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Ein Sommertag

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13.04.2011
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Ein Sommertag

Ein Sommertag

„Komm endlich, du schläfst ja beim Gehen ein“, lachte sie. In ihren blauen Augen spiegelte sich der wolkenlose Himmel wider und obwohl die Sonne an diesem späten Tag im Juni schon bedächtig hinter dem Hügel verschwand, welcher die Sicht auf das angrenzende Waldgebiet verdeckte, genügte das einfallende Licht vollkommen, um ihren schulterlangen blonden Haaren einen strahlenden Glanz zu verleihen. Wir bestiegen gemeinsam eine Anhöhe und entfernten uns dadurch von dem nun mehrere hundert Meter hinter uns liegenden Fest. Alle Bewohner unseres Heimatortes – ob jung oder alt – befanden sich dort, in der etwas abseits gelegenen Talsohle, die mit ihrer reichen Fauna zum Verweilen einlud, um den Gründervätern unseres Dorfes zu danken.

Der Lärm der feiernden Menge wurde immer leiser, das wogende Rauschen der blühenden Wiese löste das entfernte Murmeln der Menschen stetig ab. Fiona streichelte sanft die weichen, großgewachsenen Grashalme, während sie mit ihrem Blick die große Sommerlinde fixierte. Dieser Baum regierte seit ich denken konnte über dieser kleinen Anhöhe. Seine Krone breitete sich weitreichend zu allen Seiten aus und man konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass er seit langer Zeit den hier lebenden Tieren und Pflanzen Schutz bot. Schweigend überbrückten wir die letzten Meter, bis wir uns an dem mächtigen Stamm der Linde niederließen.

Als wir noch jung waren, trafen wir uns oft auf diesem Hügel. Es war unser Platz und wir konnten uns sicher sein, dass wir immer alleine waren. Damals hatten wir miteinander Fangen gespielt oder wir waren bis in den Wipfel des Baumes geklettert und beobachteten von dort die umliegende Landschaft, mit der Erwartung, dass dieses momentane Glück ewig währen würde.

„An was denkst du?“, fragte ich sie, legte meinen Arm um ihre Schulter und blickte starr das Feld hinunter. Fiona zögerte: „An uns.“ Wir waren mittlerweile junge Erwachsene, denen die Leichtigkeit der Jugend fehlte und die bittere Erkenntnis, dass die Zukunft völlig ungewiss war, schwer auf der Seele lastete. Unsere Freundschaft wurde in diesen Sog gerissen, die Fassaden unseres kindlich-naiven Verhältnisses lösten sich auf und waren im Inbegriff, etwas Neues, für uns Unbekanntes, zu formen. Es wurde von süßer Wehmut begleitet, aber der Prozess war nicht aufzuhalten und ein Aufbäumen dagegen wäre sinnlos gewesen. Ich umschloss ihre Hand: „Wir werden erwachsen, Fiona. Unsere Erinnerungen, unsere gemeinsam verbrachte Zeit, kann uns keiner nehmen. Jetzt müssen wir uns entscheiden, wie es weitergeht.“ Eine kräftige Böe erreichte uns, für wenige Augenblicke wurde die Stille durch die Bewegungen der Äste über uns unterbrochen. Fionas Herz schlug schneller, sie wurde sichtlich unruhig. Sie drehte ihren Kopf und schaute mich mit ihren blauen Augen, in welchen sich der leicht bewölkte Himmel spiegelte, an. Unsere Blicke verharrten, doch ihr Körper drückte eine gewisse Distanz aus: „Thorsten, ich kann mir eine Zukunft ohne dich nicht vorstellen. Für mich existiert nur ein Wir, seit Jahren verbringen wir fast jede erdenkliche Sekunde miteinander, selbst in der Zeit, in welcher du nicht bei mir bist, denke ich an dich.“ Sie schluckte. Ich schwieg.

