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Ein sauberes Vergnügen
„Als nächstes auf den wilden Wellenreiter, Papi! Los, komm!“
Steffen strahlte mich voller Vorfreude an und versuchte, mich zu der Wasserbahn zu ziehen.
„Du weißt, dass man da richtig nass werden kann?“, wandte ich halbherzig ein, wohl wissend, dass dieses Argument für einen Zehnjährigen überhaupt nicht zählte. „Das ist doch lustig!“, kam es auch sogleich zurück und ich gab meinen kleinen Widerstand bereitwillig auf.
Der Tag war bisher einfach wunderbar.
Gleich zu Beginn eroberten wir das Piratenschiff und wurden ‚auf stürmischer See‘ hin- und hergeworfen. Auf der Tornadobahn wurde es gleich danach noch wilder, an das zurückliegende Frühstück wollte mein Magen dort lieber nicht erinnert werden. Steffen lief zu diesem Zeitpunkt jedoch gerade erst warm, sodass wir in schneller Folge auch noch den Sturzflug, die düstere Goldmine und die Galaxis II aufsuchten.
Der wilde Wellenreiter schien mir trotz des Namens eine recht ruhige Abwechslung zu den anderen Fahrgeschäften zu sein. Wasserbahn eben. Boote oder Gondeln, die durch eine vorgegebene Fahrrinne dümpeln, ab und zu eine steile Abfahrt mit anschließender Gegenwelle.
Klingt doch gut.
Steffen und ich eilten also zu der Warteschlange und kramten dabei ein paar Kekse aus unserem Rucksack. Während mein Sprössling diese genüsslich mampfte, beobachtete ich die herauskommenden Fahrgäste: Einige tropfnass, andere trocken und viele irgendwo dazwischen …
Die Gondel, in die wir kurz darauf stiegen, war rund und hatte drei Zugänge, durch die die zu erwartenden Wellen sicher prima hineinschwappen konnten. Na, wie toll.
Steffen platzierte ich auf einem Mittelsitz, in der Hoffnung, später keinen allzu nassen Jungen durch den Freizeitpark begleiten zu dürfen. Ich machte es mir neben ihm bequem.
Die Fahrt begann wie erwartet ruhig und wir schaukelten mit unserem Boot durch ein paar kurvige Wasserrinnen. Am Rand waren Szenen aufgebaut, die an einen Piratenunterschlupf erinnerten. Strohgedeckte Hütten, Holzkisten voller Flaschen, herumliegende Goldmünzen und mittendrin ein künstliches Lagerfeuer umringt von undurchdringlich erscheinendem Urwald.
Bei genauerem Hinsehen erkannte man sogar ein paar grimmig dreinblickende Gestalten zwischen den Gebüschen. Steffen allerdings beachtete sie kaum, denn seine Augen folgten bereits dem weiteren Verlauf der Bahn. „Paps, da kommt ein Aufzug, sieh´ doch mal!“, jubelte er los und gleich darauf rutschten wir zwischen den offen stehenden Toren hindurch.
Nach einer für meinen Geschmack deutlich zu langen Aufwärtsfahrt sahen wir einige atemberaubend abfallende Stromschnellen vor uns liegen. Mein Herz setzte erst einmal für einen Augenblick aus, denn so etwas hatte ich hier eigentlich nicht erwartet. Als das Boot nach einem kurzen Moment in eine Schrägposition kippte und wir den ersten Abhang hinunterschossen, schrie ich daher auch prompt los …
Mitten in der rasanten Abfahrt klatschte bereits die erste Welle gegen meine Rückenlehne und begoss mich hinterrücks von den Schultern abwärts. Steffen traf es nicht besser und so waren gleich von Anfang an die Fronten geklärt. 2:0 für die Bahn.
Mehrere wilde Kurven folgten auf dem Fuße, die wir jetzt, da bereits völlig durchnässt, mit fröhlichem Gekreische begleiteten, bevor wir kurzzeitig wieder in ruhigeres Fahrwasser kamen.
Wir wurden zur nächsten steilen Abfahrt hingeleitet, erreicht haben wir sie allerdings nie.
Urplötzlich sackte nämlich der Erdboden unter den Fundamenten des ganzen Wasserbahn-Gebildes ab und die Konstruktion stürzte in wenigen Sekunden in sich zusammen. Unser Boot kippte seitlich aus der Fahrspur hinaus und fiel ohne weitere Vorwarnung in die Tiefe.
Steffen klammerte sich in Todesangst an meinen Arm und schrie ohne Atempause, als wir mitsamt den Wassermassen in einem riesigen Spalt im Boden verschwanden, der sich unter uns aufgetan hatte.
Im freien Fall ging es dort hinein, wir kollidierten mehrere Male mit den Felswänden einer unterirdischen Schlucht, durch die wir nun immer weiter unter der Erdoberfläche verschwanden.
Wir wurden fortwährend hin- und her geschleudert, die Bauweise des Bootes erlaubte zu unserem großen Glück allerdings keine Überkopfdrehung, denn offensichtlich lag unser Schwerpunkt eindeutig unter den Sitzflächen. Wenigstens das … dachte ich nur und dankte still den Konstrukteuren der Bahn, da die Sicherheitsbügel ihrem Namen bisher wirklich alle Ehre machten.
