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Ein Muster hätte ich malen sollen
Zartes silbriges Licht durchbracht die Nacht und durchstieß das winzige Fenster zu einem ruhigen kleinen Raum, der gänzlich schmucklos war, da er weder Tapete an den Wänden, noch Belag auf dem Fußboden besaß. Auch fehlte es gänzlich an Mobeliar, denn einzig ein kleiner rustikaler Stuhl von liebloser Fertigung stand in der Mitte, zwei Meter von jeder Wand entfernt, wie die Sonne im Zentrum der Planeten, die sie folgsam endlos umkreisen. Also eben nur ohne Planeten, statt dessen mit schwarzen Wänden oder so - niemand wußte es genau, selbst ich nicht. Ein Stuhlbein war angesägt und man konnte sich nur vorsichtig setzen. Vorsichtig setzen und dem Ticken der Uhr lauschen, die an der schwarzen Wand hing. Tick Es gab weder Fenster, die einen nach draußen blicken ließen, noch eine Tür, so daß ich nicht wußte wie ich hineinkam, was aber ohnehin nicht wichtig war. Nur der Mond leuchtete hinein, ganz still und heimlich. Ich mochte den Raum, kannte ihn gut - war schon viele Jahre hier. So besah ich meine Fingernägel, meine ganze Hand und schließlich meine Schuhe. Sah mir selbst zu wie ich sanft die Zehnspitzen hob und wieder etwas senkte. Wenn man genügend Geduld hatte, entstand ein wunderbarer Rythmus, beinahe so etwas Tänzerisches, fiel es mir vor einer Weile auf. Seit einer Woche vertrieb ich mir meine Zeit mit Atmen und dergleichen. Hat Spaß gemacht. Das Gute an einem schwarzen Raum ist ja, daß die Zeit wie im Fluge vergeht, sofern man die Uhr nicht versteht; und ich hatte noch Hoffnung, schon bald wäre ich sinil und vergeßlich. Wie schon so oft in den Jahren, die ich hier verbrachte, stand ich vor meiner Uhr, verlagerte in geistiger Seeligkeit das Gewicht meines ganzen Körpers, der mittlerweile zwar abgemagert und etwas müde, aber dennoch voll funktionstüchtig war, erst auf die Zehenspitzen, dann auf die Fersen, wippte somit federleicht beschwingt vor mich hin und überlegte, ob vielleicht alles schneller gehen würde, wenn sich die Zeiger meiner Uhr entgegengesetzt des Uhrzeigersinnes bewegen würden, also von der Zwölf bis zur Eins, statt von der Eins bis zur Zwölf - obwohl...
Auf dem Stuhl befand sich ein kleines Leuchten und ein Schatten, der sich unruhig bewegte und ab und zu durch den Mondschein sichtbar gemacht wurde. Ich war plötzlich nicht mehr allein. "Ich bin ein junger Engel!" sprach der Gast und so entgegnete ich freundlich: "Einen guten Tag, Herr Engel! Ich leider nicht. Ich bin alt und grau, dafür ein Mensch!" Beide lächelten wir kurz und er stand auf, um mir seinen Platz anzubieten - meinen Stuhl - doch ich lehnte dankend ab und verdeutlichte meine Art nein zu sagen durch kurzes unkompliziertes Abwinken mit meinen Fingern, die schon ganz knochig waren und von vielen Jahren Arbeit zeugten, die ich leistete, bevor man mir meinen eigenen schwarzen Raum gab. "Schöner Raum!" sagte der Engel. "Nicht wahr..." entgegnete ich und beobachtete wie er sich etwas umsah. "Zwar nicht sonderlich geräumig, aber...", sprach ich weiter. "Aber gemütlich!" setzte er meinen Satz fort und lächelte erneut, bevor er sich wieder setzte und lässig ein Bein über das andere schlug. Wir wußten nicht genau was wir sagen sollten und so schwiegen wir einige Stunden. Wir sahen auf die Uhr an der schwarzen Wand. Tick Ich mochte diese Uhr schon längere Zeit besonders gern und lauschte wieder etwas konzentrierter, bis ich gedanklich etwas ins Straucheln kam, so wie ein kleines Kind, daß sich im großen Warenhaus immer an der Jacke seiner Mutter orientierte, dieser stundenlang folgte und entsetzt festellen mußte, daß es zwar das mütterliche Kleidungsstück, aber nicht die dazugehörige Mutter war - zumindest nicht die eigene. Ich wußte nicht was der kleine Kerl hier tat - in meinem schwarzen Raum. Durch Zufall trafen sich unsere Blicke, als wir unabhängig von einander, jeder in seine Richtung mit den Augen die Wände entlangwanderten, so daß wir wieder lächeln mußten. Vor Verlegenheit beugte er sich leicht vorne über, führte die Hand, die er sorgfältig und akribisch genau zur Faust formte, etwas verstohlen dem Boden entgegen, sah mich an und klopfte dreimal kurz auf. "Gutes Holz, was?" meinte er und ich nickte. Langsam wurde ich doch ein klein wenig mißtrauisch und schaute vorwurfsvoll skeptisch, woraufhin er sich etwas verunsichert abwendete. Er blickte unauffällig an die Decke, als wollte er sie inspizieren, ja nach Fehlern untersuchen und stand auf, nachdem er sich kurz mit den Händen auf der Stuhlfläche abstützte, so seinen Körper anhob und seine Beine baumeln ließ. "Das war doch jetzt wohl eine eindeutige Provokation!" dachte ich und wartete ab. Ansich hätte mein entschlossener Blick der Kälte und Boshaftigkeit jede Kreatur, die sich auf diesem Erdball für aktiv lebendig, emotional auf der Höhe und nicht völlig seelenlos hielt, vor Angst und Ehrfurcht ´gen Himmel schicken müssen, sobald es die Gestirne erlaubten, doch der Engel schaute sich unbeeindruckt abermals kurz um und ging zielstrebig zu meiner schönen Uhr an der schwarzen Wand. Tick So hob er einen Arm und drehte etwas an den Zeigern, obgleich er aufgrund seiner geringen Körpergröße kaum heranreichte, während er mir freundliches Augenklimpern entgegenwarf. Ich folgte meinem animalischen Drang zu schmatzen, um meiner Orientierungslosigkeit und geistigen Apathie Ausdruck zu verleihen - anderes fiel mir nicht ein. Bin ja ein Mensch, nichts weiter. Was tat der Kerl da? Wollte er meine Uhr? Oder gar meinen schwarzen Raum? Hatte er denn keinen eigenen? Hätte ich ein kleines Radio gehabt, wäre ich zu ihm herübergegangen, um an den Knöpfen und Schaltern herumzuregeln - nach Herzenslust, um der Ödnis meiner Selbst zu entkommen. Aber ich hatte ja keins. "´tschuldigung!" meinte er noch im selben Moment und ich ging leichtfertig darüber hinweg, weil mir nicht auffiel was er eigentlich meinte. "Jaja..." ließ ich folgen, bis ich bemerkte, daß er versehentlich einen Zeiger abgebrochen hatte. "Was machst du hier?" fragte er dann, um die Zeit zu überbrücken, in der sich normalerweise die Wut über sein Vergehen hätte anstauen sollen. "Ich?" "Ja!" "Nunja...meistens sitze ich auf diesem Stuhl und schaue auf die Uhr mit den schönen...dem schönen Zeiger!" "Und ansonsten?" bohrte er weiter, was mich in meiner Sorglosigkeit aber nicht wirklich störte. Und so begann ich zu erzählen. "Ansonsten? Och, naja...was man in einem schwarzen Raum so macht. Ich warte auf den Tod, deshalb bin ich...bin ich..." Ich brach ab, als ich sah wie er sich uninteressiert abwendete und mir gar nicht zuhörte, stattdessen aber etwas ungeschickt mit dem Stuhl zur Uhr zottelte und hinaufstieg. Tick "Sprich ruhig weiter!" warf er mir mit dem Ton der Selbstverständlichkeit entgegen und nahm die Uhr ab. Tick "Also ich bin schon seit vielen Jahren hier und warte, weißt du? Es hieß anfangs irgendwann käme dann schon der Tod, ich würde ihn rechtzeitig erkennen...noch einige Dinge mit ihm klären und so..." "Wo kann ich die abstellen?" unterbrach er mich, folgte meinem Fingerzeig und trug den Kasten samt Werk und Ziffernblatt schnaufend davon. Ungeachtet erläuterte ich weiter: "Ich bin nicht zum ersten Mal hier...weiß nicht genau wie oft...lief immer irgendwie was schief...klappt nicht so recht...also die Sache mit dem Sterben...es beginnt ständig alles von vorn, weißt du...?" "Oh das tut mir leid." "Macht nichts."
Kurz darauf stieg er erneut auf den Stuhl, überprüfte aber zuvor die Stabilität des angesägten Beines, indem er sachte dagegen trat und zog unter seinem Gewand einen Strick hervor. "Könntest du das halten?" fragte er freundlich. "Sicher!" entgegnete ich und nahm die sorgfältig gebundene Schlinge entgegen. Als er dann wieder auf dem Stuhl stand, forderte er sie mit einem strahlenden Gesicht wieder ein und band sie an jenem Haken fest, wo sich zuvor die Uhr befand. "Würdest du kurz zu mir auf den Stuhl kommen, Freund?" sah er mich mit seinen großen Augen an und streckte mir höflich sein kleines Händchen entgegen. "Sicher, Freund!" und schon war ich oben auf. Probierte etwas mit der Schlinge rum - kratzte am Hals. "Birkenbast." meinte er und ich versuchte zu nicken. Ich bemerkte, daß ich noch nie auf diesem Stuhl stand. Seltsame Sicht von hier oben. Alles so schwarz...und rucklig und verwackelt. Beinahe so als würde der Boden unter meinen Füßen beben, fand ich. Der Flügelmann begann fürchterlich zu fluchen, unterbrach meine Träumereien und ich stieg hinab. An der Wand schien nun etwas geschrieben zu stehen. Rote Tinte einsam auf schwarzer, leerer Wand, geschmackvoll, fast trostlos.
Nun liegst du bleich,
zur Wanderschaft verflucht,
dem Rauche gleich,
der stets nach schwarzem Himmel sucht.
Versteck, Du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Siehst du dort die roten
Tropfen, wie sie vom Himmel fallen?
Auch der schwarze Morgentau verbrennt dir das Gesicht!
Rote Wolke, schwarze Wolke - Tränenlicht!
Ich verstand es nicht, woher auch. So hoffte ich, der Engel würde mir was raten. Doch der stand momentan auf nur einem Bein und hüpfte aufgeregt über diese großartigen paar Quadratmeter Fußboden, während er sich den angeschwollenen, blutigen Fuß hielt. Mir kam der Gedanke, daß ein interessanter Unterschied zwischen schlecht sehen und schlecht hören besteht. Siehst du immer schlechter, siehst du irgendwann gar nichts mehr und hörst du schwer, kommen irgendwann Worte hinzu, die gar nicht da sind.
Leider hatte der Engel gerade nichts gesagt - hoffte ich würde langsam schwerhörig werden, klapprig und so. Der wollte meinen schwarzen Raum. Das ging zuweit. Jemand müßte etwas tun. Jemand müßte etwas dagegen unternehmen. Jemand anderes. Leider kam mir niemand zu Hilfe. Wie auch - niemand kam hier hinein oder hinaus. Ich war ganz allein. Ich atmete ein wenig durch die Luft und tat einen Schritt zur Seite und streckte den Flügelmann mit einem einzigen Schlag nieder. Dann drückte und quetschte ich ihn und preßte das Blut aus den Adern. Trat kurzeitig gegen seinen Kopf, besser als atmen. Er jappste nach Luft, röchelte und seine Lunge versuchte alles umliegende einzusaugen. Er quälte sich. Ein schmutziges Lächeln durchzog mein Gesicht. Eingebrannt. Verlogen und krank. Jede Muskelphaser brannte lichterloh bis auf die Hüllen aus - Gift verseuchte die Adern.
Ein Insekt was in seiner kleinen Falle verwest. Dabei bin ich ganz und gar menschlich, verkaufe Selbstmord, aufgeschlossen und totalitär. Bin das Tier, das nicht Tier sondern Mensch sein will, aber die alte Welt gerät in Vergessenheit - sie stirbt. Wie der kleine Flügelmann. Ein letztes Zucken durchfährt seinen kleinen kindlichen Leib und richtet seine Augen an mich, die so heilvoll funkeln und vertrauensvoll wirken, als wären sie die frohe Botschaft die uns alle erlösen wird, uns auflöst und verdaut - bis hinunter aufs Skelett. Stundenlang saß ich noch zusammengekauert auf meinem kleinen Stuhl, vielleicht sogar Tage, oder Wochen, die Beine angezogen und sachte mit dem Kopf nickend; ich konnte die Uhr nicht mehr lesen. Der schwarze Boden bekam einen roten, dickflüssigen Teppich, so war er nicht mehr schmucklos - ein Muster hätte ich malen sollen - und ich summte ein hübsches Kinderlied. Draußen verschwand der Mond. Es wurde schwarz. Keiner konnte mich hören. Ich stellte mir vor es würde regnen und hören wie das Wasser an das Fenster klopft. Ich riß dem Engel einen Flügel ab und tauchte ihn in Blut. "Freiheit." schrieb ich flehend an die schwarze Wand. Ich wußte was ich hier tat.