Was benötigte ich noch? Die mit ihr verbrachte Zeit war wundervoll, wir hatten Spaß zusammen und nicht nur das: Sie verstand mich. Es bedurfte keiner Worte zwischen uns, selbst in schweigsamen Minuten fühlte ich, was sie bedrückte. Eine Frage plagte mich zu dem Zeitpunkt jedoch: War das Liebe? Viele Stunden hatte ich darüber gegrübelt, eine passende Antwort fiel mir dazu partout nicht ein. In meiner Vorstellung waren zwei Menschen füreinander bestimmt, in dem ersten Augenblick des Aufeinandertreffens müsste ein Mechanismus ausgelöst werden, welcher beide Personen erkennen lässt: Das ist mein Lebenspartner. Das war bei uns nicht der Fall gewesen. Vor wenigen Jahren hätte ich über diese Vorstellung, dass Fiona und ich unser Leben zusammen verbringen würden, herzhaft gelacht. Ich hätte – nach meiner Vorstellung von Liebe – schon damals erkennen müssen, wie wertvoll Fiona für mich war.

Verloren betrachtete ich das Blau des Himmels. Mir ist nicht bewusst, wie lange ich meinen Augen die Muße gestattete, sich an den spärlich vorhandenen Wolkenformationen zu weiden. Als diese am Himmel anfingen, ein reges Eigenleben zu entfalten und wie Möwen über mich kreisten, konnte ich die Szenerie klar erfassen. Die Wellen schäumten das Wasser auf und neben mir wankte das orange leuchtende Boot bedrohlich, welches ich aus so vielen Urlauben mit meinen Eltern an der Ostsee kannte. Ich erblickte meinen Vater, meine Mutter und mich, als ich noch jung war. Der kreischende Wind ließ unser Boot auf offener See jämmerlich wirken. Mein Vater versuchte, dem Sturm zu trotzen und uns zu schützen, doch die Gewalten der Natur forderten ihr Opfer. Die nächste Welle begrub meine Mutter unter sich.

Ich erwachte aus meinem Tagtraum, neben mir lag Fiona und betrachtete mich. Müde lächelnd sagte sie: „Morgen werde ich für längere Zeit verreisen müssen.“ Das kam unerwartet. Ich richtete mich auf, schaute ihr lange in die Augen. Mir fehlten schlichtweg die passenden Worte. Fiona fuhr fort: „Du weißt, dass ich momentan Probleme mit meinen Eltern habe. Im Grunde möchte ich morgen nicht mit ihnen weg, aber sie zwingen mich, da ich nicht alleine Zuhause bleiben darf.“ Ihr Blick sank zunächst auf den Boden, dann schaute sie mich erwartungsvoll an. Mir war die Situation unangenehm. Ich stand in der Pflicht, meiner Freundin zu helfen, doch es widerstrebte mir, sie zu mir einzuladen. Wie sollte ich das einem unbeteiligten Leser erklären? Noch – so dachte ich – waren wir nur Freunde. Hätte ich ihr nun gestattet, Teil meines Lebens zu werden, wäre ich verletzbar geworden. Während Glück die Liebe nährt, erwächst aus dieser zwangsläufig auch Leid und davor fürchtete ich mich. Ich war noch nicht bereit, mich ihr zu öffnen.

Fiona wandte ihr Gesicht ab und erhob sich. Es wurde kühler, denn die Sonne war schon vor geraumer Zeit hinter dem Horizont verschwunden und der bedächtige Schein des Mondes nahm ihren Platz ein. Ich verharrte regungslos in meiner Position und verfolgte, wie Fiona den Hügel hinabstieg. Als sie außer Reichweite war, hefteten sich meine Augen an dem Sternenhimmel fest. Es ist unbeschreiblich, welche erstaunlichen Dinge man dort erblicken kann. Fiona hatte sich nie von mir verabschiedet.

