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Ein Piratenball, der keiner war oder Der Jäger der Apokalypse
Ein Piratenball, der keiner war
oder
Der Jäger der Apokalypse
Vor dem Bauch einen großen, nicht allzu dicken Polster mit Hilfe eines Gürtels umgeschnallt, sonst hat man ja von den schönen Dingern nichts – beim Tanzen. Eine lange, ururalte Flinte aus den Weltkriegzeiten in der Hand, die gemeingefährlich aussah, doch, Gott sei es gedankt, nicht mehr funktionierte. Hahn und Kimme waren abgebrochen, innerlich war sie ein Rosthaufen, ein wahres Sinnbild von Vergänglichkeit. Über dem Polster ein ausgefranstes, altes Jägerhemd und den abgetragenen Wanderrock vom Großvater. Ich bin ja ein konservativ fühlender Mensch, ich hebe Alles auf, schließlich …., na ja, eh schon wissen: man kann nie wissen! Und unsere Zeit von Heute gibt mir da ja schon ein wenig Recht. Echt, echt beschissen. Meine ganze Bude, mein Keller, der Dachboden, sie quillen über. Lauter Andenken aus den unmöglichsten Zeiten. Aus meinem Rucksack guckten ein paar abgelutschte Plüschtiere heraus.
Ich ging also als Jäger mit abgelegtem Jagdschein auf den Maskenball, genau genommen auf einen Piratenball, in meinem Heimatort. Ich habe meinen Behindertenausweis kopiert und mit einem Computer-Malprogramm einen Waffenschein daraus gemacht. Den Staatsadler habe ich farblich hervorgehoben. Der Pass sah echt echt aus. Auf diesem Ball treffe ich jedes Jahr meine immer älter aussehenden Schul- und sonstigen Freunde und Bekannten von einst. Einige von ihnen haben schon richtig schlohweißes Haar, sie sind kaum mehr wieder zu erkennen, mindestens drei von fünfen haben eine Schweinsbratenpappen, dass sogar den Schweinen grausen würde, vor der eigenen Wirkung auf den zivilisierten Teil der Menschheit. Alle unsere fetten Gewerkschaftsbosse von Heute, die man immer im Fernsehen sieht, sehen auch so aus. Aber eine Gaudi sind sie allemal, so und so. Dieser eine Ball, einmal im Jahr, der baut mich immer wieder auf. Der Typ, der mir dann in den nächsten Tagen aus dem Spiegel entgegen schaut, der sieht dann gleich viel smarter, viel agiler und viel jünger aus, als sonst. Ich grinse ihn dann ein paar Tage lang jeden Morgen beim Zähne putzen an und sage zu ihm: „Hey du, du bist in Ordnung, du hast dich gut gehalten, alter Mann, haha.“ Und man stelle es sich vor, der Typ grinst dann ebenso und gibt mir das Kompliment sogar zurück. So ein Spiegel hat es schon in sich, das muss ich zugeben. So ein Spiegel ist unbestreitbar ein wichtiger Bestandteil der Wahrheit in unserer Welt. Ich bin ja ein kleiner Dichter, und so wollte ich natürlich auch immer so ein kleiner Spiegel sein. Mehr war da eigentlich nicht. So ein winzig kleines Stückchen Spiegel sein, mehr wollte ich nie.
Ich gehe ja nie vor zweiundzwanzig Uhr aus dem Haus, und so war im Kulturzentrum schon die Hölle los, als ich dort ankam. Als ich auf dem Parkplatz aus dem Taxi ausstieg, dröhnte mir schon eine laute Musik entgegen. Die Band spielte den alten Vogerltanz, der war gerade wieder mega-in. Er erlebte im Winter 2006 gerade seine ixte Renaissance. Und wie? Ja, eigentlich klang er nie besser, er passte noch nie zuvor so perfekt in eine Zeit.
