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Ein seltsamer Tag
Wie war er da nur reingeraten, fragte sich Maxim, während eine starke Hand seinen Kopf auf den kalten Asphalt gedrückt hielt und eine andere ihm eine unbekannte Waffe schmerzhaft in die Wirbelsäule presste. Die Hände gehörten einem Muskelprotz, den man wohl am besten mit ‚Gorilla‘ beschrieben hätte. Er hatte eine Glatze, eine zerzauste Lederjacke ohne Ärmel, verwaschene Jeans und dazu völlig unpassende schwarze Glanzschuhe.
Zwei weitere Hände gehörten einem anderen Gorilla, dessen schwarzer Anzug weit freundlicher wirkte. Sie waren gerade dabei, Maxims Taschen abzusuchen. Dass es nicht Geld war, wonach die Hände suchten, war Maxim inzwischen klar. Alles andere, was mit ihm gerade geschah war für ihn ein völliges Mysterium.
„Karl Phenix, du bist verhaftet wegen mehrfachen unlizenzierten Gebrauchs eines Dimtranslokators und der Verursachung von Störungen auf mehreren Ebenen mit dem Risiko einer Rissentstehung“, plapperte der Mann mit der Glatze mit monotoner, rauer Stimme. „Endlich haben wir dich. Hast dich schon fast zu einer wahren Plage entwickelt.“
„Wovon reden Sie?! Was wollen Sie?“, protestierte Maxim so gut es ging mit einem gegen den Asphalt gedrückten Mund.
„Er ist es nicht“, sagte der Mann im Anzug und hörte auf Maxims Taschen abzusuchen. „Ich sag’s dir, er ist es nicht. Er hat gar keinen Dimtranslokator.“
„Er hätte ihn wegwerfen können.“
„Trotzdem hätte er Spuren auf seiner Kleidung hinterlassen, aber da ist nichts.“
„Überprüf es nochmal!“
„Da ist nichts. Ich hab‘ es dir gleich gesagt“, der Mann im Anzug richtete sich auf. „Und der Scan zeigt das ganz genau. Der Typ hätte einen Dimtranslokator gar nicht gebrauchen können. Und er ist ja nicht einmal aus unserer Ebene. Es ist bloss ein Unglückspilz, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, das ist alles…“
„Verdammt noch mal“, raunte der Mann mit der Lederjacke und richtete sich ebenfalls auf. „Wir haben ihn schon wieder verloren! Dieser Mistkerl spielt mit uns.“
„Ich glaube nicht“, sagte der Mann im Anzug. „Dieser Trottel weiss doch gar nicht, was er tut.“
Die beiden machten keine Anstalten Maxim aufzuhalten, als dieser sich umdrehte und sich langsam aufsetzte.
„Was machen wir mit dem da?“, fragte der Mann mit der Lederjacke und deutete auf Maxim.
„Was sollen wir schon machen? Nichts natürlich.“
Sie drehten sich um und wollten gehen. Maxim, nicht begreifend, was vor sich ging, sprang hoch und machte einige Schritte in ihre Richtung. „Hey, wartet! Was geht hier vor? Was passiert hier?“
Die beiden Gestalten blieben stehen und drehten sich um. Beide hatten einen mitleidigen Blick, sodass Maxim am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. Der Mann im Anzug seufzte und zog eine Zigarette aus der Tasche, zündete sie an und nahm einen tiefen Zug.
„Es tut mir Leid, Kumpel“, sagte er und liess eine Rauchwolke steigen. „Wir haben dich für einen anderen gehalten… für einen Verbrecher. Entsprechend grob haben wir dich auch angefallen, da musst du uns entschuldigen.“
„Aber…“, sagte Maxim zitternd. „Ich meine… Mein Haus, mein Leben… Mein Gott, ich weiss doch überhaupt nicht, was mit mir passiert. Noch heute Morgen war alles normal und jetzt bin ich weiss Gott wo und wer!“
„Was schwafelt dieser Kerl eigentlich?“, fragte der Mann mit der Lederjacke.
„Ist es wirklich so schlimm?“, fragte der andere und näherte sich Maxim, der dabei leicht zurückzuckte.
Der Mann hatte irgendein Gerät am Arm, das an eine überdimensionale Uhr erinnerte und welches er mit dem Display gegen Maxim drehte. Nach einem kurzen Moment schaute er selber drauf.
„Verdammt“, sagte er. „Die Differenz beträgt ganze 37 messbare Ebenen. Vielleicht auch mehr.“
Der andere Mann pfiff überrascht heraus. „37?“, fragte er. „Wie ist das denn möglich?“
„Alles ist möglich, wenn man den Dimtranslokator unvorsichtig verwendet. 37 Ebenen… Das ist ja interessant.“ Er wendete sich an Maxim. „Hör mal. Was ist denn heute alles mit dir passiert? Etwas Ungewöhnliches?“
„Etwas ist gut“, explodierte Maxim. „Die ganze Welt steht auf dem Kopf.“
„Beruhige dich, Kumpel“, sagte der Mann im Anzug. „Alles mit der Ruhe. Erzähl doch mal, was geschehen ist?“
„Nun…“, Maxim zögerte; er wusste nicht, womit er anfangen sollte. „Bis zum späten Nachmittag war alles noch völlig normal. Dann, auf dem Heimweg… Die Rolltreppe im Bahnhof, die zu den Trams führt war einfach nicht mehr da. Da war stattdessen so ’n komischer Bücherladen… Das war nie so, der Laden war diesen Morgen noch nicht da, das ist unmöglich…“
„Ok, ist das alles?“
„Nein! Das ging dann so weiter… Das Tram… Das hatte ‘ne andere Farbe und das Modell war völlig neu. Seine Route stimmte auch nicht mehr und ich musste zu meinem Haus laufen.“
„Himmel, ist das schlimm“, kommentierte der Mann mit der Glatze sichtlich gelangweilt.
