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Ein Tag wie jeder andere

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22.09.2017
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Ein Tag wie jeder andere

Es ist kalt geworden in London. Viel zu früh haben sich in diesem Jahr die Blätter rot gefärbt, die Schaals haben ihren Weg aus verstaubten Kisten zurück an die Hälse ihrer Besitzer gefunden und kleine Schirme ragen aus den Handtaschen der eilig vorbei hastenden Frauen. Ich weiß nicht, wie lange ich jetzt schon auf dieser kalten Parkbank sitze und mit meinen Fingerkuppen die kleinen Buchstaben nachfahre, die ein schwer verliebter Junge mit einem scharfen Schlüssel in die Bank geritzt haben muss.
„Marie und Patrick“ steht dort. Um die Namen rankt sich ein leicht schiefes Herz und darunter steht forever, wobei ein Teil des Wortes geschickt durch die Zahl vier ersetzt worden ist. Ich denke an Marie und Patrick, male sie mir aus vor meinem inneren Auge und verpasse Marie einen blonden Lockenkopf und Patrick eine schlimme Akne, die dringend von einem Dermatologen behandelt werden sollte. Ich stelle mir vor, wie die beiden Arm in Arm auf der Parkbank gesessen haben und Patrick mit seinem Fahrradschlüssel die ewige Liebesbotschaft romantisch in das graue Stahl der Bank gekratzt hat. Doch Marie ging alles zu schnell, irgendwie dachte sie so Ernst sei das mit ihnen doch gar nicht gewesen und wusste er nicht, dass sie sich auch noch mit Fynn traf, Fynn aus seinem Fußballverein? Eine Botschaft auf einer Parkbank, eingeritzt und für alle lesbar, das war schon eine ganz schön große Sache.
Zu groß, fand Marie. Und so war die vermeintliche Liebe in die Brüche gegangen, Fynn und Marie waren ein Paar geworden, Patrick traf beim Fußball den Ball nicht mehr richtig, saß auf der Ersatzbank, hatte keine Freunde, aß abends immer mehr Chips und wurde dicker dicker und seiner Akne, nein der tat das ganze Fett aus den Chips auch nicht gerade gut. Meine Fingerkuppen fühlen sich schon ganz taub an von dem ganzen nachfahren der Namen und ich stecke sie in die Tasche, schließlich ist die Liebesgeschichte von Marie und Patrick schon vorbei.

