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Ein Sommerabend
Das Herz blieb ihr stehen.
Wieder und wieder drehte sich sie um, als sie durch den prasselnden Regen lief. Der Donner knallte wie tausend Trommeln in ihren Ohren und Blitze zuckten durch die Nacht. Der Regen, der mittlerweile wie aus Kübeln auf sie herabgeschüttet wurde, hatte nicht nur ihre mit viel Sorgfalt geformte Frisur zerstört, er lief durch ihr Gesicht und mit ihm die ganze Wimperntusche, der Lidschatten, sogar der Lippenstift, knallrot, lief wie Blut an den Mundwinkeln herunter Richtung Hals, Richtung Hauptschlagader, in der man den Puls wie wahnsinnig hüpfen sah.
Die Schritte schienen näher zu kommen und sie beschleunigte ihren hektischen Lauf. Die hohen Schuhe hatte sie schon längst abgeschleudert, die zarte nudefarbenen Strumpfhose hing in Fetzen um ihre schlanken Beine, denn der Fussteil war längst durchgelaufen. Der Weg war voller Steine und Blätter und kleinerer und größerer Erdklumpen, doch sie merkte die Unebenheiten nicht, merkte nicht den Schmerz der nach oben ragenden Spitzen einiger kleiner Kiesel, die sich in die zarte Haut ihrer Fußsohlen bohrten, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit von einer sehr sorgfältig und behutsamen, fast meditativen Fusspflegerin ihrem Viertel gepflegt worden waren. Der in mehreren Schichten aufgetragene Lack war sicher längst abgesplittert, aber diese Gedanken waren in dieser Nacht in weiter Ferne.
Es donnerte und blitzte wieder und trotz des Lärms hörte sie diesmal ganz deutlich das Atmen, eher ein Keuchen. War es das ihre? Die Lungen taten ihr weh, das Herz klopfte wie wild, die Angst war wie ein Seil um ihren Hals gelegt und schnürte ihre Kehle zu. Sie wollte sich nicht umdrehen, nur so schnell wie möglich weiterrennen, raus aus dem Park, weg von der Gefahr, die sie verfolgte.
Der Abend hatte so schön begonnen. Ein klassisches Konzert, danach ein Abendessen in einem kleinen gemütlichen Restaurant, der Hauswein hatte ihr ausgezeichnet geschmeckt. Und die Mousse au chocolat zum Dessert war köstlich. Auf der Toilette hatte sie den Lippenstift noch einmal nachgezogen, das Spiegelbild gefiel ihr noch immer genauso gut wie am Anfang.
Und dann, mit dem Geschmack der Schokoladencreme gemischt mit dem vom nach Kirschen und Vanille schmeckenden halbtrockenen Rotwein, war sie in ihre zum Rock passende, recht eng anliegende doch sehr gemütliche Jacke geschlüpft und, da es nicht weit war, zu Fuß aufgebrochen. Ein Taxi wollte sie nicht nehmen, denn der Nachtzuschlag hätte den Preis sicher in die Höhe getrieben, einen Schirm hatte sie nicht dabei, denn als sie aufgebrochen war, sah der Himmel noch gutartig aus und sie wollte keinen unnötigen Ballast dabei haben.
Der kurze Weg durch den Park hatte sich angeboten. Auf dem Weg merkte sie, dass sie doch recht müde war. Die Füße schmerzten in den hohen Schuhen und es kam ein Wind auf, so wollte sie den Spaziergang etwas verkürzen. Schon oft war sie, nicht nur tagsüber, sondern auch abends, hindurch spaziert. Ein paar Bäume hier und da, Kastanien und Eichen, Bänke, die zum Sitzen einluden, ein Spielplatz. Und Lampen, die den Weg säumten.
Die Lampen, das hatte sie erst bemerkt, als es schon zu spät war, um umzukehren, waren aus. Das Gewitter hatte ihnen den Garaus gemacht, vielleicht lag die ganze Stadt im Dunklen, Blitzeinschlag im Stromverteiler oder Wassserschaden durch den Regen...Sie hatte ihr Handy herausgeholt, die App mit der Taschenlampe hatte ihr schon oft gute Dienste geleistet und leuchtete voraus den Weg, ein Mäuschen huschte von rechts nach links, mehr konnte sie im Regen nicht sehen. Dann ging das Licht aus. Und auch ihr Handy. Sie hatte vergessen, es zu Hause noch einmal zu laden. Schon oft hatte sie darüber nachgedacht, sich ein neues anzuschaffen, denn der Akku hatte sie schon oft im Stich gelassen. Kaum war es geladen und sie hatte ein paar Nachrichten geschrieben oder ihre Mails gelesen, war die Hälfte des Stoms verbraucht. Sie hatte es immer wieder vor sich hergeschoben, das lästige Surfen im Internet nach einem günstigen Vertrag oder einem gebrauchten Handy oder aber die nervigen Beratungen in den etlichen Telefonshops, die dann am Ende einen Vertrag hervorbrachten mit Dingen, die sie gar nicht brauchte.
Ungefähr in der Mitte des Parks, sie hatte die Hälfte der Strecke schon hinter sich, war nass bis auf den cremefarbenen Spitzen-BH, das Handy hatte sie längst in ihre kleine Lederhandtasche zurückgesteckt, die Augen zusammengekniffen, um noch einigermassen den Weg vor sich sehen zu können, war die Bank. Rot, die Farbe schon abblätternd, Spuren von Vögeln oder Kaugummis auf der Sitzfläche und lauter Gekrickel an der Lehne. Dort hatten sie oft gesessen, eng nebeneinander, den Blick auf die Wiesen gerichtet, Hunde spielten mit Bällen, Familien saßen auf Picknickdecken, Liebespaare lagen eng umschlungen im Gras. Ein Eis schleckend oder einen Cappuccino von dem Laden am Eingang des Parks schlürfend, der mit dem leckeren Milchschaum mit einem Hauch von Kakaopulver. Nie wurde viel geredet. Irgendwann ging sie alleine, saß dort mit ihrem Eis oder ihrem Cappuccino, manchmal hatte sie sich ein Buch mitgenommen, um der Stille zu entkommen.
Und da lag er. Auf der Bank. Reglos. Auf sie wartend. Auf sie wartend? Die Augen geschlossen, die Finger ganz ruhig. Die Schuhe zugebunden.
Für einen Moment stoppte sie. Wurde ganz ruhig. Wie das Zentrum des Sturms. Für eine Millisekunde bewegte sich nichts. Die Regentropfen verharrten in der Luft, kein Blättchen regte sich im Wind. Das Herz setzte aus. Sie hielt die Luft an. Blinzelte nicht. War wie erstarrt. Im nächsten Moment schlug die Angst zu. Wie der Blitz. Hell und schneidend, sie erfüllte sie von Kopf bis Fuß und wie ein Hase schlug sie einen Haken und lief los. Rannte um ihr Leben.