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Ein todsicheres Geschäftsmodell
Endlich über mehr Geld, Sex und Prestige verfügen, als ein normaler Sterblicher verkraften kann! Wieviele Abende und Bierchen hatten wir schon in den perfekten Plan zur Erreichung dieses Zustands investiert? Unsere messerscharfe Analyse hatte ergeben, dass wir mit dem Punkt "Geld" beginnen müssten. Alles andere ließe sich insourcen.
"Pornos für Senioren", brach es aus Bastian heraus, "das ist die Zukunft. Denk an die Alterspyramide." An weltfremdem Idealismus hatte es meinem Studienkameraden nie gemangelt.
"Zielgruppe Nummer eins für Schweinkram sind Männer", entgegnete ich ihm, "und gerade die kriegen im Alter keinen mehr hoch und sterben anschließend weg, wie die Fliegen. Warst du jemals mal in einem Altenheim?" Er schüttelte angewidert den Kopf. "Nur alte Weiber", erklärte ich ihm, "also, dann vergisses!" Wir spülten die Idee mit zwei Bierchen in das bereits gut gefüllte Massengrab untauglicher Zukunftsperspektiven.
"Teenager!", nahm Bastian einen neuen Anlauf. "Der finanzielle Hintergrund wohlsituierter Eltern und die potenzielle Verführbarkeit von Kindern!" Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und seine lüstern leuchtenden Augen ließen mich daran zweifeln, zu welchem Teil er wirklich ans Geschäft dachte. "Um sich heutzutage Kinder leisten zu können, musste man Schotter haben. Oder zum Abschaum der Gesellschaft gehören. Für uns kommt Zielgruppe Nummer eins in Frage!"
"Und was willst du den Teenies andrehen", fragte ich und dachte an den Verdrängungswettbewerb von Handys, Spielekonsolen und MP3-Playern, die sich bereits heute mehrlagig in deutschen Kinderzimmern stapelten.
"Tja, hmm. Lass mich mal überlegen."
Also wieder Fehlanzeige. Bastians größtes Talent es war es, die Chancen von heute zu Gunsten der Hoffnungen von morgen zu vergeben. So wie damals, als er das gesamte verfügbare Kapital in die Aktien der Firma gesteckt hatte, die Cruse Missiles herstellte.
"Jetzt hab ich's. Das wird ein Renner. Der absolute Knaller, sage ich dir." Der Deal im Vorfeld des ersten Irak Krieges war schief gegangen, weil das Management der Rakentenbauer einen kapitalen Bock geschossen und der Aktienkurs von Raytheon einen fundamentalen Absacker hingelegt hatte. Pech beim Zocken, kein Geld für die Liebe. Nun fehlte nur noch, dass Bastians Frau dahinter kam, welchen "geschäftlichen" Hintergrund seine regelmäßigen Besuche und Übernachtungen in der Großstadt hatten.
"Nein, das ist es. Garantiert. Ich schwör's dir." Mir strahlte der unkaputtbare Optimismus seines Pickelgesichtes entgegen. "Ein echter volkswirtschaftlicher Hintergrund", nölte Bastian weiter. "Unsere Idee ließe sich echt verkaufen. An die Stadtverwaltung, vielleicht sogar an bestimmte Gewerkschaften oder Krankenkassen. Die Partei, Mann, sogar die Kirchen könnten ..."
Entweder war an der Idee wirklich etwas dran, oder er war mittlerweile komplett durchgeknallt. Hatte er eigentlich "unsere Idee" gesagt? Mit glänzenden Augen begann Bastian seine Produktpräsentation: "Stell dir vor, Montags morgen. Deutschland will in die Arbeit. Der Zähler für das Bruttosozialprodukt beginnt zu ticken. Und auf einmal ...", Bastian schob eine dramatische Pause zur Steigerung der Spannung ein und gestikulierte obszön. "Zehntausende von Menschen in Pendlerzügen unterwegs. Nimm das Beispiel München: Schulkinder, Steuerprüfer, Postbeamte. Alle wollen morgens nur das eine: Rein in die Stadt." Seine Augen leuchteten vor Begeisterung, als sei er auf Eroberungsfeldzug in einer Abschlepperbar kurz nach Ende der Happy Hour. "S-Bahn Stammstrecke: nur ein Gleis, über das der ganze Verkehr rollt."