Als ich aufblicke merke ich, dass es leise zu nieseln begonnen hat. Der kleine Spielplatz mit der trostlosen roten Rutsche, von der seit Jahren die Plastikfarbe abblättert und der furchtbar quietschenden Schaukel liegt ganz verlassen da und panisch sehe ich mich um. In meinem Kopf formen sich bereits die Gedanken zu wilden Erklärungen, wilden Phantasien von Kindesentführern, Vergewaltigern und äußerst bösen Menschen, als ich ihn entdecke. Mit seiner blaugestreiften Matschhose sitzt er auf der Bank neben mir, blickt stumm auf seine kleinen Händchen, an denen noch ein wenig nasser Sand klebt.
Er dreht sie hin und her, legt die Handinnenseiten aneinander und versucht es mit den Handrücken. Verwirrt klappt er die Daumen ein, versucht verbissen, ach die Handrücken deckungsgleich zu bekommen. Ich stehe auf und setze mich neben ihn. Als er mich ansieht mit seinen großen blauen Augen, die umrahmt sind von einem dichten Rand schwarz gefärbter Wimpern wird mir wieder einmal bewusst, wie sehr er mich an seinen Vater erinnert.
„Geht nicht“, sagt Jona und deutet mit dem Kinn auf seine Hände.
„Das sind Enantiomere, deine Hände“, sage ich und lache ein wenig, als er mich verständnislos ansieht. „Das lernst du noch im Chemieunterricht, oder erst wie ich an der Uni irgendwann.“
Etwas skeptisch sieht er noch einmal hinab in seinen Schoß, wischt sich dann die Hände an der Matschhose ab und springt elegant von der für ihn ein bisschen zu hohen Bank auf den Boden.
„Gehen wir nach Hause“, sagt er und nimmt meine Hand. Sie fühlt sich so klein an, so zerbrechlich. Ich wünschte, ich könnte ihn für immer hier behalten, hier an meiner Hand und aufpassen, dass ihm nie etwas geschieht, dass ihn nie jemand entführt und ihm nie eine Marie das Herz bricht. Ich nehme seine Kapuze und setze sie ihm auf die aschblonden Haare. Sie würden dunkler werden, mit der Zeit fast dunkelbraun, genau wie bei seinem Vater. Es waren nur zwei Straßen bis zu dem roten Ziegelsteinhaus mit den einladenden weißen Fensterläden und der kleinen Treppe hoch zur Haustür, die sie immer ein wenig an die Häuser in New York erinnerte. Ich drücke die Tür auf und Jona quetscht sich an ihr vorbei direkt in den Flur, warf im Gehen seine Gummistiefel ab und rannte in die Küche.
„Mama“, ruft er, und ich höre wie ein Becher klirrend auf den Boden fällt. Als ich in die Küche komme sehe ich, wie Lucy gerade ein Handtuch auf die kleine Pütze wirft, die Jona mit seiner überschwänglichen Begrüßung herbeigeführt hat. Ich hebe den orangenen Becher auf und stelle ihn auf die Spüle der cremefarbenen Küchenzeile.
„Danke dir, na du“, sagt Lucy, umarmt mich und ich rieche ihr süßes Parfüm, dass sie wie immer umgibt.
„Wie geht’s dir, setzt dich, Liebes“, sagt sie und deutet auf den großen Eichentisch, auf dem selbstgebackene Kekse stehen und Jona bereits aus einem anderen kleinen Becher Milch schlürft.
„Ja, setz dich doch Tante Lou“, sagt er mit vollem Mund und Kekskrümel landen vor ihm auf dem Tisch.
„Tut mir Leid, ihr Lieben. Das nächste Mal bleibe ich ein wenig, aber heute muss ich noch mal los, ich bin zum Essen verabredet.“
Lucy lächelt und zieht vielsagend die Augenbrauen hoch. „Wieder dieser nette Tanzlehrer, den du jetzt beim Elternabend kennengelernt hast?“, fragt sie.
Nein, will ich sagen, nicht der nette Tanzlehrer, den ich nach dem letzten Lehrerabend erfunden habe. Nein, ich bin zum Essen verabredet mit meiner alten und blinden Katze und einer halb angegessenen Pizza Hawaii, die seit zwei Tagen in meinem Kühlschrank liegt und die ich eigentlich wohl nicht mehr essen sollte.
Ich liebe deinen Mann, Lucy, ich habe ihn schon immer geliebt und wenn ich dich sehe und euren perfekten Sohn, dann wird mir schon ganz schlecht und ich kann echt nicht bleiben. Achso, und wenn ich gleich zu Hause meine Pizza esse, dabei wahrscheinlich wieder mal Dirty Dancing anschaue und heule, da wird ein Bild von mir und deinem Mann vor mir stehen. An der Stelle, an der sein weiches Gesicht zu sehen ist ist das Fotopapier schon ganz dünn vom vielen Streicheln meiner Finger.
Doch das kann ich nicht sagen, denn so etwas gehört sich nicht und so etwas sagt man nicht zu der Frau, bei deren Hochzeit man Trauzeugin war und deren Sohn mein Patenkind ist und die einen schon mehrfach betrunken aus dem Irish Pub abgeholt hat, in dem ich manchmal dazu neige, meinen Liebeskummer in Bier und Whiskey zu ertränken.
„Na gut, Herzchen, aber nächstes mal auf jeden Fall. Ich hab dir Kekse eingepackt, kannst du ja mit zur Arbeit nehmen“, sagt sie und gibt mir eine der vielen Tupperdosen, die sie mir immer mitgibt und die ich generell immer vergesse, ihr zurückzugeben.
„Grüß Luke von mir“, sage ich beiläufig mit der Stimmlage, die ich seit Jahren perfektioniere und gehe durch den Flur, durch die Gallerie von glücklichen Familienfotos auf denen er seine perfekte Frau umarmt und Jona auf dem Arm hat. Mal stehen sie an der Nordsee in Deutschland, dann auf einem Kreuzfahrtschiff, im Vorgarten, auf dem Spielplatz. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer. Als Lucy die Tür hinter mir schließt rollt eine verirrte Träne an meiner Wange hinunter. Das wird schon, hatten meine Freundinnen gesagt, das geht ganz von allein wieder weg. Irgendwann vergisst du ihn einfach und dann kommt der nächste.
Doch ich hatte ihn nicht vergessen. Und auch jetzt, zwölf Jahre später, fühlte es sich so an, als sei dort wo mein Herz einmal gewesen war nichts, als ein großes schwarzes Loch.

