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Ein Vampir namens Viktor
Manchmal kommt es vor, daß das Sonnenlicht komplett und ohne Schatten zu werfen vom Mond reflektiert wird. In solchen Vollmondnächten passieren meistens die seltsamsten Dinge. Manche Menschen können nicht schlafen, andere verwandeln sich in Werwölfe und heulen die ganze Nacht lang, Frösche drehen durch und Fledermäuse fliegen gegen Bäume.
Auf die Bewohner des kleinen Dorfes Salzkirchen irgendwo in der bayrischen Provinz übte der Mond einen ganz besonderen Reiz aus. Sie fühlten sich alle vier Wochen berufen, sich zusammenzurotten, mit Fackeln, Heugabeln und Gewehren zu bewaffnen und auf den Weg zum Schloß zu machen um dem Grafen den Marsch zu blasen.
Graf Viktor freute sich schon sehr darauf. Immerhin bekam er jedesmal zu solchen Gelegenheiten um Schlag Mitternacht eine Jungfrau des Dorfes als Köder. Die Dorfbewohner gaben ihr am Tag zuvor immer Knoblauch zu essen und hofften, daß der Graf dann durch das Blut der Frau sterben würde. Das war natürlich nicht der Fall, denn Vampire sind eigentlich gar nicht allergisch gegen Knoblauch. Zumindest nicht so sehr wie gegen silberne Kugeln oder Holzpflöcke.
Der hiesige Graf zum Beispiel liebte Knoblauch. Der schmeckte nicht nur gut, sondern hielt zudem die Arterien sauber, was für einen Vampir sehr wichtig ist. Außerdem gibt es nichts besseres als eine gute Knoblauchfahne, um nervtötende Vampirjäger auf Distanz zu halten. Das war eine Sache, die Graf Viktor ein wenig störte. Im Fernsehen sind solche Jäger immer blond, weiblich und gutaussehend. Der von Salzkirchen hingegen war ein häßlicher Mann mit nur einem Auge und ohne Haare. Dafür konnte er immerhin auch kein Karate und war zudem dumm wie Stroh.
Während Graf Viktor vor seinem Spiegel stand, seine tollen grünen Augen bewunderte und die Zähne putzte – immerhin würde er gleich eine Jungfrau beißen– klopfte es unten am Schloßtor. Der Spiegel war natürlich nicht echt. Vampire haben bekanntermaßen weder Spiegelbild noch einen richtigen Schatten. Viktor hatte deshalb vor einigen Jahren ein Ganzkörperportrait in Originalgröße anfertigen lassen, das ihm seither als Spiegel dient. Solange er nur unbeweglich davor steht und sich bewundert, funktioniert das auch tatsächlich.
Das Klopfen vom Tor wurde lauter und drängender. Voller Vorfreude wandte Viktor sich von seinem Ebenbild ab, zog sich seinen tiefroten, wallenden Mantel über, der ihm ein sehr ehrfurchtgebietendes Aussehen verlieh und machte sich auf den Weg nach unten.
„Hallo, Leute. Schön, daß ihr auch heute wieder alle gekommen seid, um... ach du Scheiße.“ Einen Moment lang rang er mit seiner Fassung, als er die heutige Jungfrau sah. Sie war die letzte noch verbliebene des Dorfes. Alle anderen Jungfrauen waren entweder tot, weil Viktor sie komplett ausgesaugt hatte oder hatten es aufgegeben, keusch in die Ehe zu gehen.
„Na, mein Sohn, dann fang mal an. Aber mach schnell, meine Füße bringen mich um.“, sagte die alte Frau und schenkte Viktor ein zahnloses Lächeln. Ihre Knoblauchfahne konnte man sicher noch vierzehn Meter unter der Erde riechen, wo Viktors Großonkel Richard in seiner Gruft schlief und nun vermutlich aufgewacht war.
„Bist du wirklich... ich meine...“
„Ja, bin ich. Noch nie habe ich mit einem Mann das Bett geteilt. Können wir jetzt anfangen? Ich hab noch einen Braten im Ofen.“
Viktor stand ein wenig unschlüssig im Türrahmen und wußte nicht so recht, wie er jetzt reagieren sollte. Die Dorfbewohner sahen grimmig zu ihm hinauf und schwenkten ihre Waffen. Der einzige Grund, aus dem sie nicht angriffen, war ihre Furcht. Sie wußten einfach nicht, was passieren würde, wenn man einen Vampir erschießt und so beließen sie es dabei, möglichst bedrohlich zu grinsen.
„Ach Leute, das ist doch jetzt nicht euer Ernst, oder?“
„Soll ich mich schon mal obenrum freimachen? Warte, ich wickle kurz meinen Schal ab.“, sagte die Alte und tat es sogleich. Viktor unterdrückte einen Brechreiz. An ihrem Hals, genau an der Stelle, an der er normalerweise seine Zähne in das weiche Fleisch treibt um genüßlich zu trinken, trug die Frau eine fette Warze in Form eines Frosches... und auch in der Größe.
„Ist das wirklich die einzige Jungfrau, die ihr noch habt?“ Unsicheres Nicken aus dem Lynchmob war die unbefriedigende Antwort. „Also, da beiß ich ganz sicher nicht rein.“
„Ach komm, Jungchen. Stell dich nicht so an. Mach einfach die Augen zu und stell dir vor, ich wäre Sarah Michelle Gellar.“
„Ich meine... zur Not würde ich auch mit einer Nicht-Jungfrau vorlieb nehmen...“, stammelte Viktor.
