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Ein schwacher Funke der Hoffnung
Ein schwacher Funke der Hoffnung
Auf der breiten Piste, die am Dorf entlang führte, hatte sich eine dicke, feine Staubschicht gebildet, die bei jedem Schritt aufwogte, sich wie dichter Nebel um seine Füße legte und die Sandalen in mattes Grau färbte.
Der Weg führte aus dem Dorf hinaus, entlang einfacher Häuser, aus brüchigem Sandstein, genarbt von Einschüssen, teilweise zu Ruinen gesprengt und dennoch von Menschen bewohnt. Geborstene Fenster mit notdürftig reparierten Läden, dazwischen Baracken aus Holzresten und altem Blech zusammengebaut, die gerade mal zum Schattenspenden dienten, denn als würdige Unterkunft.
Er kannte viele der Obdachlosen und hatte ihnen beim Bau der Hütten geholfen, ihnen Schutz gegeben vor der Sonne, vor dem Staub. Einst besaßen sie selber Häuser, pflegten Gärten und bebauten Felder, bevor die Granaten kamen, bevor Menschen starben, Kinder, Familien.
Der Weg führte ihn aus dem Dorf hinaus, ein Stück in das offene Land und schließlich den Hügel hinauf, dort, wo zur gleißenden Sonne auch noch ein heißer Wind wehte, der den Staub seiner Schritte wie Rauchzeichen über die Grenze und über den Stacheldraht bis ins andere Land trug, das Land, das doch auch sein Land war.
Es war riskant so offen auf der Anhöhe zu stehen. Gut hundert Meter entfernt teilte das Niemandsland entlang der dichten Zaunanlage, als gerader Schnitt die Landschaft. Die spiegelnden Linsen der Ferngläser blinzelten ihm vom Kontrollpunkt aus zu und trafen wie Hohn. Sein Kaftan wehte im Wind und er stellte sich vor, wie erhaben und beeindruckend seine Erscheinung auf die andere Seite wirken würde. Er war nicht eitel aber zu seiner Verachtung gehörte auch Stolz.
Eine Weile stand er still, ließ die Gedanken kommen, schloss die Augen und sah seine Frau, die den Hügel hinauf kam, an der Hand seinen Sohn, der ungeduldig zerrte und in dessen helles Lachen ein Rauschen aufkam, das bis zum nervenden Pfeifen anschwoll und sich schließlich in einer gewaltigen Explosion entlud.
Danach war kein Lachen mehr.
Diese Bilder hatten sich eingebrannt, wie auch die von dem Land mit seinen Narben, so sehr, um seiner tiefen Wut immer wieder Nahrung zu geben, sie zu Hass anwachsen zu lassen und sie in seinem Inneren wieder zurück ins Dorf zu tragen, dort, wo die anderen auf ihn warteten, die wussten, dass er bereit war mit ihnen zu beten.
Als er ins Freie trat und die Tür zur Unterkunft mit einem lauten Knall zuschlug, war es ihm, als wäre er durch eine Schleuse getreten, ein Tor, das ihn voller Betroffenheit, Trauer und schmerzender Wunden aufgenommen hatte und ihn jetzt als tief entschlossenes Wesen, in eine andere Welt wieder entließ. Die Gedanken waren dieselben, doch aus Trauer war bittere und unbarmherzige Entschlossenheit geworden.
Stumm schritt er mit den Kameraden zu den Fahrzeugen, deren Motorenbrummen auf ihn wie ein leises, verhaltenes Trommelstakkato wirkte, bereit jeden Moment anzuschwellen und sich in einem teuflischen Höhepunkt zu entladen.
Jeder hatte seinen Platz. Sie unterhielten sich über Dinge, von denen er nichts wissen wollte, Themen, die er nicht hören wollte und für die er keinen Platz hatte, in seinem Bewusstsein. Hin und wieder wurde er angesprochen doch etwas in ihm ließ die Worte nicht zu.
Die Kolonne rollte über ein narbiges, graues Schotterband, einer Nebenstraße, die die staubige Steppe durchschnitt, gesäumt von ausgebrannten Autowracks und Panzerruinen. Jedes Trümmerteil stand für Gewalt, Blut und Tod und mittendrin immer wieder sein Bruder, der als Schemen unvermittelt auftauchte und ebenso urplötzlich wieder verging, mal blutend neben einem Auto, mal zerfetzt vor dem Rohr einer Haubitze.
Zögernd und mit zitternden Fingern fuhr er über die Brusttasche seiner Uniform, in der der Brief steckte, bei dem ihm war, als klebte er von Blut, als er ihn das erste Mal las und danach immer wieder. Sein einziger Bruder war gekommen um zu helfen. Er hatte Leid gesehen und gelindert, egal ob Bauern, Frauen, Kinder, Kämpfer oder Soldaten, er half Menschen … und wurde doch von denen, welche er half, ermordet.
Aus der Ferne schälten sich bald die sandfarbenen Baracken des Kontrollpunkts, die schnell größer wurden und klare Strukturen freigaben.
Da waren Wagenkolonnen mit laufenden Motoren, deren blauer Dunstschleier sich in der Steppe verlor. Menschenschlangen drängten sich vor den Kontrollposten, ein dichtes Knäuel aus wallenden Gewändern, dunklen Gesichtern voller Verachtung und mittendrin immer wieder helle Uniformen.
Die Kolonne hielt hinter den Gebäuden. Sie saßen ab, formierten sich und irgendjemand, den er kaum wahrnahm, gab Befehle, die er nicht verstand. Er ging mit der Gruppe, die Waffen bereit und halb erhoben.
