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Ein (ver)wunderbarer Morgen
Edgar hatte früher Feierabend und war sehr erstaunt darüber, in seiner Wohnung Licht zu sehen.
Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Er arbeitete während der Nachtstunden und kam im Normalfall erst gegen zehn Uhr Heim. Seine Frau, die erst um diese Zeit aufzustehen gedachte, sollte eigentlich noch schlafen.
Na ja, wer weiß denn schon, was passiert ist, dachte sich Edgar und schloss die Wohnungstür auf. Er ging hinein und zog seine Jacke aus, hängte sie an den Haken der Garderobe und ging leise durch den Flur, um seine Frau zu überraschen. Doch die Überraschung war ganz auf seiner Seite.
Vorerst.
Er kannte die Kleidungsstücke auf dem Fußboden vor dem Schlafzimmer nur zur Hälfte. Die einen gehörten seiner Frau. Und die anderen ... nun, das würde er in Sekunden erfahren.
Edgar öffnete leise die Tür und sah zwei Personen unter den Decken dort im Bett liegen. Ein Geruch von schwitzenden Körpern erfüllte die Raumluft. Er trat ein und räusperte ein: „Ahem!“
Ruckartig sah seine Frau unter der Bettdecke hervor.
„Edgar!“
„Das ist mein Name, ganz genau. Und wer ist das?“
„Was machst denn du schon hier?“
„Ich hatte früher Feierabend. Also?“
Edgar nickte in Richtung des Fremdlings.
„Äh!“, stotterte seine Frau. „Das, das, das ist … ähm … das ist Hansi.“
„ Ach Hansi, freut mich, dich kennenzulernen.“
Hansi blickte erstaunt unter der Decke hervor.
„Danke, aber ich … was ..?“
„Schnauze!“, schrie Edgar und wandte seinen Blick wieder zu seiner Frau.
„Schatz, würdest du mir bitte erklären, was Hansi in unserem Bett macht? Bist du eigentlich völlig durchgeknallt?"
„ Aber Edgar, ich wusste doch nicht, dass du jetzt schon heim kommst!“
Margret legte ein entrüstetes Gesicht auf.
„ Ach ja, für wann hast du mich denn erwartet? Na los, komm, spuck‘s aus?“
Mit erwartungsvoll aufgerissenen Augen blickte Edgar seine Frau an.
„Na für halb elf, wie immer.“
„Hallo, dürfte ich auch mal was s...“
„ Hansi halt die Klappe!“, entfuhr es Edgar. „Ich muss hier erstmal was mit meiner Frau klären, wenn‘s Recht ist?“
Hansi wollte etwas erwidern, besann sich eines besseren und schwieg.
„Schatz“, setzte Edgar wieder ein, „würdest du dich bitte erheben, dass du mir diese Situation schnell mal erklären könntest, so privat unter vier Augen?“
„Aber ich hab doch gar nichts an“, entfuhr es ihr, setzte dazu noch einen peinlich berührten Blick auf. Doch Edgar fuhr fort:
„Das ist mir scheißegal. Ich weiß, wie du nackt aussiehst. Und in Anbetracht der Kleidung im Flur, weiss er es auch.“ Er deutete auf den Bettnachbarn seiner Frau.
„Wollen sie mir irg...“
Edgar setzte einen düsteren Blick auf.
„Hansi, ich hab dir gesagt, du sollt ruhig sein, wie oft soll ich das denn noch sagen? Ist ja wie im Kindergarten hier.“
Der Kopf von Hansi zog sich gefühlt ein wenig unter die Decke zurück, während Margret ihre Decke zur Seite schwang und aufstand.
„Ich weiß gar nicht, worüber du dich so aufregst“, begann sie nun. Vollkommen Nackt stand sie im Raum und hielt ihre Hände wie die Unschuld vom Lande vor sich in die Höhe gestreckt.
„Ich war halt einsam, und mir war langweilig nachdem du weg warst“, sagte sie, dann setzte sie sich in Bewegung an Edgar vorbei, griff nach ihrer Unterwäsche auf dem Boden und zog diese beim gehen an.
„Und im Fernsehen lief auch nichts, also ging ich fort“, sprach sie weiter, griff ihre anderen Klamotten und ging zur Tür.