„Wird’s bald? Ich hab nicht den ganzen Abend Zeit.“
„Oder... oder, wir lassen das heute mal ganz ausfallen... ich meine, ich muß ja nicht jeden Monat... außerdem hab ich fiese Zahnschmerzen, und... eigentlich bin ich auch gar nicht dur... durstig...“
„Habe ich schon gesagt, daß ich einen Braten im Ofen habe? Ich meine, langsam sollten wir hier mal fertig werden.“
„Ja, hast du... genau, diese Frau hat einen Braten im Ofen. Warum... warum geht ihr nicht alle zu ihr und helft dabei, ihn aufzuessen?“
Die Meute hielt es nicht für nötig, auf diesen äußerst schwachen Versuch der Ablenkung zu reagieren. Bis auf den Dorfpolizisten natürlich, dem schon seit zwei Stunden der Magen gewaltig knurrte. Aber er blieb dann doch stehen, wo er war, weil niemand sonst sich rührte. Stattdessen trat nun auch noch der Vampirjäger vor und hob bedrohlich einen Holzpflock in Herzhöhe.
„Ach komm, pack das Ding da weg! Du weißt genau, was passiert, wenn du mir das ins Herz rammst. Ich sterbe und du wirst arbeitslos. Willst du das?“
„Die durch das Dunkel schreiten, fürchten das Licht.“, sagte der Jäger mit monotoner Stimme.
„Ja, toll. Aber trotzdem wirst du mich nicht umbringen.“
„Die durch das Dunkel schreiten, fürchten das Licht.“, wiederholte er unbeeindruckt.
„Jungchen, nun mach hin. Mein Hals wird langsam kalt.“ Die alte Jungfrau stand immer noch mit entblößtem Hals dort und wartete, wobei sie ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat.
„Haben wir nicht ausgemacht, daß... daß das Beißen heute mal ausfällt? Ausnahmsweise...“
„Die durch das Dunkel schreiten...“
„Halts Maul!“, meinte Viktor ruhig. „Ich muß nachdenken.“
„Genau, halt die Klappe!“, schrie nun auch die Jungfrau „Wenn du nicht bald mit dem Mist hier aufhörst, werden wir hier nie fertig.“
Die Leute wurden nun langsam ein wenig ungeduldig. Irgendetwas stimmte heute Nacht nicht. Normalerweise trank der Graf das Blut der Jungfrau, krümmte sich vor Schmerzen (Viktor war ein guter Schauspieler) und zeigte sich dann einen Monat lang nicht. Bis sich dann beim nächsten Vollmond das Schauspiel wiederholt. Der Plan des Bürgermeistes sah vor, die Dosis des Knoblauchs in der Jungfrau jedesmal zu erhöhen, bis es irgendwann tödlich ist.
Aber heute schien es nicht zu funktionieren. Vielleicht hätten sie doch die junge und allzeit bereite Gaby aus dem Nachbardorf als Jungfrau ausgeben sollen. Mit der hätte es sicher keine Probleme gegeben.
Viktor schien nun endlich zu realisieren, daß ihm wohl gar nichts anderes übrigbleiben würde, als das Blut dieser Frau zu trinken. Sonst würden die Leute hier nie Ruhe geben. Was solls, sterben würde er davon schon nicht. Er schloß angewidert die Augen, öffnete vorsichtig den Mund und näherte sich wie in Zeitlupe Millimeter für Millimeter dem Hals. Die Dorfbewohner hielten den Atem an und der Vampirjäger ließ den Holzpflock sinken. Nur das Opfer gähnte herzhaft und zerstörte somit ein wenig die Stimmung. Mit einem leisen Schrei sank sie auf die Erde, als der Graf sein Werk vollendet hatte.
„So, seid ihr jetzt... zufrieden?“ Viktor verspürte einen trockenen Geschmack im Munde. So, als würde er sich übergeben müssen. Er drehte sich diskret zur Seite und übergab sich dann tatsächlich. So etwas hatte er zuvor noch nie in seinem Leben getan und dieses Gefühl gefiel ihm auch überhaupt nicht. Mit bleichem Gesicht drehte er sich zurück und bemerkte gerade noch, wie der Lynchmob den Rückweg ins Dorf antrat.
Sie hatten alles gesehen. Der Vampir hatte das Blut getrunken, war vom Knoblauch betäubt und würde mindestens vier Wochen Ruhe geben. Vielleicht war die Dosis dieses Mal auch schon ausreichend gewesen. Somit war ihre Arbeit getan und sie konnten schlafen gehen. Diesmal hatte Viktor aber nicht geschauspielert. Langsam sank er auf den kalten Boden, gab ein letztes Röcheln von sich und zerfiel zu Staub.
Die Jungfrau erhob sich und schenkte dem Vampirjäger ein Lächeln. Sie waren die einzigen, die jetzt noch vor den Toren des Schlosses standen.
„Ich wußte doch, daß Vampire allergisch gegen Hexenblut sind.“
„Die durch das Dunkel schreiten...“
„Du kannst damit jetzt aufhören. Mein Plan hat funktioniert, er ist tot.“
„Er ist tot? Oh...“
„Ja, mit deinem dummen Pflock hättest du das niemals hinbekommen. Hast du Hunger? Ich hab noch einen Braten im Ofen. Komm, gehen wir zu mir.“