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Ein sonniger Frühlingstag
Blacky und Flöckchen saßen in ihrem Stall und nagten genüsslich an einer gelben Rübe, die sie sich redlich teilten. Es war ein wunderschöner Frühlingsvormittag.
„Endlich können wir wieder an der frischen Luft wohnen“, murmelte Blacky und kaute an einem kleinen Brocken Möhre herum. „Ich habe mich den ganzen Winter über täglich danach gesehnt.“ Er drehte sich so, dass sein tiefschwarzes Fell in der Sonne glänzte.
Aber Flöckchen, die junge Hasendame, antwortete nicht. Sie war mit der Pflege ihres blütenweißen Fells beschäftigt, auf das sie besonders stolz war.
Plötzlich kam Lisa um die Ecke gefegt und verschwand gleich darauf im Schuppen. Was hatte die bloß vor? Hoffentlich nichts Schlimmes, denn dann bekam das kleine Mädchen Schelte von den Eltern.
Es dauerte eine ganze Weile, bis die Kleine wieder zum Vorschein kam. Sie hatte ein zusammengeklapptes Gitter unter dem Arm.
„Juhu, Flöckchen, wir dürfen auf die Wiese! Schau, Lisa bringt gerade unser Gatter.“
Als er keine Reaktion von seiner Partnerin hörte, drehte sich Blacky um und hopste nach hinten. „Bist du immer noch nicht fertig mit deiner Morgenwäsche? Hast du überhaupt gehört, was ich gesagt habe? Wir werden auf die Wiese gelassen!“, wiederholte er.
„Ja, ja, ich habe es verstanden“, brummelte Flöckchen. „Kann mich aber gar nicht dafür begeistern. Da könnte ja mein schönes Fell dreckig werden. Hoffentlich färbt es sich nicht mit der Zeit grün, bei dem vielen Gras, das wir tagtäglich sehen werden.“ Schnell leckte sie sich noch einmal über ihre Pfote und hoppelte dann in die hinterste Ecke des Stalles. Sie wollte sich mit allen Mitteln dagegen wehren, aus dem Stall zu müssen.
Doch es gab kein Pardon. Lisa hatte den Auslauf fertig aufgebaut und kam nun zum Hasenstall.
„So, ihr beiden Hübschen. Jetzt dürft ihr ins Gras. Schaut, ich habe euch das Gatter schon hingestellt.“
Sie öffnete die eine Seite des Stalles, langte mit ihrer kleinen Hand hinein und schnappte Flöckchen bei den Ohren.
„Autsch, nicht so fest!“, brüllte die Häsin, was Lisa natürlich nicht hören konnte. Der kleine Hase stemmte sich mit den Füßen auf den Boden und versuchte mit aller Gewalt im Stall zu bleiben. Doch es nutzte nichts. Die Menschen hatten nun mal mehr Kraft als so ein kleines, zierliches Tierchen. Mit einem - Schwupp - hing Flöckchen frei in der Luft. Lisa hielt sie bei ihren langen Löffeln.
„Geht es nicht etwas weniger schmerzhaft?“, beschwerte sie sich und landete bereits im nächsten Augenblick auf dem Arm des Mädchens.
„Du bist ja ganz strubbelig, Flöckchen. Da müssen wir gleich etwas dagegen tun.“ Sie verschloss die Stalltüre wieder und verschwand mit dem Hasen.
„Heh, wo willst du mit meiner Freundin hin!“, rief ihnen Blacky nach. Er hopste nach vorne und drückte seinen Kopf ganz dicht ans Gitter. Da sah er die beiden, wie sie zu einem alten Tisch gingen. Lisa setzte das Häschen auf die Platte und nahm eine alte Zahnbürste zur Hand. Dann kämmte sie ganz vorsichtig über das strubbelige Fell.
„Das tut gut, nicht wahr, Flöckchen“, sagte sie.
Und das Häschen genoss es richtig, dass seine Haare nach dem langen Winter wieder mal eine echte Pflege bekamen.
„Heh, ich will auch!“, rief Blacky vom Stall her, als er sah, wie genießerisch Flöckchen dalag. Er nahm seine Pfoten und wuschelte sich durch sein Fell, damit es richtig wüst aussehen sollte.
Nach ein paar Minuten beendete Lisa die Fellpflege und nahm ihr Häschen wieder auf den Arm, trug es zum Auslauf und setzte es mitten in das hohe Gras.