Gleich am Eingang saß ein ewig langes Elend von einem Dörrstengel an der Kassa. Beim Zahlen kam mir in den Sinn: kein Popo, dafür oben vorne zwei Gelsenstiche statt den üblichen zwei Titten. Also Nichts für mich. Unten ragten aus ihrem rosa-kurzen Bastenrock die zwei prächtigsten Revolver-Knie, die mir je untergekommen sind, und ich habe schon Vieles gesehen in meinem Leben, man glaube mir. Sie hatte sicher auch einen Waffenschein dafür, sogar einen echten. Der Mund, eine weinrot gemalte Blickfangoptik, zog sich bis zu den niedlich kleinen Ohren hin. Und oben drauf saß ein Lockenmonster von Weißhaarperücke. Herr Mozart, Gott habe ihn selig, wäre bei diesem Anblick glatt erblasst vor Neid. Ihm wären alle Noten weggeflogen. Der Sinn von Schönheitsideal seiner Zeit hätte sich wegen seiner Blässe glatt umsonst verpudert und …. oh nein, oh Papa-Gen-O oh ohh mir Einen, …. oh nein, wie schaut da doch ein liebes Vogerl heute nur noch grün aus seiner Wäsche? Es scheint, die ganze Welt von Heute ist verliebt in ihre neue Paranoia, sie hat die Vogerlgrippe. Was mussten meine völlig überraschten Augen da sehen, während ich das Rückgabegeld im Geldbörserl verstaute und dieses dann in die hintere Hosentasche steckte? Im Foyer an einer kleinen Bar, ein paar Meter neben der Kassa, da tratschten vier graue Wasserenten mit zwei Störchen, alle ein Glas Gratis-Begrüßungssekt in ihren Fängen, um die Wette. Herr Papageno höchstpersönlich in seinem wiesengrünen Kleid mit gelben Tupfern stand hinter der Bar, schenkte aus und schwitzte. Sein gut einen halben Meter langer Schnabel, grell orange gefärbt, wackelte bei jeder Bewegung dauernd auf und ab. Das musste doch bei dieser Arbeit lästig sein! Na, das kann ja heiter werden.
Ich ließ also den Kate-Moss-Verschnitt mit Mozart- oder Maria-Theresien-Tick schnick-schnick, soll heißen, allein mit ihrer körperwaffengefährlichen Einsamkeit an ihrer Kassa stehen, nickte ihr noch kurz grinsend zu und schlich mich im ersten Anflug einer ersten zarten Ahnung an die Tür zum Ballsaal an. Die Begrüßungsbar ließ ich grinsend grüßend links liegen, ich kannte dort niemanden. Und ich hatte noch keine Lust auf Sekt. Ein Bier wäre mir Recht gewesen. Und, oh Gott, meine Ahnung wurde gleich mehr als voll bestätigt. Da tummelte sich allein für mich, den besten Jäger aller Zeiten, ein wahres Vogelparadies. Halb tote Hühner – massenhaft, tanzten gerade Walzer mit einer Schar einst so wilder Wildenten, heute jedoch des Fliegens nicht mehr fähig. Ein paar weiße Mastgänse wackelten dabei mit ihren dem guten und gesunden EU-Futter angepassten Riesenärschen. Das Vogelkleid von allen war vom letzten Vogerltanz schon ganz zerzaust. Nur da und dort steckte noch ein Federl.
Ich kam mir auf einmal vor, wie in einem Zoo. Angeblich waren an die siebenhundert Leute da. Mir schien, die Welt ist nun wieder einmal auf das Tier gekommen, Feldhasen, ein paar, auch die BSE-Kühe Muh und Suchard-Schokolade waren da, die noch gesunde Ziege Meck-Meck-Meck stieg gerade einem Schafbock „Bäääähhh so weh“ mit ihrem Stöckel keck und wohl so schmerzhaft auf die Zehen. Eine dicke Löwin mühte sich mit ihrem Brummbär ab. Sie waren keine Walzer-Freaks, sie plagten sich im Hüpfschritt ab. Sogar ein Krokodil hing voll besoffen auf einem Schnaps-Kasperl herum, der sie in einer Art von überirdischer Ekstase quer über die Tanzfläche schleppte. Dabei rempelte er brutal ein Pärchen Schnurr- und Schmusekatzen um. Vor Allem jedoch hatten die Vögel es übernommen, den neuen Zeitgeist von Heute zu gestalten.
