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Ein schöner Abend

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04.08.2003
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Ein schöner Abend

Ich lehnte mich entspannt in den hellbeigen Ledersitzen des Luxusautos zurück, registrierte das leise Surren des Motors und betrachtete aufmerksam das Gesicht des Mannes den ich erst einige Minuten kannte. Er wirkte hektisch, nestelte nach den Zigaretten und sprach schnell und aufgeregt in das Mobil-Telefon. Seine Hände waren erstaunlich kräftig, wie sein ganzer Körper. Er hatte gepflegte, glatt nach hinten gekämmte blonde Haare und sein Profil erinnerte mich an Napoleon Bonaparte. Überhaupt schien er ständig den Bauch einzuziehen und sich zu recken, um größer zu erscheinen. Den Blick angestrengt auf die Straße gerichtet beteuerte er mir, dass es ihm peinlich sei, dass seine Mutter eben jetzt angerufen habe. Er sei gewiss kein Muttersöhnchen, aber kurz vor Weihnachten würden Mütter eben sentimental.
Vor dem Restaurant schritt er voran, öffnete mir galant die Tür und taxierte im Vorübergehen meinen Körper. Der Blick war mir nicht unangenehm. Die Lampen hingen tief über den Tischen und strahlten helle Lichtinseln auf die Holztische. Die wenigen Menschen die im Gastraum saßen konnte man nur schwer erkennen. Der Mann half mir aus dem Mantel, rückte mir den Stuhl zurecht und überreichte mir die Speisekarte. Über den Ledereinband hinweg sagte er leise und eindringlich: “Sie gefallen mir. Ich glaube, Sie sind die Frau die ich suche. Ich muss alles über Sie wissen!“
Lächelnd rührte ich in meinem Teeglas und schaute zu, wie sich der Zucker langsam auflöste. Der Mann trank seine Cola in großen Schlucken, stellte das Glas ab und rief energisch nach einem neuen Glas. Er wirkte angespannt. Ich fühlte mich wie ein Zuschauer in einem bequemen Kinosessel, hörte seiner Geschichte zu und nickte nur hin und wieder aufmunternd, wenn der Redefluss zu versiegen drohte. Der Mann war mir sympathisch, aber ich fühlte kein Verlangen ihn zu berühren oder mich ihm zu nähern.
Er schien meine Ablehnung instinktiv zu fühlen, denn er verstärkte sein Imponiergehabe. Er wies die Kellnerin wegen eines kleinen Versehens scharf zurecht, bestellte teuren Wein und erzählte von seinen beruflichen Erfolgen. Mit meinem Lächeln schien ich ihn jedoch zunehmend zu verunsichern.
Wieder vor der Haustür angekommen, fragte mich der Mann fast schüchtern: „Willst du mich wiedersehen ?“
Hastig kritzelte er seine Telefonnummer auf einen Zettel. Ich verabschiedete mich kühl und bedankte mich artig für den schönen Abend.
Dann winkte ich noch einmal kurz in das bläuliche Scheinwerferlicht und knüllte den Zettel zu einer winzigen Papierkugel.

 

Hi Marion

Ist dir recht gut gelungen, die Stimmung dieses Abends einzufangen und rüberzubringen. Die Beschreibungen haben mir gefallen, allein das Bonaparte-Profil sagt eine ganze Menge über den Charakter des Mannes aus :)

Der Mann scheint sich allerdings nicht zwischen dem Angebergehabe und dem Muttersöhnchen entscheiden zu können. Wenn er einigermaßen geschickt wäre, hätte er ja gar nicht verraten müssen, dass er mit der Mutter telefoniert hat...
Und wieso erzählt er seine Geschichte, wenn er doch alles über sie wissen will?

Bei solchem Benehmen kommt das Ende leider nicht wirklich überraschend ;), keine richtige Pointe.
Aber insgesamt ganz nettes Stimmungsbild.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Also ich muss sagen,

ich bin baff von der Sprache. Sie ist klar und rein. Man muss höllisch aufpassen, dass man einem Text nicht anmerkt, dass er zu sehr "gearbeitet" wurde, dann wirkte er nämlich wie ein Schulaufatz. Das ist bei dir ganz und gar nicht der Fall. Du hast Sprache.

Auch deine Beschreibungen finde ich bis auf eine vortrefflich, sie kennzeichnen den Charakter (oder die Vorstellung der Erzählerin davon) blendend. Die eine: Das Beispiel mit Bonaparte. Man hat zwar ein Bild, aber es ist zu stark besetzt, ich meine jetzt nicht Napoleon selbst, sondern all die Personen, die mit seinem Beispiel schon beschrieben wurden. Und Einfälle hast du auch. Nur eine Sache habe ich da zu bemängeln. Wieso sitzt sie bei ihm im Auto, wenn er nicht mal ihre Nummer hat, ein Blinddate kommt so wohl nicht mehr in Frage. Hat er sie vor der Tür aufgegabelt, denn einen kurzen Moment fragt man sich, ob `s sich um ene Prostituierte handelt. Das war doch sicher nicht deine Absicht. Die Vorgeschichte muss natürlich nicht erkennbar werden, nur hätte ich sie gern mit einem Satz angesprochen, damit ich weiß, in welcher Richtung ich meiner Fantasie freien Lauf lassen darf.


Wer hat denn das Essen bezahlt? Ganz selbstverständlich er :-)) .... er wird sich noch mal melden ... damit haben wir dann auch ein offenes Ende.

 

Danke für das viele Lob und auch die Kritik. Ist es nicht so, dass sich die Menschen am liebsten selber erzählen hören? Da fällt es gar nicht auf, wenn man von sich nicht so viel preisgibt.
Ich bin ganz neu in dem Forum, und finde es sehr bemerkenswert, dass man so schnell konstruktive Kritik bekommt. Das ist ja toll.
Ich finde die Geschichten zum großen Teil auch richtig gut, da muss man ja aufpassen, dass man sich überhaupt wieder an die Öffentlichkeit wagt.
Ich will jetzt selbst mal eine Kritik schreiben.

 

Hallo Marion,

Deine Geschichte hat mir vom Schreibstil her sehr gut gefallen. Die Beschreibung des Mannes ist Dir gut gelungen und das ganze ist locker und flüssig geschrieben. Allerdings ist es mir inhaltlich einfach zu wenig. Erstens erfährt man überhauptnichts über die Erzählerin und zweitens fehlt mir irgendwie eine Pointe, oder irgendetwas Unvorhersehbares. So ist es einfach zu glatt, Frau fährt mit Mann zum Essen, Mann
ist ihr nicht sÿmphatisch, deshalb will sie ihn nicht wiedersehen und zerknüllt die Telefonnummer. Aus.
Verstehst Du wie ich das meine?
Wenn Du inhaltlich ein bisschen mehr reinpacken würdest, würden Dir sicherlich tolle Kurzgeschichten gelingen, denn mit Worten umgehen, das kannst Du.

LG
Blanca

 

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