„So, jetzt kannst du herumspringen und fressen, so viel du willst.“
Gleich darauf ging sie zu Blacky. „Na, du siehst ja noch schlimmer aus als Flöckchen.“ Sie schnappte den Hasen und wollte gerade zum Tisch gehen, als die Mutter vom Haus herüberrief: „Lisa, kommst du? Das Essen ist fertig! Und vergiss nicht, deine Hände zu waschen!“
„Komme!“, antwortete die Kleine und rannte mit dem Hasen zum Auslauf. „Tut mir leid, aber für Fellpflege habe ich jetzt keine Zeit mehr. Musst du halt strubbelig herumlaufen.“
Und – Schwupps - saß Blacky an der Seite von Flöckchen auf der Wiese.
Flöckchen musste lachen, als sie das betrübte Gesicht ihres Kameraden sah. „Na, hat wohl nicht mehr für den Frisör gelangt bei dir, was? Hättest dich wirklich mal kämmen können.“
„Spotte du nur“, brummte Blacky. „Vielleicht wird diese Frisur bald Mode hier auf dem Bauernhof.“ Dann ließ er Flöckchen sitzen, hopste zur entgegengesetzten Seite und riss wütend einen riesigen Grashalm ab.
Während Blacky schmollte und an seinem Halm muffelte, genoss das andere Häschen trotz seiner vorherigen Bedenken seine Freiheit, rannte ausgelassen im Pferch hin und her und schlug vor lauter Übermut einige Haken.
Es war bereits später Nachmittag, als die beiden, jedes in einer anderen Ecke des Auslaufs, schläfrig und satt alle Viere von sich streckte. Von den Zweibeinern war den restlichen Tag nichts mehr zu sehen. Lediglich Huhn Daisy besuchte die beiden, gackerte ein bisschen herum und trollte sich dann wieder. Wenn Blacky und Flöckchen Zoff hatten, dann sollte man sie am besten in Ruhe lassen.
Die Sonne stand schon recht tief am Himmel. Plötzlich schreckte Blacky ein lautes Rauschen auf. Im nächsten Moment sauste ein dunkler Schatten auf sie herab.
„Flöckchen, Achtung!“ Ein Habicht schoss auf die kleinen Hasen zu. Wie wild rasten die beiden im Auslauf herum. Der Jungvogel landete in der Mitte des Pferches. Unbeholfen hopste er hinter seiner Beute her. Sein scharfer Schnabel verfehlte um Millimeter die Häsin. Außer Atem drückte sich Flöckchen in die Ecke des Auslaufs.
Langsam bewegte sich der Vogel auf sie zu. Dann standen sie Auge in Auge.
„Na, du bist aber ein leckeres Abendessen“, krächzte der Habicht. „Habe schon lange nichts so Zartes mehr in die Fänge bekommen.“
Das Herz der kleinen Hasendame schlug ganz wild vor Angst.
Blacky musste seiner Freundin helfen. Er fasste allen Mut zusammen, drehte sich mit dem Rücken zum Habicht und schlug so kräftig er konnte mit den Hinterbeinen aus. Doch leider verfehlte er den Angreifer, der sich nun Blacky zuwandte.
In diesem Moment jagte laut bellend ein wuscheliges, vierbeiniges Etwas auf die Drei zu. Der Habicht schreckte hoch.
„Wer stört mich da?“
Doch als er Hektor zähnefletschend vor dem Auslauf stehen sah, zog es der Vogel doch vor, das Weite zu suchen. „Wir sehen uns wieder, kleines Häschen!“ Dann war er hinter den Bäumen verschwunden.
Keuchend saßen die beiden Hasen in der Ecke. In ihrer Angst hatten sie sich aneinander gekuschelt. Von Feindschaft oder Eifersucht war nichts mehr zu spüren.
„Na, ihr beiden, das ging ja noch einmal gut!“, ertönte die tiefe, angenehme Bassstimme des Hütehunds.
„Danke, Hektor, du hast uns das Leben gerettet“, japste Blacky noch immer ganz außer Atem.
„War doch selbstverständlich. Konnte auf keinen Fall zulassen, dass so zwei lustige Wollknäule wie ihr, das Abendessen eines Habichts werden. Übrigens, schick deine neue Frisur, Blacky.“
Damit drehte sich der Hund um und lief zu seiner Hütte zurück, wo bereits das Abendessen auf ihn erwartete.
Als Blacky und Flöckchen abends wieder in ihrem Stall waren, ließ sie das schreckliche Erlebnis mit dem Raubvogel kaum zur Ruhe kommen. Außerdem mussten sie sich unbedingt noch vertragen und das konnte bei Häschen schon mal etwas länger dauern.