Und da habe ich auf einmal gewusst, wieso ich alter Friedenskämpfer mir heute trotz aller Gegenargumente diese Maskierung abgerungen und mich erstmals in meinem Leben schwer bewaffnet habe. Ich wusste plötzlich: Dies würde heute mit Sicherheit der Maskenball meines Lebens werden. Ich war sofort der Superstar, die Nummer Eins. Ich war der einzige Dick Cheney auf diesem Piratenball. Bloß war so ein Pirat nicht da, zumindest habe ich ihn noch nicht entdeckt.
Ich legte meine Riesen-Donnerbüchse auf den ganzen Ballsaal an und brüllte wild und laut über den Lärm der Musik hinweg: „Achtung! Aufgepasst!“ Und dann zielte ich genau auf ein schön völlig ausgefranstes Zugvogi hin, ihr mitten zwischen die Augen. Auf einmal liefen alle vor mir weg und spielten Verstecken. Sie duckten sich hinter Stühlen, Tischen. Der Platz hinter dem Vorhang an der Wand wurde zum Taubenschlag. Andere wiederum verhielten sich ihrer gewaltlosen Erziehung angemessen und schoben einfach auf Achtundsechziger-Friedens- und Gutmenschenart ein wehrloses und wegen der Überraschung so willenloses Opfer vor sich her.
Und dann riefen alle und das auch noch ohne jegliches Kommando. Der Anblick eines einzigen Schießgewehres reichte aus und die ganze Welt verkroch sich in jeden Schein von Sicherheit, und war sie in ihrer Realität auch noch so klein. Meine Maske explodierte zu einer Inspirationssekunde und stimmte den ganzen Ballsaal froh und heiter. Von einer Sekunde zur anderen waren sie auf einmal um so viel kriegbereiter. Der Ballsaal kochte und schrie zu meinem anvisierten Vogerl hin: „Deckung! Geh in Deckung, du dumme Gans! Bist deppert?“
Und oben auf der Bühne hatte auch der Sänger sofort begriffen: dies war seine Chance. Er war ja Singvogel, also auch ein Schtar, auch ihm gingen schon die letzten Federn aus. Er schmiss sich auf sein Mikrofon und schrie mit der ganzen Inbrunst seiner letzten Tablette Tamiflu: „Feuer!“ Und dann knickte er mit samt seinem von ihm umschlungenen Mikrofonständer um, wie Jim Morrison von den Doors beim Song „The unknown Soldier“ zu seinen besten Zeiten.
Und ich, Dick „The Hunter“ Cheney, ich machte zeitgleich: „Bumm! Bumm! Bumm!“ Mein Zugvogerl riss ihre Flügerl weit nach oben, brach wie der berühmte Vietnam-Soldat in ihrer Mitte ab, fiel einfach um. Dieser Stunt war mindestens Oscar-reif. Dem Arnold Schwarzenegger hätte er gefallen. Er wäre stolz auf sie gewesen. Ich habe mich sofort in sie verknallt und umgekehrt war es wohl ebenso. Ich dachte bei mir: Wau, die hat es aber (noch immer) drauf, wau, wau. Ihre letzten Federn flatterten lustig um sie herum. Und dann brach im Saal die Hölle los. Meine alten Freunde liefen alle zu mir her und klopften mir die Schultern weich. „Da Buji is do! Jetzt wiard g’feiert! Ha, und es is’ wurscht, waun dabei heit de gaunze Wölt no untergeht, haha. Sei’, wia’s sei!“ Und dann jagte ich den ganzen Vogerlstall von meinem Piratenball, der gar keiner war, kreuz und quer durcheinander. Natürlich musste ich ab und an auf einen Trink an die Bar. So viel war klar.
Und siehe da, ein teuflisch finster blickendes Quartett von Texanern hatte sofort kapiert, wer heute der König von Narrentum und Gaudi war. Sie schlossen sich mir Tod und Feuer speiend an. Auf einmal war auch Herr George W. Bush samt Frau höchst persönlich da. Auch die zwei zogen beidhändig ihre Revolver und schossen auf Alles, was sich bewegte. Und es begann eine Jagd, wie sie mein Heimatort noch nie zuvor erlebt hatte. Die Waffen rauchten, die Köpfe auch und die schwitzenden Körper sowieso. Und Alle, selbst die erledigten Opfer lachten.
