Was ist neu

Ein unglaubliches Schauspiel

Mitglied
Beitritt
09.08.2017
Beiträge
2

Ein unglaubliches Schauspiel

Es war wohl eine Erbkrankheit. Ihre Gene waren schuld daran, dass sie seit 21 Jahren, seit ihrer Geburt keinen Ton hören konnte. Sie war eine junge, attraktive Frau. Taub, aber sehr hübsch. Ist das so betonenswert? Besteht eine Verbindung zwischen der Behinderung und der Ästhetik des Schönen? Widerspricht sich das? Offensichtlich nicht! Sie lebte ihr Leben in vollen Zügen. Tätowierungen waren ihre Leidenschaft. Ihr halber Körper war mit ihnen verziert. Als nächstes Motiv stand ein weiblicher Dämon knapp unterhalb ihres Bauchnabels an. Wie gesagt, sie kostete ihr Leben in vollen Zügen aus und schränkte sich, so gut sie konnte, nicht ein. Und diese Dämonin sollte Augenzeugin ihrer Lebensfreude und all ihrer jugendlichen Experimentierfreude werden. Und sie war sehr experimentierfreudig. Doch seit einigen Tagen war ihre sonst so unbekümmerte Art bei ihr nicht permanent anzutreffen. In manchen Momenten sah man neuerdings Nachdenklichkeit in ihrem wunderschön geformten Gesicht aufleuchten. Seit sie den Artikel gelesen hatte. Und diese Momente mehrten sich, seit der Termin feststand. Je näher er rückte, desto öfter sah man diese Nachdenklichkeit in ihrem Gesicht sich einen Weg bahnend durch ein Gebiet, das bisher so gut wie nie von dieser Mimik befallen war. Doch dieser Tag, der vor ihr stand, war zu gewaltig.

Es ist soweit. Sie öffnet ihre Bluse. Mit jedem Knopf ist mehr von dem Kunstwerk, der ihr Körper ziert, erkennbar. Sie legt sich hin. Und schneller als sie bis zehn zählen kann, schläft sie ein. Ruhe. Als sie noch schläfrig ihre Augen wieder öffnet, kann sie langsam die Umrisse ihrer Eltern erkennen. Die Narkose ist noch deutlich zu spüren. Noch ist alles schwammig, doch langsam erkennt sie die Lippenbewegungen ihrer Ärztin, die ihr sagt, dass die OP ein voller Erfolg gewesen sei und es keine Komplikationen gegeben habe. Ein Meilenstein der Medizin, wenn auch noch in der Testphase und sie als Pionierin. Moment. Was war das? Die Nachwirkungen der Narkose schienen überstanden, denn sie erkannte nun alles scharf und setzte sich langsam aufrecht, denn da war noch etwas, was neu war. Sie hörte einen Ton. Sie konnte hören. Ein noch dumpfes, fremdes Geräusch, aber sie hörte Laute. Zu den Lippenbewegungen gesellten sich Laute. Aus dem Fenster blickend sah sie die Sonne durch die Baumwipfel strahlen. Einige Vögel hüpften von Ast zu Ast. Sie hörte jede Menge Töne, die sie bewegten. Sie wusste nicht, dass dies Vogelgezwitscher war, doch der Klang, ein Klang den sie 21 Jahre lang noch nie vernommen hatte, war überwältigend. Sie, die toughe Lebensfrau, war gerührt. So viele Töne. Durch die Sonnenstrahlen, die in das Zimmer schienen und sich auf ihrem Gesicht verirrten, konnte man das Licht auf ihren Tränen spiegeln sehen. Ein unglaubliches Schauspiel. Der unglaublichen Begebenheit würdig: Hören zu können.

 

Hallo Ziar und willkommen!

Was bei diesem Text sofort ins Auge sticht, ist seine Kürze. Das ist zunächst nichts Schlechtes, aber umso wichtiger ist es in so einem Fall eben, den Leser sofort am Kragen zu packen und ihm die Signifikanz der Szene klarzumachen. Man muss es also schaffen, möglichst viel Atmosphäre in wenigen Worten auszudrücken. Das habe ich hier ein wenig vermisst. Du gehst zunächst stark auf die Äußerlichkeiten der Protagonistin ein, stellst sie als schönes, lebendes Kunstwerk dar. Das trägt allerdings - bei mir zumindest - nicht dazu bei, dass große Sympathien beim Leser geweckt werden, weil man ja nichts über ihren Charakter erfährt, was sie zu einer interessanten Heldin macht. Schönheit ist mir da einfach zu wenig.
Zudem spielen ihre Tattoos am Ende ja überhaupt keine Rolle mehr, weil es um etwas vollkommen anderes geht, nämlich ums Hören lernen. Passender wäre da doch eine Geschichte aus ihrer Kindheit zu Anfang gewesen, die sich sowohl auf ihr Empfinden der Taubheit als auch auf ihre Persönlichkeit bezieht.

Ihr erstes Hörempfinden kam bei mir nicht als unglaubliches Schauspiel oder gar als Feuerwerk der Gefühle an. Da hätte man so viel mit Lautmalerei und spontan ausgelösten Emotionen machen können, aber so ließ mich das völlig kalt.

Die Idee an sich finde ich schon berechtigt für eine Kurzgeschichte und dein Schreibstil hat definitiv Potenzial. Das solltest du ausnutzen und vor allem stark in deine Charaktere reinhören!