 

Hallo einekleinefee,
ich finde, du schreibst intelligent und sprachlich gut.
Dein Clou in der Mitte der Geschichte, als sich herausstellt, dass sie nicht die Mutter ist, funktioniert für mich leider nicht. Dann kommt diese geballte Flut an aufgestauter Verbitterung, durchzogen von Erklärungen, im welchen Verhältnis sie zu der Familie steht. Und das alles wegen Luke. Der für mich aber nur eine lehre Hülle bleibt. Selbst die drei Kids aus dem Teenager-Lovestory-Nebenhandlungsstrang haben mehr Gesicht als Luke. Dabei dreht sich doch für sie seit 12 Jahren alles um ihn.
Der Teil mit den drei Kids könnte für mich weg. Dafür solltest du Lukes Charakter ausbauen. Was liebt sie an ihm? Was verbindet die beiden? Vielleicht erzählst du, wie sie sich kennen gelernt haben oder was der Liebe im Weg stand.

Ich hoffe, du kannst damit etwas anfangen.:shy:
Viele Grüße
wegen

 

Hallo einekleinefee,


sprachlich hat mir das ganz gut gefallen.
Bedauerlich finde ich, dass du mMn den Konflikt nur benennst, anstatt ihn zum Dreh- und Angelpunkt deiner Geschichte zu machen. Schade, dass du nicht richtig reingehst, zeigst, was für Auswirkungen er hat (das Resignative deine Prota ist mir zu dünn). Lass die Figuren doch aneinanderprallen, konfrontiere sie mit der unglücklichen Situation, zeige uns, was dann passiert. Wut, Trauer, Eifersucht, Neid, Missgunst ... Das Material liegt doch schon parat. Dann hätte mich das mehr interessiert, mehr mitreißen können. Das Drama deiner Prota ist zu still und heimlich, ich nehme es schulterzuckend zur Kenntnis, ohne wirklich mitzufühlen oder mitzufiebern.


Ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind:


Es ist kalt geworden in London. Viel zu früh haben sich in diesem Jahr die Blätter rot gefärbt, die [Schaals] haben ihren Weg aus verstaubten Kisten zurück an die Hälse ihrer Besitzer gefunden und kleine Schirme ragen aus den Handtaschen der eilig vorbei hastenden Frauen. Ich weiß nicht, wie lange ich jetzt schon auf dieser kalten Parkbank sitze und mit meinen Fingerkuppen die kleinen Buchstaben nachfahre, die ein schwer verliebter Junge mit einem scharfen Schlüssel in die Bank geritzt haben muss.
Wieso London? Wenn du so anfängst, erwarte ich ein wenig mehr Lokalkolorit, finde es aber nicht.
[Schals]
Die Wortwiederholungen könntest du vermeiden.
Diese imaginäre Liebesgeschichte von Patrick und Marie (und Fynn) stellst du (stellvertretend) vorne an. Ganz ehrlich, mich hat das verwirrt. Mir kam das wie eine Erinnerung vor, ich dachte, deine Prota wäre ein Mann oder sogar Patrick selbst.
Du könntest dir überlegen, ob du nicht Luke (oder Lou) als Urheber der Kritzeleien darstellen wolltest. Es braucht da keine Projektionsfläche, finde ich.

... schon eine ganz schön große Sache. Zu groß, fand Marie. Und so war die vermeintliche Liebe in die Brüche gegangen, Fynn und Marie waren ein Paar geworden, Patrick traf beim Fußball den Ball nicht mehr richtig, saß auf der Ersatzbank, hatte keine Freunde, aß abends immer mehr Chips und wurde dicker dicker und seiner Akne, nein der tat das ganze Fett aus den Chips auch nicht gerade gut. Meine Fingerkuppen fühlen sich schon ganz taub an von dem ganzen Nachfahren der Namen und ich stecke sie in die Tasche, schließlich ist die Liebesgeschichte von Marie und Patrick schon vorbei.
Die Wortwiederholungen ließen sich vermeiden - einiges an Füllwörtern streichen.
Da stimmt was nicht.
Vorschlag (exemplarisch):
... eine große Sache. Zu groß, fand Marie. Und so war die Liebe in die Brüche gegangen, Fynn und Marie waren ein Paar geworden, Patrick traf beim Fußball den Ball nicht mehr, wurde immer dicker, verlor seine Freunde, die Akne blühte auf wie Mohnblumen im Sommer.
Meine Fingerkuppen fuhren unermüdlich über die kalte Botschaft auf der Bank und wurden taub, ich stecke sie in die Tasche, schließlich ist die Liebesgeschichte von Marie und Patrick auch vorbei.