Die meisten der armen Tierlein waren ja schon völlig dicht und stockbesoffen. In dieser Zeit von Heute soll ja das Cola in wahren Strömen fließen, habe ich vor kurzem wieder einmal irgendwo im Internet gelesen. Irgend so ein Araber mit Turban und modernem Bombengürtel, er hatte sich vor den Bauch einen toten Storch geschnallt, verkaufte so hellblaue Tabletten, ganz offen aus einer Marlboro-Schachtel heraus und das mitten auf der Tanzfläche. Ich glaubte es nicht. Die Welt von Heute kennt da anscheinend kaum noch einen Genierer. Sogar die Polizei schaut dabei selig zu. Was soll sie auch schon viel machen? Eingreifen macht nur einen Haufen Arbeit, belastet dabei bloß das eigene Seelenleben, und morgen früh ist der Junge wieder auf den Straßen. Von Asylanten ist bekanntlich nicht viel zu holen. Na ja, ich gebe es ja zu, ein paar Tropfen vom Gott des Alkohols waren wohl auch mit Schuld.
Nun ja, das aufgescheuchte Wild stob jedenfalls glücklichst durcheinander, sie stolperten übereinander, ein paar ganz, ganz Wilde prallten sogar aneinander. Ein Kopf haute sich an einem anderen an. Ein lauter Rumms, er war trotz der lauten Band nicht zu überhören. Es tat aber wohl nicht weh, Betrunkene, so wie verwandt Verrückte, genießen ja meist eine Extraportion von Glück. Sie lachten sich an und tanzten miteinander Tscha-tscha-tscha. Ich ballerte weiter fleißig mitten hinein und zündete sogar ein paar Mal heimlich hinter dem Vorhang einen Schweitzer-Kracher. Der Saal suchte verzweifelt Deckung. Ein paar Leute, die keinen Spaß kennen lernen wollten und sich deshalb lautstark beschwerten, wurden ausgelacht und verspottet. Und der nächste Schweitzer-Kracher fiel dann zufälligerweise in ihrer Nähe auf den Boden. Diese armen Spaßverderber haben dann bald verstanden und sind nach Hause gegangen. Wir haben ihnen lachend nach gewunken.
Und dann kam um Mitternacht der unerwartete Höhepunkt. Herr Bush und seine Gattin waren inzwischen meine lieben Freunde geworden. Er hatte natürlich seinen weltweit bekannten Atombomben-Koffer mit dabei. Na klar, wir wissen es ja eh, ohne diesen untrüglich sicheren Beweis seiner Manneskraft geht der ja nicht mehr aus dem Haus. Er machte sich in der Mitte der Tanzfläche einen Platz. Ich half ihm dabei und bedrohte das noch nicht erlegte Wild dabei mit meinem Schießgewehr. Er kniete sich auf den Boden hin, vor sich sein liebes Köfferchen. Um uns herum drehte sich der ganze Saal im Kreise. Alles tanzte Mitternachtswalzer. Mein Georgie-Bu öffnete es vorsichtig. Darin befand sich ein blaues Plastik-Kinder-Notebook aus dem Lego-Land. Er tippte mit seinen Zeigefingern in voller Konzentration auf die Tastatur ein. Frau Bush erklärte uns dazu: „Er tippt jetzt den geheimen Geheim-Code ein. Und nun Alle aufgepasst!“
(Ich dachte dabei: „Wau, is’ der auba g’scheit! Der kann sich den ganzen Code merken, man stelle es sich vor. Ich selber kann mir keinen einzigen Code damerken. Und oft vergesse ich sogar meine jeweilige Ei-Di (ID) für meine jeweiligen und immer wichtiger und wichtiger werdenden Internet-Adressen. Na ja, dachte ich dann noch. Er ist ja nicht umsonst der Präsident der USA. Dort regieren halt nur die gescheitesten Leute.)
