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Ein schwacher Moment
Eine kühle Stille liegt über dem kleinen Örtchen das mitten im Wald versteckt liegt. Alle Bewohner schlafen. Der Mond wirft ein fahles Licht auf die Bäume, Gärten und Straßen.
Doch in einem der Gebäude brennt noch Licht. Es ist das Haus von Rebecca und Stanley Allister.
Sie führen eine dieser Diskussionen, von denen man sich wünscht, dass man sie niemals führen muss. Eine, die den weiteren Verlauf des Lebens verändern wird. Unweigerlich.
„Du hast mich wirklich mit dieser Schlampe betrogen?“, brüllt Rebecca ihren Ehemann an und wirft eine Vase in seine Richtung, die an der Wand in tausende von kleinen Splittern zerspringt. „Wie konntest du mir das antun? Gestern sagtest du Bastard mir noch, dass du glücklich bist und mich liebst!“
„Ich kann dir das erklären Rebecca! Es war ein kleiner, schwacher Moment auf der letzten Firmenfeier. Wir waren beide betrunken und ich wollte nicht nach Hause, weil deine Mum hier geschlafen hat. Also sind wir zusammen feiern gegangen und dann ist es passiert. Aber ich will doch auch gar nicht mehr. Es war ein Fehltritt. Ein Ausrutscher. Nur Sex. Mehr nicht. Ich will mit dir alt werden und den Rest meines Lebens mit dir verbringen!“, versucht der junge Mann mit dem nachtschwarzen Haar seiner Frau zu erklären. Seine leuchtend grünen Augen suchen nach Vergebung doch finden nichts als Hass und Verachtung. Und da fliegt der nächste Gegenstand. Auch das Glas verfehlt ihn nur knapp.
„Ach, ist das so, ja? Und wie war das mit der Aussage, dass ich dir vertrauen kann? Dass du mich weder verlassen, noch betrügen würdest? Dass ich mir keine Gedanken machen muss, wenn du das Haus verlässt? Ich dachte unsere Ehe baut auf blindem Vertrauen auf. Und nun gerade habe ich für dich nicht mehr übrig, als das Bedürfnis dir ins Gesicht zu spucken! Du bist dir hoffentlich darüber im klaren, dass dieses Haus hier ein Erbstück meiner Mutter ist und somit mir gehört. Eine letzte Nacht auf dem Sofa bekommst du von mir noch und dann packe bitte deine Sachen und verschwinde. Oder tu der Welt einen gefallen und spring von einer Brücke“, schnaubt die junge Blondine voller Wut, dreht sich um und verschwindet unter Tränen und lautem Schluchzen die Treppe herauf in den ersten Stock. Ihre Hoffnungen, Träume und das, was sie für den Sinn ihres Lebens hielt, zerbracht binnen einer einzigen Nacht in Trümmer. Es ist nichts mehr übrig. Nur das Verlangen nach Zerstörung und Vergeltung. Noch nie hat ihr jemand so etwas angetan. Sie weiß nicht einmal genau, ob sie eher wütend oder traurig sein soll. Es ist eine tödliche Mischung aus beidem. Und Stanley bleibt vorerst keine andere Möglichkeit, außer sich seinem Schicksal zu beugen und sich aufs Sofa zu legen um eine letzte Nacht im gemeinsamen Haus zu verbringen. Er kann sich selbst nicht erklären, wie es dazu kam, dass er seine Frau betrog. Doch es war passiert. Weil er einen Augenblick lang schwach war. Und dazu kommt die traurige Gewissheit, dass es sich nicht gelohnt hat. Denn alles was er davon hat ist die Erinnerung an schlechten Sex und der Tatsache, dass er seine Frau nun für immer verloren hat.
Es kam immer wieder zu kleineren Reibereien zwischen den beiden. Doch nie war es so ernst, dass eine Trennung drohte.
Er schnappt sich die rote Wolldecke, die auf der Sofalehne liegt, macht es sich so gut wie möglich gemütlich und deckt sich zu.
Eine letzte Nacht...
Und von oben hört er verzweifelte Schreie seiner Frau. Ein schmerzerfülltes Kreischen. Und viele Gegenstände, die durch die Räume geworfen werden. Und nach dem lautstarken Zerbersten eines Spiegels tritt ein Moment der Ruhe ein. Danach wird die Nacht nur noch von einem leichten Säuseln des Windes und einem gelegentlichen Weinen oder Wimmern von Rebecca durchdrungen. Auf der einen Seite will Stanley gern nach seiner Frau schauen. Auf der anderen Seite ist ihm klar, dass sie ihn nicht sehen will. Egal wie schlecht es ihr geht. Er weiß genau, was er ihr angetan hat. Sie träumte schon immer von einer kleinen Familie, dem Haus in dem Dorf und einem glücklichen und langen Leben voller Frieden. Und er hat es kaputt gemacht. Auch Stanley weint. Doch langsam holt auch ihn der Schlaf ein und seine Augen fallen zu.
