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Ein schlechter Tag zum Sterben
Ich hockte unter dem Tisch, drückte mich fest an die Tischplatte und wünschte mir, ich wäre zum Rathaus gefahren, wo in einer feierlichen Zeremonie ein Baum als Symbol für den Kampf gegen die Regenwaldabholzung gepflanzt wurde. Überall hin, nur nicht hierhin. Der Raum war voll von Scharfschützen, bereit, auf alles zu schießen, was sich bewegte. Normalerweise hätte ich, der große Meisterdetektiv, es mit zehn Männern gleichzeitig aufnehmen können, aber die Handschellen an meinen Handgelenken waren sehr hinderlich und der Schlüssel dazu lag auf dem Grund des Meeres, wo auch ich nach Mascolonis Plan hätte sein sollen. Das war nun eine wirklich blöde Situation. Zwar hatte ich genug Beweismaterial gesammelt, um Mascoloni für Jahre hinter Gitter zu bringen, aber wenn ich mein Versteck verlassen würde, wäre ich tot. So eingebildet, zu glauben, ich könnte die Scharfschützen überlisten, war ich nicht - und selbst wenn, draußen lauerte immer noch die Horde scharfer Hunde. Ich beschloss, meinen Mitarbeitern, deren miese Arbeit mich erst in diese Situation gebracht hatte, bei meiner Rückkehr erst mal so richtig den Kopf zu waschen.
Plötzlich ertastete ich etwas in meiner Tasche, klein, rund und hart wie das Haus einer Schnecke. Jetzt fiel es mir wieder ein: Das war der Prototyp einer neuen, weiterentwickelten Handgranate, die der amerikanische Geheimdienst in meinem Auftrag entwickelt hatte. Ich beschloss, zu handeln. Ohne große Überlegung schoss ich unter dem Tisch hervor - und blickte in die Mündungen von mindestens zwei Dutzend tödlicher Schusswaffen. Hinter den Scharfschützen grinste mir hämisch die hässliche Visage Mascolonis entgegen, ich erkannte ihn sofort an seiner Sonnenbrille. „Nicht schießen, ich bin unbewaffnet!“, log ich, und bevor Mascoloni ein Wort sagen konnte, warf ich die Handgranate nach ihm, die ihn in einen gigantischen Feuerball verwandelte - so hatte ich mir das zumindest vorgestellt. Statt dessen fiel sie knapp einen Meter vor Mascoloni mit einem erniedrigend unspektakulären „Plöpp“ auf den Boden, wo sie frustriert verdampfte.
Sofort antworteten die Scharfschützen mit einem donnernden Kugelhagel, der haarscharf an mir vorbeischoss. Ich wollte gerade anfangen, überlegen und siegessicher zu grinsen, als ich meinen Irrtum bemerkte. Mein Lächeln gefror zu einer starren Maske, mein Körper klappte zusammen und stürzte mit einem dumpfen Laut zu Boden. Mir fiel auf, dass ich plötzlich anderthalb Meter über selbigem in der Luft schwebte, und zwar genau über einem Leichnam, der mir selbst erschreckend ähnlich sah. Als mein Gehirn endlich diese Informationen verarbeitet hatte, kam ich zu einem Schluss, der mir ganz und gar nicht gefiel: Ich war tot. „Oh, verdammt.“ dachte ich nur. Ich schaute auf meinen leblosen Körper, ich schaute in Mascolonis zufrieden grinsendes Gesicht, ich schaute an mir herunter und sah nichts. Mir wurde schmerzhaft bewusst, dass ich nicht mehr lebte, und mich packte Wut über die miese Arbeit des Geheimdienstes.
Seitdem ist etwa eine Stunde vergangen, inzwischen ist der Raum leer. Ich schwebe immer noch hier, anderthalb Meter über dem Boden, und überlege, was ich jetzt machen soll. Ich warte auf ein weißes Licht, das mich abholt und in den Himmel führt, aber es kommt nicht. Ich bin dabei, festzustellen, dass es kein Handbuch mit dem Titel „Wie verhalte ich mich, wenn ich tot bin“ gibt. Vielleicht sollte ich eins schreiben. Zeit habe ich wohl jetzt genug...