Und dann krachte es ganz laut, es machte gewaltig „Bumm!“ Und ab da kann ich mich dann an nicht mehr viel erinnern. Mir ist der „Faden“ total abgerissen. Jedenfalls weiß ich noch, dass mir dann doch wieder eingefallen ist, dass ich ja Dick „The Hunter“ Cheney bin und somit auch kein ganz, ganz Dummer. Ich weiß ja, was sich so auf dem Gipfel der Macht gehört. Ich kann zu jedem Ölgeschäft die Details verschweigen. Auch CIA-Agenten werden von mir nicht verraten und verkauft. Und, so viel ist wohl klar, ich tu auch nicht, wie manche falsche Zungen das behaupten, keine überzähligen Finger oder Zehen von diesen so böse bösen Terroristen schneiden. Ich gehe fast jeden Tag in die Kirche. Der Herr Bischof im Beichtstuhl sagt mir auch immer wieder, dass er mich von allen wichtigen Politikern, die er so kennt, und es sollen nicht gerade wenige sein, am Meisten mag. Er hat sogar einmal zu später Stunde bei einem Spendenaufruffest zu mir gemeint, ich wäre ein wahrhaft guter Mensch. Ich könnte ja von meiner Natur her schon gar nicht etwas Böses tun. Und so hat er mir auch jeden einzelnen Kollateralschaden meiner vielen Kriege, die man als Weltpolizist gegen diese sich so schnell vermehrenden Achsen des Bösen nun einmal führen muss, verziehen.
Nur das letzte Mal, da hat er im Beichtstuhl nicht so viel mit mir geredet. Er hat nur gemeint, ich sollte endlich diese verdammte Jägerei aufgeben und sie den Jüngeren überlassen, die noch etwas sehen. Nun würde sein guter Schachfreund im Krankenhaus liegen und es wäre gar nicht sicher, ob er durchkommen wird. Er wüsste nicht, mit wem er in Zukunft Schach spielen soll. Sein Schachfreund wäre von all seinen Freunden als letzter übrig geblieben. Er hat dann noch gemeint, ich solle fest beten, am Besten Tag und Nacht. Den Segen würde er mir jedoch dieses Mal erst geben, wenn sicher ist, dass sein letzter Freund wieder mit ihm Schach spielen kann. Also echt, diese Kirchenmänner von Heute sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Und dabei habe ich doch sofort, noch am selben Tag, eine schöne Summe für das neue Dach vom Dom gespendet.
Also, wenn das nicht gegen herrschendes Kirchenrecht verstößt, dann weiß ich nicht. Einmal nicht ganz aufgepasst, ich sehe noch glasklar eine Wildente vom Boden auffliegen, ich reiße das Gewehr hoch, ein wenig zu wild vielleicht, meine Brille verrutscht, ein Knall, wie geil – ich liebe diesen Ton, da springt mir der alte Jagdnarr mitten in meinen sonst wohl so sicheren Blattschuss hinein. Und dabei kann er eh kaum mehr aufrecht gehen, mit seinen achtundsiebzig Jahren. Aber überall dabei sein wollen, das will er schon, der Harry. Und ich, der gute Depp vom Dienst, nehme ihn auch noch überall hin mit, und jetzt schießen sie sich auf mich ein, alle diese Großstadt-Attrappen von Wildhütern, Jagdläufern und Lederstrümpfen. Und wegen diesem so unglücklich verhinderten Blattschuss hat sich dann auch noch mein anvisiertes Vogerl vor Schreck angeschissen, ist mit verminderter Widerstandskraft entkommen, hat sich dann irgendwo angesteckt, hat sich ein kleines Gripperl eingefangen, so mit allem Drum und Dran, also Fieber, Nasenfluss und Halsweh inbegriffen. Es ist aber mit seinen Artgenossen brav nach Süden weiter geflogen und die sind dann angeblich auch alle krank geworden. Und nun zittert die ganze Welt. Und alle geben sie nun mir die Schuld daran. Oh Herr, versteh’, verzeih, bitte. Ich habe doch nicht absichtlich daneben geschossen. Ich wollte dem blöden Vogerl doch eh den Garaus machen.
