenten blieben sie bei ihr und erzählten ihr mit leisen, raunenden Stimmen wundersame Geschichten, um sie abzulenken.
Sofia bemerkte die vielen Striemen, die ihre Tochter bedeckten, aber diese erzählte nur von wilden Spielen im Kindergarten - was sollte es auch anderes sein, sagte Sofia sich, so etwas ist in diesem Alter ja normal.

Die Tage wurden kürzer und somit die Abende länger, sodass Markus nun früher in die Kneipe ging und später als sonst zurückkam. Dann polterte er die Treppe hinauf, rüttelte ansatzweise an der Wohnzimmertür, die Sofia vorausschauend hinter sich abgeschlossen hatte, und fiel schließlich schwer ins Bett.
Jene Stunden mochte Sofia am liebsten, wenn ihr Mann wohlbehalten wieder zu Hause war, ihre Tochter friedlich schlief und sie selber etwas Fernsehen schauen konnte. Nach einiger Zeit ging sie dann auch ins Bett, wobei sie schon im Wohnzimmer Markus’ Schnarchen hörte und, sobald sie das Ende der Treppe erreicht hatte, auch das leise Atmen Monikas.

Doch heute war etwas anders. Kaum, dass sie den Fernseher ausgeschaltet hatte, wurde Sofia sich der trügerischen Ruhe im Haus bewusst. Mit einem hohlen Gefühl im Kopf stand sie auf und machte sich auf den Weg nach oben.

Monika rannte, so schnell sie nur konnte. Immer wieder knickte sie in dem tiefen Schnee um, tanzten grelle Lichtflecken vor ihren Augen, rappelte sie sich wieder hoch und spornte sich weiter an. Nur noch bis zu der Kiefer dort... bis zu dem Holzstoß.... weiter... Ihre Lunge brannte und das Pochen des Blutes in ihrem Kopf verdrängte alle anderen Gedanken bis auf den an die Gestalt hinter ihr. Sie hörte seinen keuchenden Atem. Obwohl er viel getrunken hatte, lief ihr Vater erstaunlich schnell und schien aber auch gar nicht müde zu werden. Zwischendrin stieß er wüste Flüche und Drohungen aus, die Monika nur noch mehr antrieben, ihr Letztes zu geben. Sie wusste, sobald ihr Vater sie erreicht hätte, würde es noch schlimmer werden als all die anderen Male, wenn er mit dem Ledergürtel seine Wut an ihr ausgelassen hatte... sie hetzte weiter.
Plötzlich sah sie vor sich, links und rechts von ihr die Einhörner. Wunderbar leichtfüßig liefen sie neben ihr her und schauten sie mit ihren sanften Augen an. “Komm“, sprach das Prächtigste unter ihnen, “komm mit uns mit, steige auf meinen Rücken und ich werde dich forttragen von hier...” Dankbar klammerte Monika sich in der silbrigen Mähne fest und fühlte nun, wie schön es war, zu fliegen... Umgeben von der Einhornherde stieg sie weit hinauf in die klare Winternacht und sah den dunklen Wald unter sich immer kleiner werden, bis er schließlich völlig verschwand... Monika war endlich glücklich.

Am nächsten Morgen entdeckten zwei Spaziergänger die Leiche eines kleinen Mädchens am Rande eines verschneiten Waldweges, der bis zu dem Körper hin zertrampelt war. Eine Spur grober Stiefel führte tief in den Wald hinein, und als sie ihr folgten, gelangten die Spaziergänger zu einem zugefrorenen See, in dessen Mitte ein schwarzes Loch klaffte. Hier endete die Fußspur.

 

Hallo Wölfin!

Du schreibst flüssig und leicht verständlich, jedoch ist die Aussage Deiner Geschichte nicht ganz bei mir angekommen. Ein gewalttätiger Vater, der sich vertschüsst, ein zweiter Mann, der das Kind widerwillig annimmt und ebenfalls gewalttätig ist, und eine Mutter, die sich das alles gefallen läßt und die Gefahr für ihr Kind nicht sieht. Die Einhörner, die sich das Mädchen malt und einbildet, und die es selbst im Tod begleiten.

Irgendwie hatte ich anfangs das Gefühl, es würde auf sexuelle Mißhandlung hinauslaufen und war dann einerseits froh, daß es das nicht war, andererseits wirkt es so auf mich, als hättest Du es zwar vor gehabt, Dich aber dann doch nicht getraut. Besonders an der Stelle, wo der Mann ins Zimmer kommt, kam es mir so vor.

Wenn ihr Vater abends einmal wieder getrunken hatte, ihre Mutter anschrie
Das finde ich recht seltsam, daß, obwohl der Vater auf und davon ist, und die Mutter nun mit Markus zusammenlebt, abends wieder der Vater nach Hause kommt. Da dürftest Du Dich (im ganzen letzten Teil) irgendwie vertan haben. ;)

See, in dessen Mitte ein schwarzes Loch klaffte
– Wie kann in einem See ein schwarzes Loch klaffen? :shy:

Noch zwei Kleinigkeiten:

»war nun ganz begeister davon.«
– begeistert

»und schließlich zu ihr ins Zimmer, lag sie«
– zu ihr ins Zimmer kam

Liebe Grüße,
Susi :)

 

@ häferl:
Sorry erstmal, dass ich erst jetzt zum Antworten komme! Und danke für die Kritik natürlich!!!
Das Hauptmotiv der Story sollte eigentlich das Mädchen sein, das sich in der realen Welt nicht zurechtfindet und daher imaginäre Freunde (er)findet, sprich die Einhörner, mit denen es glücklich ist -im Gegensatz zu den wirklichen Personen (Eltern etc.), und das geht dann schließlich soweit, dass das Mädchen im Tod glücklicher ist als im Leben, mh, was Theatralisch-Dramatisches halt.
Die beiden Väter und die Mutter sollen die oberflächliche Welt personifizieren, voller Gewalt und gleichzeitigem Augenverschließen davor.
Ach ja, der See... den habe ich mir zugefroren vorgestellt, also weiß, und das Loch, in das der Mann eingebrochen ist, ist dann eben dunkel wie das Wasser.
Hoffe, die überarbeitete Fassung ist etwas verständlicher!!!
LG, wölfin

 

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