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Ein Wikinger-Grillabend
Das Holz des Lagerfeuers glüht. Neben dem Feuer stehen Holzstücke mit aufgepickten Fischhälften. Einige der Hälften sind schon fast schwarz und durch gegrillt. Sie duften herrlich nach Kräutern. Sven, ein Wikingerjunge, sitzt am Lagerfeuer und kuschelt sich in seinen Fellumhang.
„Heute Abend ist es besonders kalt“, klagt Harald, der nur mit einer Hose und einer dünnen Tunika bekleidet ist und keinen warmen Umhang besitzt, weil sein Vater ein Landarbeiter ist.
„Komm mit unter meinen Fellumhang“, sagt Sven zu seinem Freund Harald.
Gemeinsam lauschen sie den Erzählungen der Erwachsenen. Heute wird nicht die Geschichte Sigurds des Drachentöters zum wiederholten Male erzählt. Sondern es wird von den Heldentaten der Stammesfürsten erzählt. Sven ist sehr stolz, weil sein Vater einer der Fürsten ist.
„Wir waren mit dem neuen, langen und schlanken Drachenboot auf der Nordsee. Alle 16 Ruderplätze waren besetzt“, berichtet einer der Männer.
„Ich stand vorne und hielt Ausschau. Ich musste mich an der gebogenen Bugspitze fest halten, weil wir mit voller Besegelung schnelle Fahrt aufgenommen hatten“, ergänzt ein anderer Krieger. Bevor er sich zur Gruppe setzt, nimmt er seinen schweren Eisenhelm ab. Weil sein Schutzhelm mit dem Nasenschutz besonders Furcht einflößend aussieht und er die kleineren Kinder nicht erschrecken will.
„Und plötzlich tauchte ein gewaltiges Tier ganz dicht neben unserem Boot auf.“
Alle Zuhörer am Lagerfeuer sind mucksmäuschenstill, nur das Feuer knistert und der Wind jault um die Hütten. Es wird immer dunkler, die Sonne ist untergegangen und der Mond geht auf. Der ganze Wikingerstamm lauscht erwartungsvoll auf die Fortsetzung der Geschichte.
„Es war ein Wal. Er erzeugte eine hohe Welle. Diese trug das Boot erst hoch und ließ es anschließend ins Wellental fallen. Einige von uns wurden von einer Seite des Bootes zur anderen geschleudert. Dabei spritzte viel Wasser in die Barke. Die Männer ruderten mit ganzer Kraft, damit wir nicht kenterten“, berichtet Haralds Vater.
„Der Wal war schnell und tauchte blitzartig vor uns auf. Er riss sein Maul auf. Es war so groß wie unser Pferdestall. Seine Zähne waren länger als unsere Messer.“
„Einige von uns beteten zu Odin, unseren listenreichen Kriegsgott, er möge uns Kraft und Mut geben.“
Einige Kinder sitzen jetzt an ihren Müttern gekuschelt und können es gar nicht abwarten, bis der Bericht weitergeht. Anderer Kinder halten sich die Ohren zu. Ein anderes kleines Mädchen Thyra springt vom Schoss ihrer Mutter auf und stöhnt: „Ich habe Hunger, wann gibt es den Fisch.“
„Jetzt noch nicht, warte ab, ich will erst das Ende hören“, antwortet Sven.
„Gut. Wir Männer hatten alle furchtbare Angst“, setzt ein anderer Wikinger den Bericht fort.
„Die Mannschaft erstarrte vor Schreck. Keiner sagte ein Wort oder zeigte eine Reaktion, selbst als das Ungetüm im Meer wieder abtauchte. Nur dein Vater …“, sagt Haralds Vater und prostet mit seinem Drachenhorn, ein Trinkgefäß, Sven zu.
„Dein Vater, der große tapfere Gnorm, reagierte. Er griff seinen Jagdbogen und legte einen Pfeil mit großer Spitze ein. Er spannte den Bogen – zielte – lauerte – und als der Wal wieder auftauchte – er behielt die Nerven und wartete weiter –das Ziel immer vor Augen – und schoss den Pfeil schließlich ab. Dieser flog in einem hohen Bogen in Richtung des Tieres und traf ihn am Schwanz. Der Pfeil blieb mit der Spitze in der Fettschicht stecken. Mit einem Grunzen tauchte der Wal ab. Es wurde still. Die Wellen wurden kleiner. Wir warteten.“
Haralds Vater stochert mit seinem Schwert, in Gedanken versunken, in der Glut herum, bis die Funken sprühen. Die anderen Männer ölen ihre Kehlen mit einen besonders süßer Honigwein, dem Drachenblut, bevor sie weiter berichten.
„Und – tauchte er wieder auf?“ fragt Harald nervös.
„Ja, er erschien nach einigen Minuten wieder an der Wasseroberfläche. Ich schaute ihm direkt in die Augen und sagte „das war nur eine Warnung. Hau ab“ und er tat es. Mit einigen kräftigen Schwimmbewegungen verschwand er im offenen Meer.“
Einige der Krieger schlugen mit den metallverzierten Griffen ihrer Messer gegen ihre Brustpanzer. Die übrigen Zuschauer, Sven und Harald klatschen in die Hände oder mit ihren Holzlöffeln in die Holzschalen.
„Der Fisch ist fertig. Jeder bekommt ein kleines Stück davon und eine Ecke Fladenbrot“, sagt Haralds Mutter.
Thyra hopst erleichtert, dass die Geschichte ein gutes Ende gefunden hat, mit einem Stück Fladenbrot und Fisch zu ihrer Mutter.