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Ein ordentlicher Plan

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31.03.2003
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Ein ordentlicher Plan

Morgen muss ich vor Gericht.
Als hätte ich das wirklich so gewollt! Mein Anwalt meint, er werde auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren, altersmäßig sei das bei mir glaubhaft. Aber ich will nicht in die Klapse. Stellen Sie sich das mal vor, all die bekloppten Therapeuten, die dann in meiner Kindheit herumschnüffeln, und mich so lange aufs Sofa legen, bis ich nicht mehr weiß, wie ich heiße.
Von einer Ehe haben die sowieso keine Ahnung. Viel zu jung, diese Schnösel. Fünfzig Jahre Betten machen, Zahnpastaspritzer vom Spiegel wischen, putzen, kochen, spülen, bügeln, einkaufen, Schuhe polieren, und wehe es ist einmal etwas anders, als es immer war. Immer die gleiche Sorte Käse auf dem Tisch, immer selbstgekochtes Apfelkompott und immer musste die weiße Seife auf dem Waschtisch neben der Nagelbürste liegen. Nur mal so als Beispiel: einmal hab ich blaue Seife aus dem Sonderangebot vom Konsum mitgebracht. Was glauben Sie, was da los war. Ob wir jetzt schwul seien, paulte mich Rolf- Günther an. Und mit dem Klopapier war es das gleiche. Aber lassen wir das jetzt.
Möchten Sie Milch zum Kaffee?
Rolf- Günter hatte das von seiner Mutter. Immer alles in Ordnung und immer alles der Reihe nach.
Gut, ich hatte mich daran gehalten, fünfzig Jahre, wie gesagt. Hatte ja auch den ein und anderen Freiraum. Aber als Rolf- Günter dann nicht mehr zu seinen Skatabenden ging, weil die Beine nicht mehr wollten, wurde er immer mürrischer. Wie nennt man das, Altersstarre? Meine Strickstündchen mit Schachtmeiers Lotte konnte ich jedenfalls jetzt vergessen. Haare musste ich mir nun auch selber eindrehen. Rolf- Günter ertrug es nicht allein zu sein. Seine Orchideenzucht hatte er abgeschafft und saß den ganzen Tag wie ein Möbelstück in der Wohnung herum. Und ich immer neben ihm, sobald ich alle seine Anordnungen erledigt hatte.
Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Ihre Krawatte sitzt schief. Bisschen noch nach links...so, ja. Wo waren wir? Ja, die Ordnung.
Glauben Sie mir, das war alles nicht so einfach. Wehe, ein Kissen war verrutscht, wehe eine Teppichfranse lag nicht in der Reihe.
Aber genau da hab ich dann angesetzt. Mein Anwalt meinte, das sei zwar eine...wie sagte er noch mal? Ja, eine subtile Art gewesen, Rolf-Günter fertig zu machen, aber strafbar sei das nicht.
Sie müssen wissen, wir haben Parkettfußboden im Wohnzimmer. Unsere Möbel stehen genau in Flucht mit den Linien auf dem Fußboden. Rolf-Günter ist immer ganz hektisch geworden, wenn sie mal verrutschten. Und die Blumenvase musste immer in der Mitte von einem Karo im Muster auf der Tischdecke stehen.
Von Tag zu Tag wurde das schlimmer mit Rolf-Günters Pingelichkeit und ich hatte langsam die Nase voll von der Herumkommandiererei, kannste mal hier richten , kannste mal da wegräumen.
Zuerst hab ich nur zwei kleine Zipfel von der Spitzendecke auf dem Sofatisch herumgeklappt, bevor ich das Zimmer verließ. Als ich wiederkam, war alles wieder gerichtet. Rolf-Günter musste sich nicht einmal vom Sessel erheben um das zu tun. Aber es hatte ihn trotzdem geärgert.
Am nächsten Morgen zog ich die Vorhänge auf und setze Rolf Günter erst einmal vors Fernsehen. Die Brötchen waren noch nicht da, aber ich konnte schon mal Kaffeewasser aufsetzen.
Na, dachte ich, hat er immer noch nichts gemerkt? Normalerweise .....
„Gelinde!“ brüllte er jetzt
Hat aber gedauert.
Ich stellte mich taub und klapperte mit dem Frühstücksbesteck.
„Gerlinde, die Vorhänge!“
Ja, die waren nicht ordentlich aufgezogen worden. Der rechte Vorhang nämlich nur bis zur Hälfte.
Sollte Rolf- Günter doch zusehen, wie er damit klar kam. Ich hatte zu tun.
Sagen Sie mal, macht es Ihnen was aus, wenn ich Sie mal anfasse? Sie haben da ein Haar auf der Schulter.
So, muss ja nicht sein.
Also, als ich ins Wohnzimmer kam, stand Rolf- Günter vor dem Fenster und zog an der Gardine. Er hatte sich tatsächlich aus seinem Sessel bewegt. Er hatte es nicht ertragen können. Meine Strategie funktionierte. Als er wieder im Sessel saß, deckte ich den Frühstückstisch und dachte nach. Sollte ich es heute schon mal versuchen? Der Test war ja geglückt, also warum noch lange warten?
Ich traf meine Vorbereitungen im Esszimmer und holte dann Rolf-Günter an den Frühstückstisch. Danach ging ich einkaufen, zugegeben, ein bisschen länger als gewöhnlich.
Als ich nach Hause kam, lag er dann da. Ja, so hatte ich das nun auch nicht gewollt. Ich hatte eher an einen sauberen Oberschenkelhalsbruch gedacht. Das überlebt doch kaum jemand in dem Alter. Ein paar Wochen Bettlägerigkeit und der Fall hätte sich von selbst gelöst. Kein Mensch hätte mir einen Vorwurf machen können. Und natürlich hätte ich Rolf- Günter auch gepflegt.
Die Polizei hat dann alles rekonstruiert. Aber die konnten nicht wissen, dass Rolf- Günter nur aufgestanden war, weil ich den Läufer unterm Fenster verrutscht hatte. Das haben die gar nicht bemerkt. Rolf-Günter war also aufgestanden, um den Läufer zu richten, dabei muss sein Blick auf die hintere Zimmerwand gefallen sein. So hatte ich das auch geplant. Das Bild neben dem Wohnzimmerschrank mit der Kapelle und den Alpen im Hintergrund hatte ich ein wenig verschoben. Rolf –Günter hatte sich wohl an dem Wandregal festhalten wollen, um das Bild wieder gerade zu rücken. Es war von Ikea. Ich meine das Wandregal. Stabil sind die Dinger ja nun gerade nicht, aber Rolf- Günter meinte damals, für die Skatpokale und die paar Sammeltassen würde das schon reichen. Ich hab ja dann noch am Morgen vor dem Einkauf die Bernsteinskulptur vom Nordseeurlaub neben die Pokale gestellt, so ziemlich am Rand, aber dass die dann genau den Hinterkopf an der richtigen Stelle getroffen hatte, als Rolf Günter das Regal herunterriss...
Ich hab erst mal aufgeräumt, bevor ich die Polizei anrief. Bei Toten muss man das. Es war eine schreckliche Unordnung um Rolf-Günter herum und überall die Scherben von den Sammeltassen. Was sollten die Polizisten denn von mir denken. Als sie dann kamen, stand das Regal wieder ordentlich an der Wand, Scherben waren im Müll und die Pokale wieder im mittleren Fach schön in der Reihe. Nur die Bernsteinskulptur......
Ja, das war das Fatale, die hielt ich gerade in der Hand. Und nun steh ich im Verdacht.
Möchten Sie noch Kaffee? Nicht?
Also hören Sie mal, Ihre Krawatte ist schon wieder verrutscht, das ist ja nicht mitanzusehen