Zum ersten Mal, seit wir diese Gondel bestiegen hatten, bemerkte ich nun auch die anderen Fahrgäste. Das schrille Kreischen der drei Frauen gegenüber erfüllte fast greifbar die Luft.
Dieser monotone und ohrenbetäubende Lärm verstärkte sich sogar noch, als bei einem weiteren Schlag gegen die Felsen zwei Sicherheitsbügel brachen und die beiden Unglücklichen aus der Gondel geschleudert wurden.
Da hatte ich mich wohl doch zu früh gefreut.
Unser grauenvoller Tiefflug endete etwas später in einer kleinen Höhle, wo wir nach etlichen weiteren Stößen gegen die Felswände bereits leicht abgebremst von einem unterirdischen Gewässer empfangen wurden. Bei dem letzten harten Aufprall ächzten Boot und Insassen nochmals auf und für ein paar Sekunden umfing mich daraufhin Stille. Ich war durch einen heftigen Schlag gegen den Kopf ohnmächtig geworden.
Steffens hysterisches „Papa, Papa!“ holte mich allerdings sofort wieder zurück und als ich daraufhin blinzelnd die Augen öffnete, begann er erleichtert zu weinen.
Nur meinem aufwallenden Kopfschmerz gefiel das Geräusch gar nicht.
„Raus, ich will hier raus!“, brüllte in diesem Moment auch noch die übriggebliebene Frau los und ihre Schreie gingen gleich darauf in einen heftigen Heulkrampf über.
Das war jetzt wirklich zu viel für mich.
„Halten Sie die Klappe“, bellte ich sie an und wandte mich wieder Steffen zu.
Wegen der Sicherheitsbügel konnte ich ihn dummerweise noch nicht einmal in den Arm nehmen.
„Alles okay?“, fragte ich also nur und er nickte tapfer.
„Du blutest.“
„Hätte schlimmer kommen können.“
Steffen versuchte mich anzulächeln.
Die Frau wimmerte nur noch leise in sich hinein.
In der Zwischenzeit war unser Boot weitergetrieben und in dem dunkleren Teil der Höhle angelangt, der kaum noch durch das spärliche Licht aus der Erdspalte beleuchtet wurde.
Dort liefen wir endlich auf Grund und das Boot stand still.
Undeutlich konnte ich gerade noch erkennen, dass es sich scheinbar um einen stillgelegten Bergwerksstollen handelte. Toll, der ist dann wohl vorhin eingebrochen.
„Wir müssen die Sicherheitsbügel loswerden“, meldete sich jetzt wieder die Frau.
Ha, guter Witz.
„Wie soll das gehen? Meiner sitzt bombenfest“, antwortete ich ihr und sah zu meinem Sohn rüber.
Sein Bügel hatte einen leichten Schlag abbekommen, sodass er sich nun glücklicherweise ein kleines Stück aus seiner Verankerung heben ließ.
Steffen konnte sich mit einiger Anstrengung aus seinem Sitz quetschen.
Als er frei war, bat ich ihn Hilfe zu holen.
„Hier ist doch keiner“, wisperte er mit fragendem Blick, bevor er verstand und kreidebleich wurde. Verängstigt von der Vorstellung, alleine wieder an die Erdoberfläche zurück zu klettern.
„Hast Du eine bessere Idee? Die Bügel halten uns gefangen, wir können nichts machen.“
Ich rüttelte noch einmal an den Metallstangen, die mich gnadenlos in meinem Sitz festhielten.
Steffen atmete tief durch, drehte sich dann ohne ein weiteres Wort um und verschwand in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
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„Aufwachen, Herr Anderson. Ihre Zeit ist abgelaufen“, dringt in diesem Augenblick die freundliche Computerstimme zu mir durch und ich erkenne, nachdem ich die Augen geöffnet habe, die hellgraue Kabinendecke des Traumkinos.
„Vielen Dank, dass Sie heute unsere Traumothek besucht haben.“
Wow, was für ein Trip. Das hallt wirklich nach.
„Wir freuen uns, wenn Ihnen Ihr heutiges Erlebnis gefallen hat.“
Ich versuche die intensiven Eindrücke ein wenig abzuschütteln, nehme die Haube von meinem Kopf und rutsche aus der Liegeposition. Auf dem Stuhl neben mir liegt meine ordentlich abgelegte Kleidung.
Graue Anzugjacke, Krawatte, Lackschuhe.
„Sie haben heute die Sequenz Vergnügen und Schrecken im Freizeitpark ausgewählt. Vergessen Sie bitte nicht, am Ausgang eine Bewertung zu Ihrem heutigen Traumerlebnis für spätere Besucher abzugeben. Unser Team wünscht Ihnen noch einen schönen Tag. Beehren Sie uns gerne bald wieder.“
Als ich fertig bin, richte ich nochmals meine Krawatte und verlasse lächelnd die Kabine.
Es ist wirklich kaum zu glauben, dass die Menschen des 21ten Jahrhunderts tatsächlich noch leibhaftig in Freizeitparks gegangen sein sollen …