Echt! Und was mich an dieser Sache am Meisten anstinkt: der alte Hurensohn von Rumsfeld geht nun wohl endgültig aus unserer lebenslangen und so fruchtbaren Rivalität um die einträglichsten Posten als Sieger hervor. Er ist ja Hauptaktionär vom Pharmakonzern Gilead Science, der gemeinsam mit der Schweizer Firma Roche am Meisten von dieser umstrittenen Vermarktung von diesem einstigen Ladenhüter profitiert. Dieses Tamiflu ist ja als Placebo bekannt geworden und nun wird es der Welt auf einmal als neues Wundermittel präsentiert. Die ganze Welt will es jetzt haben. Auf dieser ganzen Welt jagt in letzter Zeit eine Hypochondrie die andere. Ich fasse es nicht! Jetzt wird dieser seit Kindheit an schon notorisch werkende Aktenfälscher auch noch Aktien- und Dollarmilliardär. Ich kann es nicht glauben. Ich fange zum Weinen an. Tränen laufen über meine Wange, sie kitzeln mich auf meinem Nasenrücken und so wische ich sie mit dem Hemdärmel weg und trocken.
Und da bin ich wach geworden. Ich dachte: „Wo bin ich? Was ist das für eine Umgebung.“ Ich sah mich um. Es gab nicht viel zum Sehen. Links und rechts von mir, so jeweils einen drei viertel Meter weg, ragte eine weiße Fliesenwand bis hinauf zur ebenfalls so weißen Decke. Ich fühlte mich beengt. Zum Glück lehnte jedoch meine Donnerbüchse gleich neben mir an der Wand. Dieser mich beruhigende Anblick setzte sofort einen Erinnerungsablauf in Gang, Bilder, teils verständlich, teilweise auch wieder nicht, purzelten durcheinander.
Mein Hintern fühlte sich so eisig kalt an. Ein kühler Luftzug zog von irgendwo unter ihm herauf und blies mir seine Gänsehaut bis hinauf in meinen sich leicht steif anfühlenden Nacken. Mein rechtes Bein war leblos, es war eingeschlafen. Der Bund meiner braunen Jägerhose hing in eine „Wasserlache“. Langsam dämmerte es mir immer mehr. Ich saß auf einem Klo auf einer Muschel. Auf meiner rechten Haxen thronte das von mir zuvor stundenlang gejagte Zugvogerl, sie war halb nackt und völlig federnlos. Sie war in sich zusammen gesunken, bloß ihre Arme klammerten und quälten meinen Hals.
Meine Gedanken hellten auf und wurden klarer, immer klarer. Ich betrachtete sie auf einmal schwer interessiert. Gute Figur, sofern man das in dieser Stellung überhaupt beurteilen konnte. Der Busen schwer, er konnte locker drei bis vier Bleistifte halten, wenn nicht mehr. Mmmmhhhh, dachte ER. Eins A, genau so, wie ER und ich, ein Tittenfetischist, sie mag. Mmmmhhhh, dachte dann auch mein Gehirn. Ich fing an ihren Busen sanft zu massieren und siehe da, ich hatte einen Ständer. Davon ist sie dann aufgewacht, also vom Massieren, nicht vom Ständer. Sie machte ihre Augerln in Zeitlupe auf. In den Puppillen sah ich ihre ganzen Hirnzellen, wie sie arbeiteten. Schluck! Schluck! Ihr ganzes Ich war irritiert. Sie sah mich an. Dann sah sie an sich hinunter. Nackt!? Na ja, halb.
„Was ist passiert? Haben wir? Haben wir …. was gemacht?“ stotterte sie. Haben wir? „Keine Ahnung!? Ich denke nicht. Ich kann mich an nichts erinnern. Ich bin auch gerade aufgewacht.“ Und dann fiel mir dieser als Araber verkleidete Afghanen-Junge wieder ein. Nachdem ich nach Stunden endlich alle Viecher auf dem Ball erschossen, sie über zehn Mal durch das ganze Kulturzentrum gejagt und auch ausgiebig mit ihr getanzt hatte, waren wir total ausgepumpt gewesen, vogitot und ausgehungert auch. Und durschtig.