„Nein… Ich meine ja! Für alle anderen Personen war das völlig normal. Dann… Die Häuser! Neue Gebäude überall! Und die Läden, die ich kenne… einfach nicht mehr da! Und hier… Mein Haus ist anders. Die Mauer besteht plötzlich aus baren Backsteinen, statt eine weisse Fassade zu haben… Meine Schlüssel passen nicht ins Schloss… Und im Haus sitzt irgendeine alte Hexe drin; die hat mich einfach zur Hölle geschickt und gesagt, sie ruft die Polizei, wenn ich mich nicht verziehe… Was geschieht denn hier? Bin ich völlig durchgedreht, oder was?“
„Nein, noch nicht“, sagte der Mann im Anzug. „Es tönt alles sehr plausibel.“
„Plausibel? Was bitteschön ist denn so plausibel an der ganzen Geschichte?“
„Sag mal“, sagte der Mann, ohne auf Maxims Frage zu antworten, „Hast du, bevor die ganzen Änderungen anfingen, ein eigenartiges Gefühl der Kälte gespürt? So als ob man eine Klimaanlage auf dich gerichtet hätte? Nur kurz, für einen Augenblick, nicht mehr?“
„Was? Verflucht, ich weiss es nicht mehr… Obwohl… Vielleicht, ja… Im Bahnhof, in der Unterführung… Was hat das nun alles zu bedeuten? Was ist mit diesen 37 Ebenen? Meine Güte, könnt ihr mir denn nicht erklären, was vor sich geht?“
„Es ist kompliziert“, sagte der Mann im Anzug und seufzte noch einmal. „Der Verbrecher, den wir suchen benutzt einen Dimtranslokator, ein Gerät, um… sagen wir… in andere Realitäten zu gelangen. Du hattest wohl das Pech, neben ihm zu stehen, als er den Dimensionssprung gemacht hatte und es hat dich durch das… ach, wie nenn ich das wohl anders… Dimensionsgefüge katapultiert.“
„Katapultiert? Mich? Wohin denn?“
„Dahin“, er zeigte mit dem Finger nach unten. „In diese Realität. Wären das weniger als 10 Ebenen gewesen, hättest du wohl nichts gemerkt und hättest dein Leben weiter leben können, wie bisher, doch ab 25 Ebenen gibt es gravierende Änderungen… Wie zum Beispiel, dass man auf Papier gar nicht existiert, dein Haus gehört einem anderen und so fort. Ist es das, was passiert ist?“
„Ja, mein Haus… Ich komme nicht in mein eigenes Haus! Der Bahnhof hat sich auch geändert und die Trams…“
Der Mann seufzte und schüttelte den Kopf. „Das tut mir Leid, Kumpel. Das ist wirklich dumm gelaufen. Wir werden den Kerl, der dafür verantwortlich ist, schnappen und er wird seine Strafe kriegen, wenn dich das beruhigt.“
„Mich beruhigen“, Maxim war der Verzweiflung nahe. „Nein… Wie soll mich das denn beruhigen? Was soll ich denn jetzt tun?“
„Komm schon Ron“, sagte der Mann in der Lederjacke, der bis dahin geschwiegen hatte. „Wir haben nicht viel Zeit. Wir stecken sowieso schon viel zu lange hier.“
Der Mann im Anzug zuckte nur mit den Schultern, drehte sich zu seinem Kollegen und marschierte davon.
„Wartet!“, rief Maxim. „Nehmt mich mit! Bringt mich bitte zurück in meine Realität! Ich will nicht hier bleiben!“
„Können wir nicht machen, Kumpel“, sagte der Mann in der Lederjacke und drehte sich ebenfalls um. Beide begannen sich zu entfernen.
„Wieso nicht!“, Maxim ging ihnen nach. „Bringt mich bitte hier weg! Ich flehe euch an!“
„Wir können dich nicht zurückbringen“, sagte der Mann im Anzug ohne sich umzudrehen. „Schon alleine des Gesetzes wegen. Die Dimtranslokation eines unberechtigten Benutzers ist nicht erlaubt, tut mir Leid.“
„Aber wie kriege ich eine Berechtigung? Was muss ich dafür tun?“
„Hier kriegst du keine Berechtigung. Es gibt nur zehn Realitäten, wo du eine kriegen kannst und das hier ist leider keine von ihnen. Als Kontrolleure sind wir sowieso nicht berechtigt, jemand anderen zu dimtranslozieren.“ Er wendete sich seinem Kollegen zu. „Hast du eine Spur?“
„Ja“, sagte der Andere. „Zumindest eine Vorstellung, wo der Kerl sein könnte.“
„Dann lass uns gehen.“
„Aus dem Weg“, sagte der Mann mit der Lederjacke rau und stiess Maxim grob nach hinten. Dieser stolperte und fiel auf den Asphalt.
„Nein, wartet!“, rief Maxim, doch als er aufblickte sah er nur noch eine kleine Rauchwolke an der Stelle, wo sich die Zigarette des Mannes mit dem Anzug befunden hatte. Beide Gestalten waren verschwunden.