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Ein treuer Gefährte
Fragte man die Mitglieder des Schäferhundplatzes in Birkdorf nach dem Grund ihrer persönlichen Vorliebe für den Deutschen Schäferhund, ähnelten sich die Antworten sehr:
Er sei der perfekte Allrounder, würde alles geben für seinen Besitzer – sowohl im Schutzdienst als auch im Alltag, er sei unbestechlich, widerstandsfähig bis hin zur Härte, optisch mache er Eindruck ... vor allem ein Adjektiv aber wurde immer wieder bemüht: Der Deutsche Schäferhund sei treu. Er verschenke sein Herz nur einmal.
Helmuth führte Deutsche Schäferhunde, solange er sich zurückentsinnen konnte. Die Faszination für den "Mercedes der Hundewelt" hatte er mit der Muttermilch eingesogen. Schon sein Vater war Anhänger der Rasse gewesen und in Helmuths Kindheitserinnerungen war stets ein gelb-schwarzer Schatten mit Spitzohren und klangvollem Zucht-Namen an seiner Seite.
Die ergebenen Begleiter verbrachten damals ihre Tage meist im Zwinger, der dem Haus angeschlossen war, bewachten nachts das Grundstück und unterlagen der strengen Einschränkung, nicht eine Pfote in die Wohnräume setzen zu dürfen – Helmuth erzählte gerne und häufig die Geschichte, wie sein Vater ihn eines abends aus den Zwingeranlagen tragen musste, wo er ihn angekuschelt an den alten Rüden der Familie vorgefunden hatte.
Wurde es spät im Vereinsheim, das ein oder andere Bier war schon getrunken und die Hunde dösten in ihren Boxen, musste Helmuth öfter von seinen Kumpanen daran erinnert werden, dass man besagte Geschichte schon kannte und mehr als einmal gehört hatte.
Sein aktueller Hund und ganzer Stolz war ein knapp zweijähriger Rüde namens "Ajax vom Tannenweg", ein imposantes Tier, welches an die 40 Kilo auf die Waage brachte und dessen Schulterhöhe an der Obergrenze des Standards kratzte.
Helmuth hatte sich hohe Ziele für den jungen Rüden gesetzt.
Ajax' Ausbildung verlief nach eben dem Schema, welches Helmuth in 40 Jahren aktivem Hundesport bei noch jedem seiner Tiere erfolgreich angewandt hatte.
Das Stachelhalsband war obligatorisch während der Unterordnungseinheiten, Helmuth erklärte gerne und ausführlich, was für hervorragend "feine Impulse" man damit am Hund setzen könne.
Angesichts der eher grob anmutenden Rucke am Hals des Tieres hätte ein nicht involvierter Beobachter zwar einwenden können, dass besagte Impulse eine gewisse Handfestigkeit mit sich brachten, doch war man gern unter sich auf dem Schäferhundplatz Birkdorf.
Das Credo "Keine Strafe ist Lob genug" hätte Helmuth so nicht unterschrieben. Er bestätigte seinen Ajax bei herausragenden Leistungen mittels Beißwurst oder Ball – öfter jedoch bediente er sich der Lerntheorie in Form von dem Hinzufügen unangenehmer Reize oder aber dem Wegnehmen besagter Reize, sobald der Hund sich der Unannehmlichkeit beugte und sein Verhalten anpasste.
Im Klartext hieß das, dass Helmuth seinen Hund zu Höchstleistungen antrieb, indem er brüllte, die kurze Lederleine als Peitsche gebrauchte, in Lefzen und Ohren kniff, am Stachelhalsband riss und in Extremsituationen auch nicht abgeneigt war, den Hund an der Würgekette mittels Leine einige Zentimeter vom Boden zu heben und hängen zu lassen.
Unter "Extremsituation" fiel für Helmuth dabei das wiederholte Versagen beim Apport sowie Unkonzentriertheit bei der Fährtenarbeit. Gerade die Verweigerung des Apportes oder dessen schlampige Ausführung machte ihn rasend.
Bei all diesen Maßnahmen jedoch hatte Helmuth auch seine festen Prinzipien: Er verachtete den Gebrauch von Strom am Hund. Nie käme ihm ein entsprechendes, Stromimpulse sendendes Gerät an seinen Ajax.
Gerne betonte Helmuth beim Zusammensitzen nach dem Training, dass diese Apparate laut Tierschutzgesetz berechtigterweise verboten seien, manchmal zitierte er auch den erklärenden Paragraphen, in dem es hieß, dass einem Wirbeltier ohne triftigen Grund kein Leid zugefügt werden dürfe.
Am Tag der Feierlichkeiten zum 50jährigen Bestehen des Vereins hatte Helmuth sich vorgenommen, eine Art Zusammenschnitt vorzuführen, der die Anforderungen an einen ausgebildeten Schutzhund demonstrieren sollte.
Ajax sollte eine Unterordnungseinheit absolvieren, ein Verbellen des "Verbrechers" sowie einen Biss in den gepolsterten Arm nach einem Fluchtversuch des Scheintäters.
Es war ein heißer Tag, an die 35 Grad, kaum ein Lüftchen regte sich.
Die Hunde in den fest installierten Boxen vor dem Vereinsheim hechelten um die Wette und wechselten häufig ihre Liegeposition, um der stickigen Hitze irgendwie zu entkommen.
Der Besucherandrang war erstaunlich. Um die 100 Schaulustige waren gekommen.
