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Ein Vater
Mit verquollenen Augen sitzt er an dem klapprigen Esstisch, die Tasse Kaffee steht unberührt und kalt vor ihm und der Aschenbecher ist halb voll.
Was war nur passiert? Mit seinen Kumpels und Bier und Schnaps ist alles immer so leicht und er liebt ja seine Familie. Er liebt seine Frau und natürlich liebt er seine Tochter. Aber er hat das Gefühl, er kommt einfach an beide nicht heran, als lebten sie in einer anderen Welt oder sprächen eine andere Sprache. Und das Schlimmste ist, die beiden scheinen zu denken, er würde sie nicht lieben. Und doch liebt er sie ja über alles. Aber das ist irgendwie nur in ihm.
Seine Tochter versteckt sich hinter dem Sofa, wenn er sich mit seinen Eltern streitet oder mit seinem Bruder. Manchmal denkt er, sie sei gar nicht da. Und doch merkt er, dass sie versucht an ihn heranzukommen, ihn aufzumuntern. Aber meistens ist er zu kaputt oder zu gestresst, um darauf einzugehen. Aber das heißt doch nicht, dass er sie nicht lieb hat. Und seine Frau, in ihren Augen scheint er alles falsch zu machen, sie sieht ihn nicht. Wahrscheinlich sieht er sie auch nicht, aber er liebt sie doch, er will sie ja sehen, aber wie geht das denn?
Zwei Plastikstühle. Eigentlich sollten es drei sein und eigentlich sollte der Tisch der Holztisch in der Küche der Wohnung seiner Familie sein. Aber es ist ein wackeliger Plastiktisch mit einer rotweißkarierten schmuddeligen Tischdecke in einer kleinen kahlen Küche, der Küche seines Freundes. Bei ihm fühlt er sich verstanden, bei ihm fühlt er sich aufgehoben. Warum nicht bei seiner Familie? Ein Spatz landet auf dem Fensterbrett, kurz schaut er ihn an und sein Blick scheint zu sagen: „Ich verstehe nichts.“ Die Sonne geht unter.
Er hat keine Kraft mehr, nicht zum Aushalten und erst gar nicht zum Kämpfen. Er zerknüllt die leere Zigarettenpackung in seiner Hand und in diesem Moment fasst er einen Entschluss, er wird fliehen. Aber wohin? In die nächste Flasche? Aber das ist zu kurz. Vielleicht in den Tod? Aber das ist sehr endgültig. Vielleicht in den Westen, in den unerreichbaren Westen? Aber da verliert er auch seine Freunde. Vielleicht in die Arme seiner Frau? Aber die sind so kühl und hart. Er möchte so gern ankommen, aber er weiß nicht wo oder nicht wie. Sein Kopf sinkt auf seine Unterarme, niemand dürfte ihn so sehen, so schwach. Er muss ja stark sein, das versucht er auch. Es fühlt sich auch so an, aber nur nach außen hin. Innen drin fühlt es sich manchmal schwach an, in dem Moment, in dem er vergisst, sein Inneres zu verdrängen, in dem Moment, in dem er vergisst, sich abzuschotten. Das sind wenige Momente, aber die sind stark, sehr stark. Wann war er nur das letzte Mal glücklich oder wenigstens zufrieden? Er kann sich nicht erinnern und macht doch noch die Flasche auf. Und dann geht er nach Hause.
Leise öffnet er die Tür, geht in das Zimmer seiner Tochter, nimmt ihren Geruch in sich auf, fühlt eine Wärme im Brustkorb, lächelt sogar und will zu seiner Frau ins Bett gehen. Rückwärts schleicht er sich aus dem Zimmer und stolpert über eine Puppe, kracht gegen das Regal und seine Tochter sitzt plötzlich weinend im Bett. Vom Schlafzimmer her kommen Schritte, dann hört er nur laute Worte, die so etwas sagen wie: „Kannst du nicht wenigstens leise sein, wenn du dich schon wieder besaufen musstest? Warum kannst du kein guter Vater sein? Deine Tochter hat Angst bekommen, wegen dir.“