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Ein unvermeidbarer Mord
GEÄNDERT AM 5. JUNI 2003
Ich war fest entschlossen, mich nun endlich zu wehren. Niemand war verpflichtet, zu erdulden, was ich in den letzten Jahren ertragen hatte. Von keinem Menschen konnte man erwarten, daß er Demütigung auf Demütigung, Verrat auf Verrat, Enttäuschung auf Enttäuschung hinnahm, klaglos hinnahm und sich nie, nicht ein einziges Mal, zur Wehr setzte.
Ich hatte ihm vertraut, wie sonst keinem meiner Freunde. Er wußte alles von mir. Und wenn ich sage alles – dann meine ich ALLES!
Zwischen uns gab es nicht das geringste Geheimnis. Über meine Arbeit war er informiert. Mein angespanntes Verhältnis zu Linda war ihm bekannt. Er wußte um den Prozeß, den ich gegen meinen Bruder wegen unseres Erbes führte, kurz – es gab nichts, was ich ihm nicht anvertraut hätte.
Außer vielleicht - es mochte sein, daß ihm der Zwiespalt, in dem ich mich ihm gegenüber befand, nicht völlig klar war. Ja, es war möglich, daß er nicht auf dem Laufenden war, was die Wut betraf, die mich in seiner Gegenwart immer häufiger packte. Ich ertappte mich mehrfach dabei, daß ich ihn mit unverhohlener Feindseligkeit anstarrte, nicht mehr fähig, meinen Haß zu verbergen.
Erst gestern Abend war es mir nur mit größtmöglicher Anstrengung gelungen, bei dem Gedanken an all die Verletzungen, die er mir zugefügt hatte, nicht wütend zu schreien. Allein die Tatsache, daß Linda in der Küche die gekochten Kartoffeln für unser Abendbrot pellte, befähigte mich, den Wutschrei in meiner Kehle zu ersticken, bevor er über meine Lippen dringen konnte.
Die Vorstellung von Lindas fassungslosem Gesicht, sollte sie die Schreie aus meinem Zimmer hören, ließ mich schweigen und voller Scham erröten.
Es war unglaublich, wozu er mich brachte, wozu er mich gemacht hatte.
Ich atmete tief durch und beschloß trotz allem, meine Tagebucheintragung für den heutigen Tag zu beenden. Ich schreibe Tagebuch auf Anraten meines Therapeuten. Die Aufzeichnungen sollen mir eine hilfreiche Sichtweise auf meine Konflikte mit Linda ermöglichen.
Während ich meine Gefühle und Gedanken in die Tastatur meines Computers hämmerte, war mir, als beobachte mein Feind mich mit einem kalten Blick, wie ein Fremder. Ein Schauer lief mir über den Rücken, doch es blieb kaum Zeit, mich meinen Ängsten hinzugeben. Schlagartig wurde der Bildschirm vor mir schwarz. Dann erschien die vertraute Schrift: „ein schwerer Fehler ist aufgetreten... weiter mit beliebiger Taste...“
Verdammt, verdammt, verdammt! Auch das noch! Ich hatte natürlich noch nichts gespeichert! Vor meinem inneren Auge sah ich das ungläubige Gesicht meines Therapeuten. Ich hörte seine immer etwas salbungsvolle Stimme, in der ein leiser, nicht zu überhörender Zweifel mit schwang: „Ah - ja. Ihr Computer ist abgestürzt und deshalb können Sie mir heute keine Aufzeichnungen vorlegen..... Naja, es ist Ihr Geld und Ihre Sitzung, aber wenn Sie tatsächlich weiterkommen wollen, wenn Sie wirklich Ihre Probleme lösen wollen, dann müssen Sie schon ein bißchen mitarbeiten.“
Wütend hieb ich mit beiden Fäusten auf jede beliebige Taste in meiner Reichweite.
Auch das hatte ich ihm zu verdanken.
Wenn das keine gezielte Sabotage war.
Wieder einmal hatte er ungefragt in mein Leben eingegriffen.
Er nahm mir jede Autonomie. Ich war abhängig von ihm. Wie ein Drogensüchtiger an seine Spritze, an seinen Stoff, so war ich an ihn geschmiedet.
Ich erinnere mich genau an diesen Augenblick, als ich meine Hände immer wieder auf die unschuldige Tastatur des PCs niedersausen ließ. In eben diesem Moment traf ich die folgenschwere Entscheidung, ihn ein für alle Mal und endgültig zu vernichten. Ich wußte ganz plötzlich, wie ich es machen würde und die Gewißheit überflutete mich mit warmer Ruhe. Getröstet ließ ich die Arme sinken und lächelte: Ich würde ihn heute Abend erledigen. Zuerst das Abendessen mit Linda – Pellkartoffeln und Quark – und dann er.
Nach dem Essen suchte ich den Hammer. Ich fand ihn am Grunde der Werkzeugkiste. Mit einer Flasche Rotwein, dem Hammer und zwei Gläsern zog ich mich in mein Arbeitszimmer zurück.
Er erwartete mich bereits. Er stand in meinem Zimmer – unschuldig – als sei nichts geschehen, und blickte mir kühl und emotionslos entgegen.
Als ich den Hammer auf dem Schreibtisch ablegte, reagierte er nicht. Offensichtlich war er sich der Gefahr, in der er schwebte, gar nicht bewußt. Sensibel war er auf keinen Fall, das hatte ich im Laufe unserer letzten, gemeinsamen Jahre immer wieder feststellen müssen.
Ich war entschlossen, seinem Leben ein Ende zu bereiten, doch es sollte in Würde geschehen, schließlich war ich das unserer langjährigen Freundschaft schuldig.
Mit einem leisen „Plopp“ öffnete ich uns den Rotwein. Ich füllte die beiden Gläser und hob das meine, ohne auf ihn zu warten.
„Auf die Vergangenheit!“ mit diesen Worten kostete ich den Wein. Köstlich. Der Wein war genau der richtige für ihn.
Sorgsam und bedächtig hob ich sein Glas und goß die rubinrote Flüssigkeit sanft über seine Tastatur. Dann ergriff ich den Hammer und machte mich an die Arbeit.