Posten wurden abgelöst, Aufgaben zugeteilt und überall wallende Gewänder. Jemand klopfte ihm auf die Schulter und sagte etwas, … irgendetwas. Überall dunkle Gesichter, voller Misstrauen und gnadenloser Verachtung, Gesichter, in die der Bruder geschaut hatte und denen er helfen wollte, als es passierte.
Eine Gestalt schälte sich aus der Menge, betend, mit verklärtem düsteren Blick.
Und dann war da wieder das Gesicht des Bruders, voller entsetzen nach Hilfe suchend, den Mund zum Schrei geöffnet, in mitten düsterer Mienen,
Der Sicherungsbügel seiner Waffe schnappte zurück, der Lauf schwang hoch ...
Das Tosen der Stimmen aus dem Gedränge um ihn her, versank in den Gebeten, die er in endlosen Schleifen leise murmelnd wiederholte. Langsam drängte er sich seitlich aus der Masse, nahe an die Kontrollbaracken. Seine Schritte waren ruhig, gemessen und ohne Angst. Mit jeder Wiederholung der Reime fühlte er sich geborgener, erfüllt von der seligen Gewissheit dessen, was auf ihn wartete und jedes mal sprach er lauter, bis schließlich seine Stimme die um ihn her, übertraf und bald alle schweigen ließ. Die Umstehenden traten zurück und dann, … seine Blicke trafen die des Anderen, so nah, dass die Augen sich ineinander spiegelten.
In dem Moment, in dem seine Gewehrsalve den Bruder aus der Masse befreien sollte, wurde sein Blick gleichsam von dem des Anderen gefangen.
Er selbst war schnell. In einer fließenden Bewegung zog er den Bügel durch, schwenkte die Waffe um sich her und wurde in derselben Sekunde von einem gleißenden Inferno geblendet. Die dröhnende Gewalt, die alles um ihn her zerbersten lies, dehnte sich wie in Zeitlupe zu einem grellen, rotglühenden und schmerzenden Armageddon aus, das das Peitschen der Schüsse und Klingen der fremden, melodischen Gebete mit tiefem Grollen aufsog.
Die Explosion war für ihn nur ein lautloser, kurzer und stechender Schmerz, der seinen Körper durchzog und schließlich im Nichts verging. Dann trieb er fort, in einer Atmosphäre ohne Klang und ohne Wahrnehmung, bis irgendwann in irgendeiner Zeit ein Brennen anschwoll und mehr und mehr zur Qual wurde und ihn wie in einen weiten Kokon zu umschließen schien. Die Pein stieg im selben Maße an, wie die jähe Erkenntnis aufbrach, dass die doch so sichere Erwartung des allumfassenden Glücks, der Genugtuung, der Ehre, jetzt und tatsächlich im Nichts verging. Gebete und Verse hallten in seinem Bewusstsein wieder und schienen in der plötzlichen Erkenntnis der doch so großen Vielfalt ihrer Bedeutungen zu schmerzen.
Durch das allesumgebende Weiß zogen schließlich farbige Schleier, die dichter wurden, sich zu Bilder verbanden, ... voller Leid. Da lagen Soldaten im Blut, beweint von ihren Frauen, ihren Eltern und Kindern und jedes Bild war pure, reine Pein, die ihn durchdrang und blieb, bis, .. bis da doch irgendwo im Grauen ein fast greifbarer Keim der Hoffnung aufzugehen schien, die Hoffnung nicht allein zu sein, Hoffnung auf Trost.
Eine heiße Wucht schien ihn aus seinen Körper zu reißen und ihn gleichzeitig zu verbrennen.
Er wollte rennen, flüchten, doch da waren keine Beine mehr, die ihn trugen, keine Uniform, die ihn schützte, keine Waffe mit der er sich verteidigen konnte … nur körperlose, brennende Wahrnehmung.
Er versuchte sich auf sein Umfeld zu konzentrieren, in dem er doch nichts fand, das im Halt gab, in der konturlosen Helligkeit, die ihn gänzlich umschloss.
Er suchte nach der Gestalt seines Bruders, doch statt der vertrauten Bilder zogen farbige Schleier um ihn her, die sich zu Konturen verbanden und schließlich aus dem Nichts Gestalten formten. Zerfetzte Körper lagen in Ruinen, abgerissene Körperteile, Gewänder von Blut durchtränkt und überall Kinder, schreiende Kinder im Staub der blutenden Wüste, verwundete Kinder, deren Blicke Hilfe suchten und doch nur ihn fanden.
All ihre Leiden wurden zu gnadenlosen Anklagen, die den Raum um ihn füllten. Jeder Blick traf seine Seele mit unendlicher Verzweiflung.
Doch irgendwo, ganz schwach, wie von weither, glomm eine noch unfassbare Hoffnung.
Irgendwo … er war nicht allein.
Sie trieben aufeinander zu, wie zwei Teile eines Ganzen, zwei körperlose Substanzen dennoch beladen mit unendlicher Schuld in einem Meer voller Scham. Jeder spürte die Annäherung des Anderen.
Die Last wurde nicht leichter, die Schuld nicht vergeben aber das Empfinden der Einsamkeit schwand mit der zunehmenden Nähe, die schließlich in einer so vollkommenen innigen Verbindung aufging, dass ein schwacher Funke der Hoffnung aufglomm, auf Gnade … irgendwann