Also habe ich sie im Kellerstüberl auf ein Seiterl Bier und ein Paar Würstel eingeladen. Dabei haben wir die so jungen und so viel fitteren Gäste beobachtet. Vielen sah man schon von weitem an, dass sie schwer auf Drogen waren, besoffen alle Mal. Ich bin ja nun schon fast fünfzig und kenne mich bei diesen Dingen nicht so aus. Na ja, dass ich nicht lüge, ein paar Mal habe ich früher schon an einem Joint angezogen. Sie war gut erhaltene Zweiundvierzig, schwitzte sich, wie ich, während uns die Würstel schmeckten, langsam aus. Sie ist, wie ich, patschnass gewesen. Altersbedingt. Wir waren müde, ausgelaugt, fix und fertig.
Da meinte sie, sie hätte gehört, dass diese Ecstasy-Tabletten Wunder wirken sollten. Sie wäre vogitot. (Ach, wie süß sie das aussprach.) Sie hätte sich schon lange nicht mehr so köstlich amüsiert und so viel gelacht hätte sie auch schon lange nicht mehr. Sie müsse aufpassen, sonst kriegt sie noch einen Wangenkrampf beim Beißen. Wir mussten wieder lachen. Sie würde gerne mit mir noch ein wenig weiter feiern, wenn ich das auch möchte. Natürlich wollte ich. Das Arschloch Mann in mir konnte sowieso nur noch an das Eine denken. Aber auch ich war fix und foxi.
„Glaubst du, wir kriegen hier von irgendwo so ein Etscherl her? Ich hätte Lust, so etwas einmal auszuprobieren. Ich möchte nicht so dumm sterben?“ Wir lachten. „Keine Ahnung. Wie stellt man so was an? Ich kenne Keinen, der damit handelt.“
„Du hast doch den Araber vorhin gesehen, wie er immer wieder Geld eingesteckt und den Leuten irgendetwas aus seiner Marlboro-Schachtel heraus gegeben hat. Das waren sicher so Pillen. Vielleicht sollten wir den suchen gehen und ihn einfach fragen?“
Ich war auf einmal auch neugierig und sagte Ja. Und siehe da, ich konnte es erst gar nicht glauben, sie stand doch tatsächlich auf, nahm mich an der Hand und wir gingen diesen Araber mit seinem dem Zeitgeist von Heute entsprechenden Sprengstoffgürtel suchen und fanden ihn auch bald. Er hatte noch immer sein totes Vogerl umgebunden und war noch immer am Verkaufen. Dem sein Einkommen von heute Nacht möchte ich haben. Bist du deppert?
Sie ließ mich stehen und ging eiskalt zu diesem Terroristen hin, redete kurz auf ihn ein und kaufte die Tabletten. Vier Stück zu Euro zehn, angeblich ein zurzeit angemessener Preis. Ich gab ihr die Hälfte.
„Der Junge hat gemeint, diese E wären dieses Mal nicht so stark. Wir sollten daher gleich beide auf einmal nehmen. Dann würden sie schneller anfangen zu wirken. Sie würden echt gut „fahren“. Man wäre dann mindestens sechs Stunden lang auf „Kuschel-Bär“.“ Dabei bewegte sie ihre Hände, wie sie im Kino einen Schwulen spielen. Wir zerkugelten uns schon wieder vor Lachen. Ich meinte: „Also auf nach „Kuschel-Bär“. Haha, da muss ich doch tatsächlich alte achtundvierzig werden, damit ich endlich diese Unschuld in mir verlier.“ Hahahahaha. Mir tat Alles weh. Wangen- und Bauchmuskeln schmerzten und auch der Rest von meinem untrainierten Fleisch.
Na ja, und so haben wir es dann auch gemacht. Wir haben uns noch ein Bier gekauft und damit die Ecstasy-Tabletten hinunter gespült. Dann haben wir uns hinter einen Vorhang an der Wand versteckt und wie in unseren besten Teenie-Jahren herum geknutscht.
Und dann sind wir auf einem unbeheizten Klo wach geworden. Wir hatten noch immer keine Ahnung, wie wir dort hingekommen sind. Aber unsere Köpfe brummten ganz leicht, wir waren noch immer benommen, aber ausgeschlafen.
