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Ein ungelebtes Leben
Das weiße Pulver lag wieder vor mir. Meine Hand zitterte. Sollte ich es wieder tun? Das tun nachdem mein Körper so schrie? So würde ich alle meine Sorgen vergessen. Ich würde die drängenden Hände meines Vaters auf meinen Körper vergessen. Doch diesmal würde ich meine Sucht bekämpfen – würde es zumindest versuchen. Doch ich war mir sicher, das ich das Zeug in 15 Minuten in mir drin hatte. Ich seufzte und bis mir so lange auf de Lippe bis ich Blut schmeckte. Blut... Blut machte mir nichts mehr aus, ich hatte zu viel davon bereits gesehen. Manchmal sah ich es sogar gerne... Verrückt ich weiß. Aber ich jagte mir selbst die Klinge unter die Haut, um wenigstens Atmen zu können, um nicht an meinen Tränen zu ersticken. Es war doch eh jedem egal, was ich tat.
Ich starrte weiter das Pulver an. Meine Gedanken verhedderten sich, alles was ich wollte waren diese Drogen...
Wie weit war ich eigentlich schon gesunken? Ich schnupfte dieses Zeug seid einem halben Jahr, davor ritzte ich mir die Arme auf..Würde ich zwischen Tot und Leben entscheiden dürfen, würde ich wohl eher den Tot wählen, denn was brachte das Leben wenn man schon lange innerlich gestorben war? Aber mal ehrlich, mein Leben könnte schön sein, so weit war ich schon, das ich dies wusste. Aber ich machte es mir selbst kaputt, mit dem ich glaubte das jeder mich hasst. Doch das stimmte nicht, trotzdem bekam ich diesen Gedanken nicht aus meinem Kopf. Der einzigste der mich hasst, war mein Vater, auch wenn er sagte er „liebt“ mich mit seinem Körper. Klar, er meinte damit etwas anderes, etwas was ich nicht von ihm wollte. Es interessierte ihn nicht. An meinem 13 Geburtstag fing es an, er kam Nachts zu mir – nein, ich wollte mich nicht mehr erinnern. Morgen würde er wieder kommen – an meinem 14. Geburtstag. Er wurde mich seine kleine Prinzessin nennen, und würde sagen, ich soll niemandem etwas sagen. Es war nicht schön was er tat, es tat so verdammt weh. Aber Schmerzen empfand ich eh nicht mehr...
Sollte er es machen wenn es ihm Freude bereitete, es war mir egal, ich war eh nur eine Puppe, die man nehmen konnte um mit ihr zu Spielen und dann im nächsten Moment wegwarf und sich eine bessere suchte.
So war das Leben – unfair und hart, ich würde damit Leben müssen.
Die Tür ging auf, ich blickte nicht auf, ich wusste wer da war.
„Verdammt! Was tust du?!“ Immer noch schaute ich auf meine Drogen. „Hörst du schlecht??“
Ein harter Schlag auf meinem Hinterkopf ließ die Welt kurz verschwimmen. Nun schloss ich meine Augen, ich wusste was nun kam. Ich hörte wie er den Tisch umwarf, spürte seine Hände um meinen Bauch, spürte wie er mich hochriss und mich auf das Bett warf. Er warf mich wirklich, mein Arm knallte gegen die Wand, ein stechender Schmerz zog sich dadurch hoch bis in meine Schulter. Immer noch hielt ich meine Augen geschlossen. Hatte sie geschlossen als er mich auszog, als seine rauen Hände über meinen Körper strichen.
Die Wut staute sich in mir auf, der Hass auf diesen Mann wuchs immer mehr. Ich öffnete meine Augen, winkelte mein Bein an und trat zu. In dem kurzen Moment, in dem er keinen Atmen hatte
schlüpfte ich unter ihm hervor, schnappte mir meine Kleider und rannte aus dem Zimmer.
Kalte Winterluft schlug mir entgegen. Sie schnitt in meine nackte Haut, wie ein Messer ein. Ich verzog meinen Mund, blieb aber nicht stehen, ich musste weg von hier – weit weg. Als meine Finger bereits taub waren, hielt ich an, und zog mich schnell an. Dann rannte ich weiter. Das ich keine Schuhe hatte, störte mich nicht. Meine Haut war nach einer Zeit so taub, das ich den Schmerz nicht mehr spürte, als sie den Schnee berührten.
Der Mond ging auf, ich erreichte den Stadtrand. Ich hielt an, weiter konnte ich nicht, vor mir lag das Rotlichtviertel. Ihr gab es auch Bordelle mit Kindern. Ich sank an einer Hauswand hinab. Trotz der Kälte wurde mir warm. Ich begann zu Zittern – doch nicht vor Kälte. Meinem Körper fehlte die beruhigende Wirkstoff der Drogen.
Leute die an mir vorbei liefen, schauten mich komisch an, manche hielten an, entschieden sich dann aber doch nichts zu sagen und einfach weiter zu gehen.
Langsam fielen mir die Augen zu, langsam kroch die Kälte durch meinen ganzen Körper.
Mir wurde eine Hand hingehalten, doch Lust oder Kraft sie zu berühren hatte ich nicht. Ich blieb weiter in meiner Haltung – Kopf und Arme auf den Knien.
Diese Gestalt da über mir, sie streckte mir eine Hand hin. Meine Gedanken waren leer, kein denken mehr möglich.
Ich nahm die Hand des Fremdens, überlegte nun nicht mehr lange, schlimmer konnte es nicht mehr werden.
Ich sah in freundliche, blaue Augen. Er war nicht viel älter als ich, doch ich wusste, das er – im Gegensatz zu mir – wusste was er tat.
Ich vertraute ihm in diesem Moment mein ungelebtes Leben an, meine nicht gedachten Gedanken, meine nicht gefühlten Gefühle, und meine schmerzenden Schmerzen...