"Mann, ich begreif's einfach nicht. Komm zur Sache!"
"Dann schmeißt sich so ein Arschloch vor den Zug, um sich den Kopf abfahren zu lassen."
Ein Klassiker, dachte ich mir. Kommt vor, ungefähr alle zwei Wochen. Und wie sollte damit Kohle zu machen sein?
"Der volkswirtschaftliche Schaden! Zwanzigtausend Mannstunden weg wie nichts. Und wer zahlt?"
Ich hatte mir zu diesem Punkt noch niemals Gedanken gemacht und auch nicht die geringst Lust dazu.
"Und die anderen Folgekosten: Therapiebedarf für die Zugführer, Krankentage, Frühpensionierungen, weil die Jungs es nach dem fünften Mal nicht mehr abkönnen", dozierte Bastian weiter.
"Eine üble Sauerei ist soetwas."
"Nein", korrigierte mich Bastian. "Unsere Chance. Die Rie-sen-mö-glich-keit!" Er war einfach nicht zu bremsen. "In diesem unserem Lande gibt es Interessengruppen, denen man soetwas verkaufen könnte, verstehst du denn nicht?"
"Nö. Was willst du verkaufen?"
"Denk an die Steuerausfälle. Ge-wer-be-steu-er. Krankenkassenbeiträge. Das Renomee der Verkehrsgesellschaften ..."
Wenn Bastian Dollarzeichen in den Augen hatte, verkörperte er die Unerträglichkeit einer Volksmusiksendung. "Noch ein Bier für den Kollegen", versuchte ich deshalb das Übel an der Wurzel zu bekämpfen. "Willst du den Leuten verbieten, sich umzubringen?"
"Nee im Gegenteil", grinste Bastian. "Die Anleitung zum perfekten Selbstmord, verstehst du?" Ich verstand nicht.
"Denk an die ganzen Kampagnen: Gegen AIDS, für mehr Kinderfreundlichkeit, gegen soziale Kälte, dafür dass wir Deutschland sein sollen. Warum nicht auch eine für den politisch korrekten Selbstmord?"
"Und wie willst du ..."
"Die volle Brause: Ein Internetportal zum Erfahrungsaustausch für Interessenten, professionellem Bildmaterial, Anleitungen zum Download, Plakate. Auf die Bahnsteige stellen wir Girlies mit hochgeknoteten T-Shirts, die depressiv aussehenden Jünglingen unsere Broschüren in die Hand drücken. Rosafarbene T-Shirts, verstehst du, Mann, mit "Hells-Angels" drauf, in schwarz. Wir könnten sie auch noch regelmäßig mit Wasser übergießen. Und wir schicken sie an die Schulen, lassen Kondome mit "Kill Clean" bedrucken und ..."
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wer von uns beiden die Auswahl und Instruktion der Teenies vornehmen würde und wer die Webseiten basteln müsste und die Steuererklärung machen würde. Seufzend ob des Gleichberechtigungsproblems ließ ich den Blick durch den Raum gleiten. Die Kneipe war gut gefüllt, die normale abendliche Hektik ausgebrochen. Der Mann hinter dem Tresen wirkte gestresst.
"Und dann das ganze Geschäft mit dem Zubehör ... sobald unser Werbefeldzug beginnt zu greifen, müssen wir Alternativen anbieten: TÜV-geprüfte Strangulationsschlingen, Deckenzuganker - Nennlast 2000kN - Giftspritzen, einen Straßenatlas für Mopedfahrer in dem die schönsten Schluchten markiert sind und die solidesten Brückenpfeiler, Tablettensortimente ... Hej Mann, das ist geil, ich brauch' noch ein Bier." Penetrant winkend zitierte Bastian den Kellner herbei. "Mann, du schaust irgendwie fertig aus. Ganz schöner Stress in dem Job! Volles Haus und jeder will etwas von dir. Fühlst dich sicher ordentlich ausgebrannt, wenn du in der Früh mit der U-Bahn heimfährst. Schon mal mit dem Gedanken gespielt, ins Gleis zu springen? Nein, o.k., wirklich nicht? Dann noch ein Helles bitte."