Er wird wieder wach, als er spürt, dass sich jemand auf ihn setzt. Er erschrickt, reißt die Augen auf und sieht Rebecca auf seinem Schoß. Die langen blonden Haare sind zerzaust und stehen wild von ihrem Kopf ab. Ihre Wimperntusche ist verlaufen und bildet einen gespenstischen Schatten unter ihren Augen. Umrandet ihren sonst so hellen Blick mit einem schwarzen Schleier. Quer über ihren Mund, so glaubt er, hat sie verschmierten Lippenstift. Ein Bild das ein wenig an einen gruseligen Clown aus alten Geschichten erinnert, die man sich am Lagerfeuer erzählte.
Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Mund ist leicht geöffnet und der Kopf zur Seite gelegt. Sie starrt ihn Ausdruckslos an. Von einem wahnsinnigen Kichern durchzogen, sagt sie mit leiser Stimme zu ihm: „Du brauchst diese Schlampe nicht mehr, Stanley. Ich habe mich für dich hübsch gemacht. Gefälle ich dir?“
Nach dieser Frage wischt sie sich mit der linken Hand über das Gesicht. Der vermeidliche Lippenstift wird auf einmal deutlicher und stärker. Als sie die Hand wieder hebt, sieht er einen langen Schnitt in ihrer Handfläche. Das ist kein Lippenstift. Es ist ihr Blut.
Ein eiskalter Schauer läuft ihm durch Mark und Bein. Angst macht sich in ihm breit.
„Gefälle ich dir, Stanley? Sag mir, dass ich hübsch bin.“
„Rebecca, was hast du gemacht? Lass mich das mal sehen! Wir sollten zum Arzt fahren! Hast du nicht gesehen, dass du blutest?“
„Ich blute schon die ganze Nacht. Du hast mir schließlich mein Herz herausgerissen. Und nun sag mir, Liebster, gefalle ich dir?“
Ihr Tonfall wurde aggressiver. Es war nicht zu überhören, dass sie innerlich brennt. Und dennoch ziert dieses wahnsinnige Grinsen ihr Gesicht. Dieser leere Blick.
„Natürlich bist du hübsch! Du gefielst mir bereits am ersten Tag, an dem ich dich sah! Du bist die einzige Frau, die ich in meinem Leben haben möchte. Lass mir dir doch helfen, Schatz! Der Schnitt sieht wirklich übel aus!“
„Sie werden den Rest ihres Lebens mit mir verbringen Mr. Allister. Machen Sie sich keine Sorgen. Weißt du, was ich an unserer Ehe immer am meisten geliebt habe?“
„Dass wir uns in schweren Zeiten immer gegenseitig zum Lachen gebracht haben. Kein Sturm war stark genug um unser Lachen zu brechen. Wie könnte ich das vergessen?“
„Genau. Und nun werde ich dir helfen, dass dir das Lächeln nicht vergeht. Damit du genau so fröhlich aussiehst wie ich!“
Sie macht eine plötzliche Bewegung mit ihrem rechten Arm und Stanley spürt einen brennenden, heißen Schmerz in seinem Gesicht. Er versucht zu sprechen und die Schmerzen werden schlimmer. Er kann Blut schmecken. Und er weiß sicher, dass es sein eigenes ist. In Rebeccas Hand kann er nun eine große, spitze Scherbe vom Spiegel sehen, den er vorhin noch zerbrechen hörte. Seine Hand wandert langsam zu seiner Wange. Sie ist aufgeschnitten. Seine linke Wange ist nun von einem etwa sechs Zentimeter langem Schnitt gespalten. Stanley schreit vor Schmerzen und Angst.
Und trotzdem weicht Rebecca dieses Grinsen nicht aus dem Gesicht. Wie eine Puppe starrt sie ihm noch immer tief in die Augen.
„Wie fühlt es sich an glücklich zu sein? Ist es nicht ein tolles Gefühl? Und nun schau mich an du Bastard! Ich will das letzte sein, was du in deinem gottverdammten Leben zu sehen bekommst“, schreit sie ihn an und holt erneut aus. Schützend hebt Stanley seine Hand vors Gesicht um den Stoß mit der Scherbe abzuwehren. Doch es lief anders als geplant. Mit einem knacken durchdringt das lange Stück Glas seinen Handrücken und dringt in sein Auge ein. Das leise Knacken beim herausziehen lässt deutlich verlauten, dass die Spitze ihrer Waffe genau in seinem Augapfel abgebrochen ist.
Er brüllt vor Schmerzen und Rebecca lacht laut und düster.
„Sieh mich an! SIEH MICH AN!“
Wieder und wieder sticht sie zu. Mit einer gewissen Freude nimmt sie sich nach jedem Angriff die Zeit jede Wunde am Körper ihres Mannes zu bewundern, bevor sie erneut zusticht. Unter verzweifeltem Röcheln und Gurgeln weicht das Leben aus seinem Körper. Wieder kichert sie leise.
Rebecca beugt sich vor und küsst sanft die Stirn von Stanleys Leiche.
„Es tut mir leid, Liebster. Es war ein kleiner, schwacher Moment.“