 

Hi,
also die Geschichte ist nicht zu kurz. Die ist nähmlich richtig gut. :)
Die Sprache und die Pointe gefallen mir.
Tja falls irgendwelche Rechtschreibfehler drin sein sollten fallen sie mir nicht auf.

Ob wir jetzt schwul seien, paulte mich Rolf- Günther an.
Das Wort ist mir neu.

Ich wünsch dir noch viele Leser und...

Wuff

 

Hallo Gaspode,
ja, das Wort ist nicht üblich, aber hier in der Region wird es verstanden. Ich hab es meiner "Mörderin" als Privatsprache in den Mund gelegt. Ich weiß, damit sollte man vorsichtig sein.
Hab mich über deine Antwort gefreut.
Danke
Liebe Grüße
Malaika

 

Hallo malaika,

im Allgemeinen liegen mir Geschichten in Form einer direkten Ansprache an den Leser nicht so besonders. Das liegt bei mir vor allem an diesen immer wiederkehrenden Passagen wie „aber Ihre Krawatte sitzt schief“ oder „Sie haben da ein Haar an der Schulter“ usw.
Mich lenkt das oftmals von der eigentlichen Geschichte ab, vor allem, wenn es in kurzen Abständen und recht häufig aufeinanderfolgt. Wenn solche Passagen zu Beginn und Ende einer Geschichte stehen, stört es mich weniger.
Aber das ist sicherlich eine Geschmacksfrage.

Du hast die Geschichte flüssig erzählt und sprachlich der Situation (quasi direkte Rede mit umgangssprachlichen Elementen) angepasst.

Der Schluss erschien mir ein bisschen unrealistisch. Wenn die Protagonistin einen solchen Plan ausheckt und anschließend die Spuren beseitigt, wie kann es ihr dann passieren, dass sie ausgerechnet in dem Augenblick, in dem sie die Polizisten in die Wohnung lässt, diese Skulptur in der Hand hält? Ist das nicht ein bisschen viel Schusseligkeit? :D

„Nur mal so als Beispiel: einmal hab ich blaue Seife aus dem Sonderangebot vom Konsum mitgebracht.“
>>> „Einmal“ gehört groß, da nach dem Doppelpunkt ein vollständiger Satz steht.

„Ob wir jetzt schwul seien, paulte mich Rolf- Günter an.“
>>> gibt’s anpaulen? :D Es sollte wohl „anmaulen“ heißen, oder?
„Rolf-Günter“ ohne Leerzeichen nach dem Bindestrich

„ „Gelinde!“ brüllte er jetzt.“
>>> „Gerlinde!“, brüllte er jetzt.

Viele Grüße
Christian

 

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