Da riss es mich innerlich! Ich fasste nach der nassen Hose. Gott sei Dank! Das Geldbörsel war noch da. Ich sah nach. Auch das Geld war noch drin, es fehlte nichts. Auch ihre Hände zuckten nach der Handtasche, die hinter mir auf dem Fensterbrett lag. Sie stand auf und langte über mir nach ihrer Tasche. Wau, wau, wau! Was beduftete dabei aus einer Entfernung von kaum zehn Zentimetern meine Nase? Ich konnte es nicht lassen und musste mit beiden Händen nach ihrem nackten Hintern fassen. Und dann verschmolz ich mein Gesicht ganz tief in ihr. Sie ließ glatt die Handtasche wieder fallen, wackelte hin und her und stöhnte dabei so sehr, dass ich für einen kurzen Moment dachte, sie könnte wirklich diese Vogelgrippe haben. Aber Gott sei Dank hatte sie ein anderes Leiden. Und dann haben wir endlich das zu Ende gebracht, weshalb wir wahrscheinlich aufs Klo gegangen sind. Und dann waren wir wieder fix und fertig.
Wir sind dann wieder ins Kellerstüberl auf ein Bier gegangen. Es waren kaum noch Leute hier, oben der Ballsaal war sowieso schon leer. Es war fast fünf Uhr früh, die Band hatte angeblich um vier Uhr aufgehört zu spielen. Wir saßen an der Bar, zogen gierig an unseren Zigaretten, nippten durschtig, wie wir noch immer waren, am Bier. Und dann musste ich auf einmal grinsen:
„Also, wenn das Ecstasy waren, dann bin ich doch tatsächlich Dick „The Hunter“ Cheney, dieser gemeingefährliche Danebenschießer, der. Ich wette mit dir um ein Abendessen mit dir, aber der Bandit von einem Araber hat sofort geschnallt, dass wir zwei alten Zugvögel keine Ahnung vom modernen Tuten und Blasen haben und so hat uns der Gauner vier gute Schlaftabletten angedreht. Was hat er doch zu dir gesagt? Die Tabletten wären dieses Mal nicht gar so stark, wir sollten deshalb gleich zwei auf einmal nehmen, dann würden sie gleich anfangen zu „Fahren“?! Hahahaha, dass ich nicht lache.“
Na ja, gefahren sind sie dann eh gleich. Auf die Toilette haben wir es wohl noch rechtzeitig geschafft, aber weder sie noch ich haben bis heute auch nur die geringste Ahnung, wie wir dort hingelangt sind. Diese Zeit war einfach ausgelöscht. Und bevor dann irgendetwas Richtiges passiert ist, sind wir wohl während dem Ausziehen eingeschlafen. Ein Bekannter von mir hat am nächsten Tag zu dieser unserer Geschichte gemeint, das wären auch keine Schlaf-, sondern K.O.-Tabletten gewesen, die diese fiesen Typen normalerweise den Mädchen in ihre Trinks mischen würden, wenn diese Mädchen unvorsichtig sind, ihre Gläser halbvoll und unbeaufsichtigt stehen lassen, während sie Tanzen oder aufs Klo gehen.
Na ja, egal, ist ja noch einmal gut ausgegangen. Und ich mag sie, mein erlegtes Zugvogerl. Sie ist frisch geschieden, die zwei Kinder sind schon aus dem Haus. Und was am Wichtigsten für eine gute Beziehung ist: Sie hat Humor, man muss nicht jedes Wort zwei Mal umdrehen, bevor man es ausspricht. Sie versteht auch so. Eine Rarität in unserer großen Zeit der individuellen Empfindlichkeit. Und so hat mein Piratenball, der gar keiner war, doch noch ein gutes, ja sogar verdammt gutes Ende gefunden. Wir sind dann zu mir nach Hause frühstücken gefahren und ich schwöre es bei der Ehre von Dick „The Hunter“ Cheney: Ich habe dann meine Donnerbüchse noch einmal leer und dabei auch kein einziges Mal daneben geschossen. Ich bin schließlich der Jäger der Apokalypse.
© Copyright by Lothar Krist (Smaragd am 26.2.2006 von 01.45 – 05.30 Uhr)