Böse Zungen behaupteten, dass es daran liegen könne, dass in Birkdorf und Umgebung schlicht nichts Aufregenderes stattfinde und man deshalb aus Verzweiflung und Langeweile auf den Schäferhundverein zurückgreife - schließlich gab es Bier und Gegrilltes.
Nach einer Begrüßung durch den Vereinsvorsitzenden begann die Menschenmenge, sich entlang des Zauns zum Trainingsgelände zu positionieren, das Geschrei der spielenden Kinder legte sich, die Schaulustigen warteten auf den Beginn der Vorführung.
Helmuth verspürte eine leise Aufregung - obwohl er im Laufe seiner Karriere dutzende von Prüfungen durchlaufen hatte, war diese Menge an Zuschauern ihm neu. Er zweifelte nicht an Ajax und in keiner Weise an sich selbst, trotzdem flüsterte er dem Rüden ein leises "Benimm dich!" zu, als er ihn aus der Box holte, in der dieser die letzten Stunden verbracht hatte.
Er führte Ajax vorbei an der Menge hin zum Tor des Übungsplatzes. Der Hund wirkte fahrig. Er nutzte die Länge der kompletten Leine, um nervös hin und her zu pendeln, hechelte stark und speichelte. Helmuth nahm Ajax kurz und hakte den Karabiner der Leine so ins Kettenhalsband, dass dieses das Tier würgte, sobald Zug darauf kam.
Helmuth befahl Ajax in die Grundstellung: Der Rüde setzte sich eng ans linke Bein seines Menschen und nahm Blickkontakt auf. Die Unterordnung begann.
Ajax lief zuverlässig wie immer, nahm die Winkel sauber, passte sich an jegliches Tempo an und zeigte Sitz, Platz und Steh fließend aus der Bewegung.
Trotzdem merkte Helmuth, dass der Rüde nicht zu hundert Prozent bei der Sache war. Er ließ den Blickkontakt oft schleifen, hechelte so stark, dass er am ganzen Körper bebte. Helmuth kannte seinen Ajax, wußte um seine Zuverlässigkeit. Dass der Rüde nun, wo so viele Augen auf sie gerichtet waren, nicht seine Bestleistung zeigte, ließ Ärger in ihm aufsteigen. Er biss vor Anspannung die Zähne zusammen und lief schneller, um die schwindende Aufmerksamkeit seines Hundes auf sich zu lenken.
Der Apport kam an die Reihe. Ajax nahm die Grundstellung ein, Helmuth schwang das schwere Apportierholz einige Male und warf es gekonnt über die Meterhürde, die Ajax bewältigen musste.
Helmuth genoß einen kurzen Moment die Stille, die sich über die Zuschauer gelegt hatte. Er interpretierte diese als atemlose Würdigung seines Auftritts.
"Apport!"
Ajax schoß nach vorne, gewann an Tempo und bewältigte den Sprung über die Hürde. Er nahm das Apportierholz sauber auf, machte kehrt und übersprang das Hindernis abermals fehlerlos.
Nachdem der Rüde die Landung absolviert hatte, strauchelte er, verlor an Tempo.
Ajax Körperspannung ging verloren, mit hängendem Kopf, das Apportel noch im Maul, verfiel er in einen unsicheren Trab. Schließlich blieb er stehen, spuckte das Holz auf den kurzgemähten Rasen und stand hechelnd und verloren zwischen der Hürde und seinem Besitzer.
Ein Kind begann hell zu lachen.
Helmuth spürte, wie eine kalte Wut seinen Magen zusammenzog. Er ging schnellen Schrittes auf den Rüden zu – dieser wich ihm auf zitternden Beinen aus. Er führte ihn vor, vor versammeltem Publikum.
Helmuth bekam das Kettenhalsband zu fassen, Ajax geriet in Panik und versuchte, sich dem Griff zu entwinden. Helmuth hakte die Leine ein.
Die Wut und das Gefühl der Bloßstellung vereinnahmten ihn, das Raunen des Publikums trat in den Hintergrund.
Helmuth riss die Leine mit beiden Händen in die Höhe, ließ Ajax hängen.
Der Rüde zeigte keine starke Gegenwehr. Er wand sich einige Male, hatte nicht mehr die Kraft, mittels seiner Hinterläufe sein Gewicht abzufangen. Die Würgelaute drangen nicht zum Publikum vor, nur Helmuth konnte das Röcheln vernehmen.
Jemand riss seine Arme herunter, brüllte ihn an.
Michael war der Schutzdiensthelfer. Er stand, noch im Schutzanzug inklusive Beißarm, vor Helmuth, seine Gesichtzüge waren verzerrt. Wut oder Entsetzen, Helmuth konnte es nicht einordnen.
Ajax sackte zu Boden und begann zu krampfen. Seine Schleimhäute hatten sich violett verfärbt, die Augen waren verdreht.
Er starb noch auf dem Platz.
*
"Boss von der Hohenstieger Burg" hatte seine 8. Lebenswoche abgeschlossen. Er war ein aktiver, extrovertierter Welpe, ohne Anzeichen von Angst oder Misstrauen.
Sein stolzer Züchter prophezeite ihm eine glänzende Karriere im Sport, vorausgesetzt, man würde ihn optimal fördern.
Helmuth unterschrieb den Kaufvertrag und nahm die Zuchtpapiere an sich.
Auf dem Heimweg überkam ihn ein Hochgefühl. Boss war ein Glücksgriff, ein Hund mit beeindruckender Ahnentafel und guten Anlagen.
Er würde ihm ein treuer Gefährte sein.