„Du gingst fort? Tust du so etwas öfter?“ Edgar setzte einen schockierten Gesichtsausdruck auf.
„Ja eigentlich schon.“ Im Gehen ergriff sie ihr Oberteil und zog es sich mit Schwung über den Kopf.
„Und wann wolltest du mir mal davon erzählen, nah?“ Fassungslosigkeit kam aus Edgars Mund, während er seiner Frau folgte.
Und Hansi: „Äh. Hallo, und was ist jetzt ...“ blieb vereinsamt im Bett zurück.
Morgens um halb sieben.
Margret griff im Flur nach ihrer Jeanshose, blieb kurz stehen um hineinzuschlüpfen, dann ging sie und redete, Edgar folgte ihr auf Schritt und Tritt.
„Also weiter!“
„Na ja, ich traf dort Hansi wieder und ...“
„Du trafst ihn wieder?“, entfuhr es Edgar, der weiterhin fassungslos war.
„Wie oft hast du ihn denn schon getroffen?“
„Weiß nicht, vielleicht drei- oder viermal.“
„Ist ja interessant. Und was habt ihr dann so gemacht, wenn ihr euch getroffen habt?“ Ein fragender Blick erschien jetzt auf Edgars Gesicht, die Augen ein wenig aufgerissen.
„Wir haben getanzt, getrunken, uns unterhalten und sind dann irgendwann zusammen nach Hause gegangen.“
Margret trat in die Küche und griff zur Kaffeekanne. Sie war leer.
„Und seid dann zusammen nach Hause gegangen. Klingt ja Romantisch.“ Edgars Stimme wurde Sarkastisch, während er mehr im Flur stehen blieb und bemerkte, wie Hansi aus dem Schlaffzimmer kam.
„Und was ihr dort gemacht habt ist unübersehbar.“
„´Tschuldigung“, tauchte Hansi mit seinen Klamotten auf dem Arm hinter Edgar auf.
„Ich geh … grad mal schnell ins … äh … ich mein ins … Bad“, sagte er und ging flinken Schrittes auf die Tür zu
„Ja, aber Verbrauch nicht zu viel Wasser“, sagte Edgar, während er weiterhin seine Frau anstarrte. Erst als Hansi im Bad verschwunden war, blickte er kurz zur Badezimmertür und sagte leise zu sich: „Ach, das kennt er also auch schon
Dann richtete Edgar seinen Blick nach unten.
„Scheiß Situation!“ entfuhr es ihm und er drehte sich wieder zur Küche.
Margret öffnete die Kaffeekanne und fing an, Wasser einzufüllen.
„Geh und hol Brötchen. Ich hab Hunger.“
„Und was ist mit dem K...“, fragte Margret, als sie Edgars Blick auffing und verstand. Er wollte gerade mal Ruhe haben.
Sie stellte die Kanne ab und verschwand, während im Bad die Dusche anfing zu laufen.
Es war wirklich ein schöner Morgen geworden. Edgar saß auf dem Balkon und beobachtete, wie die Sonne langsam aufging und der Himmel in Babyblau erstrahlte. Er nippte an seinem heißen Kaffee und dachte nach, als Hansi den Balkon betrat.
Seine Arme hielt er vor dem Bauch verschränkt, das Haar noch nass vom Duschen.
Er blickte auf den Boden, und an seinem Gesicht sah man, dass er sich ziemlich elend fühlte.
„Setz dich!“, sagte Edgar bestimmend, aber in ruhigem Ton und zeigte auf den anderen Stuhl. Langsam schritt Hansi zu ihm und setzte sich. Auf dem Tisch standen zwei Tassen und die Kanne.
"Kaffee?“, fragte Edgar.
„Gerne“, entgegnete Hansi furchtsam und Edgar füllte die zweite Tasse. Er schob sie rüber.
„Danke.“ Hansi griff zu und nippte dran.
„Ist ein bisschen stark geworden“, sagte Edgar und schaute weiter in den Himmel, wo die Sonne langsam dem Zenit entgegen wanderte. Ein kleines Lüftchen trug den Kaffeeduft mit sich davon.