Als ich aufblicke[K] merke ich, dass ...
Komma

In meinem Kopf formen sich bereits die Gedanken zu wilden Erklärungen, wilden Phantasien von Kindesentführern, Vergewaltigern und äußerst bösen Menschen, als ich ihn entdecke.
Zu kompliziert, und das "als" drückt hier eine Gleichzeitigkeit aus, die du nicht gemeint haben wirst. Sie denkt das ja nicht, während sie ihn entdeckt.
Vorschlag: Mir geistern Entführung, Missbrauch, böse Menschen durch den Kopf, bevor ich ihn entdecke.

Mit seiner blaugestreiften Matschhose ...
blau gestreiften

„Das sind Enantiomere, deine Hände“
Ich hab's auch nicht verstanden :), würde ich kurz erklären.

... und ich höre[K] wie ein Becher klirrend auf den Boden fällt. Als ich in die Küche komme[K] sehe ich, wie Lucy gerade ein Handtuch auf die kleine Pütze wirft ...
Komma, Pfütze

... und ich rieche ihr süßes Parfüm, dass sie wie immer umgibt.
das

... auf dem selbstgebackene Kekse ...
selbst gebackene

Achso, und wenn ich gleich zu Hause meine Pizza esse ...
Ach so

... an der sein weiches Gesicht zu sehen ist ist das Fotopapier schon ganz dünn ...
Da stimmt was nicht.

... durch die Gallerie von glücklichen Familienfotos ...
Galerie

Irgendwann vergisst du ihn einfach und dann kommt der nächste.
Nächste


Was würde wohl geschehen, wenn das Geheimnis gelüftet werden würde. Wie würden deine Figuren darauf reagieren. Welches Drama würde sich ergeben ... Ich hätte Lust, mehr davon zu lesen, einekleinefee.


Danke fürs Hochladen


hell

 

Hallo einekleinefee,

Deine Geschichte gefällt mir gut, auch ohne größeres Drama. Allerdings würde ich die Einleitung auch lieber auf Luke und die Protagonstin verwenden um dem Geliebten mehr Substanz zu geben.

Zwei Kleinigkeiten noch:

Es waren nur zwei Straßen bis zu dem roten Ziegelsteinhaus mit den einladenden weißen Fensterläden und der kleinen Treppe hoch zur Haustür, die sie immer ein wenig an die Häuser in New York erinnerte. Ich drücke die Tür auf und Jona quetscht sich an ihr vorbei direkt in den Flur, warf im Gehen seine Gummistiefel ab und rannte in die Küche.
MMn sollte es hier mich und mir heißen.

Viele Grüße
Branwen

 

Hallo, KleineFee,

Herzlichen Dank für deine schicke Story hier!!! Herzlich Willkommen hier, bei den Wortkriegern! Ich hoffe, Du bleibst "hier" länger!

Also, jetzt zum Meckern:

Der erste Absatz:
Die Sätze "Es ist kalt geworden" vs. "Ich weiß nicht, wie lange ich jetzt schon auf dieser kalten Parkbank" bilden diesen Einstiegsabsatz... Sie vermittelt den Eindruck, dass die Person diesen Themperaturabstütz leibhaftig auf dieser Bank miterlebt hätte. Also, sehr lange dort sitzt, vielleicht mehrere Tage. Oder dass die Themperatursenkung sehr rapide war.

Dann schaut sie auf und sieht z.B. "furchtbar quietschenden Schaukel". WOher weiß sie, dass die Schaukel quietscht? Schaukelte gerade jemand darauf? "Die quietschenke SChaukel" vermittelt dem Leser eine Bewegung. Wolltest Du diese BEwegung dem LEser vermitteln? Wenn ja, dann fand ich das unpassend, weil dein Erzähler alles daran setzt, die zentrale Protagonistin "statisch" darzustellen, iinnerlich ausgeharrt, starr, verbittert, bewegungslos. Das heißt, alles, was sie um sich wahrnimmt, wäre auch statisch, regungslos. Selbst wenn der Regen vom Himmel fällt, dann muss es irgendwie starr, bewegungslos aussehen bzw. wahrgenommen werden. Wenn Du diesen Akzent "auf-Wieder-Grüßt-das-Murmeltier" machst, dann ist es besser die Wahrnehmung der Frau aufzuzeigen, ohne großen Akzent auf die Umgebung, die sich fortwährend verändert, seit 12 Jahre dieser "Liebestragodie".

Du bietest hier auf jeden Fall eine gute Introspektion in die innere Welt deiner Lou. Diese Introspektion lässt mich aber daran zweifeln, dass es hier um eine Liebesstory handelt. Mehr um eine gravierende psychische Störung. War das so gewollt von Dir? Das ist mein erster Eindruckn von Lou.

Gerne gelesen!

Viele Grüße,
Herr Schuster

 

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