Ich bin mittlerweile ein alter Mann, verheiratet und habe zwei wunderbare Kinder. Wochen nach unserem letzten Treffen erfuhr ich, dass Fiona bei einem Autounfall mit ihren Eltern ums Leben kam. Wenn ich meinen Stift für Augenblicke ruhen lasse und mir Zeit dafür nehme, aus dem Fenster zu schauen, sehe ich eine Linde. Und jedes Mal sehe ich uns beide dort liegen, wie wir gemeinsam den Sternenhimmel betrachten. Dabei muss ich unweigerlich an einen Ausspruch von Antoine de Saint-Exupery denken: „Die Erfahrung lehrt uns, dass Liebe nicht darin besteht, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in gleicher Richtung blickt.“ Bis heute frage ich mich: „Fiona, was wäre gewesen, wenn …“

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo labberbacke, herzlich willkommen auf kg.de! :)

Die Überschrift kannst du aus dem Text nehmen, steht ja schon da.

Es gab Stellen, die ich zu adjektivlastig fand. Beispiele:

In ihren blauen Augen spiegelte sich der wolkenlose Himmel wider und obwohl die Sonne an diesem späten Tag im Juni schon bedächtig hinter dem Hügel verschwand, welcher die Sicht auf das angrenzende Waldgebiet verdeckte, genügte das einfallende Licht vollkommen, um ihren schulterlangen blonden Haaren einen strahlenden Glanz zu verleihen.
Der Lärm der feiernden Menge wurde immer leiser, das wogende Rauschen der blühenden Wiese löste das entfernte Murmeln der Menschen stetig ab. Fiona streichelte sanft die weichen, großgewachsenen Grashalme, während sie mit ihrem Blick die große Sommerlinde fixierte.
Da würde ich drosseln.

mit der Erwartung, dass dieses momentane Glück ewig währen würde.
Ist klar, dass der Erzähler hier durch die nostalgiegetrübte Brille schaut, aber das macht das Ganze so künstlich, finde ich. Als ob sie da schon bewusst darüber nachgedacht hätten, dass vor ihnen eine unbekannte Zukunft lag.

unsere gemeinsam verbrachte Zeit, kann uns
Komma weg

in welchen sich der leicht bewölkte Himmel spiegelte
Eben war der Himmel noch "wolkenlos", also würde ich hier ein "jetzt" vor dem leicht einfügen, sonst könnte man denken, der Autor hätte hier einen Fehler gemacht.

Für mich existiert nur ein Wir, seit Jahren verbringen wir fast jede erdenkliche Sekunde miteinander,
Was ich nicht verstehe: Sie gehen da lang, und anscheinend ist da ja etwas zwischen ihnen, was sie klären wollen, sie spüren das beide. Was ist aber der Auslöser für diese Stimmung?

Mir ist nicht bewusst, wie lange ich
Zeitfehler -> Präteritum

und wie Möwen über mich kreisten
mir

da ich nicht alleine Zuhause bleiben darf
zu Hause

Wie sollte ich das einem unbeteiligten Leser erklären?
Mag ich nicht. Entweder sprichst du den Leser direkt an, oder gar nicht. (Sonst bleibt man kurz hängen: Welcher Leser? Ach, ich? Springt er gerade aus seiner Perspektive?)

Dinge man dort erblicken kann. Fiona hatte sich nie von mir verabschiedet.
Diesen letzteren Satz würde ich zumindest in eine neue Zeile packen, sonst kommt der zu abrupt, da wird ja eine andere Perspektive eingenommen.

Wenn ich meinen Stift für Augenblicke ruhen lasse und mir Zeit dafür nehme, aus dem Fenster zu schauen, sehe ich eine Linde. Und jedes Mal sehe ich uns beide dort liegen, wie wir gemeinsam den Sternenhimmel betrachten.
Das mochte ich. (Gut, das mit dem Sternenhimmel ist schon Klischee..)

Bis heute frage ich mich: „Fiona, was wäre gewesen, wenn …“
Also entweder er fragt sich oder Fiona (in Gedanken).