„Ist verständlich.“
Schweigend saßen sie da.
Morgens um fünf vor sieben.
„Das ist schon eine verrückte Situation“, sagte Edgar nach einiger Zeit.
Stille.
„Da kommt man mal früher nach Hause und will seine Frau überraschen und was ist?“ Edgar lächelte leicht vor sich hin.
„Jetzt ist die Überraschung ganz auf meiner Seite.“ Er schaute zu Hansi hinüber, der nachdenklich in seine Kaffeetasse blickte. Dann sah er auf.
„Ja, ist schon eine peinliche Situation gewesen."
„Peinlich? Wie man es nimmt. Ein wenig verrückt würde auch passen.“
Edgar blickte wieder zum Horizont. Er genoss die leichte Brise des Morgenwindes.
„Und keine Angst, ich werd Sie jetzt nicht rauswerfen. Wenn, dann hätte ich es direkt machen sollen, aber diese Situation war ...war einfach ...“
Er machte eine Handbewegung um das Wort herauszuholen, „ ... neu für mich. Ich wusste erst gar nicht, wie ich mich verhalten sollte.“ Eine kurze Stille folge, dann ergriff Hansi in ruhigen Tönen das Wort.
„Die meisten Männer, die ihre Frau mit einem anderen im Bett erwischen, schmeißen ihn entweder zur Tür oder zum Fenster hinaus. Oder sie erschießen ihn, nachdem sie ihn windelweich geprügelt haben.“
Edgar sah Hansi an und umgekehrt.
„Ja, vielleicht hätte ich das auch tun sollen.“ Edgar setzte ein ganz leichtes lächeln auf, dann drehten sie sich beide wieder nach vorne und betrachteten weiter die Sonne am Horizont.
In der Wohnung ging die Tür. Margret war wieder da, doch keiner der Männer drehte sich um. „Waren sie schon öfter hier?“ Edgar sprach nun mit einer eher gelassenen Stimme, nippte an seinem Kaffe und drehte sich dann zu Hansi. Hansi blickte zu Boden.
„Sie brauchen sich nicht zu schämen“, sagte Edgar. „Ich will nur die Wahrheit wissen.“
„Ja“, kam es aus Hansi heraus.
„Ich glaube, es war jetzt das vierte Mal.“
„Und hat sie auch mal von mir gesprochen?“
Hansi blickte wieder auf.
„Sie sagte, Sie wären fast so gut wie ich im Bett.“
Edgar fing an, mit geschlossenem Mund zu kichern und schüttelte den Kopf, während er ihn wieder nach vorne drehte. Auch Hansi begann ein Grinsen.
„Ach ja, das hat Sie gesagt? Sonst nichts?“
„Doch schon, wir haben über Ihre Arbeit gesprochen, und dass Sie erst um 10 Uhr heimkommen.“ Er machte eine kurze Pause, beobachtete den Horizont. Dann fügte er noch an: „Und dass Sie gut Kochen können.“
Margret trat auf den Balkon.
„Los kommt, ich hab den Tisch gedeckt.“ Sie drehte sich wieder um und verschwand.
Edgar und Hansi erhoben sich von ihren Stühlen und gingen hinein,während Edgar in der Bewegung noch nach der Kaffeekanne griff.
Sprachlos saßen sie am Tisch und schmierten sich ihre Brötchen.
„Und, habt ihr euch gut unterhalten?“, fragte Margret, während sie weiter auf ihr Brötchen sah.
„Wir haben uns gerade über mich unterhalten“, sagte Edgar und sah dann Hansi an. „Was machen Sie eigentlich beruflich?“
„Ich arbeite in einem Büro bei einer Handelsfirma.“
„Und wann fangen Sie da an?“
„Um neun Uhr. Aber heute ist mein freier Tag. Daher war ich gestern auch unterwegs, wie an jedem Abend vor meinem freien Tag.“
„Mmh, sehr interessant.“
Edgar stopfte sein Brötchen in den Mund. Margret griff zur Kanne und füllte sich ihre Tasse.
„Noch jemand?“
„Ja gerne“, sagte Hansi und reichte ihr seine Tasse hin. Es wurde wieder Still. Und es wurde halb acht.