In der Hoffnung, dich nicht mit meiner Kritik verschreckt zu haben ;),
Liebe Grüße,

Jana

 

Hallo Ziar,

mich hat die Geschichte nicht wirklich überzeugt. Es sind gute Ansätze erkennbar und das Schreiben gelingt dir größtenteils auch, doch wie eine abgeschlossene Geschichte wirkt das Ganze nicht auf mich. Auch ist mir der direkte Zusammenhang zwischen den ersten und zweiten Absatz nicht wirklich klar. Was hat ihr verzierter Körper jetzt genau mit der Gehörlosigkeit und der anschließenden Operation zu tun? Das müsste man finde ich, noch irgendwie klarstellen.

Grüße,
Henrik

 

Hey Ziar,

Das wird meine erster Beitrag hier bei den Wortkriegern und ganz ohne Kritik geht's nicht, aber keine Angst, ich versuche nur zu helfen, schließlich willst du ja "ehrliches und fruchtbares Feedback". :)

Für mich war deine Story zu kurz und hat auch inhaltlich nicht überzeugen können. Die Thematik, über die kann man schreiben, und das solltest du auch! Nur versuch's mal mit "Show, don't Tell". Mir hat da generell Handlung und Dialog gefehlt, in diesem Sinne war das auch keine Kurzgeschichte für mich. Zu viele Lücken und Ideen, die man ausbauen kann. Also an die Arbeit! :)


Als allwissender Erzähler kannst du vage Formulierungen weglassen.

Es war wohl eine Erbkrankheit.
Da kann das "wohl" weg.

Und Sätze wie:

Es ist soweit. Sie öffnet ihre Bluse. Mit jedem Knopf ist mehr von dem Kunstwerk, der ihr Körper ziert, erkennbar. Sie legt sich hin. Und schneller als sie bis zehn zählen kann, schläft sie ein.
Da soll ja Spannung aufkommen. Es ist soweit. Was kommt jetzt, fragt sich der Leser und was passiert? Sie schläft ein. Wie langweilig.

Ich würde in medias res mit so einer Szene starten, wie sich Panik breit macht und die ganzen Bedenken, die sie hat ... also da hast du eine Menge Spielraum.

HenrikS hat es schon angesprochen: Das Tattoo! Alles was in einer Story erwähnt wird, sollte auch einen Zweck haben. Und ich glaube, den hast du auch, sonst hättest du die Körperverzierungen nicht mit in die Story gebracht. Nur müssen wir als Leser den Grund auch erfahren.

In diesem Sinne,
viel Erfolg und Spaß beim Überarbeiten.
Man hört sich. :p

Kippenstummel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ziar,
Dein Text fordert dazu heraus, sich Gedanken zu machen, in welchem Verhältnis Inhalt, Intensität, Textlänge und Stil stehen müssen, um schlüssig zu sein, um mehr zu sein, als ein knappes, vorbeihuschendes Bild einer theatralischen Inszenierung. So erscheint mir persönlich Dein Text und ich finde es ausgesprochen spannend, auf der Suche zu sein, warum das so ist. Vielleicht ist es mit dem ernüchternden Phänomen erklärbar, dass ich ein weit entferntes Schicksal, das ich aus den Medien mitbekomme, registriere, aber es mich nicht persönlich bewegt. Je näher Figuren rücken, am stärksten in der eigenen Sippe, desto stärker wird die Empfindung dafür und desto tiefer die Anteilnahme. Darauf legst Du es in Deinem Text ja an. Darauf ist er ausgerichtet. Vom Stil her haut er theatralisch um sich, schon im Titel, um dann aber dieses Defizit der Distanz umso stärker zu offenbaren. Technisch ist für mich also der Text einfach zu kurz, um seiner Intention gerecht zu werden. Zu wenig Kennenlernen, zu schnell in eine Intimität eintretend, die ich noch nicht will.
Eine andere Variante wäre es, den Text nicht auf einen allgemeinen Bummeffekt anzulegen, sondern rein auf die akustische Sensation hin auszurichten. Dann könnte man sich den etwas schwerfälligen Eingangsdiskurs mit der sehr vagen "Ästhetik des Schönen" und den entbehrlichen Ausführungen über ihre Tatoos sparen. Dazu müsste dann die Perspektive gerade in der Kürze mehr von der Figur selbst ausgehen, weniger objektiv von außen betrachtet. Ich stelle es mir sehr interessant vor, die Sprache dahin auszuloten, inwiefern man Klangphänomene derart plastisch schildern kann im Prozess von vollkommener Stille zur Wahrnehmung, dass sie dann tatsächlich ein unglaubliches Schauspiel ergibt. Ein Text, der seine Faszination daraus ziehen würde, dass er nicht emotional frontal drauf losgeht, sondern über die reine Schilderung, darüber, was er an Klingendem im tonlosen Vorgang des Lesens evoziert, berühren würde. Das fände ich spannend.
Ich hoffe, Du kannst mit den Anmerkungen etwas anfangen.
Beste Grüße
rieger

 

Ich bin überwältigt.
Direkt so viele Anmerkungen. Vielen lieben Dank, ich kann mit allem Gesagten etwas anfangen und nehme mir die Worte zu Herzen. Bisher habe ich eher "geschriebene Bilder" verfasst. Bin aber jetzt motiviert mich an eine Kurzgeschichte zu wagen und sie hier einzustellen. Jetzt wo ich mir sicher bin ein vernünftiges Feedback zu erhalten macht dies für mich Sinn. So kann ich nur lernen. Vielen Dank euch allen!

 

Hi Ziar,

es wurde schon geschrieben, aber ich habe es als Leser auch empfunden: Die Geschichte ist konzeptionell langweilig. Taube Frau hat OP und kann wieder hören, keine Komplikationen, kein Wandel, kein Konflikt, kein ungewöhnlicher Gedanke dabei. Die Umsetzung bringt auch keine Stimmung rüber, redet nur von Stimmung, erzeugt aber keine. Die Tätowierungen habe ich auch nicht verstanden.

Viele Grüße,
Craig

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom