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Ein neuer Freund
„Ich habe dir ein Brot für unterwegs gemacht, mein Schatz! Du hast doch heute wieder einen schweren Tag“, sagte Katharina und schmiegte sich an ihren Mann.
„Danke dir! Ich komme sobald wie möglich zurück.“
„Ja, bitte, Papa! Spielst du dann wieder mit mir Verstecken?“ Jürgen hob Mia hoch und küsste sie. „Musst du nicht langsam in den Kindergarten? Komm, ich bringe dich schnell noch hin.“ Das Mädchen jauchzte und Katharina gab beiden an der Tür einen Abschiedskuss. „Ich liebe dich, Jürgen!“
Nachdem Jürgen Linnemann Mia am Kindergarten abgegeben hatte, ging er zur Arbeit.
„Was willst du hier, Linnemann? Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?“
„Das ist meine Schicht, Chef. Was macht der Mann da hinter der Theke?“
„Du bist gefeuert, Linnemann. Verstehst du das nicht? Ich kann niemanden in meiner Tankstelle gebrauchen, der gegenüber Kunden handgreiflich wird.“
„Kommt nicht wieder vor. Wirklich nicht, Chef.“
„Das höre ich nicht zum ersten Mal von dir. Du hast dich einfach nicht unter Kontrolle. Jetzt reicht es mir, du Psycho. Verschwinde endlich, sonst werde ich mal handgreiflich!“
Linnemann blickte zu seinem Chef, dann zur Theke. Er schüttelte den Kopf. Schaute hinter sich, öffnete und schloss seine Hände. „Aber das ist doch meine Schicht“, sagte er.
Dann verließ er die Tankstelle.
„Ich habe dir ein Brot für unterwegs gemacht, mein Schatz!“, flüsterte er. „Du hast doch heute wieder einen schweren Tag.“ Linnemann nickte. „Danke dir, ich komme sobald wie möglich zurück.“ „Ich liebe dich, Jürgen“, sagte er mit heller Stimme und lächelte.
Als er zu Hause ankam, waren Katharina und Mia schon im Fahrstuhl.
„Mama, ich will nicht zu dem Geburtstag gehen. Ich kenne die da gar nicht alle. Und wenn die mich ärgern?“ „Ach, Mia, Lenas Eltern sind doch auch da. Die helfen dir dann.“
Jürgen Linnemann beugte sich hinab zu Mia: „Weißt du, Mia, ich wurde früher auf dem Schulhof auch geärgert. Man muss nur wissen, wie man sich wehren kann! Soll ich dir mal erzählen, was ich mit den drei Jungs gemacht habe, die mich morgens immer wieder vor der Schule abgefangen haben? Die haben mir nie wieder aufgelauert.“ Er gluckste.
„Lassen Sie meine Tochter mit ihren Geschichten in Ruhe! Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass Sie uns nicht ansprechen sollen!“ Katharina stellte sich vor Mia.
Jürgen drückte sich in die Ecke und lehnte die Stirn gegen die Fahrstuhlwand. Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Schläfe.
„Ist der Mann behindert, Mama?“, fragte Mia.
Der Aufzug bimmelte und Katharina drückte die Tür auf, zog Mia hinter sich her. Bevor die Tür zufiel, stellte Jürgen den Fuß in die Spalte, schob seinen Kopf heraus und blickte nach links, den beiden hinterher.
Mia hüpfte von einem Bein auf das andere: „Mein Finger geht im Kreise, auf eine kurze Reise. Und bleibt mein Finger stehn, darfst du gehn.“
Als Katharina hinter beiden die Wohnungstür geschlossen hatte, verließ Linnemann den Fahrstuhl ebenfalls.
Schräg gegenüber von Katharinas Tür blieb er stehen und schloss seine Wohnungstür auf. Er sah durch den Spion. Katharinas Tür war geschlossen.
Linnemann lehnte sich an die Tür, schlug die Stirn wieder und wieder gegen sie. „Ist der Mann behindert? Ist der Mann behindert? Ist der Mann behindert, Mama?“
„Papa, Papa, endlich bist du wieder da! Wir haben dich so vermisst!“
Jürgen drehte sich um. Mia stürmte auf ihn zu, sprang in seinen Arm. Er schleuderte sie herum, küsste sie auf die Stirn.
„Jürgen, endlich, ich habe schon auf dich gewartet!“ Katharina stand auf der Schwelle zur Schlafzimmertür. Sie trug ein seidenes Nachthemd. „Es tut mir leid, dass ich so ungezogen war. Kannst du mir verzeihen?“
„Du musst dich gedulden, Katharina. Ich bringe erst meine Tochter ins Bett. Dann werde ich mir eine gerechte Strafe für dich ausdenken.“
Während Jürgen Mia ins Bett trug, streckte diese ihrer Mutter die Zunge heraus.
Linnemann hörte ein leises Klopfen auf dem Flur. Er stürzte zum Spion. Ein Mann stand gegenüber an der Wohnungstür. Als die Tür sich öffnete, blickte Katharina heraus, legt den Zeigefinger vor den Mund und flüsterte etwas. Dann fiel sie dem Mann in die Arme. Sie küssten sich lange und verschwanden schließlich in der Wohnung.
Linnemann starrte auf die Tür. Dann schlug er mit der Faust vor seinen Kopf. Gegen die Tür. Setzte sich schließlich mit dem Rücken zur Tür und starrte auf seinen Finger: „Mein Finger geht im Kreise, auf eine kurze Reise. Und bleibt mein Finger stehn, darfst du gehn.“ Er lächelte.
Nach einigen Stunden hörte er auf dem Flur ein Geräusch. Linnemann stand auf und sah durch den Spion. Der Mann ging an Linnemanns Tür vorbei. Er trug jetzt einen kleinen, schwarzen Koffer.
Leise schlüpfte Linnemann hinaus und folgte dem Mann.
Am nächsten Tag trat Linnemann mittags erneut auf den Flur. Er ging zu Katharinas Wohnungstür und schloss sie auf. „Mein Finger geht im Kreise, auf eine kurze Reise“, flüsterte er.
Leise hörte er Katharina singen. Er ging den Flur hinunter auf das Schlafzimmer zu. Vor der Tür blieb er stehen. Durch den Spalt konnte er sehen, wie sie ihre schwarz-weiße Kleidung aus dem Café auszog. Dann zog sie einen Bademantel an. Sie ging auf die Tür zu.
Als sie ihn sah, schrie sie entsetzt:
„Was machen Sie hier? Wie sind Sie hier hereingekommen?“
Linnemann zeigte ihr den Schlüssel: „Weißt du noch, wie du im letzten Sommer deinen Schlüssel verloren hast? Du hattest ihn außen hängen lassen. Aber keine Sorge, ich habe ihn an mich genommen.“
„Was haben Sie? Seit dem letzten Sommer?“
„Ja, ich habe euch schon oft besucht. Meist habt ihr da geschlafen. Manchmal ward ihr auch gar nicht da. Einmal habe ich sogar den Herd für dich ausgemacht. Du hattest ihn vergessen.“
Katharina wich zurück, schlug die Hand vor den Mund. „Bitte gehen Sie. Meine Tochter ist nebenan. Sie wird sich furchtbar erschrecken.“
„Ach, Katharina, wir holen Mia doch immer erst um vier aus dem Kindergarten ab.“
„Hilfe! Hilfe!“ Katharina schrie jetzt laut.
„Hör auf, hör doch auf!“, rief Linnemann. „Du wirst uns alles verderben!“ Er blickte zur Tür, dann wieder zu Katharina.
Sie schrie weiter.
Linnemann griff zu. Er riss sie an den Haaren nach vorn, schlug ihren Kopf vor den Türpfosten. Abrupt verstummte Katharina. Sie glitt auf den Boden und stöhnte.