Nach dem Frühstück räumten sie gemeinsam den Tisch ab und Margret ließ Spülwasser einlaufen, während Hansi seine Sachen holte.
„Vielen Dank für das Essen“, sagte er und reichte Ihr die Hand. Margret ergriff diese und schüttelte sie.
„Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.“ Dann warf Hansi einen Blick zu Edgar.
„Ich komme noch mit zur Tür“, sagte dieser und Hansi trat in den Flur.
Edgar sah noch mal zu seiner Frau, welche seinen Blick erwiderte und dann anfing, die Tassen zu spülen.
Als er Hansi an der Tür erreichte, sagte er: „Okay, ich werde das heute einfach vergessen. Aber ich bin jetzt auf die Situation vorbereitet, also ...“
„Ich versteh schon“, sagte Hansi und sah Edgar an.
„Das heute war eine … verrückte Situation. Ich möchte mich dafür bedanken, dass Sie mich nicht gleich rausgeworfen haben.“
„Jeder andere hätte es wohl getan. Wenn nicht sogar schlimmeres.“
„Ja, glaub ich auch.“
„Wenn Sie wollen, ...“ Edgar stoppte und sah an die Decke, rang innerlich mit sich selbst. Es war schwer für ihn, aber irgendwie fand er Hansi, trotz allem, ganz sympathisch. Er sah wieder zu Hansi.
„Das klingt jetzt vielleicht verrückt“, fing er dann zögerlich an, „ aber wenn Sie wollen, können Sie gerne mal vorbeikommen, wenn Sie wieder ihren freien Tag haben.“
„Meinen Sie das ehrlich?“ Hansi setzte einen skeptischen Blick auf.
„Ja, wieso nicht. Sie könnten ja mal … meine Kochkunst ausprobieren.“
„Ja, das würde ich gern tun.“
„Aber denken Sie daran, ich will Sie nie wieder allein mit meiner Frau erwischen.“
„Ja, ich weiß Bescheid", sagte Hansi und drehte sich zur Tür, öffnete diese und trat hinaus. Dann drehte er sich noch einmal um und reichte Edgar die Hand, während er weiter sprach.
„Danke nochmal ... für das Frühstück“
„Keine Ursache“, sagte Edgar und griff zu. Anschließend ging Hansi los, während Edgar langsam die Tür schloss. Als er wieder an der Küche vorbeikam, hatte Margret schon mit dem Spülen aufgehört. Er schlenderte ins Wohnzimmer und sah sie am Fenster stehen.
Leise trat er hinter sie und schlang seine Arme um ihren Körper.
„Und was hast du Ihm noch gesagt?“, fragte sie, ohne sich umzudrehen.
„Dass ich Ihn beim nächsten Mal erschießen werde.“
„Nein, das hast du nicht, aber ich würde es dir nicht einmal verübeln.“ Sie sah Hansi die Straße hinuntergehen, er blickte nicht mehr zurück.
„Ich habe ihn eingeladen wiederzukommen.“
„Du hast was?“, fragte sie und drehte sich abrupt um, mit einem irritierten Lächeln auf dem Gesicht.
„Ich habe ihn eingeladen wiederzukommen. Wieso?“
„Du erwischst mich mit ihm im Bett und lädst ihn dann ein wiederzukommen?“
„Wieso nicht?“ Edgar sah sie an, als ob dies die natürlichste Reaktion der Welt wäre.
Margret drehte sich zurück zum Fenster.
„Wir können Ihn als Freund behalten. Aber ich meine wir“,betonte er nochmal extra, „nicht du allein.“
„Verstehe!“ Der Himmel wurde heller.
„Ich liebe dich!“, sagte Margret, und ergriff seine Hände auf ihrem Bauch.
„Ich dich auch, Schatz!“
„Und es war der letzte Seitensprung, glaub mir das. Das heute war verrückt genug.“
„Ja, das war es.“
Und noch lange standen sie dort und schauten hinaus. Es versprach ein sehr schöner Tag zu werden, die Sonne schien zum Fenster hinein und brachte die Uhr an der Wand zum glänzen, während die Zeiger unbeirrt ihren Dienst taten, an diesem so verwunderbaren Morgen.