So. Das ist also so eine Jugendfreund/In-Rückblick-Geschichte. Da wird jeder gut folgen können, da man so etwas Ähnliches wahrscheinlich selbst mal erlebt hat. Mochte ich im Prinzip. Wie gesagt, mir wird nicht klar, warum beide da am Anfang so befangen sind. Er sagt: "Fiona, wir werden erwachsen." Aber sie kommen doch gerade von einem Fest :confused: mir fehlt da ein Auslöser.
Die Überlegungen des Erzählers sind dann schon ziemlich naiv, aber das ist wohl auf seine Jugend zurückzuführen (Obwohl, wenn er schon Jahrelang mit Fiona zusammen ist, sollte er eigentlich wissen, wie's läuft..). Und wenn sie sich eine Zukunft ohne ihn nicht vorstellen kann, lässt sie ihn trotzdem einfach so gehen? Hm, könnte man noch dran schrauben.
Was ist jetzt eigentlich der konkrete Grund für die Trennung? Das wird nicht beschrieben. Das Ereignis unter der Linde kann so eine Art Vorbote sein, aber ich glaube nicht, dass es das schon ist.

Und was war im Tagtraum mit der Mutter? Ist die über Bord gegangen und ertrunken? (Was hätte das dann mit der Geschichte zu tun?) Oder sind die da nur nass geworden?

Gern gelesen, ich hoffe, du kannst das eine oder andere aus meinen Anmerkungen ziehen.

Viele Grüße,
Maeuser

 

Hallo Maeuser,

Danke erst einmal für das Lesen und Kommentieren des Textes!

Deine Einwände sind größtenteils berechtigt, vor allen Dingen die Tempusfehler und Orthographiefehler sind korrekt, daher muss ich auch gar nicht weiter auf diese eingehen.

Was ich nicht verstehe: Sie gehen da lang, und anscheinend ist da ja etwas zwischen ihnen, was sie klären wollen, sie spüren das beide. Was ist aber der Auslöser für diese Stimmung?

Du hast Recht und das ist mir auch am Ende aufgefallen. Mir ist es nicht in angemessener Art und Weise gelungen, in der Kürze des Textes die Kernproblematik aufzuzeigen, bzw. bleibt es dem Rezipienten völlig unklar, warum sich gerade in diesem Moment das endgültige Scheiden der Freundschaft vollzieht und in das "Unbekannte", was textimmanent offensichtlich mit "Liebe" gleichzusetzen ist, mündet. Ich möchte das auch nicht weiter kommentieren, es ist eine Schwachstelle in dieser kurzen Geschichte und ich habe den Gedanken auch nicht weiter ausgereift.

Also entweder er fragt sich oder Fiona (in Gedanken).

Hier hätte ich das "Fiona" streichen müssen, da es sich um eine "an sich selbst gerichtete" Frage handelt und die Anrede hier deplatziert ist.

Mag ich nicht. Entweder sprichst du den Leser direkt an, oder gar nicht. (Sonst bleibt man kurz hängen: Welcher Leser? Ach, ich? Springt er gerade aus seiner Perspektive?)

Bezüge zu dem Leser hätte ich vorher schon ziehen müssen, ansonsten wirkt es an dieser Stelle nicht angebracht. Müsste ich streichen, ich wollte durch diese Äußerung den Pathos der Szene etwas hervorheben.


Ich bin für deine Einschätzung dankbar, jedoch erachte ich den Text nicht als "zu adjektivlastig". Vielleicht liegt es auch daran, dass ich momentan Autoren lese, welche auch mit recht stark verschachtelten Sätzen und vielen Adjektiven arbeiten und ich mich unbewusst etwas an ihnen orientiere. Über diesen Punkt kann man - denke ich - debattieren.

Ich arbeite schon seit längerer Zeit parallel zu meinem Studium an einem Roman, welchen ich auf jeden Fall fertigstellen werde. Die Thematik ist eine völlig andere, es würde mich aber interessieren, wie du den Sprachstil bewerten würdest. Könntest du dir vorstellen, auf diesem Niveau einen ganzen Roman zu lesen?

Mit besten Grüßen,
labberbacke

 

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