„Siehst, du, jetzt hörst du auf mit dem Geschrei.“ Linnemann kicherte. Dann wischte er ihr mit dem Zeigefinger einen blutigen Tropfen von der Stirn. „Komm, ich muss dir unbedingt etwas zeigen. Komm doch. Du wirst begeistert sein!“
Er griff wieder nach ihren Haaren und zog sie durch die Wohnung. Katharina taumelte weinend hinter ihm her.
Im Hausflur schaute er sich kurz um, schloss dann seine Wohnungstür auf und zog sie herein.
Katharina erstarrte: „Sie haben ja die gleiche Tapete wie ich.“
„Nicht nur das. Ihr werdet euch hier wohlfühlen.“ Er nahm sie mit in ein Zimmer: „Mia hat hier die gleiche Tapete und auch die gleichen Bilder wie nebenan. Ihr wird gar nicht auffallen, dass sie umgezogen ist! Es kommt aber noch besser.“ Wieder zog er Katharina an den Haaren hinter sich her: „Ich habe auch das gleiche Bett wie du, siehst du?“
Katharina schrie auf vor Schmerz: „Hören Sie bitte auf! Was wollen Sie denn von uns?“
„Wir sind doch eine Familie, Katharina. Ich werde für euch sorgen. Und niemand wird mehr Mia ärgern.“
„Niemals! Meine Tochter wird niemals zu Ihnen kommen! Lassen Sie mich gehen!“ Sie brüllte jetzt.
Linnemann schüttelte den Kopf. Er blickte Katharina jetzt starr an:
„Meinst du, ich wüsste nicht, dass du mich hintergehst? Ich habe dich gestern Abend mit dem Mann gesehen.“
„Ja, das ist mein neuer Freund. Und er ist auch schon unterwegs zu mir. Er wollte kommen, solange Mia noch im Kindergarten ist. Wenn er hört, was Sie mir angetan haben, wird er sie verprügeln. Und dann holen wir die Polizei. Die wird Sie für immer wegsperren.“
„Dein neuer Freund, ja?“ Linnemann kicherte wieder. „Der kommt heute nicht mehr. Ich habe ihn gestern noch getroffen.“ Er stieß sie aufs Bett, zog einen kleinen, schwarzen Koffer darunter hervor. Katharina blickte wie gelähmt auf den Koffer. „Du erkennst ihn, stimmt‘s? Du wolltest mit Mia wegziehen, was? In eine andere Stadt? Mich verlassen? Du hast ja schon alles unterschrieben! Bestimmt wohnt er auch dort." Linnemann lachte jetzt fröhlich: „Aber das ist ja nun vorbei. Du konntest ja nicht wissen, wie schön wir es uns jetzt hier machen werden!“ Er streichelte zärtlich ihre Stirn. Dann fragte er voller Begeisterung: „Soll ich dir erzählen, was ich mit dem Mann gemacht habe?“
Katharina schlug seine Hand weg und versuchte zur Tür zu laufen, aber er hielt sie fest. Sie schrie erneut.
„Sei still! Sei endlich still!“ Er hielt ihr den Mund zu, schlug ihr in den Bauch. Katharina krümmte sich. „Du sollst doch nicht immer so schreien!“, brüllte er. „Du wolltest, dass ich dich bestrafe? Du warst aber sehr ungezogen.“ Er drückte sie aufs Bett, setzte sich auf sie.
Sie bäumte sich auf, aber Linnemann legte seine Hände um ihren Hals. Er fing an, leise zu singen: „Mein Finger geht im Kreise, auf eine kurze Reise.“ Er drückte zu. „Und bleibt mein Finger stehn, darfst du gehn.“
Als Katharina sich nicht mehr regte, strich er eine Strähne aus ihrem Gesicht und küsste sie auf den Mund. „Ich liebe dich auch, Katharina. Und unsere Tochter.“